Читать книгу En Pédale, en Pédale - Mit dem Fahrrad über den Balkan in die Türkei - Henning Wiebers - Страница 3

Prolog

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En Pedale, en Pedale - tous autre, c’est égale!

Seit ich 2006 während eines Langzeiturlaubes vier Wochen lang von Tromsö nach Oslo fuhr, kommt mir jede Fahrradtour von weniger als zwei Wochen wie eine Schnuppertour vor. Kaum habe ich mich in das tägliche Gleichmaß des Fahrradfahrens, Zeltens und Kochens eingefunden, zähle ich auch schon die verbleibenden Tage und muss sehen, wie ich rechtzeitig zum Zielort und von dort nachhause komme. Am Anfang meiner Fahrradkarriere genügte mir eine Tour von einer Woche, - allein unterwegs fühlte ich mich dann schon einsam! Später waren zwei Wochen das angemessene Maß. Seit ich nicht mehr berufstätig bin, habe ich schon mehr als fünf Wochen am Stück ohne Probleme auf dem Fahrrad verbracht.

Für 2012 habe ich wieder eine längere Tour geplant: 38 Tage stehen diesmal zur Verfügung. Den Geburtstag meiner Frau am 26. August wollen wir noch gemeinsam mit der Familie feiern und am 28. August geht es los. Ich habe meine Frau zu einem Badeurlaub in den Herbstferien an der türkischen Riviera überredet, der am 4. Oktober beginnt. Wir haben ein Hotel in Kumköy (75km östlich von Antalya bei Side) gebucht, - so kam das Ziel der Tour zustande. Als Startort habe ich zuerst an Budapest gedacht, aber dorthin gab es keinen günstigen Flug. So verfiel ich auf Wien und fand einen Flug zu 45€ plus 50€ für das Fahrrad.

Für die Streckenführung gibt es verschiedene Alternativen. Ich könnte der Donau bis in die Walachei folgen und an der rumänisch – bulgarischen Grenze bei Turnu Maurele nach Süden „abbiegen“. Der Donaudurchbruch beim Eisernen Tor reizt mich schon, aber so weit am Fluss entlang zu fahren, ist mir zu langweilig; außerdem möchte ich Siebenbürgen (Transsylvanien) sehen und eine Karpatenüberquerung reizt mich auch. Also entscheide ich mich für die Strecke an der Donau entlang bis zum Donauknie, dann durch den Alföld, die große ungarische Tiefebene, über Cluj (Klausenburg) bis Sighisoara (Schäßburg) in Transsylvanien, von dort nach Süden über die Südkarpaten und durch die Walachei bis Turnu Magurele. Hier gibt es laut Internet einen Grenzübergang nach Bulgarien. Anschließend soll es über den Hohen Balkan zur türkischen Grenze bei Edirne gehen. Ursprünglich war mein Plan, über Griechenland zu fahren; es gibt aber nur wenige Grenzübergänge Bulgarien – Griechenland und Griechenland – Türkei, und die Rhodopen liegen auch noch im Weg; der Umweg wäre zu groß. Von Edirne weiter durch Thrakien und über die Dardanellen nach Troja; - der Ort ist ein Muss für mich, nachdem ich 2009 schon mit dem Fahrrad in Mykene war. Von Troja will ich in weitem Bogen um die Großstadt Izmir herum zur Südküste der Türkei fahren und dann an der Lykischen Küste entlang über Antalya nach Kumköy. Soweit der grobe Plan, der ziemlich genau so auch realisiert wurde.


Fahrradtour Wien – Kumköy (© OpenStreetMap-Mitwirkende) (OpenStreetMap, 2013)

Eine detaillierte Wegplanung nehme ich nicht vor. Die tägliche Strecke werde ich vor Ort festlegen. Natürlich besorge ich mir vor dem Start die notwendigen Landkarten: (Ungarn 1 : 300 000, 2011), (Rumänien 1:500 000, 2011), (Bulgarien 1:400 000, 2011), (Türkei 1:700 000, 2011), – ein ganz schöner Packen Papier, der zusätzlich in den Fahrradtaschen untergebracht werden will. Ein GPS-Gerät habe ich nicht dabei. Wenn ich mich vom Navigationssystem leiten lassen wollte, müsste ich vor Beginn der Tour den geplanten Weg detailliert erfassen. Das würde viel Arbeit am PC bedeuten und so genau will ich mich auch nicht festlegen, sondern Raum für Unvorhergesehenes und spontane Entscheidungen lassen. Das Problem mit der Stromversorgung des GPS-Gerätes käme noch hinzu.

