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»Ihr müßt mich meine Geschichte auf meine Weise erzählen lassen«, sagte Sarnac. »Wenn ich auf eure Fragen eingehe, so verliere ich den Faden. Jeder von euch möchte hundert Fragen an mich stellen, über Dinge, die ich erwähnt habe, und Einzelheiten, die mir vertraut, euch aber unverständlich sind, weil unsere Welt sie vergessen hat. Wenn ich euch nachgebe, so werdet ihr mich immer weiter weglocken von meinem Vater und meinem Onkel Julip, und wir werden dann bei einem Gespräch über Sitten und Gebräuche und über Philosophie und historische Ereignisse enden. Ich aber will euch meine Geschichte erzählen.«

»Fahr' fort mit deiner Geschichte«, sagte Heliane.

»Dieser Onkel John Julip, der Bruder meiner Mutter, war ein zynischer und eigensinniger Mann. Er war recht klein und dicker, als Gärtner damals zu sein pflegten. Er hatte ein glattes, weißes Gesicht und ein erfahrenes, selbstzufriedenes Lächeln. Anfänglich sah ich ihn nur an Sonntagen, er war dann gewöhnlich in Hemdärmeln und trug einen großen Strohhut. So oft ich zu ihm kam, machte er herabsetzende Bemerkungen über meine Körperbeschaffenheit und über die Luft von Cherry Gardens. Seine Frau hatte irgendeiner Sekte angehört und war nur widerwillig der englischen Staatskirche beigetreten. Auch sie war blaß, und ihr Gesundheitszustand war nicht der beste, sie klagte stets über Schmerzen. Der Onkel aber verlachte sie und sagte, dort, wo sie Schmerzen zu haben vorgebe, könne man gar keine haben. Es gebe Magendrücken, Schmerzen im Rücken, Sodbrennen und Leibschmerzen, weiter nichts. Ihre Schmerzen seien nur Einbildung und könnten daher kein Mitleid erwecken.

Als ich etwa dreizehn Jahre alt war, faßten Vater und Onkel den Plan, daß ich nach Chessing Hanger übersiedeln und dort Gärtnergehilfe werden sollte. Mir mißfiel dieser Gedanke durchaus; nicht nur, daß ich den Onkel nicht gern hatte, ich fand auch Graben und Jäten und alle Gartenarbeit außerordentlich ermüdend und langweilig. Ich las sehr gerne und liebte Sprachen, hatte wohl auch etwas von der Redseligkeit meines Vaters geerbt, und ein kleiner Aufsatz hatte mir kurz vorher in der Schule besonderes Lob eingetragen. Dies hatte eine ehrgeizige Hoffnung in mir erweckt – ich wollte schreiben, Zeitungsartikel, wenn möglich sogar Bücher. In Cliffstone gab es eine sogenannte Leihbibliothek, die Einwohner des Ortes konnten dort lesen oder auch Bücher entlehnen – ich holte mir in der Ferienzeit fast jeden Tag ein neues Buch –; in Chessing Hanger gab es nichts dergleichen. Meine Schwester Fanny ermutigte mich, viel zu lesen; auch sie verschlang Bücher, namentlich Romane, und sie teilte meine Abneigung gegen den Plan, daß ich Gärtner werden sollte.

In jenen Zeiten, müßt ihr wissen, machte man keinerlei Versuch, die natürlichen Fähigkeiten eines Kindes abzuschätzen. Man erwartete von jedem menschlichen Wesen, daß es für eine beliebige Gelegenheit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dankbar sei. Die Eltern zwangen ihre Kinder zu dieser oder jener Beschäftigung, die sich aus äußeren Umständen ergab, und infolgedessen hatten die meisten Menschen einen Beruf, der ihnen nicht taugte, ihren natürlichen Gaben keine Entfaltungsmöglichkeit bot und sie in der Regel zu verkrampften und unharmonischen Geschöpfen machte. Schon dies allein verbreitete eine latente Mißzufriedenheit über die ganze Welt. Die Mehrzahl der Menschen litt unter einem Zwang, der ihnen jede Möglichkeit positiven Glücks raubte. Die meisten jungen Menschen, Mädchen sowohl als auch Knaben, erfuhren, indem sie heranwuchsen, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine schmerzliche Verkürzung ihrer Freiheit; sie sahen sich plötzlich ohne eigene Wahl zu irgendeiner Berufsarbeit gezwungen, aus der sie nur schwer wieder herauskonnten. In meinem Leben kam ein Sommer-Ferientag, an dem ich meine bisherigen Freuden, meine Spiele und die beglückende Beschäftigung des Lesens in Cliffstone aufgeben und über die Hügel zu Onkel John Julip wandern mußte, um bei ihm zu bleiben und zu sehen, ob er mich brauchen könne. Ich kann heute noch den bitteren Widerwillen nachempfinden, das Gefühl, geopfert zu werden, das mich erfüllte, während ich mein kleines Köfferchen über die Downs nach Chessing Hanger schleppte.

