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5. Kapitel

„Maria lassen sie uns bald aufbrechen. Es ist schon früher Nachmittag. Wenn wir den Sattel vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollen, müssen wir bald aufsteigen“, sagte N und schaute erneut nach oben. Sie bemerkte den sorgenvollen Blick ihres Begleiters und erklärte wenig überzeugend, dass man das schon schaffen würde.

N gingen die Grundregeln des Kletterns und des Extremwanderns durch den Kopf.

„Es hat keinen Zweck, der Stadtfrau vor dem Einstieg die Regeln zu erklären“, überlegte er und entschloss sich, nur zwei oder drei wichtige Punkte zu erwähnen. Er dachte sofort daran, dass er keine Wasserflasche mehr hatte.

„Maria, wichtig ist, dass wir vor Beginn unserer Kletterei so viel wie möglich trinken, weil meine metallene Wasserflasche im verlorenen Rucksack war. Ich werde deshalb vorsichtig von unserem Felsvorsprung hinunter zur ehemaligen Quelle gehen. Sie bleiben hier und rühren sich nur, wenn ich es ihnen sage. Haben sie das verstanden?“

„Ja, großer Meister; ich warte geduldig.“

N hielt sich mit einer Hand an der Felskante fest und rutschte mehr, als dass er stieg, zum Quellplateau hinunter. Die Quelle war nicht mehr zu sehen und er wollte resigniert die Suche beenden, als er entdeckte, dass aus einer Schlammschicht ein kleines Rinnsal entsprang.

„Ich habe sie gefunden“, rief er laut und fügte leise hinzu: „Oh mein Gott, wie soll Madame daraus trinken?“

Mit der Hand fing er etwas Wasser auf und kostete; es war reines Quellwasser. Das Rinnsal wurde größer und dadurch das Trinken leichter. Gerade wollte er wieder zu seiner Begleiterin aufsteigen, als er eine alte Plastikflasche sah. Sie war zwar stark verschmutzt, aber intakt.

„Maria es wird eine kleine Weile dauern. Ich habe eine Plastikflasche entdeckt und muss sie mühsam füllen. Bleiben sie bitte ruhig dort sitzen, wo sie sind.“

Nach ungefähr zehn Minuten war die Flasche innen erträglich sauber. Mit der Säuberung der Außenfläche hielt N sich nicht auf, füllte die Flasche mit Quellwasser und kehrte zu Maria zurück.

„Die ist nur äußerlich so schmutzig; innen war sie sauber. Bitte trinken sie, soviel sie können. Danach fülle ich die Flasche erneut und wir können losgehen.“

Man sah es Maria an, dass sie ein starkes Ekelgefühl überwinden musste. Sie tat aber, was N angeordnet hatte.

„So, ich werde auch noch trinken und danach die Flasche erneut befüllen. Wenn ich unten bin, entleeren sie bitte ihre Blase, und wenn es geht, auch den Darm; das ist wichtig vor unserer großen Tour“, sagte N und ließ Maria allein.

Sie konnte zwar die Blase, aber nicht den Darm entleeren und war nahe einer Ohnmacht. Geduldig wartete sie auf N, der nicht lange brauchte, um wieder bei ihr zu sein.

Während er das Wasser holte, hatte er sich entschlossen, nur vier erste Grundregeln zu erläutern und einzufordern.

„Madame, wenn wir jetzt einsteigen, wollen sie bitte Folgendes beachten: Meine Kommandos sind ohne Diskussion zu befolgen; es wird wenig geredet, um Energie zu sparen und sie allein bestimmen das Tempo. Wenn sie eine Pause brauchen, werden wir sie ohne Wenn und Aber einlegen; also ohne Hemmung selbige fordern. Versuchen sie immer nur eine Hand oder einen Fuß freizumachen. Alles andere werde ich ihnen nach Bedarf raten; oder besser gesagt, verlangen“, erklärte N und hatte mit Widerrede gerechnet. Stattdessen sagte Maria, dass sie alles beachten wolle und sich Mühe geben werde.

Maria griff nach oben und versuchte, sich in die Höhe zu ziehen. Dabei löse sich das Gestein, das sie mit der rechten Hand umfasst hatte. Hilflos dreht sie sich um und N erteilte folgende Lektion: Zunächst immer die Festigkeit des Steins prüfen, bevor man sich daran hochzieht. Und zweitens schauen sie nie nach unten oder hinten. Ich bin unmittelbar bei ihnen und helfe, wenn es nötig wird. Wenn sie nach unten schauen, bekommen sie eventuell Angst und das kann für uns beide gefährlich werden.

„Ich habe verstanden und will jeden Rat beachten“, antwortete sie und begann mit ihrem zweiten Versuch, den Felsen zu bezwingen.

N war stets in ihrer Nähe und hatte fast unmittelbaren Körperkontakt. Was blieb ihm auch anderes übrig. Er konnte diese Frau nicht allein lassen und überleben wollte er schließlich auch.

Nach einer Stunde hatten beide bereits zwanzig Höhenmeter geschafft und Maria bat um eine Pause.

Weil eine geeignete Stelle erreicht war, gab es mit ihrer Bitte keine Probleme. N lobte seine Gefährtin in den höchsten Tönen und Maria antwortete, dass sie bestimmt schon in die Hose gemacht hätte, wenn das Frühstück ausgiebiger gewesen wäre.

