Читать книгу Wie gewonnen - so zerronnen - Hendrik Scheunert - Страница 5

2. Kapitel

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Nachdem Frank mit Richard noch die Tochter von Kai Uwe Metzinger, Sabine, ausfindig gemacht hatte, mussten sie nun auch ihr die Nachricht vom Tod ihres Vaters überbringen. Sabine Metzinger reagierte ähnlich kühl und abweisend wie ihre Mutter. Um die Bande in der Familie schien es, da waren sich beide Kommissare auf der Fahrt zurück weitestgehend sicher, nicht zum Besten zu stehen. Frank wusste, solche Taten, wie der überaus brutale Mord an Kai-Uwe Metzinger, fußten meist auf einem persönlichen Hintergrund. Seiner Meinung nach reagierte Sabine Metzinger noch eine Spur abweisender als ihre Mutter. Außerdem hatte er das Gefühl, dass sie etwas verheimlichte. Damit wurde der Kreis der Verdächtigen nicht kleiner, sondern immer größer.

Nach dem kurz gehaltenen Besuch bei Sabine Metzinger im Stuttgarter Süden, fuhren sie, auch weil aktuell keine Befragung oder Ähnliches mehr auf der Agenda stand, wieder zu Manfred ins Büro, der sie im Beisein einer frischen Tasse duftenden Kaffees schon erwartete.

„Da seid ihr ja wieder. Gibt’s was Neues?“, erkundigte er sich.

„Allerdings“, lachte Frank. Er erzählte Manfred, nicht ohne Häme und Spott im Unterton seiner Stimme, die Geschichte von Englers Investition.

„Das wird der gar nicht gern hören“, stellte dieser fest. „Zum Glück ist er auf dem Weg nach Hamburg.“

„Mal sehen wie lange. Wenn der Staatsanwalt mitkriegt, wer da investiert hat, wird er ihn sowieso nicht mit ermitteln lassen. Aber irgendwie find ich´s prima“, freute sich Frank.

Es war für ihn immer wieder eine Genugtuung zu sehen, wie sich Engler selbst ein Bein stellte. Seine arrogante, selbstgefällige Art, mit der er bisweilen auftrat, kostete ihn im Präsidium viele Sympathiepunkte. Falls sich nun bald herumsprechen würde, dass Engler bei dem toten Finanzjongleur mehrere Zehntausend Euro verloren hatte, Frank würde seinen Teil dazu beitragen, wäre ihm die Schadenfreude gewiss.

Richard sah auf die Uhr.

„Zeit fürs Mittagessen.“

„Ach du Schreck, habe ich noch gar nicht bemerkt“, seufzte Frank und verdrehte seine Augen.

Sie gingen gemeinsam in die Kantine, wo ihnen schon von Weitem der Duft von gebratenem Fleisch, besonders bei Frank, in die Nase stieg. Dort trafen die drei auf Walter Riegelgraf sowie Adelbert Herzog, die bereits mit dem Verzehr ihrer Maultaschen beschäftigt waren.

„Mahlzeit die Herren“, sagte Richard und blickte zu dem Rechtsmediziner auf den Teller.

„Schmeckt´s“, fragte er nach.

„Bis du gekommen bist, hat´s geschmeckt. Jetzt nicht mehr. Aber ich bin ja zum Glück schon fertig“, gab dieser lakonisch zurück. Damit lieferte er Richard natürlich eine Steilvorlage, die dieser dankend aufnahm, um sie sicher wie einen Elfmeter im Fußball zu verwandeln.

Es folgte ein erster verbaler Schlagabtausch, der letztlich jedoch zugunsten von Walter Riegelgraf ausging. Frank saß derweil etwas lustlos über seinen Spaghetti, da das sonstige Essensangebot heute nicht seinen Vorstellungen, respektive hohen Erwartungen, entsprach.

„Hast du schon was rausgefunden?“, fragte er Adelbert Herzog, während er sich mühte, die Spaghetti halbwegs unbeschadet in den Mund zu bekommen.

„Wenn die Kollegen den Computer bald mal vorbeibringen würden, wäre dies sicher hilfreich. Ansonsten nichts Neues. Keine Einbruchsspuren oder dergleichen. Ich gehe davon aus, er kannte seinen Mörder. Was dann schon mal auf eine Beziehungstat hindeutet.“

„Was ist mit dem Toten?“, wollte Richard von Walter Riegelgraf wissen.