Lord Bramble war einer jener Grundbesitzer, Beryll, die unter den hannoveranischen Königen bis zur Regierungszeit der Königin Victoria eine so große Rolle spielten. Weite Gebiete Englands gehörten ihnen als Privatbesitz; sie konnten damit tun, was ihnen beliebte. In den Tagen Victorias der Guten und ihrer unmittelbaren Vorgänger führten diese Grundbesitzer, die als Mitglieder des Oberhauses des englischen Parlaments das Reich regiert hatten, einen aussichtslosen Kampf um die Vorherrschaft gegen die neue Klasse der Industriellen. Diese Industriellen beschäftigten um ihres persönlichen Gewinnes willen die große Masse des Volkes in der Eisen- und Stahl-, Woll- und Baumwoll-Industrie sowie in der Bierbrauerei und der Schiffahrt. Sie wichen schließlich einem anders gearteten Spekulantentypus, der das Annoncenwesen, die politische und finanzielle Ausbeutung der Zeitungen und neue Finanzmethoden entwickelte. Die alten Grundbesitzerfamilien mußten sich den neuen Mächten anpassen oder wurden beiseite geschoben. Lord Bramble war einer der Beiseitegeschobenen, ein verbitterter, altmodischer, verarmter Gutsbesitzer, der tief in Schulden steckte. Sein Besitz, der viele Quadratkilometer umfaßte, bestand aus Bauerngehöften nebst den dazugehörigen Äckern und Wiesen, aus Wäldern, einem großen, unbequemen Wohnhause, das für seine zusammengeschrumpften Mittel viel zu weitläufig war, und aus einem Park von einigen Quadratkilometern. Der Park war arg vernachlässigt; viele der alten Bäume waren vom Holzschwamm zerfressen und faulten, es wimmelte darin von Kaninchen und Maulwürfen, und große Teile waren von Disteln und Nesseln überwuchert. Junge Bäume gab es überhaupt nicht. Die Umfriedungen und Tore waren übel zusammengeflickt, da und dort zogen sich schlecht gepflegte Straßen hin. Dafür waren aber zahlreiche Tafeln angebracht, auf denen drohende Warnungen an Unbefugte, insbesondere immer wieder die Aufschrift » Verbotener Durchgang« zu lesen stand. Denn die Bewegungsfreiheit des gewöhnlichen Mannes einschränken zu können, war das Vorrecht des britischen Grundbesitzers, an dem sein Herz am meisten hing, und Lord Bramble behütete seine Wüstenei mit Inbrunst. Weite Gebiete guten Grunds und Bodens in England befanden sich damals in einem ähnlichen Zustand der Abgeschlossenheit und des malerischen Verfalles.«

»In diesen Gebieten wurde gejagt«, sagte Beryll.

»Woher weißt du das?«

»Ich habe einmal ein Bild gesehen, das Jäger der damaligen Zeit darstellte. Sie standen in einer Reihe längs des Waldsaumes, die herbstliche Färbung der Bäume auf dem Bilde ließ einen leisen Fäulnisgeruch und einen Hauch von Feuchtigkeit in der Luft vermuten. Ich glaube, man schoß mit Bleikügelchen auf Vögel.«

»Ganz richtig. Und die sogenannten Treiber – ich wurde einige Male zu diesem Dienst gezwungen – trieben ihnen die Vögel; insbesondere Fasane, zu. Jagdgesellschaften pflegten regelmäßig nach Chessing Hanger zu kommen, und dann wurde einen Tag um den anderen gejagt. Die Schießerei vollzog sich mit großer Feierlichkeit.«

»Warum aber taten die Leute das?« fragte Salaha.

