Читать книгу Die Spur des Jungbrunnen - Henri Joachim Becker - Страница 11
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Der ersehnte Anruf kam schneller als erwartet. Die übergroβe Freude, die in mir emporflutete, als ich schon wenige Tage später ihre Stimme am Telefon vernahm, versuchte ich, mir nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Ob wir uns vielleicht mal sehen könnten, sie hätte „ein paar Fragen". Dass wir uns „sehr gerne" sehen konnten, stand auβer Frage.
Wir vereinbarten, uns am Samstag Nachmittag, an der Mündung des Pont Adolphe in die Oberstadt, zu begegnen. Man kann hier oberhalb eines die ehemalige Festungsbastion Beck flankierenden Niederwalls spazieren und hat von hier einen grandiosen Blick über das Petruss-Tal, das der majestätische Doppelsteinbogen des Pont Adolphe weiträumig überspannt. Auf der gegenüberliegenden Seite der mächtigen Steinbogenbrücke, eine der gröβten der Welt, fällt der Blick auf den beeindruckenden, repräsentativ-schlossartigen Bau der Staatssparkasse. Zeit und Ort unserer Begegnung waren von ihr vorgeschlagen worden und verstärkten in mir die Hoffnung, dass es ihr nicht nur um die Abklärung einiger Fragen praktischer Alltagsbewältigung ging. Wäre sie liiert, hätte sie am Wochenende vermutlich Besseres zu tun, es sei denn ihr Partner wäre irgendwo anders unabkömmlich, hielte sich vielleicht derzeit überhaupt nicht in Luxemburg auf. Doch selbst wenn sie frei war, bedeutete ihr Anruf vielleicht nicht mehr, als dass sie versuchte, ihren Bekanntenkreis zu erweitern. Immerhin war sie noch nicht sehr lange in Luxemburg. Wie immer, ich freute mich. Die Erfüllung meiner langgehegten Sehnsucht, sie näher kennenlernen zu können, hatte für mich etwas Einzigartiges. Aber musste ein Mensch, in den ich über so viele Jahre ein Ideal hineinprojiziert hatte, mich nicht notwendigerweise enttäuschen? Ich wusste nicht viel über sie, nichts über ihren Charakter, nichts über die Art, wie sie dachte , welche Auffassungen sie vertrat, von inneren Werten oder Ungenügsamkeiten, die sich erst im Laufe der Zeit in der Auseinandersetzung mit mannigfaltigen Situationen und Problemen des Daseins zeigten, erst ganz zu schweigen. Und auch die Erfahrung, dass hinter einem vorteilhaften oder nur zunächst vorteilhaft erscheinenden Äuβeren verheerende Probleme unterschiedlichster Art hervortreten können, war mir nicht fremd. Dass im Übrigen eine, nach meinem Empfinden, so gut aussehende , anziehende Frau Mitte zwanzig noch ein völlig unbeschriebenes Blatt war, hielt ich ohne das Vorliegen besonderer Erklärungen dafür für nahezu ausgeschlossen. Wenn sie überhaupt noch zu haben war, dann tippte ich darauf, dass in vorherigen Beziehungen mindestens einer der beiden Partner etwas in den Augen des anderen Untragbares gehabt haben musste: nicht zu vereinbarende Lebensentwürfe, charakterliche Schwächen wie Sucht oder eine Unfähigkeit mit Geld umgehen zu können und, und, und.
Ich war gespannt, wie sie mich empfangen würde. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie enttäuscht ich sein würde, wenn sie, in beiden Händen Einkaufstüten tragend, mich lediglich als bloβe Kaffeeplauderei zur Abrundung einer Einkaufstour eingeplant hatte. Ich redete mir ein, dass auch das noch nicht zwingend einen Mangel an weitergehendem Interesse offenbaren würde, sondern vielmehr vielleicht eine Vorsichtsmaβnahme sei, um sich gegen ein mögliches allzu stürmisches Vorgehen eines fremden Menschen, der ich ja doch noch für sie war, etwas abzusichern.