Читать книгу Wie gewonnen - so zerronnen - Hendrik Scheunert - Страница 4
1. Kapitel
ОглавлениеDer Wecker klingelte unbarmherzig und ließ sich nicht beruhigen. Frank fand den Knopf, der die nervige Stimme des Radiomoderators mit seinen platten Witzen verstummen ließ, nicht gleich und schlug im Dunkeln planlos auf den armen Radiowecker ein. Endlich war Ruhe. Er setzte sich auf die Bettkante, machte nach kurzem Zögern Licht.
Die Orientierung langsam wiederfindend, stellte er fest, dass er sich nicht mehr am Bodensee, sondern wieder in seiner Zweitwohnung in Stuttgart befand. Nachdem sich diese Tatsache bei ihm manifestiert hatte, stand er auf, schlurfte unter die Dusche, in der Hoffnung, sich vielleicht doch geirrt zu haben.
Wenig später in der Küche trank er seinen ersten Kaffee, der für ihn überaus wichtig war, da ansonsten keine Kommunikation mit ihm stattfinden konnte. Frank war prinzipiell erst nach dieser einen, alles entscheidenden Tasse überhaupt zu einer Unterhaltung, die aus mehr als zwei zusammenhängenden Wörtern bestand, fähig. Konnte er diese Tasse des schwarzen Gebräus am Morgen nicht in Ruhe trinken, zog sich seine schlechte Laune durch den ganzen Tag. Seine Kollegen wussten dies und so war es Usus, dass der, welcher morgens als erstes ins Büro kam, auch die Kaffeemaschine zum Laufen brachte. Meistens war es Manfred, obwohl dieser, aus Ludwigsburg kommend, die längste Anreise hatte.
Es klingelte. Frank überlegte einige Sekunden, ob er überhaupt die Tür öffnen sollte um sich der Tatsache eines montagmorgens zustellen.
„Bist du noch nicht fertig“, stöhnte Richard und verdrehte die Augen.
„Guten Morgen“, erwiderte Frank um festzustellen, er hatte tatsächlich noch seinen Schlafanzug an. Wie ihm das passiert war, konnte er sich nicht erklären, jedoch stand er fünf Minuten später fertig angezogen vor Richard. Angesichts der frühen Uhrzeit eine beachtliche Leistung.
„Du musst fahren“, sagte jener und sah in mit einem treuherzigen Blick an.
„Schon klar, deine Karre steht ja unten am Bodensee.“
„Was steht heute eigentlich an?“, wollte Frank wissen, als der V8 zu brummen begann. Ein Geräusch bei dem er immer wieder eine wohlige Gänsehaut bekam.
„Soweit ich am Freitag noch mitbekommen habe gibt es noch ein paar Cold Cases. Du weißt ja diese ungeklärten Mordfälle die von Zeit zu Zeit wieder bearbeitet werden müssen. Der Rothaarige meinte wohl es wäre eine gute Gelegenheit sich beim neuen Polizeipräsidenten beliebt zu machen.“
Akten wälzen am ersten Arbeitstag, nun es hätte schlimmer kommen können, dachte Frank während er sich durch den alltäglichen Verkehrswahnsinn in Stuttgart kämpfte.
Im Büro stieg ihm bereits der frische Duft von Kaffee, dem Geruch nach seine Lieblingsorte Guatemala Grande, die er wegen der Stärke besonders schätzte, in die Nase. Das konnte nur bedeuten, Manfred war schon da. Manfred Gühring war ein muskulöser Kripobeamter mit wenig bis gar keinen Haaren auf dem Kopf. Er hielt sich mit Laufen und Boxtraining fit. Entsprechend waren auch sein Bizeps, der es seiner Frau schwer machte, die passenden Oberhemden dafür zu finden. Richard hatte ihm in Anlehnung an den Boxer den Spitznamen Schwaben Tyson gegeben. Aber im Gegensatz zum echten Boxer war Manfred Gühring eher von der ruhigen, bedächtigen Sorte, was aber nicht hieß, dass er nicht laut werden konnte. Doch so etwas war selten der Fall. In ihrem Team war er eher der Ruhepol, der meist als Vermittler auftrat falls sich andere die Köpfe heißredeten, was im Besonderen für Frank und Kriminaldirektor Hans-Jürgen Engler galt, die vor ihrem brüchigen Waffenstillstand öfter mal verbal aneinandergerieten.
„Einen wunderschönen guten Morgen, mein Bruder“, empfing ihn Manfred, wobei er Frank ziemlich fest an sich drückte.
„Uff! Du hast den Klammergriff einer Python, die seit Jahren nichts gegessen hat. Aber ich bin auch froh, dich zu sehen mein Bruder“, ächzte Frank, der Mühe hatte frei zu atmen.