»Ja«, sagte Beryll. »Warum nur?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Sarnac. »Ich weiß nur, daß zu gewissen Jahreszeiten die Mehrzahl der englischen Herren, die als die Führer der Intelligenz des Landes galten, die angeblich sein Schicksal leiteten und seine Zukunft in Händen hatten, in die Wälder und in das Heideland hinauszogen, um dort mit Hilfe ihrer Schießwaffen Vögel verschiedener Art in Scharen hinzumorden, Vögel, die nur zum Zwecke dieser sogenannten Jagd unter beträchtlichem Kostenaufwand gezüchtet wurden. Die edlen Jäger wurden von Wildhütern begleitet; sie stellten sich in Reihen auf, und bald widerhallte der Wald vom Knall ihrer Gewehre. Die Höchstgestellten des Landes beteiligten sich würdevoll an dieser nationalen Funktion und handhabten ihre Mordwaffen mit vornehmem Ernst. Diese Klasse war tatsächlich gerade nur soweit über völlige geistige Stumpfheit hinaus, als nötig ist, um am Geknall eines Schießgewehres und am Anblick eines verwundet herabstürzenden Vogels Freude zu haben. Sie wurden dieses Vergnügens nicht müde. Der Knall eines Gewehres war anscheinend eine wunderbare Sensation für diese Leute. Es ging ihnen nicht um das Töten allein, denn dann hätten sie ja dem Schlachten von Schafen, Ochsen oder Schweinen beiwohnen können; diesen Sport überließen sie jedoch Männern einer niedrigeren sozialen Klasse. Das Wesentliche war ihnen das Schießen, insbesondere Vögel im Fluge zu schießen. Wenn Lord Bramble nicht gerade daran war, Fasane oder Waldhühner zu töten, dann schoß er in Südfrankreich auf angstvoll flatternde Tauben mit gestutzten Flügeln, die man eben erst aus ihren Käfigen herausgelassen hatte. Oder er jagte – es handelte sich dabei nicht um eine wirkliche Jagd, nicht um einen ehrlichen Kampf mit Bären, Tigern oder Elefanten in einem Dschungel – er machte Jagd auf Füchse, übelriechende kleine Tiere mit rötlichem Fell von der Größe eines Wasserhundes, deren Aussterben man eben wegen der Sportfreuden der adeligen Herren sorgfältig verhütete. Man jagte sie auf bebautem Grund und Boden, die Jäger waren zu Pferd und von einer Hundemeute begleitet. Lord Bramble kleidete sich für dieses famose Unternehmen stets sehr sorgfältig in eine rote Jacke und Kniehosen aus Schweinsleder. Seine übrige Zeit verbrachte der gute Mann mit Kartenspielen; er liebte besonders ein Spiel, Bridge genannt, das so beschränkt und mechanisch war, daß heutzutage jedermann nach einem Blick auf die Karten das wahrscheinliche Resultat der Partie vorauswüßte. Einen großen Teil seiner Zeit verbrachte er übrigens auch damit, Pferderennen beizuwohnen. Die Pferde, die für diese Rennen verwendet wurden, waren eine besonders schwächliche Zucht. Auch zu diesem Anlaß kleidete sich Lord Bramble sehr sorgfältig. In den illustrierten Zeitschriften unserer Leihbibliothek hatte ich des öfteren Bilder von ihm gesehen; mit einem sogenannten Zylinder auf dem Kopf, war er ›im Gestüt der Rennpferde‹ oder auch ›mit einer befreundeten Dame‹ photographiert worden. Um den Pferderennsport und die damit verknüpften Wetten, welches Pferd gewinnen würde, spann sich ein emsiges Getriebe der Eingeweihten. Die Ernährungsweise des edlen Lord Bramble war verhältnismäßig vernünftig, nur im Genuß von Portwein tat er etwas zu viel des Guten. Man rauchte damals noch. Lord Bramble rauchte drei bis vier Zigarren am Tag, Pfeifen hielt er für plebejisch, Zigaretten waren ihm zu weibisch. Er pflegte eine Zeitung zu lesen, niemals aber ein Buch, denn er war andauernder Aufmerksamkeit unfähig. In der Stadt pflegte er des Abends ein Theater oder ein sogenanntes Varieté zu besuchen, in dem es mehr oder weniger entkleidete Frauen zu sehen gab. Leute wie Lord Bramble waren nämlich infolge der damaligen Sitte, sich zu bekleiden, von einer zimperlichen Lüsternheit nach dem Anblick nackter Frauen erfüllt. Die normale Schönheit des menschlichen Körpers war ein Geheimnis, und ein gut Teil der Kunstgegenstände und des Zimmerschmucks im Herrenhause von Chessing Hanger spielte in anregender Weise Verstecken mit dem verbotenen Anblick.