Die zu bewältigende Entfernung lässt sich am einfachsten folgendermaßen schätzen: Von Wien bis Sighisoara fahre ich möglichst den direkten Weg. Luftlinie beträgt die Entfernung 660km. Multipliziert man diese mit „1,5“, kommt man auf 990km. Das entspricht nach meiner Erfahrung ziemlich genau den tatsächlichen Kilometern, die ich mit dem Fahrrad zurückzulegen habe, inklusive aller Abstecher und Umwege. Die Länge des weiteren Streckenzuges Sighisoara - Turnu Magurele- Canakkale, dem ich zu folgen gedenke, beträgt: 760km. Multipliziert mit „1,5“, erhält man 1140km Fahrradstrecke. Die Länge des restlichen Weges durch die Türkei berechne ich auf gleiche Weise. Ergebnis: 1050km Fahrradstrecke; wobei sich der Weg an der zerklüfteten Südküste entlang nur schwer schätzen lässt. Insgesamt rechne ich mit einer zu fahrenden Strecke von 990km+1140km+1050km=3180km.

Der Faktor „1,5“ beruht auf folgender Überlegung: Wenn ich versuche, mit dem Fahrrad der direkten Verbindung von Ort A nach Ort B zu folgen, ist das natürlich nicht möglich, sondern ich fahre im Zickzack um die direkte Strecke herum, wie z.B. in folgendem Bild:


Entfernungsberechnung

Die gefahrene Strecke (z) ist schwarz markiert. Sie ist genauso lang wie die grüne (2b). Hat die direkte Strecke (rot) von A nach B die Länge a dann gilt nach Phytagoras: 2b²=a² und somit 2b=Wurzel(2)*a. Da sich mit Wurzel(2)=1,414… schlecht rechnen lässt, nähern wir es mit „1,5“ an, und so ergibt sich: Zu fahrende Entfernung = direkte Entfernung multipliziert mit 1,5.

Die Formel versagt allerdings bei reinen Gebirgsstrecken; aufgrund der verschlungenen Serpentinen ist dann der Faktor 1,5 zu klein. Fährt man dagegen Hauptstraßen, die gerade durchs Land führen, ist der Faktor 1,5 unter Umständen zu groß. Meist gleichen sich diese beiden Einflüsse aber aus, und die Abschätzung stimmt am Ende ziemlich gut. Ich habe in den letzten Jahren sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Auch bei dieser Tour wird am Ende die Abweichung mit 196km nur 6% betragen!

Für die Zeitabschätzung kalkuliere ich mit 100 Kilometern pro Tag, da ich aus Erfahrung weiß, dass ich das leisten kann. Im Durchschnitt 100km pro Tag über eine längere Zeit zu fahren, reichen mir, wenn ich mit Zelt und Kocher unterwegs bin, zudem einige Gebirge im Weg liegen und das Wetter auch nicht vorhersehbar ist. Demnach würden 32 Tage für die 3180km ausreichen. Risikoaufschläge von 5% für Unvorhergesehenes sowie weitere 5% für Fehleinschätzung bei der Entfernung und der Fahrleistung ergeben 35,2 Tage, dazu zwei Pausentage, die ich mir bei so einer langen Zeit auch genehmigen möchte, ergeben einen Zeitbedarf von 37,2Tagen. 38 Tage habe Zeit, aber An- und Abreisetage stehen nur zum Teil zum Radfahren zur Verfügung und können aus Erfahrung nur als ein Tag gerechnet werden. Es bleiben also 37 Tage reine „Fahrtage“ übrig. 37,2 Tage Zeitbedarf bei 37 zur Verfügung stehenden Tagen, - die Planung ist also stimmig.