Richard lachte nur, zog sich aber vorsichtshalber an die Kaffeemaschine zurück, um einer eventuellen Umarmung zu entgehen. Dass sie sich beide Brüder nannten, ging auf eine Anekdote aus früheren Zeiten zurück. Richard meinte seinerzeit, die beiden würden wie Winnetou und Old Shatterhand zusammenpassen. Wie er darauf kam, war nicht verbrieft, nur dass zu diesem Zeitpunkt eine nicht unbeträchtliche Menge an Alkohol, von dem Richard wenig bis gar nichts vertrug, im Spiel war. Da Old Shatterhand nun bekanntlich übersetzt Schmetterhand bedeutete, wurde daraus schnell die Begrüßung aus den legendären und allseits beliebten Karl May Filmen.
„Guten Morgen die Herren. Ich hoffe sie hatten beide einen schönen Urlaub.“
In der Tür zu ihrem Büro stand Hans-Jürgen Engler, Kriminaldirektor der Kriminaldirektion eins mit Schwerpunkt Kapitalverbrechen, und somit ihr Vorgesetzter. Frank hatte ihm den Spitznamen Rothaariger gegeben, wobei diese Titulierung noch freundlich war, denn er hatte für ihn weitaus schlimmere Bezeichnungen. Zwar verschwanden die roten Haare immer mehr und wurden durch graue ersetzt, doch der Name war recht passend.
„Morgen“, war die betont knappe Antwort von Frank.
Engler ging nicht weiter drauf ein, sondern gab Richard die Akten in die Hand.
„Hier sind die kalten Fälle. Schauen sie mal, ob sie da Neuigkeiten rausbekommen.“ Engler vermied bewusst die englische Aussprache, zum einen, weil er damit so seine Probleme hatte, das Beispiel Günther Öttinger sei an dieser Stelle erwähnt, zum anderen, um Frank Jonas keinen Grund zum Spott zu geben.
„Ist gut. Wir kümmern uns drum“, meinte Richard.
„Ich bin übrigens bis Ende nächster Woche auf einem Seminar in Hamburg. Falls etwas Dringendes anliegt, bin ich natürlich erreichbar“, sagte er und wandte sich um.
Halleluja! Frank jubilierte innerlich. Er hatte jetzt zwei weitere Wochen ohne diesen Quälgeist. Besser konnte der Tag gar nicht anfangen. Motiviert ließ er sich von Richard die Akten mit den Cold Cases geben. Der Kaffee schmeckte ihm nun gleich viel besser.
Frank hatte sich gerade in einen der Fälle eingearbeitet, war bei seiner zweiten Tasse, als sein Telefon klingelte.
Am anderen Ende der Leitung war, so schlussfolgerte er, ein Streifenbeamter.
„Bin ich richtig bei der KD eins?“, erkundigte er sich.
„Ja da sind sie richtig. Hier ist Hauptkommissar Frank Jonas. Was gibt’s?“
„Wir haben einen Toten.“
Dann war kurz Stille in der Leitung. Frank hörte nur, wie sich der Beamte zu übergeben schien.
„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich nach dem Befinden des Mannes.
„Ja, geht schon wieder. Ist kein schöner Anblick. Sieht aus wie auf dem Schlachthof.“
Frank rümpfte die Nase. Entweder war der nichts gewohnt, oder es sah tatsächlich so schlimm aus. Er notierte alles Wichtige, was der Beamte ihm durchgab, und legte wieder auf.
„Jungs, wir haben Arbeit. Lasst die Akten liegen.“
So etwas musste man Richard, der Akten sichten so sehr liebte wie Frank Zahnarztbesuche, nicht zweimal sagen.
„Was ist passiert?“, wollte Manfred wissen.
„Ein Toter, in Sillenbuch. In der Buowaldstraße. Allem Anschein nach ziemlich übel zugerichtet. Der Beamte hat sich ausgekotzt. Im wahrsten Sinne.“
„Noble Gegend“, meinte Richard.
„Das nützt dem jetzt auch nichts mehr“, konstatierte Frank als er sich seine Jacke anzog. „Hoffentlich kein Selbstmord.“
Er spielte auf den vermeintlichen Selbstmord bei ihrem letzten Fall an. Nur dank Richards Spürnase und seinem berühmten Bauchgefühl stellte sich letztendlich heraus, dass die Frau von der Aichtalbrücke gestoßen wurde.
„Willst du mitkommen, Manfred?“, erkundigte sich Richard, wohlwissend, dass Manfred beim Thema Blut am Tatort ähnlich reagiert hätte wie der Beamte am Telefon.
„Geht ihr nur. Ich brauch am ersten Tag keinen Mord. Schon gar nicht nachdem was ich gehört habe.“ Manfred hatte, wie Richard treffend vermutete, besagtes Telefongespräch äußerst aufmerksam verfolgt, und war zu dem Schluss gekommen, Akten wälzen schien das geringere Übel zu sein.
Lisa Danninger war für ein paar Tage zu ihren Eltern gefahren, was Frank gar nicht unrecht war, da erst einmal etwas Zeit verstrich um nun in Ruhe über Lisa und sich nachzudenken. Mit den Liebesangelegenheiten war es bei ihm immer so eine Sache. Einerseits war es ganz schön sich zu verlieben, aber andererseits hatte Frank Angst davor, seine Freiheit zu verlieren. Er verdrängte die psychologische Komponente, konzentrierte sich wieder auf das Wesentliche, den Verkehr in der chronisch überlasteten Landeshauptstadt, der seit Beginn des Bahnprojektes fast jeden Tag zum Erliegen kam. Meist war man zu Fuß, mit dem Rad aber mit Sicherheit, in der Innenstadt schneller unterwegs. Da nützte ihm auch der V8 nichts.