„Das willst du nicht beim Essen hören. Am besten ihr kommt nachher zu mir in die Rechtsmedizin. Ein bisschen Bewegung tut dir auch ganz gut.“

Er blickte zu Richards Bauch, dann auf seinen Teller.

„Kein Problem. Läufst du mit oder wirst du gefahren?“, frotzelte Richard.

„Selbstverständlich laufe ich mit. Was denkst du von mir?“

Die Rechtsmedizin von Walter Riegelgraf befand sich Kellergeschoß des Katharinenhospitals. Zu Fuß war man bei strammer Laufweise in etwas weniger als zwanzig Minuten dort. Walter Riegelgraf nutzte diese Zeit meist für einen Spaziergang, um dem, wie er es immer nannte, Geruch des Todes zu entkommen.

Nachdem Frank, letztlich vom Hunger getrieben, die Spaghetti vertilgt hatte, liefen sie gemeinsam Richtung Katharinenhospital. Manfred war bei Adelbert Herzog geblieben, um sich von ihm auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Außerdem gab es ihm immer noch ein kleines Verdauerle, in Form eines selbstgebrannten Obstlers, wie er es nannte. Jener brannte in seiner Freizeit den ein oder anderen Schnaps, hochoffiziell und legal, wie er stets betonte. Dies war im gesamten Präsidium bekannt, den meisten davon war die Legalität der Herstellung egal, und wurde allseits in Anspruch genommen.

In der Rechtsmedizin, im Kellerbereich des angesehenen Katharinenhospitals, strömte ihnen bereits der Geruch der Pathologie in die Nase. Yvonne die flippige Assistentin von Walter Riegelgraf reinigte gerade das Obduktionsbesteck, als er mit Frank und Richard kam.

„Wir haben Besuch.“

Yvonne drehte sich um, schaute freundlich zu den dreien hinüber und grüßte sie mit schwingenden Scheren, Skalpellen, die sie gerade zur Reinigung in die dafür vorgesehene Spülmaschine legte.

„Er liegt da drüben. Ich wollte ihn gerade wegräumen“, sagte sie, wie beiläufig.

Der tote Kai Uwe Metzinger lag auf dem Edelstahltisch und war mit einem weißen Laken zugedeckt.

„Um es vorwegzunehmen“, begann Walter Riegelgraf, „Es war kein Selbstmord. Da hat jemand eine Mordswut auf ihn gehabt, um das mal vorsichtig auszudrücken.“

Die beiden Kommissare wurden neugierig.

„Erklär mal näher“, sagte Frank.

Sie standen alle drei, am Kopfende um den Edelstahltisch, auf dem der Tote lag. Walter zog das weiße Laken bis zur Hälfte zurück. Beim Anblick der Hämatome und Blutergüsse, die auf dem Oberkörper von Kai Uwe Metzinger zu sehen waren, musste Richard unwillkürlich durch die Zähne pfeifen.

„Mein lieber Mann. Da hat wirklich einer Wut gehabt“, stellte er fest.

„Hat er die Blessuren alle vor seinem Tod bekommen?“, wollte Frank wissen.

„Ja, definitiv. Er hat eine Nierenprellung, zwei gebrochene Rippen, multiple Quetschungen am ganzen Körper, eine lädierte Nase, ein gebrochenes Jochbein sowie eine Schädelfraktur. Dass die nicht tödlich gewesen ist, hat mich sehr gewundert. Der muss einen ziemlichen harten Schädel gehabt haben. Was letztlich tödlich war, war entgegen meiner ersten oberflächlichen Einschätzung, ein Stich mit dem Messer direkt ins Herz.“ Er zeigte mit dem Finger auf die Wunde zwischen der vierten und fünften Rippe.

„Was für ein Messer?“, erkundigte sich Richard. Er wusste, bei Tötungsdelikten mit dem Messer war meist ein emotionaler Hintergrund gegeben, denn anders als beim Schusswaffengebrauch kam man hier dem Opfer sehr nahe.

