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Scheitern ist nicht dasselbe wie moralisches oder ethisches Versagen
ОглавлениеScheitern und schuldig werden sind zweierlei. Der Mafia-Boss, der mit Drogenhandel ein Vermögen gemacht hat, lädt gewiss Schuld auf sich. Unentdeckt wird er sich aber nach irdischen Maßstäben genauso wenig als gescheitert erleben wie der Steuerbetrüger, dem das Finanzamt nicht auf die Schliche kommt. In christlicher Sprache sagen wir dazu »Sünde«. Andererseits wird, wer seinen Arbeitsplatz verliert und deswegen die Raten für sein Haus nicht mehr bezahlen kann, sich als gescheitert bezeichnen, auch wenn er den Arbeitsplatz unverschuldet verloren hat. Und sicher hat er nicht gesündigt.
Scheitern und Schuldigwerden kann auch zusammenkommen. Ein junger Mann konsumiert wider besseres Wissen harte Drogen, so dass nach einiger Zeit eine drogeninduzierte Psychose bei ihm ausbricht. Trotz mehrerer Klinikaufenthalte heilt die Psychose nicht aus. Die Krankheit ruiniert ihn und seine Familie. Sein Leben ist mehr oder weniger gescheitert. Schmerzlich wird ihm bewusst, dass er durch eigene Schuld dazu beigetragen hat.
Eine ethisch falsche Entscheidung, ein moralisches Versagen kann – muss aber nicht – dazu führen, dass jemand scheitert. Wer eine ethische Fehlentscheidung trifft, also tut, was er nicht tun dürfte, ist für diese Tat oder Unterlassung verantwortlich und lädt womöglich Schuld auf sich. Wenn er mit freiem Willen und in klarer Erkenntnis in einer wichtigen Angelegenheit etwas getan hat, was ethisch verwerflich und nach Recht und Gesetz verboten ist, kann er unter Umständen auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist beim Scheitern nicht so. Scheitern bedeutet nicht von vornherein, dass Sie etwas falsch gemacht haben und deswegen ethisch dafür verantwortlich und schuldig sind.
Ich gebe gerne zu, dass die Trennlinie im Leben nicht so scharf zu ziehen ist wie im Nachdenken. Von außen ist es immer schwierig zu beurteilen, wie viel eigene Schwachheit und wie viel Bosheit in einer Handlung enthalten sind und wie viel die äußeren Umstände und die Bosheit anderer dazu beitragen.