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Die Sommerferien nach meinem ersten Jahr Referendarzeit verbrachte ich im Wesentlichen mit der Abfassung der wissenschaftlichen Arbeit, die wir bis zu Beginn des nächsten Schuljahres fertigstellen sollten. Viel Zeit für anderes blieb da nicht. Anfang September war ich soweit, das Werk druckreif.

Und dann ging alles sehr schnell. Ich musste nach Veldenz. Meine Mutter hatte das Haus meiner Großeltern nach dem Tod meiner Oma vermietet. Auch ich hatte mich damals gegen einen Verkauf ausgesprochen. Ich hatte einen großen Teil meiner Kindheit und Jugend in dem Haus verbracht. Man verkauft seine Kindheit nicht. Und es sind bekanntlich die Erinnerungen, die ein Haus zu einem Heim machen. Jetzt waren die Mieter, ein junges Paar in Trennung, gerade ausgezogen. Meine Eltern hatten eine schon weit im Voraus geplante, längere Busreise angetreten. So musste ich, einziges Kind meiner Eltern, nach dem Rechten schauen.

Ich war während meiner Studienjahre nur selten noch im Dorf und der Gegend gewesen. Nicht nur, weil ich, da das Haus ja vermietet war, bei Bekannten oder in einem Hotel hätte übernachten müssen. Nachdem ich all meine Schulferien zu Hause in Luxemburg und manchmal teilweise in Veldenz verbracht hatte, zog es mich in die Ferne. Außerdem, junge Menschen gab es hier an der Mosel vergleichsweise wenige. Hinzu kam, dass die meisten meiner Freunde inzwischen geheiratet hatten und zum Teil weggezogen waren und woanders lebten.

Ich fand das Haus sauber geräumt vor, auf den ersten Blick gab es nichts zu beanstanden. Es nach einigen Jahren wieder zu betreten, hatte etwas Bewegendes. Für mich war es nicht leer. In jedem Raum stand das früher Erlebte, warteten Erinnerungen: die mit Trauben übervoll gefüllten Bottiche auf dem Leiterwagen in der Scheune, Trauben, von denen ich im Herbst nie genug essen konnte, der Duft von gebackenen Zimtplätzchen, der von festlichem Lichterglanz erhellte Gabentisch zu Weihnachten, die Eisblumen an den Fenstern der unbeheizten Schlafzimmer im Winter, die Fürsorge meiner Eltern und Großeltern, wenn ich krank war. Das Winzerhaus stammte aus dem 17. Jahrhundert, errichtet wahrscheinlich kurz nach dem Dreiβigjährigen Krieg, der von 1618 bis 1648 dauerte. Es lag mitten im Dorfkern Eine Inschrift auf einem Nachbarhaus gibt das Jahr 1654 als Baujahr an. Das Erdgeschoss bestand aus Bruchsteinmauerwerk, das Obergeschoss aus Fachwerk. Das Wohnhaus über dem gewölbten Keller, zu dem vom Hof aus eine Treppe hinabführte, lag etwas höher als Scheune und Stallungen. In seinem Inneren verströmten Holzböden Behaglichkeit und die eine oder andere schräge Wand erinnerte an die zeitliche Ferne seiner Entstehung. Eine Tür im Hausflur ermöglichte den Zugang vom Wohnhausinneren aus zur Scheune. Dort warf ich noch einen letzten Blick auf den Heuboden. Es war alles in Ordnung.

Ein Holzwerbeschild am Wegrand hatte mir bei meinem Kommen verraten, dass gerade das jährliche Wein- und Straßenfest von Lieser stattfand. Vor meiner Rückkehr nach Luxemburg wollte ich noch ein bisschen über das Fest bummeln. Ich stellte mein Auto in Mülheim ab, um nicht eventuell lange nach einem Parkplatz in Lieser suchen zu müssen. Zugleich konnte ich mir beim Spaziergang über die Moselbrücke auch etwas die Beine vertreten.