In dem verflossenen Dasein, von dem ich euch erzähle, nahm ich die Lebensweise des Lord Bramble als etwas Selbstverständliches hin, jetzt aber beginne ich zurückblickend einzusehen, wie ungeheuerlich absurd diese Leute doch waren, die ihre Zeit damit verbrachten, erschreckte Vögel hinzumorden, Pferde und Stallknechte hielten und heimlich nach weiblichen Hüften und Schultern guckten. Die Frauen dieser Männer sympathisierten mit ihrer sinnlosen Schießerei, waren entzückt von den Pferden, liebten Schoßhunde, zwerghafte und erbärmliche kleine Geschöpfe, und ließen sich die erwähnten verstohlenen Blicke gerne gefallen.

Dieser Art war das Leben der damaligen Aristokraten. Sie waren tonangebend für das, was damals als gesunde und prächtige Lebensweise galt. Die anderen Klassen der Bevölkerung bewunderten sie sehr und ahmten sie, soweit sie nur konnten, nach. Der kleine Pächter schoß Kaninchen, wenn er schon nicht auf die Fasanenjagd gehen konnte; und da ihm Zwanzigpfundnoten für die eleganten Pferderennen zu Goodwood nicht zur Verfügung standen, setzte er doch bei dem bescheidenen Rennen in Cliffstone seine zwei Shilling auf ein Lieblingspferd und wohnte diesem Wettspiel stolz bei, den Hut möglichst ebenso in die Stirn gedrückt wie Lord Bramble und König Eduard.

Zahllose Menschen äfften in ihrer Lebensweise die Gepflogenheiten und Traditionen der führenden Aristokraten nach. Da war zum Beispiel mein Onkel John Julip. Sein Vater sowie auch sein Großvater waren Gärtner gewesen, und fast alle seine Verwandten mütterlicherseits gehörten der sogenannten dienenden Klasse an. Unter all den Leuten, die in Lord Brambles Diensten standen, zeigte kein einziger ein natürliches Gehaben; sie ahmten alle, mit mehr oder weniger Erfolg, irgendeine Dame oder einen Herrn der Aristokratie nach. Das Ideal Onkel Julips war ein gewisser allbekannter Sir John Cuthbertson. Er kaufte sich ebensolche Hüte wie dieser und versuchte sich in ähnlichen Gebärden.

Und gleich seinem Vorbild machte er große Wetten bei den Pferderennen, hatte dabei aber meist Pech. Darüber war meine Tante recht böse, doch daß ihr Gatte in Kleidung und Gehaben Sir John ähnelte, machte ihr entschieden Freude.

›Wenn er nur als Aristokrat auf die Welt gekommen wäre,‹ pflegte sie zu sagen, ›dann wär' ja alles in Ordnung gewesen. Er ist ein geborener Sportsmann; die Gartenarbeit ist nichts für ihn.‹

Jedenfalls überanstrengte er sich nicht bei der Gartenarbeit. Ich erinnere mich nicht, daß ich ihn jemals graben oder eine Karre schieben gesehen hätte. Er pflegte im Garten zu stehen, eine Harke in der einen Hand, mit der er herumfuchtelte, als ob sie eine Reitpeitsche wäre, mit der anderen gestikulierend und andere zur Arbeit antreibend.

Meinem Vater und mir gegenüber setzte er stets eine bewußt aristokratische und höchst würdevolle Miene auf. Dabei war mein Vater beträchtlich größer als er und auch weitaus gescheiter. Er sprach meinen Vater immer nur kurzweg ›Smith‹ an.

›Was willst du mit dem Jungen anfangen, Smith?‹ pflegte er zu fragen. ›Ich glaube, der braucht bessere Kost und frische Luft.‹

Mein Vater, der zwar insgeheim die allgemeine Ansicht teilte, daß Onkel John, unter einem glücklicheren Stern geboren, einen prächtigen Edelmann abgegeben hätte, war stets bemüht, sich, wie er sagte, nicht allzu viel von ihm gefallen zu lassen, und nannte ihn deshalb ›John‹. Er pflegte zu antworten: ›Ich habe noch keinen bestimmten Entschluß gefaßt, John. Vorläufig ist der Junge ein richtiger Bücherwurm, man kann ihm zureden, wie man will.‹

›Bücher!‹ rief Onkel John. Er besaß eine dem Engländer überhaupt eigene Verachtung für Bücher. ›Aus Büchern kannst du nichts herausholen, was nicht hineingetragen worden wäre. Das ist klar. Bücher sind bestenfalls gepreßte Blumen, sagte Seine Lordschaft erst neulich beim Dinner.‹

Der Gedanke machte Eindruck auf meinen Vater. ›Ja, das sage ich ihm auch‹, meinte er, welche Behauptung nicht ganz stimmte.