Bei meinen Touren in den letzten Jahren bin ich mit dieser Zeitabschätzung immer gut gefahren und hatte meist noch ein paar Tage Luft, die ich dann gegen Ende der Tour in einen attraktiven Umweg investiert habe. Bei dieser Tour halte ich 37 Tage für knapp kalkuliert, da die zu durchquerenden Länder, Rumänien, Bulgarien und die Türkei, Neuland für mich darstellen und mit dem Fahrrad sicher schwieriger zu bereisen sind als Länder in Westeuropa und ich daher nicht wirklich einschätzen kann, ob 100km durchschnittliche Tagesleistung dort realistisch sind. Wenn sich meine Kalkulation als zu knapp herausstellen sollte, könnte ich den Weg durch die Türkei abkürzen, indem ich auf den Umweg entlang der lykischen Küste verzichte.

Für den Fall, dass alles schief gehen sollte und ich irgendwo liegenleibe und nicht weiter komme, lässt sich kaum vorsorgen. Ich habe natürlich eine Auslandskrankenversicherung und seit meinem Unfall in Tschechien 2008 auch eine Fahrrad-Versicherung, die im Notfall den Rücktransport des Fahrrades übernimmt, letzten Endes muss aber in Extremsituationen improvisiert und je nach Lage entschieden werden. Als Alleinreisender ist das Risiko natürlich höher, als wenn ich mich auf einen Begleiter stützen könnte.

Um den Risiken möglichst aus dem Weg zu gehen, lasse ich vor dem Start mein Fahrrad überholen und Verschleißteile auswechseln. Ich ziehe noch einen neuen Hinterreifen auf (Marathon Plus, „unplattbar“). Natürlich habe ich das übliche Flickzeug und Werkzeug dabei, inklusive „Kettennietendrücker“ und kann auch damit umgehen. Diesmal packe ich noch die „Nuss“ für den Zahnkranz ein; auf die „Peitsche“ verzichte ich, - sie ist mir zu schwer. Ersatzspeichen und zwei Ersatzschläuche, sowie ein faltbarer Ersatzreifen runden das „Technikpaket“ ab.

Für den Fall, dass mir Geld und Papiere unterwegs abhandenkommen sollten, verstecke ich eine Ausweiskopie und 100€ in bar im Sattelrohr meines Fahrrades. Außerdem sind alle wichtigen privaten Telefonnummern, Versicherungsnummern, sowie EC- und Kreditkartennummern, ferner Telefonnummern von Konsulaten und Botschaften in einer Liste notiert und je eine Kopie davon in der Lenkertasche, im Gepäck und im Sattelrohr verstaut. Die Prepaidkarte meines Handys ist mit 76€ aufgeladen, denn für Gespräche aus der Türkei berechnet „Tschibo“ 1,60€ pro Minute!

Schon vor Wochen habe ich mich gegen FSME impfen lassen, weil ich damit rechne, öfters „wild zelten“ zu müssen. Da es auf dem Balkan viele aggressive Hunde geben soll, überlege ich, mich auch gegen Tollwut impfen zu lassen, verzichte aber darauf, - eine Impfung reicht mir. Mein Blinddarm wurde schon vor 44 Jahren entfernt, - das bleibt mir also erspart. Freunde warnen mich eindringlich vor Rumänien und den „Zigeunern“. Ich solle zumindest Pfefferspray mitnehmen. Ich habe aber Hemmungen, so etwas anzuwenden und verzichte darauf. Für den Fall der Fälle wollte ich einen Selbstverteidigungskurs machen und hatte mich auch schon angemeldet, - leider fiel der Kurs aus.