Der Verkehr hatte sich nach der ersten morgendlichen Welle zum Glück beruhigt. Oben angekommen lotste sie sein Navigationssystem auf die Straße durch den Wald, bevor sie am Ortseingang links abbiegen mussten. Vorbei an einem zwischen den Häusern eingebetteten kleinen Freibad, in dem trotz der Temperaturen noch einige wagemutige Rentner ihre Bahnen zogen, fuhren sie immer weiter hinunter nach Sillenbuch. Die Adresse als solches, die ihnen der Polizeibeamte gegeben hatte, war etwas schwer zu finden, da sich das Haus nicht direkt an der Straße befand, sondern etwas versteckt an einem Weg, der in den Wald führte.
Am Weg, der zum Haus führte, stand bereits ein Polizeiauto und zwei Beamte hielten sich vor dem Eingang des Hauses auf. Die Spurensicherung mit ihrem Chef Adelbert Herzog war noch nicht da, auch Walter Riegelgraf von der Rechtsmedizin war nicht zu sehen.
„Dass wir noch mal vor dem Walter an den Tatort kommen, hätte ich nicht gedacht“, meinte Frank.
„Ja, sowas kannst du dir fett im Kalender anstreichen“, meinte Richard süffisant, „Kommt nicht allzu oft vor.“
Jenes Haus lag von einer hohen Hecke verdeckt, zwischen ein paar Sträuchern versteckt an einem Hang. Es bot dem Eigentümer einen freien Blick ins Tal nach Rohracker und auf die gegenüberliegende Seite, wo die Schönen zusammen mit den Reichen von Stuttgart selbigen Ausblick genossen. Die große Hecke sorgte für die nötige Privatsphäre.
„Sind sie von der Kripo oder von der Presse?“, fragte der Polizeibeamte, als sich die zwei näherten.
„Ja“, erwiderte Frank und zeigte ihm seinen Ausweis. Komische Frage, dachte er sich dabei. Glaubt der, wir kommen vom Einkaufen.
„Wer hat den Toten gefunden?“, erkundigte sich Richard, während Frank sich an dem Beamten, der neben dem Gartentor stand, vorbeischmuggelte.
„Halt! Wer sind sie?“, rief der Beamte, welcher augenscheinlich Franks Ausweis noch nicht gesehen hatte, ihm nach.
Er hielt seinen Ausweis erneut nach oben und schaute sich das Haus von außen an.
„Der gehört zu uns“, beschwichtigte Richard den finster dreinschauenden Beamten.
„Die Haushälterin hat ihn heute Morgen gefunden. Sie sitzt vorm Haus“, antwortete dieser.
Dies war auch der Grund, warum Frank so zielstrebig an dem Beamten vorbei auf das Grundstück des Hauses ging. Er sah die Frau auf einer Bank vor dem Haus sitzend.
„Ich bin Hauptkommissar Frank Jonas von der Kriminaldirektion eins in Stuttgart. Sind sie in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten?“
„I werd's versucha. Abr viel han i ned gseha. I ben au glei wiedr raus“, antwortete sie, wobei Frank Mühe hatte, ihr beim Reden zu folgen. Jenes Albschwäbisch zu verstehen, stellte ihn vor eine große Herausforderung.
„Sie haben also nichts gesehen, außer dem Toten“, übersetzte Frank mehr für sich als für die Frau.
„Noi. Nur an haufa Blud. Schrecklich.“
„Haben sie was angefasst? Ich frage nur wegen der Spurensicherung, die nachher kommt. Die müssen dann ihre Fingerabdrücke von den anderen unterscheiden können.“
Sie sah ihn entgeistert an, als hätte sie ihn nicht verstanden.
„Was woiß i. Wahrscheinlich nedda.“
Frank sah ein, es brachte jetzt nicht viel, sich mit der Frau zu unterhalten. Es lag nicht nur an ihrem Dialekt, sondern eher am Schock unter dem sie zu stehen schien. Die Beamten hatten vorsorglich schon einen Arzt gerufen.
Währenddessen traf auch Walter Riegelgraf von der Rechtsmedizin ein. Er war jünger als Richard und bis auf seinen kleinen, kugelrunden Bauch von schlanker Figur. Dieser war des Öfteren Gesprächsthema von beiden während des Mittagessens. Trotz zahlreicher Diätversuche schaffte er es nicht, jene lästige Kugel zu neutralisieren.
„Sag nichts. Ich war am Wochenende grillen“, sagte er zu Richard, der belustigt auf seinen Bauch schielte.
„Guten Morgen Walter. Ich habe doch noch gar nichts gesagt“, erwiderte Richard entschuldigend, konnte aber sein Grinsen im Gesicht schwerlich unterdrücken.