„Küchenmesser. Aber kein handelsübliches.“ Walter Riegelgraf wusste, worauf Richard anspielte.

„Die Einstichstelle ist sehr sauber. Fast wie mit einem Skalpell. Nur größer. Wenn ich nicht ganz falsch liege, und so etwas tue ich fast nie“, stellte er nicht ohne Stolz fest, „tippe ich auf ein sogenanntes Damaszener Messer. Diese Klingen sind mehrfach gehärtet, stabil und mindestens so scharf wie ein Skalpell.“

„Die Mordwaffe war also ein Küchenmesser“, stellte Frank fest.

„Davon gehe ich aus. Wahrscheinlich eins vom Opfer selbst. Wer bringt denn schon so ein Messer mit“, sinnierte Walter Riegelgraf.

„Das heißt aber auch, der Täter hatte die Tat so nicht unbedingt geplant“, folgerte Richard.

„Den Verletzungen nach nicht. Ich persönlich vermute, er hat ihn vorher gefoltert, um an irgendwelche Informationen zu kommen. Als er die dann bekam oder auch nicht, hat er ihn umgebracht. Das rauszufinden, ist eure Aufgabe. Ich habe meinen Teil dazu beigetragen. Ach, noch etwas ihr zwei. Ich weiß nicht, ob es für euch wichtig ist. Aber die Verletzungen stammen nicht vom selben Tag, die sind mindestens zwölf Stunden älter.“ Er sah auf seine Uhr und stellte fest, es war für ihn an der Zeit Feierabend zu machen.

Er war noch am Leben, nachdem man ihn malträtiert hatte, dachte Frank, der diese Information in seinem Hinterkopf abspeicherte.

Sie verabschiedeten sich, um wieder nach draußen zu gehen, wo sie, nach der gespenstischen Ruhe in der Abgeschiedenheit der Pathologie, der laute Straßenlärm der Kriegsbergstraße wie der sinnbildliche Schlag ins Gesicht traf.

„Was meinst du?“, wollte Richard wissen, als sie den Weg zum Präsidium zurückgingen. Sie hatten sich entschieden, über den Schlossplatz zu laufen, um dort vorm Königsbau, noch einen Kaffee zu trinken und das schöne Wetter zu genießen.

„Ich meine, wir sollten im näheren Umfeld des Opfers suchen. Die Tochter und die Ex-Frau waren über den Tod von ihm nicht unbedingt traurig. Wahrscheinlich erben sie jetzt sein ganzes Vermögen. Was nicht wenig sein dürfte. Also wäre ein Motiv schon mal vorhanden.“

„Wir müssen schauen ob, sie ein Alibi haben.“

„Selbst wenn sie eins haben, muss dies ja nicht zwangsläufig heißen, dass sie nichts mit dem Mord zu tun haben. Könnte auch ein Auftragsmord gewesen sein“, meinte Frank.

„Was ist mit seiner Kundendatei? Da wären ebenfalls potenzielle Verdächtige drauf.“

„Ja, zum Beispiel Engler“, stellte Frank süffisant fest, „Wenn er wiederkommt, frage ich ihn gleich nach seinem Alibi.“

„Was mich stört, ist dieses Messer. Ich vermute eine Tat mit emotionalem Hintergrund. Also würde meiner Meinung nach schon einiges für Mutter oder Tochter sprechen.“

„Oder beide. Aber du vergisst die anderen Verletzungen. Die können sie ihm nicht beigebracht haben. Um jemanden die Rippen oder die Nase zu brechen, brauchst du Kraft. Die beiden waren recht zierliche Personen. Ich glaube, dass es ein Mann war.“

„Welchen Grund sollte ein Mann haben?“

„Liegt doch auf der Hand. Nehmen wir mal an, seine Geschäfte liefen nicht so gut. Dann kommt jemand und will aus irgendeinem Grund sein Geld zurückhaben. Was, wenn dieses Geld nicht verfügbar ist? Wenn er damit seinen aufwendigen Lebensstil finanziert hat? Die Autos in seiner Garage sind nicht billig. Die kosten eine Menge Unterhalt. Bei den Summen, um die es hier geht, kann ich mir schon vorstellen, dass jemand die Nerven verliert.“

Frank wusste, wovon er sprach, stand doch die jährliche Inspektion seines Autos in naher Zukunft an. Allein der Gedanke an die Rechnung, die dies verursachte, trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn, obwohl er eigentlich gar keinen Grund dazu hatte, denn finanziell war er bestens aufgestellt. Aber da kam halt wieder jenes schwäbische Gen der Sparsamkeit in ihm zum Vorschein. Vielleicht hatte er doch noch irgendwo schottische Vorfahren im Stammbaum, dachte er sich.

