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Unsere Hochzeit lag zwei Monaten hinter uns und war nur noch Erinnerung. Wobei die Erinnerung bei Ronni weiter entfernt schien, als bei mir.

Vielleicht lag es daran, dass Männer im Allgemeinen realistischer denken und fühlen als wir Frauen. Ein Ereignis, sei es auch noch so schön gewesen, das vorbei ist, wird bei ihnen einfach abgehakt. Ich bin dagegen romantischer und hänge den Erinnerungen in ruhigen Minuten noch lange nach. Das soll nicht bedeuten, dass Ronni die Hochzeit nicht genossen hat. Im Gegenteil. Ich bin mir sicher, dass der Tag unserer Hochzeit für ihn, genauso wie für mich, der schönste Tag im Leben war.

Damals waren wir beide ausgeglichen. Bei Ronni im Kommissariat ging es ruhig zu. Er hatte keine spektakulären Fälle zu lösen. Wie er mir erzählte, erledigte er überwiegend Schreibtischarbeit, die in der Vergangenheit liegen geblieben war.

Bei mir im Büro hielt sich der Stress ebenfalls in Grenzen. Natürlich hatten wir Frauen vor und nach der Hochzeit viel miteinander zu reden. Jeden Tag musste ich sie über den Stand der Vorbereitungen informieren und jede Kollegin sagte ihre Meinung dazu und gab ihre Ratschläge. Später dann, sowohl nach der standesamtlichen und insbesondere nach der kirchlichen Trauung verlangte man von mir, dass ich jedes Detail, und war es noch so unbedeutend, bis ins Kleinste schilderte. Als ich dann einige Tage später von den meisten Fotos Papierdrucke hatte anfertigen lassen, stürzten sie sich darauf und alles, was ich vorher bereits geschildert hatte, wurde nochmals allgemein erörtert.

Ich war unendlich stolz, dass alle Kolleginnen meinen Mann toll fanden und mich um ihn beneideten. Lediglich mein Juniorchef schaute mich seitdem recht misslich an. In der Vergangenheit hatten wir hin und wieder miteinander geflirtet – für mich harmlos und völlig unverfänglich. Trotzdem, mir hatte es Spaß bereitet und mein Selbstwertgefühl aufgewertet. Seinerzeit war ich mir nicht im Klaren darüber, ob es bei ihm auch nur Spaß war, oder ob bei ihm mehr dahinter steckte. Einige Male bemerkte ich, wie er mich beobachtete. Sein Gesichtsausdruck offenbarte jedes Mal Enttäuschung oder Resignation. War er frustriert, da ich mich für Ronni entschieden hatte? Es hatte den Anschein und mich freute es im Geheimen.

Es war an einem Sonntag, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Es war schwül und es hatte den ganzen Tag über gewittert. Am Abend hatte der Regen aufgehört und wir saßen auf dem Balkon und ein neues Gewitter kündigte sich an. Wir sahen dem Zucken der Blitze in der Ferne zu. Der Donner war als leises Gemurmel zu vernehmen und schien noch weit weg zu sein. Von Minute zu Minute kam das Gewitter näher und das grollende Geräusch wurde lauter. Ronni hatte eine Flasche Rotwein von der Ahr geöffnet und wir flirteten wie ein frisch verliebtes Paar miteinander. Als sich der Wind mehr und mehr erhob, war es mit der Gemütlichkeit auf dem Balkon dahin. In Kürze würde das Gewitter über uns hereinbrechen. Wir nahmen unsere Gläser und die Flasche Rotwein und zogen ins Wohnzimmer um. Hier war es im Gegensatz zum Balkon stickig und schwül.

Es dauerte nicht lange, bis wir uns die Kleider abgestreift hatten und uns liebten. Draußen krachte der Donner und der Regen schlug gegen die Fensterscheibe.

Wenn ich daran denke, erschauere ich noch heute.

Als wir den Höhepunkt erreichten, stöhnte Ronni „Lisa“. Dieses Wort ließ mein Herz erfrieren. Ich versuchte aber, mir in diesem Moment nichts anmerken zu lassen.