„Kaum ist das Wochenende vorbei, schon habt ihr wieder eine Leiche. Ich finde, ihr solltet öfter Urlaub machen, dann ist es hier viel ruhiger“, bruddelte er.
„Wenn du zahlst, kein Problem“, meinte Frank, als er Walter die Hand gab.
„Soweit kommts noch. Dann lieber Leichen. Apropos Leiche. Wo ist der Tote?“
„Im Haus“, erwiderte der Polizeibeamte, welcher teilnahmslos die Konversation verfolgt hatte und immer noch recht blass wirkte.
„War jemand von euch schon drin?“
„Wir nicht. Soweit ich es beurteilen kann, nur die Haushälterin und der Polizeibeamte“, meinte Frank, „Aber die ist durch den Wind. Warten wir ab, bis der Arzt kommt.“
„Dann kann er den gleich mitnehmen.“ Walter deutete mit seinem Daumen auf Richard, „Ich zähle die Tage, bis du bei mir auf dem Tisch landest. Das, nur das gibt mir Motivation.“
„Da wirst du noch eine Weile warten müssen“, lachte Richard. „Jetzt schau dir erst mal die Leiche an. Wir kommen gleich nach.“
„Aber nur mit Schutzausrüstung. Ihr macht mir sonst meinen ganzen Tatort kaputt und ich habe dann wieder die Arbeit“, schimpfte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Die Stimme gehörte Adelbert Herzog, seines Zeichens Chef der Spurensicherung. Er galt in Stuttgart als einer der besten seines Faches, dozierte regelmäßig an verschiedenen Universitäten. Sein einziges Manko war, er verfiel bei Vorträgen sehr schnell in eine monotone, einschläfernde Stimmlage, was dazu führte, dass seine Zuhörer meist einschliefen. Deshalb verpasste ihn Frank den Spitznamen Valium Berti.
Nachdem sie den Anweisungen von Herzog Folge geleistet hatten, gingen sie gemeinsam hinein. Wie es auf den ersten Blick aussah, musste der Besitzer über einen beträchtlichen Reichtum verfügen. Die Tür am Eingang bestand aus massiver Eiche, kein billiges Furnier wie bei den meisten Türen stellte Frank fest. Im großen, ausladenden Flur war der Boden mit Marmorplatten gefliest, die Wände mit einem edlen Putz überzogen. Ein älteres Bild mit einer nackten Frau, die aus einer Muschel emporzusteigen schien und von mehreren engelsgleichen Wesen umgeben war, hing an der Wand.
„Die Geburt der Venus“, sagte Walter Riegelgraf.
„Ich weiß, das Original wurde 1486 von Botticelli gemalt und hängt in den Uffizien in Florenz. Wert: Unbezahlbar“, antwortete Frank.
„Ein Kunstkenner“, erwiderte Richard.
„Wenn hier ein Original hängen würde, hättest du ausgesorgt“, fügte sein Kollege hinzu.
Vom Flur führte ein ausladender Gang ins Wohnzimmer, dessen Boden ebenfalls durch einen teuren Marmor bestach. Die edle Ledercouch vor dem Panoramafenster rundete das teure Ambiente, welches der Raum ausstrahlte, ab. An der gegenüberliegenden Wand hing zudem ein großer Fernseher.
„Also so ein großes Fenster ist ja schön und gut, aber da kann ja jeder reinschauen“, brummte Richard.
„Wo liegt denn jetzt die Leiche? Oder ist die wieder gegangen?“, schimpfte Walter Riegelgraf.
„Die liegt, die Treppe hoch, oben links in dem Büro.“ Der Beamte der in der Tür stand deutete mit dem Finger nach oben.
Im Flur führte eine Treppe in den ersten Stock. Auf der rechten Seite befanden sich ein großes Bad sowie eine separate Toilette.
Linkerhand schien besagtes Büro zu sein. Die Tür stand halb offen.
Walter Riegelgraf und Adelbert Herzog betraten den Raum als erstes.
„Donderlattich“, rief Walter, „Da hat aber jemand ganze Arbeit geleistet. Da kann ich zwei Dinge auf den ersten Blick sagen: Definitiv tot und kein Selbstmord.“
Frank schaute vorsichtig durch die Tür.
Der Anblick ließ ihn erschaudern. Vor ihnen lag ein Mann, wahrscheinlich im Alter von Richard, in einer riesigen, fast schon getrockneten Blutlache. Überall am Schreibtisch, als auch auf dem Boden war Blut zu sehen, teilweise waren die Blutspritzer bis an die gegenüberliegende Wand verteilt. Frank spürte beim Anblick des Mannes, mit welch einem großen Hass der Täter seine Tat ausgeführt hatte. Ihm fröstelte bei dem Gedanken, wozu Menschen in der Lage waren.
„Du meine Güte. Da hat aber jemand eine Wut gehabt.“
Trotz seiner langjährigen Ermittlungsarbeit bei der Mordkommission war Richard, den so leicht nichts schocken konnte, beim Anblick des Toten sichtlich schockiert, ob der Barbarei zu der Menschen fähig waren.