Das Fest fand im Ortskern statt. Die Winzer hatten ihre Keller und Scheunen geöffnet. Und die Weingüter, die am Ortsrand lagen, waren zumindest mit einem Ausschankstand an der Straße vertreten. Eine Blasmusikkapelle spielte gerade auf einer Bühne am Hauptplatz auf. Es herrschte ziemliches Gedränge. Der Duft von Kartoffelpuffer, Pommes und allerlei Grillspezialitäten lockte und betörte an vielen Stellen immer wieder die vielen Besucher. Einige riefen lautstark über die Köpfe der Menge hinweg nach Bekannten, die sie gesichtet hatten. Menschen prosteten einander zu.

Als ich sie erblickte, beschleunigte mein Puls augenblicklich, schoss eine innere Aufregung in mir hoch, die ich nicht mehr kontrollieren konnte. Als sie den Kopf etwas drehte, behob die kleine Narbe an ihrer Wange jeden letzten Zweifel. Mein Puls raste, mein Herz pochte heftig in der Brust, schlug bis zum Hals hinauf. Sie war es! In ein Dirnd`l gekleidet schenkte sie Gästen gerade aus. Sie war nicht allein hinter der Theke des Weinstands. Ein junger Mann trug gerade eine Kiste mit leeren Flaschen fort, dazu eine Frau und ein Herr, beide in mittleren Jahren, die kleine Winzerköstlichkeiten zubereiteten. Handlungsunfähig, wie benommen, beschloss ich, zunächst unauffällig weiterzugehen, bis ich mich etwas gefasst haben würde. Ich versuchte, wieder einen klaren Gedanken zu fassen, zu überlegen.

Dann kehrte ich zurück. Als ich an die Theke kam, wandte sie sich mir zu.

„Was darf es sein?"

– „Einen Riesling, bitte!"

– „Welchen? Dabei zeigte sie auf eine Preistafel mit übergroßen Lettern im Hintergrund. Darauf zu lesen: 'Weingut Berger' und dann das Angebot.

– „Dann einen Mülheimer Sonnenlay, bitte!"

–„Gerne! Das Glas ist im Preis enthalten. Das können Sie mitnehmen."

– „Kann ich zwei Kisten von ihrem Wein kaufen? Riesling und Rosé?

– „Aber sicher, gerne! Im Moment sind wir alle hier auf dem Fest, kommen Sie Morgen gegen halb zwölf in unserem Weingut vorbei, ich nehme Ihre Bestellung schon mal auf und wir bereiten dann alles vor. Wissen Sie, wo Sie uns finden?" –

„Nein."

Sie schrieb mir Hausnummer, Straße und Familiennamen auf einen Zettel und sagte dann: „ Sie finden uns ganz leicht, unser Gut ist nahe dem Schloss in der Straße an der Mosel entlang."

– „Sie wissen nicht, ob hier in der Nähe noch was frei ist zum Übernachten?", erkundigte ich mich.

– „Sie sind nicht von hier?"

Ich hatte bisher in der Mundart der Gegend mit ihr gesprochen.

– „Ich wohne und arbeite jetzt in Luxemburg.", erklärte ich.

Mir schien, dass ich sichtlich Interesse geweckt hatte.

– „Einer unserer Gäste hat kurzfristig absagen müssen. Ich könnte Ihnen ein Zimmer mit Frühstück bei uns anbieten. Aber vielleicht bevorzugen Sie ein Hotel?."

Der Vorschlag übertraf alles von mir Erwartete.

„ Wenn das möglich wäre, das Angebot würde mir sehr gelegen kommen."

– „Meine Großeltern sind jetzt zu Hause Es ist nicht weit von hier. Mein Bruder – dabei deutete sie auf den kräftigen jungen Mann hinter ihr, der diesmal am Grill herumhantierte – könnte jetzt Sie kurz hinbegleiten und alle Formalitäten erledigen."

– „Einverstanden, das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen. Danke schön!"

Die Spur des Jungbrunnen

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