›Und dann, wer wird etwas Wissenswertes in ein Buch schreiben?‹ fuhr der Onkel fort. ›Da könnte man ebenso gut von den Kerlen, die in den Zeitungen über die Rennen schreiben, erwarten, daß sie einem einen nützlichen Wink geben. Den behalten sie aber lieber für sich!‹

›Ja, ja,‹ stimmte mein Vater zu, ›ich denke mir auch immer, daß die Leute, die Bücher schreiben, einem was aufbinden und einen obendrein noch auslachen.‹ Dann faßte ihn mitten in seiner Überlegung eine fromme Ehrfurcht. ›Trotzdem, John, gibt es Ein Buch.‹

Er dachte an die Bibel.

›Ach was, davon rede ich ja nicht, Smith‹, sagte der Onkel unwirsch. ›Jedem Tag das Seine – ich meine, mit der Bibel befass' ich mich am Sonntag.‹

Meine Probezeit als Gärtnergehilfe war mir schwer. Während jenes unerquicklichen Monats wurde ich einige Male mit einem Korb voll Gemüse oder Obst in das Herrenhaus hinübergeschickt. Ich ließ mir dort Mitteilungen entlocken, die für Onkel Julip unheilvoll werden und meine eigenen Aussichten in der Gärtnerlaufbahn vernichten sollten.

Mr. Petterton, der erste Diener im Herrenhause, war auch ein Aristokraten-Nachäffer, aber größeren Stils als mein Onkel. Er hatte eine imposante Figur und blickte einen von oben herab an. Der Halskragen, den er trug, bohrte sich in sein rosiges Doppelkinn, und sein Haar war gelb und glänzte von Pomade. Ich hatte ihm einen Korb Gurken abzuliefern und ein Bündel blauer Blüten, Gurkenkraut genannt, aus denen man ein Getränk bereitete. Er stand an einem Tisch und sprach ehrerbietig mit einem kleinen, rothaarigen Mann – Lord Brambles Agent, wie ich später erfuhr –, der ein Käsebrot aß und Bier dazu trank. Außerdem war noch ein junger Diener im Zimmer, einem unterirdischen Raum mit vergitterten Fenstern, und putzte mit großem Fleiße Silbergeschirr.

›Du bringst das also aus der Gärtnerei‹, sagte Mr. Petterton ironisch lächelnd zu mir. ›Und darf ich fragen, warum Mr. – warum Sir John sich nicht selbst herabläßt herzukommen?‹

›Er trug mir auf, die Sachen zu bringen‹, erwiderte ich.

›Und wer bist du, wenn ich fragen darf?‹

›Ich heiße Harry Smith. Mr. Julip ist mein Onkel.‹

›Ah!‹ sagte Mr. Petterton, und es schien ihm plötzlich ein bestimmter Gedanke zu kommen. ›Du bist der Sohn des Gemüsewarenhändlers Smith in Cliffstone?‹

›In Cherry Gardens, Herr.‹

›Ich hab' dich bisher noch nie gesehen, mein Junge. Bist du früher schon manchmal bei uns gewesen?‹

›Hier im Herrenhause nicht.‹

›Nein, hier nicht, aber vielleicht in der Gärtnerei?‹

›In der Gärtnerei war ich fast jeden Sonntag.‹

›So, so. Und hat es da nicht gewöhnlich etwas mit nachhause zu nehmen gegeben, mein Junge?‹

›Ja, fast immer.'

›Etwas ziemlich Schweres, nicht wahr?‹

›Nicht allzu schwer‹, meinte ich.

›Sehen Sie wohl?‹ sagte Petterton zu dem rothaarigen Mann.

Dieser stellte nun, rasch und in scharfem Ton sprechend, ein Kreuzverhör mit mir an, und ich begann zu fühlen, daß etwas Bedrohliches in der Luft lag. Was ich heimgetragen hätte? Ich errötete bis über die Ohren und erklärte, ich wisse nicht, was es gewesen sei. Ob ich öfter Trauben mitgenommen hätte? Ich wisse es nicht. Birnen? Ich wisse es nicht. Sellerie? Das wisse ich auch nicht.

›Na, ich aber weiß es‹, sagte der Agent. ›Wozu sollte ich dich also weiter ausfragen? Und somit pack' dich.‹

Ich ging in die Gärtnerei zurück und sagte meinem Onkel nichts von diesem unangenehmen Gespräch. Ich wußte aber sehr genau, daß die Sache damit nicht zu Ende war.«

Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur

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