Später lagen wir schweigsam nebeneinander. Ronni schien kurz vor dem Einschlafen zu sein. In mir ging alles drunter und drüber. Meine Gedanken, die ich nicht abstellen oder eindämmen konnte, hämmerten in meinem Gehirn. Ich rief mir immer wieder den Augenblick in Erinnerung- Hatte er tatsächlich „Lisa“ gestöhnt oder meinte er vielleicht mich und stöhnte „Liebste“? Ich fand keine Antwort.

Die Eifersucht und das Misstrauen gegen Ronni wuchsen wie ein Geschwür in mir und meine Stimmung war verdorben. Es war jedoch nicht nur die Eifersucht, die an meiner Seele nagte. Die Tatsache, dass mir dadurch die Angst vor Augen geführt wurde, ihn zu verlieren, wog genauso schwer.

So, wie er den Namen gestöhnt hatte, empfand ich das als einen grausamen Schlag gegen mein Selbstbewusstsein. War doch bisher die lustvolle Nennung meines Namens ein sicheres Zeichen für seinen Höhepunkt gewesen. Und jetzt das.

„Lisa“ war natürlich nicht nur ein Name, für eine für mich völlig unbekannte Frau. Mit „Lisa“ verband ich sofort die vor einiger Zeit ermordete Kollegin meines Mannes.

War da mehr als eine berufliche Beziehung gewesen? Sicherlich, beide mochten sich, das war seinerzeit offensichtlich. Aber wieso stöhnte mein Mann ihren Namen, während wir uns liebten?, grübelte ich.

Hatte ich mich tatsächlich nur verhört oder war ich hysterisch?

Ronni schien meinen Schock nicht bemerkt zu haben. Womöglich lag es am Wein – er war eingeschlafen. Voller Ärger vernahm ich seine gleichmäßigen Atemzüge. War das ein Zeichen für sein ruhiges Gewissen oder lag es allein am Rotwein?

Wenn ich heute an die Nacht von damals denke, erinnere ich mich, dass ich in dieser Nacht keine Minute geschlafen habe.

Die Zeit, in der mein Mann mit Lisa Brenner zusammen gearbeitet hatte, flog als zusammenhanglose Bildfetzen an meinem inneren Auge vorbei. Manchmal waren die Bilder klar, manchmal verschwommen oder nur angedeutet. Ein Bild sprang mir dabei immer wieder vor Augen. Das Gesicht von Lisa Brenner – und dieses Bild war klar und deutlich. Manchmal, wenn mich die Müdigkeit überkam, lächelte mich das Gesicht hämisch an. Sofort war meine Müdigkeit verflogen und ich war wieder hellwach.


In dieser Nacht liefen in meinem Kopf nochmals Ronnis Ermittlungen mit Lisa Brenner im damaligen, nebligen Herbst ab.

Er hatte damals zwei Morde an Frauen aufzuklären, die grausam hingerichtet worden waren. Die erste Leiche wurde auf der Burg Blankenberg gefunden. Die zweite auf der Burg Windeck. Der Mörder hatte furchtbare Rituale aus dem Mittelalter für seine Tat verwendet. Lisa war gerade von Köln nach Bonn versetzt worden und Ronnis Chef hatte sie ihm zur Unterstützung an die Seite gestellt. Für sie war es der erste Mordfall und eine riesige Herausforderung. Im Laufe des Falles stellte sie sich überraschend als große Unterstützung für Ronni dar und er schätzte sie immer mehr als kompetente Kollegin und Partnerin. Da der Fall völlig undurchsichtig war und eine mögliche Aufklärung in weiter Ferne zu sein schien, hatte sogar Frank Eisenstein seinen vorgezogenen Ruhestand beendet. Für ihn, Ronni und Lisa war es unzweifelhaft: Der Täter hasste Frauen, die ihren Mann verlassen hatten. Er sah sich als legitimer Rächer der betrogenen und verlassenen Ehemänner. Auch Lisa hatte eine gescheiterte Beziehung hinter sich. Ihre Leiche fand man schließlich auf dem Burghof der Burg Wissem in Troisdorf. Als der Psychopath dann auch noch mich als Geisel in seine Gewalt bekam, brach für Ronni eine Welt zusammen. Gott sei Dank konnte er mich retten und den Mörder überwältigen, der dabei vom Dach eines Hochhauses stürzte. Mehr hatte ich auch später nicht erfahren. Wahrscheinlich wollte man mir aus Rücksicht auf meine damalige labile psychische Verfassung weitere Einzelheiten ersparen.