„Jemand, der so etwas macht, muss eine rasende Wut gehabt haben. Der hat bestimmt mehr als einmal auf den Kopf geschlagen. Wenn ich mir so auf den ersten Blick die Hände anschaue, sieht es mir auch nach einem Kampf aus. Aber das ist nur eine erste Einschätzung. Den Rest bekommt ihr von mir wie üblich nach der Obduktion.“
Walter Riegelgraf war ein sehr gewissenhafter Rechtsmediziner, der nur weitergab, von dem er sich absolut sicher war. Er hielt nicht viel von den sogenannten Rechtsmedizinern im Fernsehen, die bei Opernmusik die Leichen sezierten. Bei ihm und seiner Kollegin Yvonne lief vorzugsweise Hardrock.
„Weiß man denn schon um, wen es sich bei dem Toten handelt. Auf dem Namensschild stehen nur die Initialen K.U.M.“, fragte der Polizeibeamte, der auf der Treppe stand, es aber augenscheinlich nicht vorzog, den Tatort noch einmal zu begutachten.
Kurze Zeit später gab Adelbert Herzog von der Spurensicherung seine erste Einschätzung an Frank und Richard ab: „Der Korrespondenz nach zu urteilen heißt der Tote Kai-Uwe Metzinger. Zumindest sind die ganzen Briefe hier alle an ihn adressiert.“
„Ein Ausweis wäre nicht schlecht, zur eindeutigen Identifikation“, maulte Richard, der anscheinend mit der ersten Einschätzung von Herzog nicht ganz konform ging.
„Wir sind erst fünf Minuten hier und du willst schon wieder alles wissen. Gib mir doch mal etwas Zeit. Je mehr du drängelst, desto länger brauche ich. Schaut euch im Haus um. Vielleicht findet ihr was. Aber bringt mir um Himmels willen nichts durcheinander.“
Richard wusste, dass es nach seiner vorigen Aussage, nun besser war Adelbert Herzog in Ruhe arbeiten zu lassen. Zudem hatte er recht. Vielleicht konnten sie im Haus brauchbare Hinweise finden.
Tatsächlich fand Frank in der imposanten Küche, in der es an nichts zu fehlen schien, auf der Granitplatte eine Brieftasche mit einem Personalausweis, der den Toten eindeutig als Kai-Uwe Metzinger identifizierte. Interessiert schaute er auf einen Umschlag, der neben dem Geldbeutel lag. Er öffnete ihn, um zu sehen, was sich darin befand und staunte nicht schlecht, als ihn ein großes Bündel fünfhundert Euro Scheine anlachte.
„Richard, komm mal her. Ich habe was gefunden“, rief er.
Wenig später standen sie in der Küche vor der schwarzen Granitplatte. Frank hatte die Scheine, nachdem er Handschuhe angezogen hatte, um nicht seine Fingerabdrücke auf dem Geld zu hinterlassen und sich somit den Zorn von Adelbert Herzog zuzuziehen, gezählt.
„Exakt fünfzigtausend Euro. Raubmord scheidet also schon mal aus, so offensichtlich wie das Geld hier rumliegt.“
„Nicht unbedingt. Manchmal sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht“, widersprach ihm Richard.
„Es ist nichts durchwühlt worden. Alles scheint auf den ersten Blick da, wo es hingehört“ erwiderte Frank, „Ich schätze, er hat seinen Mörder gekannt, denn an der Tür sind keine Einbruchsspuren zu sehen.“
Ihm kam es reichlich komisch vor, dass sich ein Umschlag mit so viel Geld hier befand. Meistens, um nicht zu sagen fast immer, deutete so etwas auf dunkle Geschäfte hin.
„So ich bin jetzt soweit fertig“, sagte Adelbert Herzog, während im Hintergrund die Herren vom Bestattungsunternehmen mit dem grauen Sarg vorbeiliefen.
Walter Riegelgraf gesellte sich zu ihnen in die Küche.
„Nicht schlecht. Der Mann hat Schotter“, stellte er fest, als er den Umschlag mit dem Geld erblickte.
„Hatte“, korrigierte ihn Richard.
„Oder auch nicht“, fügte Frank hinzu.
„Hä? Wie meinst du das?“, wollte Walter wissen.
„Ich finde es komisch, wenn jemand, der ein Haus mit allem Gedöns hat, fünfzigtausend Euro auf dem Küchentisch liegen lässt.
„Was stört dich daran?“, wollte Adelbert Herzog wissen, stellte seinen silberfarbenen Alukoffer wieder ab, holte eine Plastiktüte hervor, um den Umschlag mit dem Geld als Beweismittel an sich zu nehmen.
„Der Mann muss ja anscheinend Geld gehabt haben. Wenn ich mich hier so umschaue. Ich wette außerdem, wenn wir die Garage aufmachen, finden wir bestimmt ein Auto mit regionaler Herkunft. Warum also hebt so jemand fünfzigtausend Euro in großen Scheinen ab? Der hat doch in seiner Brieftasche mindestens fünf Kreditkarten gehabt. Außerdem, solche großen Scheine nimmt heute niemand mehr an.“
„Außer Banken“, bemerkte Richard.