Das Gepäck ist für jede Reise dasselbe mit kleinen Abweichungen für warme und für kühlere Länder. Diesmal verzichte ich z.B. auf die Skiunterhose, den Seidenschlafsack und die warme Weste. Dafür kommt eine kurze Hose ins Gepäck. Auch wenn auf dem Balkan zurzeit sehr warmes und trockenes Wetter herrscht, packe ich alles Regenzeug (Jacke, Hose, Überschuhe) ein. Wer weiß was kommt! Bei den Essensvorräten verzichte ich auf einige Sachen, die ich vor Ort kaufen kann, sonst wird das Gepäck zu schwer, denn ich darf nur 23kg mitnehmen. Dafür nehme ich eine reichhaltige Auswahl an verschiedenen Soßenpulvern mit. Zum ersten Mal habe ich einen Benzinkocher dabei. Mal sehen, wie der sich bewährt. Die „All-In-1“ Seife kann ich zum Duschen, Haare waschen, Rasieren, Abwaschen und Wäschewaschen benutzen, - das spart Gewicht!

Für jede Sprache, die mir unterwegs begegnen wird, habe ich eine Liste der 100 wichtigsten Wörter, bzw. die ich dafür halte, aufgeschrieben. Außerdem habe ich „Point It“ dabei, ein geniales, kleines Heftchen, in dem die Bilder von allen möglichen Dingen abgedruckt sind. So kann man sich durch Zeigen auf ein Bild verständigen. Es gibt nichts, was man in dem Heft nicht findet.

Als Fahrradverpackung für den Flug verwende ich Styroporrohre, mit denen sonst Heizungsrohre isoliert werden. Damit ummantele ich den Fahrradrahmen, - das hat sich gut bewährt. Unten meine Packliste, in der die Dinge, die für diese Tour entfallen oder erst vor Ort besorgt werden, ausgestrichen sind. So kann ich eins nach dem anderen „abhaken“, - ohne diese Liste ist die Gefahr groß, etwas zu vergessen.

Als Lektüre habe ich „Unterwegs zu Swann“ (Proust, 1913) und „Die Reise nach Sofia“ (Schrobsdorff, 1986) dabei. Das erste Buch, weil es so schön kompakt ist (Dünndruck, 700 Seiten) und mir der Untertitel „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gefällt und mich neugierig macht. Das zweite, weil es in Bulgarien spielt. In den Monaten vor der Abreise habe ich mich durch mehrere Reiseführer für jedes Land gewühlt, um sehenswerte Orte entlang meiner Route nicht zu verpassen. Mit dem Fahrrad kann man natürlich nicht jede Sehenswürdigkeit besuchen, sondern muss sich auf einige wenige beschränken. Das ist aber kein Problem, denn jeder Tag ist meist so gesättigt von Eindrücken, dass ich die „touristischen Highlights“ nicht vermisse.

Die Vorbereitungen nehmen wie immer einige Zeit in Anspruch, aber die genieße ich. Alles in Ruhe zusammenzusuchen und zu überprüfen, Alternativen für die Route auszutüfteln etc. hebt meine Vorfreude. Selbst für alles verantwortlich zu sein und zu organisieren, ohne sich auf einen Veranstalter zu verlassen, steigert das Reiseerlebnis. Das Hotel in Kumköy habe ich über ein Reisebüro reserviert. Ein Pauschalpaket aus Unterkunft und Flug kam nicht in Frage, da ich meinen Hinflug nach Antalya nicht verfallen lassen dürfte, - man würde mich dann auf dem Rückflug nicht mitnehmen! Warum das so ist, hat mir noch niemand schlüssig erklären können! Also müssen wir den Hin- und Rückflug für meine Frau und einen Flug Antalya-Hamburg für mich gesondert buchen. Der Transfer von Kumköy zum Flughafen inklusive Fahrrad muss daher ebenfalls vor Ort organisiert werden, - aber das wird schon klappen!

Neben den Reisevorbereitungen gibt es noch viel zu erledigen, denn ich werde insgesamt 51 Tage von zuhause abwesend sein. Ich reiche u.a. noch die Steuererklärung für das letzte Jahr ein, - jetzt bin ich der Meinung, alles getan zu haben!


Ausrüstungsliste


En Pédale, en Pédale - Mit dem Fahrrad über den Balkan in die Türkei

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