Für mich waren das seinerzeit die schlimmsten Stunden. Ich war noch nie einem Menschen so dankbar, wie Ronni. Er hatte mein Leben gerettet.

Doch was war das für ein Leben. Mein Leben war ziemlich aus den Fugen geraten. In mir herrschte nur noch Chaos und Angst. Viele Therapiestunden bei einer guten Psychologin brachten mich schließlich wieder in ruhiges Fahrwasser und zurück in ein normales Leben.

Einen Hinweis auf ein mögliches Verhältnis mit Lisa hatte Ronni mir in der gesamten Zeit nie geliefert.

Wenn ich heute hin und wieder an jene Zeit zurückdenke, erhebt sich in mir wieder das Gefühl der Angst und des Chaos. Doch heute kann ich mit diesem Gefühl umgehen und weiß, dass alles vorbei ist – endgültig.

Ronni unterstützte mich, wo er nur konnte. Lisa Brenner war kein Thema, obschon ich ihm anmerkte, wie sehr ihn ihr Tod getroffen hatte. Für mich war das nachvollziehbar, schließlich war sie eine Kollegin – eine ausgezeichnete, sympathische Kollegin.

Doch mehr? Zuneigung oder Liebe?

Nie hätte ich daran einen Gedanken verschwendet.

Und in dieser Nacht, während das Gewitter tobte, stöhnte er im schönsten Augenblick ihren Namen!


Am nächsten Tag ging Ronni zum Dienst, als wäre nichts gewesen. Für ihn war natürlich auch nichts geschehen. Ich hatte mich bemüht, mir nichts anmerken zu lassen und ihn auch nicht zur Rede gestellt. Ich war unsicher und brauchte Zeit zum Nachdenken.

Nachdem er das Haus verlassen hatte, meldete ich mich im Büro krank. Ich konnte mich unmöglich mit gut gelaunten Kolleginnen umgeben und irgendwelche, für mich belanglose Arbeiten erledigen. Zuerst wollte ich mich ablenken und mir positive Gedanken machen, die vergangene Nacht vergessen. Wahrscheinlich waren meine Gedanken und Befürchtungen völlig abwegig und unbegründet.

Tatsächlich unbegründet? Da war sie wieder: Die Angst, die Eifersucht.

Ich holte das Fotoalbum von unserer Hochzeit aus dem Schrank. Langsam blätterte ich Seite für Seite um. Ich merkte, dass ich mir zwar die Bilder anschaute, sie aber nicht bis in mein Gehirn drangen. Das Umblättern wurde fahriger, bis ich das Fotoalbum zuschlug. Ich war wütend über mich selbst.

Den Tag über lief ich unruhig in der Wohnung auf und ab. Mehrmals versuchte ich es nochmal mit den Hochzeitsfotos. Aber sobald ich das erste Bild sah, auf dem mein Mann abgebildet war, schlug ich das Fotoalbum mit Wucht zu.

Ich war wütend und die Wut richtete sich mehr und mehr gegen Ronni, meinen Ehemann. Etwas war beschädigt worden, beschädigt in meinem Herzen.

Er rief an diesem Abend an, dass er mit Frank auf ein Bier in eine Kneipe in der Altstadt gehen würde.

Er kam spät nach Hause. Ich lag bereits im Bett. Ich wunderte mich über mich selbst, wie gefasst und ruhig ich kurz mit ihm sprechen konnte.

„Wie war es?“ – „Hattet ihr einen schönen Abend?“ – „Gibt es etwas Neues?“

Die üblichen Fragen, die eine Ehefrau stellt, wenn der Ehemann mit einem Freund unterwegs war und spät nach Hause kommt. Die Antworten waren dementsprechend knapp.