„Gut, so etwas herauszufinden ist ja zum Glück nicht meine Aufgabe. Der Todeszeitpunkt ist gestern Abend zwischen zehn und elf Uhr eingetreten. Ich bin dann in der Rechtsmedizin, falls jemand vorbeikommen will.“
Adelbert Herzog, so wie auch Walter Riegelgraf verabschiedeten sich, ließen die zwei Ermittler stehen, sprachen beim Rausgehen noch miteinander, gingen dann aber, ein jeder seiner ihm zugedachten Tätigkeit nach.
Frank und Richard gingen ins Wohnzimmer und setzten sich auf die Ledercouch.
„Hier kann man bestimmt gut Mittagsschlaf machen“, stellte Richard fest, als er mit den Händen über die Couch strich.
„Ob die bei uns ins Büro passt?“, fragte Frank.
„Wir könnten ja den Engler in den Keller umquartieren, um sein Büro als unseren Aufenthaltsraum deklarieren“, meinte Richard süffisant.
Nachdem sie eine Weile, mehr oder weniger sinnfrei, über die Zukunft der edlen Ledercouch sinniert hatten, besprachen sie die weitere Vorgehensweise.
„Das wir hier einen Mordfall haben, daran besteht kein Zweifel“, stellte Richard fest und stand auf.
„Schauen wir uns mal sein Büro etwas genauer an“, meinte Frank, „vielleicht finden wir Hinweise darauf, wie hoch sein Vermögen war, oder ist.“
„Wir sollten erst mal herausfinden, ob er Angehörige hat“, schlug Richard vor.
Während er wieder rausging und versuchte die Haushälterin, die bereits von einem Arzt versorgt wurde, zu befragen, ging Frank ins Büro des Toten.
Auf dem Schreibtisch stand ein Monitor. Frank ging um den Schreibtisch herum, setzte sich in den, wie er fand, äußerst bequemen Bürosessel und ließ alles auf sich wirken, um ein Gefühl für den Fall zu bekommen.
Wer warst du? Was hast du gemacht? Wer könnte ein Interesse gehabt haben, dich umzubringen? Diese Fragen gingen Frank durch den Kopf.
Der Schreibtisch als solches war aufgeräumt und der Monitor ausgeschaltet. Frank betätigte den Startknopf um den Computer zu starten.
Währenddessen untersuchte er die Schubladen, die links, als auch rechts im Schreibtisch integriert waren. Beide ließen sich problemlos öffnen. Er öffnete eine Schublade nach der anderen in der Hoffnung, etwas würde seine Aufmerksamkeit erregen.
Doch nichts dergleichen.
Was ihm auffiel, war die penible Ordnung in den Schubladen. Ordner, Hefter, ja selbst die Stifte lagen sauber und akkurat da. Wie mit dem Lineal gemessen.
Das könnte ich bei mir auch mal machen, dachte er.
In der Zwischenzeit war der Computer gestartet und forderte den Benutzer auf, sein Passwort einzugeben.
Frank kratzte sich am Hinterkopf. Was sollte er da nehmen? Er schaute sich auf dem Schreibtisch um. Meistens hatten die Leute unter ihrer Schreibtischunterlage einen Zettel mit Passwörtern versteckt. So war es zumindest bei ihm.
Der Blick unter die Schreibtischunterlage die von der Württembergischen Genossenschaftsbank gesponsert war, brachte keine Erkenntnisse.
Er schaute erneut in die Schubladen, doch auch da fand er nichts. An der Wand hing ein ähnliches Bild wie im Flur. Wieder eine Frau, die am linken Bildrand lag, rechts von ihr ein Mann, der schlief. Zwischen den beiden waren ein paar engelsgleiche Figuren, die hier aber mit ihren Hörnern und behaarten Füßen eher wie kleine Teufelchen aussahen. Frank wusste, dass dieses Bild ebenfalls von Botticelli gemalt wurde. Es nannte sich Venus und Mars, stammte aus dem Jahr 1485.
Probieren wir´s, dachte er sich, weil er im ersten Moment davon ausging, dass Metzinger ein Kunstliebhaber war, und gab den Namen Botticelli ein. Doch dieses Passwort war falsch, wie ihm der Computer hämisch mitzuteilen schien.
Nachdem er den Namen des Toten, dessen Initialen sowie mehrere erfolglose Versuche hinter sich hatte, kam ihm plötzlich eine Idee.
Kurze Zeit später signalisierte ihm der Computer die richtige Eingabe des Passwortes: Venus.
Als er den Bildschirm vor sich hatte, erkannte Frank sofort, mit welcher Art von Person er es hier zu tun hatte. Diese Tatsache machte den Mordfall nicht einfacher.
Die Befragung der Haushälterin gestaltete sich auch für Richard als überaus schwierig. Zum einen verstand er verbal fast nichts, ihm erging es wie Frank zuvor, zum anderen wurde er immer wieder vom Arzt zur Seite geschoben oder unterbrochen.
„Der Herr Medzingr war gschieda. Sai Frau lebd in Esslinga ond sai Dochdr irgendwo in Schduagard.“
„Haben sie mir eine Adresse oder eine Telefonnummer, unter der ich die Tochter oder seine Ex-Frau erreichen kann?“, fragte Richard ganz langsam und deutlich.
