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7. Kapitel

Es dauerte nicht lange, bis die Sonne hinter den Bergen verschwunden war und ein herrlicher Sternenhimmel sichtbar wurde.

„Einen solchen kann man nur hier in den Bergen erleben. Das liegt daran, dass keinerlei Lichtsmog vorhanden ist. Ich genieße ihn. Die Sterne und der Mond strahlen solche Natürlichkeit und Ruhe aus. Kein anderes Licht vermag das. Nur leider ist es oft bewölkt. Dann starre ich in die Dunkelheit und genieße diese. Man spürt die Kleinigkeit des Ichs im Gegensatz zur Größe der Natur“, philosophierte Boris und N wurde nachdenklich.

„Boris, deshalb zieht es mich auch in die Berge; nur ich bin unstet und möchte jeden Abend an einem anderen Ort sein; ich flüchte vor der Zivilisation.“

„Was verstehst du unter Zivilisation“, wollte Boris wissen, wobei man ihm anmerkte, dass er in Gedanken nicht hier vor seiner Wohnhöhle war. Er stand auf und ging immer noch gedankenverloren in seine Vorratskammer und kam mit einer Wachskerze wieder zurück.

„Weißt du, bei diesem Nachthimmel lässt es sich mit Kerzenlicht noch besser träumen.“

Beide Männer saßen bestimmt eine halbe Stunde schweigend beisammen; sie waren zufrieden.

Plötzlich sagte N: „Vor einem Jahr habe ich festgestellt, dass wir in unserem digitalen Zeitalter das normale Frieren und Schwitzen verlernt haben. Die Temperaturen im Büro und in den Räumen zu Hause regelt ein Computer. Wenn wir schwitzen wollen, gehen wir in die Sauna; das Frieren ist abgeschafft. Die Körperlichkeit, die zwischenmenschliche Wärme ist verloren gegangen, weil wir mit Freunden und sogar auch mit unseren Liebhabern nur noch digital verkehren.“

Jetzt merkte N, was er gerade gesagt hatte und fügte hinzu, dass er seine Liebhaberinnen meinte, und fuhr fort: „Dieser neue Lebensstil führt dazu, dass wir uns langsam aber sicher von unserem eigenen Körper trennen. Wir haben verlernt, dass Hitze und Kälte dialektische Gegensätze sind; das Wissen darüber geht im digitalen Zeitalter schnell verloren.“

Obwohl Boris zugehört hatte, sagte er nichts und N fuhr fort, dass in seinem Wohnhaus einmal der Strom für längere Zeit ausgefallen sei. Seine Frau habe keine Angst um das Funktionieren der Heizung gehabt, sondern sich nur gesorgt, dass der Fernseher nicht ginge und dass ohne Auflademöglichkeit bald ihr Computer nicht mehr funktionieren würde.

„Und was geschah“, wollte Boris wissen.

„Ich habe das erste Mal Kühle verspürt und mich nach einem Lagerfeuer gesehnt, an dem es nicht nur physisch warm ist, sondern weil der andere, an dem wir uns wirklich wärmen können, gleichzeitig anwesend und zugleich abwesend ist.“

Boris schenkte den Rest Wodka in die Gläser, lächelte und hörte weiter zu.

„Und es ist mir klargeworden, dass unsere Welt immer kühler und unpersönlicher wird. Wir richten uns Wohnungen ein, in denen es keine Bücher und ganz persönlichen Dinge mehr gibt. Alles befindet sich auf den Festplatten. Das Briefschreiben ist aus der Mode gekommen. Nur noch permanent digitale Kurznachrichten. Dabei ist allgemein bekannt, dass derjenige, der nicht liest, mehr Zeit zum Verblöden hat. Und bald wird es auch nur noch Cybersex geben.“

Jetzt hatte auch Boris das Bedürfnis, etwas zu sagen. „Mein Freund, deine Gedanken zum digitalen Zeitalter sind gar nicht so neu. Denke einmal an die Zeit, als das Fernsehen in die Wohnzimmer kam. Anfangs war es noch mit einem Lagerfeuer, an dem sich abends die ganze Familie versammelte, zu vergleichen. Bald wollten die Leute so leben, wie es die Fernsehmacher ihnen vorgaugelten. Die Schrankwand, das hässlichste Möbel aller Zeiten, musste in jedem Wohnzimmer stehen. Bekannte von mir hatten sogar ein solches Monster, das um die Zimmerecke reichte. In diesem Ding fand - Gott sei Dank - der Fernseher noch Platz, sodass zusätzlich eine Couch und zwei Sessel in den Wohnpferch passten. Was unterscheidet dieser fremdbestimmte Lebensstil von dem des jetzigen digitalen Zeitalters?“

N, der aufmerksam zugehört hatte, lächelte und trank sein Glas aus.

Erneut verging eine geraume Zeit des Schweigens, welches Boris wiederum brach, indem er sagte: „N, du hast von der Kälte gesprochen. Für mich ist sie das Andere, das Draußen; die Wärme ist das Drinnen. Ich sehe das so, dass das Frieren eine Grundbedingung von Kultur ist, weil nur das Bedürfnis nach sicherer und warmer Behausung uns zur Kulturleistung treibt. Mein Freund, zu dieser Erkenntnis bin ich gekommen, nachdem ich „Walden, oder: Leben in den Wäldern“ von Henry David Thoreau gelesen hatte.“

N schlug Boris auf die Schulter und sagte: „Jetzt weiß ich, warum wir uns nach so kurzer Zeit schon so gut verstehen. Auch ich war von Thoreau begeistert, als er schrieb: "Wo auch immer die Nacht dich überrascht: Dort sei dein Heim".“

Boris war voller Begeisterung, dass auch N dieses wunderbare Buch kannte und sagte: „Thoreau zog in die Wälder von Massachusetts und fand heraus, dass der sogenannte Fortschritt im Laufe der Jahrhunderte nur einen geringen Einfluss auf die Grundgesetze der menschlichen Existenz gehabt habe. Seine Nachbarn, die Landwirtschaft betreiben, stöhnen auch noch heute unter der Erblast und sind nicht bereit oder fähig, sie abzustoßen. Der Mensch kann dem wirklichen Leben nur nähertreten, wenn er zuvor für die profanen Lebensbedürfnisse, wie Obdach, Kleidung, Nahrung und Feuer gesorgt hat. Erst danach kann er das Mark des Lebens aufsaugen und tief leben.“

N, der Boris interessiert zugehört hatte, sagte, dass er aber die Einschätzung Thoreaus zu den Werten der Erkenntnisse der Alten und Weisen nicht teilen würde.

Weil es schon recht spät geworden war und N vor Müdigkeit der Unterhaltung kaum noch folgen konnte, schlug er vor, den Gedankenaustausch morgen fortzusetzen.

Boris war einverstanden und bot N sein Bett an und sagte, dass er oft hier draußen auf der Steinbank schlafe. „Für mich ist das die beste Erholung. Ich rette mich in die kühle Zeit, die so schön war. Und morgen früh ist die Kälte zurück; sie macht wach.“

N nahm das Angebot dankend an, ohne auf Boris letzte Worte wirklich zu achten und begab sich in das Innere der Wohnhöhle.

Maria schlief immer noch wie eine Tote. Ihre Liege stand neben Boris Bett.

N genoss diese bequeme Schlafstätte, in der er endlich wieder einmal „weich“ schlafen konnte.

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