„Gut.“ – „Ja.“ – „Nein.“

Als er aus dem Bad ins Bett kam und mir einen Kuss gab, roch ich den Alkohol. Es war wohl mehr als ein Bier geworden. Er drehte sich um und schlief sofort ein.

Ich dagegen lag noch immer wach und ärgerte mich über seine Gleichgültigkeit und scheinbare Ruhe. Plötzlich erwachte ich. Ich musste wohl doch eingeschlafen sein. Die Uhr neben meinem Bett zeigte an, dass es zwei Stunden später war. Ronni wälzte sich neben mir unruhig von einer Seite auf die andere. Er schien zu träumen. Unverständliche Laute drangen aus seinem Mund.

Das sind die Folgen des zu reichlich genossenen Alkohols, dachte ich noch, als ich erschrak. Hatte ich richtig gehört?

Ich setzte mich auf und beugte mich über seinen Kopf. Er lag mit dem Rücken zu mir gewandt und ich musste mich

weit hinüberbeugen, um mein Ohr nahe an seinen Mund zu bringen.

Da, wieder. Ich hatte richtig gehört.

„Lisa“, war zwar nicht klar, aber unverwechselbar zu hören.

Nein, nicht schon wieder. Ich war außer mir. Ärger, Enttäuschung, Verletzung, alles überwältigte mich.

Ich schlug die Bettdecke zurück und rannte ins Wohnzimmer. Dort kauerte ich mich in die Sofaecke und schlang eine Decke um mich. Zuerst wollte ich die Tränen zurückhalten, aber ohne Erfolg. Dicke Tränen rannen über meine Wangen und ich schluchzte laut auf. Fassungslos, wütend, enttäuscht und gedemütigt fühlte ich mich.

Jetzt war ich überzeugt, nein, es stand fest: Ronni hatte eine Affäre mit Lisa!

Da war überhaupt nichts mehr zu beschönigen oder zu vertuschen. So war es einfach. Und ich dumme Kuh hatte nichts bemerkt. Noch viel schlimmer: Ich hatte ihn auch noch geheiratet.

Gefühlte drei Stunden saß ich auf dem Sofa, als sich die Schlafzimmertür öffnete. Ronni kam herein. Er setzte sich neben mich und schlang fast zärtlich den Arm um meine Schultern. Behutsam aber energisch drängte ich seinen Arm zurück.

„Wir müssen reden“, sagte ich zu ihm mit ernster Miene.

Er schaute mich verständnislos an. Wie sollte er auch verstehen, was mich erschütterte? Er hatte schließlich nicht bewusst Lisas Namen gestöhnt, als wir uns liebten. Mit Sicherheit konnte er sich auch nicht daran erinnern, dass er in dieser Nacht ihren Namen im Traum genannt hatte.

Trotzdem war ich wütend. Seine Unwissenheit machte es nichts besser, im Gegenteil, sie ärgerte mich maßlos. Mein Verdacht, dass er mich betrogen hatte, war einfach vorhanden. Ich hoffte inständig, dass er eine akzeptable und einleuchtende Erklärung vorbringen würde. Ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, wie ich bei einer Bestätigung meines Verdachts reagieren würde.

„Worüber müssen wir mitten in der Nacht reden?“, fragte er ahnungslos.

„Über Lisa!“, antwortete ich schnippisch.

„Über Lisa? Lisa ist tot. Du weißt, was geschehen ist. Was gibt es darüber noch zu reden?“

Er schaute mich fragend und irritiert an.

„Du hattest eine Affäre mit ihr!“, schleuderte ich im rücksichtslos und lauthals ins Gesicht.

„Als wir uns liebten, hast du im schönsten Augenblick nicht meinen Namen gestöhnt, sondern ihren. Und in dieser Nacht hast du von ihr geträumt und ihren Namen genannt. Das reicht doch bestimmt – oder?“, schrie ich außer mir vor Wut und Enttäuschung.