Unter freundlicher Mithilfe des Arztes, der als Übersetzer fungierte, gelang es ihm schließlich, sich die Adressen der beiden zu notieren.
Er bedankte sich bei der Haushälterin, noch mehr bei dem Arzt für die Unterstützung und entschloss, sich einen Blick in die Garage zu werfen.
Als er die Doppelgarage öffnete, musste er schmunzeln. Frank war sich sicher, dass der Besitzer Fahrzeuge mit regionaler Herkunft in seiner Garage stehen hatte, und siehe da, eine schwarze Limousine mit Stern sowie ein Sportwagen aus Zuffenhausen, sauber geparkt nebeneinander auf dem gefliesten Boden. Richard hatte sich von seinem Kollegen mal erklären lassen, jene Autos mit dem Stern die über vier Auspuffrohre verfügten, hatten mindestens einen Achtzylinder unter der Motorhaube. Somit war die Limousine ein Achtzylinder. Auf dem weißen Sportwagen stand am Heck die Typenbezeichnung 911 Turbo S.
Hier wohnte jemand, der über eine Menge Geld verfügte und Wert auf edle, regionale Produkte legte, dachte er. Allein der Fuhrparks musste in Richtung fünfhunderttausend Euro gehen. Das Anwesen in der Lage, wurde bestimmt auf einen hohen siebenstelligen Preis taxiert. Wenn man also Raubmord ausschließen konnte, was war dann ein Motiv?
Richard ging zu Frank, der oben im Büro seine Ermittlungen aufgenommen hatte.
Er fand ihn, den Kopf auf seine linke Hand gestützt, konzentriert auf den Bildschirm schauend.
„Hast du was Brauchbares gefunden?“, erkundigte er sich.
„Einiges. Unser Toter hier muss ein gewiefter Finanzjongleur gewesen sein. Mit einem betuchten Kundenstamm. Wenn ich mir die Liste seiner Kunden, die ich gefunden habe, so anschaue, sind das alles keine Armen.“
„Wieso?“
„Na ich bin jetzt nicht der geborene Finanzexperte. Aber hinter jedem der Namen hier, soweit ich es überflogen habe, sind es mindestens fünfhundert, steht ein Betrag. Da ist keine Summe unter zwanzigtausend Euro“, stellte Frank fest.
Richard pfiff durch die Zähne, rechnete grob im Kopf durch. Ergibt dann ungefähr zehn Millionen Euro sein.
„Mindestens. Da spielt jemand in der oberen Liga mit“, meinte er.
„Und zwar ganz oben. Einige haben hier mehrere Zehntausend Euro eingezahlt.“
Frank scrollte die Liste weiter runter, fand schließlich die gesamte Summe, die investiert worden war.
„Der Mann hat über fünfzig Millionen Euro verwaltet. Alle Achtung. Nicht schlecht für einen Einzelnen.“
„Meinst du, das könnte was mit seinem Tod zu tun haben?“, fragte Richard.
„Auszuschließen sollten wir es nicht. Aber dann hätten wir annähernd fünfhundert Verdächtige, wenn die Liste vollständig ist.“
Frank scrollte wieder langsam nach oben. Plötzlich stutzte er. Hatte er sich verguckt? Er musste lachen.
„Was ist so lustig?“, wollte Richard wissen.
Frank winkte ihn um den Schreibtisch herum, zeigte mit dem Finger auf einen Namen in der Liste. Richard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Denkst du wirklich, das ist er?“
„Hundertprozentig. Somit würde er, wenn es denn in diese Richtung läuft, auch als Verdächtiger gelten. Den würde ich nur allzu gern verhaften. Du glaubst nicht, was für einen Spaß ich dabei hätte.“
Der Name hinter der Nummer einhundertzweiundfünfzig lautete: Hans-Jürgen Engler. Einlage: fünfundvierzigtausend Euro.
Frank druckte sich die mehrere Seiten umfassende Liste aus und beschloss, den PC als Beweismittel der Spurensicherung zu übergeben. Vorher machte er sich von einigen Dateien, die er für wichtig zu erachten schien, eine Kopie auf einen USB Stick.
Kurz darauf verließen sie das Haus und fuhren nach Esslingen, um der Ex-Frau von Kai Uwe Metzinger die traurige Nachricht vom gewaltsamen Tod ihres Mannes zu überbringen.
Egal wie man diese Angelegenheit drehte, es war auch für die Ermittler jedes Mal eine psychische Belastung jemandem mitzuteilen, wenn ein naher Angehöriger gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde. Die Dramen, die sich zuweilen abspielten, wollte man niemanden zumuten, aber so banal es klingen mochte, war es nun einmal bittere Realität.
Sie einigten sich während der Fahrt auf Frank, der dieses Mal den Part übernehmen sollte. Er überlegte, wie jedes Mal, welches die schonendste Arte war. Freilich mit dem Ergebnis, diese Art der Übermittlung gab es nicht.