„Hm, der Lebensstil von ihm kostete Geld, viel Geld“, fuhr Richard fort, „Da könnte auch ein Motiv liegen. Vielleicht hast du recht.“

„Ich glaube zwar, dass er den Mörder gekannt hat, aber Mutter oder Tochter schließe ich nach derzeitigem Stand aus“, fügte Frank hinzu. Er war der Ansicht, zumindest nach jetzigem Stand der Ermittlungen, die beiden Frauen hatten mit der Sache nichts zu tun. Seiner Meinung lag ein Motiv im monetären Bereich, was bei der Summe, um die es sich hier handelte, am Naheliegendsten war.

„Apropos Frauen. Läuft da eigentlich was zwischen Lisa und dir?“, erkundigte sich Richard, während er grinsend seinen Cappuccino schlürfte und Frank dabei, wie er es bei den Verhören mit den Verdächtigen immer tat, tief in die Augen schaute um etwaige, verräterische Reaktionen auszumachen.

Der hielt dem Blick stand, grinste zurück.

„Wenn du was wissen musst, wirst du es erfahren. Bis dahin mache ich von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.“

Richard lachte, wusste er doch, dass man Frank nicht so leicht ins Bockshorn jagen konnte wie die üblichen Verdächtigen.

Zurück im Büro rief er Peter Henssler, den leitenden Staatsanwalt an, um ihn von dem Mord an Kai Uwe, sowie den ersten Erkenntnissen im Fall Metzinger zu unterrichten. Da der Rothaarige, wie Frank ihn stets spöttisch in dessen Abwesenheit nannte, nicht da war, konnte Richard aufgrund seiner Dienstjahre die Vertretung übernehmen. Bei allen im Präsidium sorgte dies für eine gewisse Erleichterung, denn er galt als ruhiger, pragmatischer Ermittler, der immer erst zuhörte und dann Entscheidungen traf. Im Gegensatz zu Hans-Jürgen Engler. Dieser war stets impulsiv, was zur Folge hatte, dass es mit dem Zuhören meist auch nicht funktionierte. Engler war zudem ein selbstverliebter Statistiker, dem Diagramme und Zahlen über alles gingen. Man konnte damit zwar keine Ermittlungen, schon gar keine Mordfälle lösen, doch dies war bei ihm noch nicht angekommen. Angesichts des fortgeschrittenen Alters bestand auch keine Hoffnung auf Besserung.

„Der Staatsanwalt kommt nachher kurz vorbei. Dann bringen wir ihn kurz auf den neuesten Stand, damit er ein Ermittlungsverfahren einleiten kann.“

Frank sah auf die Uhr.

„Hoffentlich wird´s nicht zu spät. Mein Magen meldet sich schon. Das Mittagessen war nicht der Renner. Wenigstens einmal am Tag brauche ich etwas G´scheites zum Essen“, bruddelte er.

Richard wusste, was dies bedeutete. Beim Thema Essen verstand Frank so viel Spaß, wie der Pfarrer auf einer Beerdigung.

Wider Erwarten war die Besprechung mit Staatsanwalt Henssler schnell abgeschlossen. Er wurde auf den, zugegebenermaßen, dürftigen Stand der Ermittlungen gebracht. Die Alibis der Frauen waren überprüft worden, es bestand in dieser Richtung momentan kein weiterer Klärungsbedarf mehr. Im Team war nun neben Richard und Frank auch Lisa, Manfred, sowie Walter Riegelgraf als Rechtsmediziner. Dazu kam noch Adelbert Herzog als Chef der Spurensicherung. Eine gemeinsame Besprechung sollte angesichts der späten Stunde am nächsten Morgen um acht Uhr im Präsidium stattfinden.

Wie gewonnen - so zerronnen

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