Mit einem Mal schien ihm klar zu sein, wie es um mich, um ihn und um uns stand.

Lange schaute ich ihm direkt in die Augen. Ich hatte nichts mehr zu sagen und konnte nur noch warten, wie er reagieren würde. Er konnte meinem Blick nicht standhalten und schaute vor sich zu Boden. War das bereits das Schuldeingeständnis? Angst kam in mir hoch – Existenzangst um unsere Beziehung.

Dann begann er zögernd zu reden. Immer wieder stockend erzählte er, wie er Lisa kennen und schätzen gelernt hatte. Dann stand er auf, ging zum Fenster und schaute in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Immer mehr sprudelten die Worte und Sätze wie ein Wasserfall aus seinem Mund. Als hätten sie sich über Monate in ihm gestaut und nur auf ein Ventil zum Ablassen gewartet. Ich schaute nur seinen Rücken an und wollte nicht glauben, was ich hörte. Gleichzeitig war ich unfähig, ihn zu unterbrechen oder ein Wort zu sagen.

Manchmal fuhren seine Arme fahrig durch die Luft. Es schien, als hätte er mich völlig vergessen.

Bis ins kleinste Detail erzählte er:

Wie er Lisa aufgesucht hatte und das Nachtsichtgerät für ihren Einsatz gebracht hatte.

Wie sie ihm aus Versehen den Kaffee über die Hose geschüttet hatte.

Wie er sich im Badezimmer die Hose ausgezogen hatte und trocknen wollte.

Wie sie nach ihm geschaut und sich an ihm vorbeigedrängt hatte, um ihm ein Handtuch aus dem Schrank zu geben. Wie sie dabei vor ihm stehen geblieben war und sich an ihn gedrückt hatte.

Wie er schließlich die Kontrolle über sein Gleichgewicht und dann über sich selbst verloren hatte und sie beide in der Badewanne und später im Bett gelandet waren.

Er ließ bei seiner Schilderung noch nicht einmal aus, wie er sich gefühlt hatte und was er dabei empfunden hatte. Wie er Lisa in diesen Augenblicken gemacht und begehrt hattee.

Es schien, als wollte er mit der Vergangenheit abrechnen, reinen Tisch machen.

Aber geliebt, nein, das hatte er sie nicht. Lieben würde er nur mich. Seiner Meinung nach war es ein Ausrutscher gewesen. Er war von ihr verführt, übertölpelt worden.

Als er abschließend leidenschaftslos, fast nüchtern bemerkte, dass Lisa außerdem jetzt tot sei und sie keine Gefahr mehr bedeuten würde, stand ich wortlos auf, zog mich an und verließ das Haus. Mir fehlten die Worte. Ich konnte nichts dazu sagen, ich konnte ihn noch nicht einmal mehr ansehen. Planlos lief ich durch das nächtliche Bonn. Als es dämmerte, drehte ich den Schlüssel um und betrat wieder unsere Wohnung. Mein Mann saß noch immer auf dem Sofa und starrte die Zimmerdecke an und dann mich.

Keiner von uns sagte ein Wort. Ich ging ins Schlafzimmer und schloss mich dort ein. Als ich am nächsten Tag kurz vor Mittag ins Wohnzimmer ging, war Ronni nicht mehr da. Auf dem Tisch lag ein Zettel, auf dem stand lediglich, dass er zum Büro gefahren war und dass er mich anrufen würde.

Gegen Mittag klingelte das Telefon. Im Display erkannte ich die Nummer von Ronnis Büro und überlegte, ob ich abheben sollte. Ich entschloss mich, nicht abzuheben. Nach fünf Minuten klingelte es erneut. Es war wieder seine Nummer. Ich ließ es lange klingeln, nahm dann doch ab, ohne mich zu melden.

„Ich bin es“, begann er, als wenn ich das nicht wüsste.