Die Ex-Frau von Metzinger hieß Sarah, wohnte oberhalb von Esslingen im Stadtteil Rüdern, in der Uhlbacher Straße.
Als sie vor dem frisch renovierten Haus standen, in dem Frau Metzinger lebte, überlegte Frank noch einmal kurz, hielt für einen Moment inne, und drückte die Klingel mit dem Namensschild.
Eine Weile tat sich nichts, dann fragte eine Stimme durch die Sprechanlage: „Ja, bitte?“
„Hier sind Frank Jonas und Richard Bauer von der Kripo Stuttgart. Spreche ich mit Frau Sarah Metzinger?“
„Ja, das bin ich. Was kann ich für sie tun? Hat mein Ex-Mann wieder Mist gebaut? Damit habe ich nichts zu tun. Wir sind seit einem Jahr geschieden.“
„Wir würden gern mit ihnen persönlich sprechen, wenn es ihnen nichts ausmacht“, antwortete Frank.
„Nur nicht allzu lang. Ich habe noch etwas vor. Kommen sie rein.“
Der Türöffner summte und beide gingen durch die Tür. Sarah Metzinger wohnte im Erdgeschoss in einer geräumigen lichtdurchfluteten Drei Zimmer Wohnung. Auf den ersten Blick konnte Frank erkennen, dass auch, wie bei Kai Uwe Metzinger, bei der Einrichtung an nichts gespart worden war. Geld war also genug vorhanden. Die Frage, die zu klären blieb, war, woher dieses kam.
Sie bot den beiden Kommissaren einen Platz im Wohnzimmer auf der Couch an.
„Möchten sie einen Kaffee?“, fragte sie.
„Wenn es nicht allzu viel Mühe macht, gern“, entgegnete Richard.
„Mir nicht. Der Kaffeemaschine schon“, lachte sie.
Nachdem sie beiden einen Kaffee serviert hatte, setzte sie sich zu ihnen auf die Couch und schlug ihre Beine übereinander. Sie hatte kurze, schwarze Haare, trug eine randlose Brille, die erst auf den zweiten Blick zu erkennen war. Sarah Metzinger war etwas jünger als ihr Ex-Mann und hatte eine schlanke Figur.
„So, was kann ich für sie tun? Hat er wieder Probleme mit der Steuer? Oder hat ihn ein Kunde angezeigt?“, fragte sie mit einem leicht genervten Unterton in ihrer Stimme.
„Nichts dergleichen“, begann Frank nach einigem Zögern. Er hatte sich für die Direktmethode entschieden.
„Ihr Mann ist gestern ermordet worden.“
„Ermordet? Von wem?“, fragte sie entgeistert.
„So weit sind wir noch nicht. Wir dachten, vielleicht könnten sie dazu uns etwas sagen. Hatte er Feinde?“, erkundigte sich Richard.
Sarah Metzinger war erstaunlich gefasst. Kein Zusammenbruch, keine Tränen, kein Gefühlsausbruch. Sie schien sich im Griff zu haben oder realisierte noch gar nicht, was Frank ihr gerade eben gesagt hatte.
„Ich habe nur noch selten Kontakt zu meinem Ex-Mann. Daher kann ich ihnen hier nicht weiterhelfen. Dass er Investor ist, oder war und sein Geld mit dem Ausnehmen anderer Leute verdient hat, werden sie bestimmt schon in Erfahrung gebracht haben. Aber mit diesen Geschäftsmethoden habe ich nie etwas zu tun gehabt“, gab sie nüchtern und gefasst von sich.
Frank beobachtete sie die ganze Zeit. Selten hatte er jemand erlebt, der sich so unter Kontrolle hatte, nachdem man ihm die Nachricht vom Tod eines nahen Angehörigen überbracht hatte. Waren da tatsächlich keine Gefühle mehr im Spiel, oder spielte sie ihnen, wenn dann ziemlich gekonnt, etwas vor. Er war sich nicht sicher, was er glauben sollte.
„Was war der Grund für ihre Trennung?“, wollte er wissen.
„Es hat halt nicht mehr gepasst. Wie das im Leben so ist. Er hat sich nur noch mit seinen Finanzaktivitäten beschäftigt. War die ganze Zeit unterwegs. London, Frankfurt, New York und was weiß ich wo.“
Frank hatte berechtigte Zweifel an ihrer Aussage. Ein leichtes Zucken in ihrer Augengegend verriet sie. Aber heute war nicht der geeignete Zeitpunkt, die Sache zu vertiefen.
Sie verabschiedeten sich und Richard gab ihr seine Visitenkarte, mit dem Hinweis sich zu melden, falls ihr noch etwas einfiele, was ihnen weiterhelfen könnte.
„Ich denke, wir sollten uns die finanziellen Aktivitäten unseres Opfers mal genauer ansehen. Da scheint einiges im Argen zu liegen“, konstatierte Richard.
„Da bin ich ganz deiner Meinung“, pflichtete Frank ihm bei, als sie ins Auto stiegen.
Sarah Metzinger beobachtete die beiden hinter dem Vorhang. Als sie losfuhren, griff sie zum Hörer, um zu telefonieren.