Читать книгу Wenn du denkst, dass ich alles gutheiße … - Henning Schroedter-Albers - Страница 9
Ein erinnerter Brief
ОглавлениеEin erinnerter Brief der Braut in Berlin vom Dezember 1933 an den SA-Brigadeführer Dr. Joachim Schroedter in Dresden. Die heikle Titelformulierung dieser Dokumentation zu den Umständen des privaten und des beruflichen Lebens, der parteipolitischen Tätigkeit und der Ermordung von Onkel Jochen anlässlich des so genannten »Röhm-Putschs« ist mir aufgrund dieses nachgestellten Schreibens von seiner Braut Beatrice vom 6. Dezember 1933 als bezeichnend für die spannungsreiche Beziehung des jungen Paars erschienen.
Sie antwortet Jochen auf dessen Brief vom 4. Dezember. In diesem Schreiben ist das Wesentliche der politisch bedingten Meinungsunterschiede zwischen den Brautleuten konzentriert dargelegt:
Liebes Büberle, Berlin, 6.XII.33
da Du trotz meiner bisherigen Proteste hartnäckig dabei bleibst, mich »mein Mädel« zu nennen, gebe ich Dir meine Revanche!
»Mein Engele« passt noch viel weniger zu mir!
Hast Du das noch nicht bemerkt? Du hast eine unangenehme Kratzbürste erwischt!
Nimm Deine rosa Brille für einen Moment ab und sieh Dir genau an, was Du vor zwei Jahren auf Deinem Patientenstuhl geangelt hast. Ich hatte Dich gleich gewarnt!
Hab Dank für Deinen langen Brief von vorgestern. Dass Du Deinen Leuten eine Predigt gehalten hast, beruhigt mich wieder. Bleib unbedingt bei der Linie von Tschirne – auch wenn Dich einige schief ansehen. SA und christliche Moralpredigt wird den meisten nicht zusammenpassen.
Du schreibst, dass dieses Treffen im Schutzhaftlager Hohnstein stattgefunden hat. Wolltest oder konntest Du im Brief nichts über die Zustände dort schreiben? Wir haben in der Gemeinde von Verwandten der dort Gefangenen erfahren, die völlig verschreckt und zu Tode geängstigt um diese Familienangehörigen bangen – nach allem, was ihnen insgeheim über die Haftverhältnisse und die Wärter anvertraut wurde. Einzelheiten wagten sie nicht zu erzählen. Sie fürchten, deren Lage zu verschlimmern, bzw. dass sie selbst auch verhaftet werden.
Stimmt es, dass in Hohnstein nur Kommunisten sind? Das las ich vor kurzem. Wie ich verstanden habe in der Gemeinde, sind die dort in Schutzhaft gehaltenen Verwandten zum großen Teil Fabrikarbeiter oder einfache Geschäftsleute?
Ich bin wieder der ungläubige Thomas! Geschieht da Recht von der Regierung? Nach den Tumulten um den Reichstagsbrand – ich bleibe dabei – vertieft sich meine Unsicherheit.
Kannst Du mich beruhigen? Wenn Du nach Berlin kommst? Oder nachher nach Probsthain?
Ein Küsschen von Deiner Kratzbürste B.
Wann immer ich diesen Brief lese – und ich nehme ihn oft in die Hand – steht Tante Beatrice leibhaftig vor mir: mit ihren blitzend tiefblauen Augen, mit herausfordernd vorgerecktem Kinn, spöttisch aufgeworfenen Lippen, um in klaren Worten zu einer für sie wichtigen Angelegenheit, ohne Umschweife, in leicht betont lässigem Berliner Akzent klarzustellen: »ich bin ja nun mal eine freche Berliner Göre«. Und bei all dieser sich selbst genießenden Kessheit steht im Vordergrund ein starkes soziales Verantwortungsgefühl für schwache, leidende Menschen und eine gesunde Skepsis gegenüber aller Obrigkeit, sobald diese sich nach ihrer Meinung offenkundig nicht rechtmäßig verhält.
Ihr für sie so typisches Verhalten hat sicherlich das Kennenlernen von ihr und Onkel Jochen geprägt. Sie hat es mir dermaßen oft geschildert, dass ich es wie selbst erlebt vor mir sehe.