„Können wir heute Abend noch mal darüber reden? Es tut mir wirklich so leid. Ich liebe dich doch.“

„Wir haben bisher all die Monate nicht darüber geredet. Nur du hast in der vergangenen Nacht geredet. Demzufolge brauchen wir also nicht noch mal darüber zu reden. Du hast alles gesagt, was es zu sagen gibt. Ich brauche Zeit.“

„Das verstehe ich ja. Wie soll es denn mit uns weitergehen?“

Seine Stimme klang zaghaft und zitterte leicht. Ich hatte den Eindruck, dass ihn seine Schuldgefühle quälten. Das gab mir Sicherheit und Oberwasser.

„Das kann ich dir jetzt noch nicht sagen. Wir werden sehen.“

Nach diesen Worten legte ich auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich hatte anfangs nicht gedacht, dass dieses Gespräch mir so gut tun würde. Mir war mit einem Male klar, dass ich ihm nie würde vergeben können. Und noch etwas wurde mir klar. Ich würde mich für die Verletzung, für die Erniedrigung, die er mir zugefügt hatte, rächen. Ich wollte ihn leiden sehen.

Die nächsten Tage waren schrecklich. Es herrschte eisige Kälte. Ich spürte, wie er darunter litt. Er war äußerst aufmerksam und hin und wieder versuchte er, ein Gespräch zu beginnen. Ich ignorierte seine Aufmerksamkeiten und sagte nur das äußerst Notwendigste.

In mir war nicht nur etwas beschädigt, in meinem Herzen war etwas zerbrochen. Trotz allem konnte ich nicht den großen, entscheidenden Schritt machen und ihn verlassen.

Es war noch etwas da, was mich davon abhielt. Ich weiß bis heute nicht, was es war. War es ein Rest von Liebe oder war es die Sehnsucht nach Rache? Wollte ich nur bei ihm bleiben, um das Vergnügen zu genießen, ihn leiden zu sehen, wenn ich mich rächen würde?

In den kommenden Wochen besserte sich unser Zusammenleben. Wir gewöhnten uns beide an die Situation. Über Lisa oder über die Nacht seines Geständnisses verloren wir kein Wort mehr.

Irgendwann konnten wir an manchen Tagen sogar wieder miteinander lachen. Ein Fremder hätte vielleicht nicht einmal bemerkt, dass in dieser Ehe etwas vorgefallen war, das in vielen Ehen einen normalen Umgang miteinander unmöglich gemacht hätte.

Eines Abends, ich weiß nicht mehr wie lange es nach der Nacht der Wahrheit war, schliefen wir wieder miteinander. Bei mir war es die Lust auf Sex. Was Ronni dabei fühlte, kann ich nicht sagen, Wahrscheinlich war es bei ihm mehr.

Im September hatte er die Idee, dass wir zusammen eine Woche Urlaub machen sollten. Weit weg vom Einerlei des Alltags. Irgendwohin, wo es schön und warm wäre. Er fand, dass sich unsere Beziehung verbessert habe und ein Urlaub ein „weiterer Schritt in die richtige Richtung“ sei. Er schlug einen Wanderurlaub auf Mallorca vor. Grundsätzlich stand ich diesem Vorschlag nicht abgeneigt gegenüber. Mallorca, Spanien, meine Heimat, Sonne, Wandern. Ja, ich stimmte zu.

Wir hatten Glück und konnten eine Last-Minute-Reise nach Port de Sóller buchen. Ein schöner, kleiner Küstenort an der Nordwestküste der Baleareninsel in der Region Serra de Tramuntana. Eine hervorragende Wanderregion.

Einige Tage vor dem geplanten Reisetermin erhielten wir die Reiseunterlagen. Als ich sie in meinen Händen hielt, stellte sich bei mir eine starke Vorfreude ein, die ich bisher noch nicht verspürt hatte. Anders als bei unseren bisherigen Reisen richteten sich die Freude und die Spannung nur auf die Reise, das Land und die damit verbundenen Annehmlichkeiten. Ronni spielte in meinen freudvollen Vorstellungen keine Rolle. Ich verhielt mich ihm gegenüber reserviert. Ich wollte die Freude nicht mit ihm teilen. Sie sollte nur für mich reserviert sein.