„Wenn es wieder geht, sollten wir weiterklettern. Aber denken sie daran. Sie allein bestimmen das Tempo, nicht ich. Wenn sie gestatten, kann ich ihnen mit etwas Druck unter ihrem Hintern behilflich sein.“

„Ich bitte sogar darum, lieber N.“

Zwischenzeitlich begann die Dämmerung und N suchte einen Platz zum Übernachten.

„Die Hälfte der ersten großen Hürde haben wir schon geschafft. Ich hatte nicht damit gerechnet, so weit zu kommen. Wir müssen hoffen, eine Stelle zu finden, um zu übernachten. Den Rest schaffen wir morgen mit links“, sagte N recht überzeugend.

„Danke für ihre Nachsicht. Ich weiß, dass ich eine riesige Last für sie bin.“

„Denken sie an die Regel, nicht so viel zu reden. Wenn sie einen richtig sichern Stand und Halt haben, werde ich einmal vorsteigen und einen Rastplatz suchen, einverstanden?“

„Ich mache alles, was sie für richtig halten; ohne sie wäre ich ein Nichts.“

N hatte Glück. Zwei Meter höher gab es einen Felsspalt und dahinter eine kleine Höhle. Mit etwas Mühe konnte er sich durch den Spalt zwängen. Die Höhle war groß genug, dass eine Person darin liegen konnte. Außerdem war sie trocken und windgeschützt.

„Maria, ich habe ein Hotelzimmer mit allem Komfort gefunden. Warten sie, ich hole sie.“

Obwohl sie wusste, dass es recht spartanisch werden würde, vergoss sie Freudentränen.

Auch Maria hatte große Mühe, sich durch den Spalt zu quetschen. Als sie es geschafft hatte, brach sie fast zusammen und legte sich lang auf den trockenen Boden. Man sah, dass sie am Ende ihrer Kräfte war. Es dauerte auch nicht lange und sie war eingeschlafen.

N hatte der relativ kurze Aufstieg nichts ausgemacht. Er trank einen Schluck Wasser, schob Marias Füße etwas zur Seite und setzte sich. Durch den Felsspalt konnte er den Sonnenuntergang beobachten und war recht zufrieden, obwohl ihm viele Dinge durch den Kopf gingen und er befürchtete, dass der morgige Tag noch schwieriger werden würde. Bestimmt hat sie fürchterlichen Muskelkater, Hunger und Durst.

„Zumindest haben wir etwas Wasser. Ich werde fast nichts trinken, sodass sie den Rest haben kann“, dachte er sich und schlief im Sitzen ein.

Gegen zwei Uhr nachts verspürte N heftige Tritte. Maria musste sich gedreht haben und war in der Enge mit ihren Beinen nicht zurechtgekommen, schlief aber weiter. Er stand auf und steckte seinen Kopf ins Freie, um frische Luft zu atmen. Danach setzte er sich erneut, um noch etwas schlafen zu können.

Kurz nach sechs Uhr dämmerte es und wurde schnell hell.

„Soll ich sie schlafen lassen oder wecken, um weiter zu klettern. Vielleicht schaffen wir es, wenn wir zeitig genug aufbrechen“, überlegte er und erhob sich erneut, um ins „Freie“ zu kommen.

In diesem Moment erwachte auch Maria und stöhnte.

„Mir tut alles weh; bin wie gerädert. Ist alles noch gut“, fragte sie.

„Alles bestens. Heute schaffen wir mit Leichtigkeit den Sattel und danach ist die Welt wieder in Ordnung. Wenn sie richtig wach sind, sollten wir weiterklettern. Fühlen sie sich dazu schon in der Lage? Auf jeden Fall müssen sie etwas trinken.“

„Wo haben sie denn geschlafen?“

„Zu ihren Füßen.“

Jetzt wurde ihr klar, dass sie vielleicht etwas eigennützig geruht hatte und schämte sich. N bemerkte es und beruhigte sie, dass ihm das nichts ausmachen würde. Er habe gut trainiert und wollte auf solche Art und Weise zwei Monate in den wilden Pyrenäen unterwegs sein.

„Ich werde jetzt einen guten Weg und einfachere Aufstiegsmöglichkeiten suchen. In der Zwischenzeit können sie ihre Morgentoilette machen. Ich komme nicht mehr in das Innere der Höhle. Ungeniert den Bedürfnissen nachgehen, aber nicht zu viel Wasser verbrauchen. Es wäre gut, wenn wir noch einen Rest mitnehmen könnten.“

Maria fügte sich in ihre bescheidene Lage und hatte volles Vertrauen zu N.

Die erste halbe Stunde hatte Maria große Mühe mit dem Klettern. Sie befolgte aber mit zusammengebissenen Zähnen alle Anweisungen.

Gegen Mittag wurde es etwas flacher und sie bat um eine längere Pause.

Als die Sonne unterging, hatten sie tatsächlich den Sattel erreicht und vor Einbruch der Dunkelheit auch einen trockenen Rast- und Schlafplatz gefunden.

Maria schlief erneut sofort ein. N sondierte die Gegend und fand auch eine kleine Wasserstelle. Diese war sogar geeignet, sich zu waschen, was er ausgiebig genoss.

Nach seiner „Abendtoilette“ legte er sich neben seine Leidensgenossin und schlief bald ein, obwohl es empfindlich kühl wurde. Die Kälte ließ ihn wiedererwachen und er legte sich eng an Maria, um sie zu wärmen.

Die Aussicht, sich waschen zu können, erzeugte bei Maria große Freude; die Gliederschmerzen waren vergessen. Auch hatte sich N rechtzeitig von ihr getrennt, sodass sie gar nicht registrierte, dass er sie die ganze Nacht über gewärmt hatte.

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