Auch Ronni verhielt sich anders als sonst. Angespannt, nervös, oder war es eine Reaktion auf meine Reserviertheit? Er sagte zwar, dass er sich freue, aber sein Mienenspiel und sein Tonfall unterstrichen diese Worte nicht.

Am Tag vor unserer Abreise sagte er beiläufig, dass er noch einmal mit dem Wagen weg müsse. „Wir können die Koffer packen, wenn ich wieder zurück bin, meinte er.

Wäre ich nicht bereits ein „gebranntes Kind“ gewesen, hätte ich mir nichts dabei gedacht. In diesem Fall kam mir die Beiläufigkeit, wie er das sagte, zu beiläufig vor.

Ronni nahm den Schlüssel seines Dienstwagens und verließ unsere Wohnung. Zuerst starrte ich unentschlossen auf die geschlossene Wohnungstür. Doch mit einem Mal wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich nahm den Schlüssel unseres privaten Wagens und verließ ebenfalls die Wohnung.

Als ich den Zündschlüssel im Zündschloss umdrehte, konnte ich gerade noch sehen, wie er um die Straßenecke bog. Ich fuhr hinterher und bemerkte bald, dass er den Weg zur Autobahn einschlug. Er fuhr auf die Autobahn in Richtung Troisdorf und ich ließ mehr als ausreichend Abstand, damit er mich nicht bemerkte. In Troisdorf nahm er die Ausfahrt. Er durchquerte die Stadt und spätestens am Beginn der Altenrather Straße ahnte ich, wohin er wollte.

Er bog in die Heerstraße zum Waldfriedhof ein. Ich fuhr weiter geradeaus. Wenig später wendete ich und näherte mich dem Friedhof von der anderen Seite der Heerstraße. Meinen Wagen parkte ich in einer Seitenstraße.

Da ich ahnte, wohin er wollte, ging ich zu Fuß bis zum Zaun, der das Friedhofsgelände umgab. Ich war lediglich zur Beerdigung von Lisa auf diesem Friedhof gewesen, konnte mich aber erinnern, dass ihr Grab nicht weit von der Einzäunung entfernt war. Vorsichtig suchte ich eine Stelle, von der aus ich in Richtung Lisas Grab sehen konnte.

Da stand er – mein Ehemann, am Grab seiner verstorbenen Geliebten!

Wieso war ich so ruhig? Dieser Anblick hätte mich doch erschüttern müssen. Ich war einfach ruhig, heute würde ich sagen, eiskalt.

Ich hatte genug gesehen und musste mich beeilen, damit ich vor Ronni wieder in der Wohnung war.

Die zwanzig Minuten bis nach Hause überlegte ich, wieso er zum Grab von Lisa gegangen war?

War das eine Lüge gewesen, als er mir gesagt hatte, dass das damals nur ein Ausrutscher war? „Ich habe Lisa nicht geliebt, ich liebe nur dich“, hatte er geschworen. War das alles nur Schauspiel? War ich nur die Lückenbüßerin für Lisa? Ober hatte er nicht gelogen und wollte mit der Urlaubsreise neu mit mir anfangen und dieser Besuch am Grab war eine Art Abschied – Abschied für immer?

Ich fand keine Antwort und würde wahrscheinlich auch nie eine Antwort finden. Man kann nun einmal nicht in die Gefühlswelt und in die Gedanken eines anderen Menschen hineinblicken. Man sieht immer nur sein Gesicht, seine Reaktionen und Taten und vernimmt seine Worte. Man kann glauben was man sieht und hört – oder eben nicht.

Was ich bisher gesehen und gehört hatte, war deprimierend. Keinesfalls war es so erbaulich, dass man darauf ein Leben hätte aufbauen können.

Trotz allem würde ich am nächsten Tag den Urlaub antreten, das stand für mich felsenfest. Ich wollte leben und genießen.

Ronni sollte büßen und leiden und das wollte ich genießen. Vielleicht ergab sich im Urlaub bereits eine Möglichkeit, ihn leiden zu sehen. Andernfalls würde danach noch genügend Zeit und Gelegenheit sein.

Isabelle

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