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Markus, Ursula 1

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Obwohl ich mit meinen Nachforschungen zunächst nur langsam vorankam, schienen die Tatsachen anfangs auf einer geradlinigen und überschaubaren Spur zu liegen. Bald schon brachte mich aber nicht nur der Tod meines ergiebigsten Zeugen in die größte Verlegenheit; in der misslichen Lage fiel mir auch noch meine Frau in den Rücken.

»Du schreibst über Maschine – du fühlst wie Maschine.« Wie oft schon musste ich mir dieses lieblose Urteil anhören! Auch: So abgebrüht wie ich könnten nur Journalisten sein, schämte sie sich nicht, mir an den Kopf zu werfen, und hatte damit in einem Abwasch die ganze schreibende Zunft in den Schmutz gezogen. »Du fühlst wie Maschine« – langsam ging mir sogar ihr Deutsch auf die Nerven. Ihre Ausbrüche fördern nicht nur zu Tage, was sie von mir hält, nein, sie werfen zugleich ein Licht auf den bedenklichen Zustand unserer Ehe.

Mein Gott, wie wenig weiß doch diese Frau von mir!

Es ist wahr, noch bevor ich halbwegs brauchbare Erkenntnisse gewonnen hatte, überschatteten tragische Vorkommnisse meine Untersuchungen. Darauf hatte sich Eugenia bei ihrer letzten Entgleisung bezogen, aber sie täuschte sich, wenn sie mich verdächtigte, ich sei herzlos darüber hinweggegangen, habe kaltblütig meine Arbeit fortgesetzt und ungerührt an meinem Text weiter geschrieben. Den Vorgängen stand ich einfach machtlos gegenüber, und vieles, was in diesen vierzehn Tagen geschah, war nicht mehr und nicht weniger als Schicksal. Es zeigte mir überdeutlich, wie Unbekanntes, Unberechenbares, Dunkles dann in unser Dasein tritt, wenn wir nicht daran denken, wenn wir es nicht brauchen können und nicht wahrhaben wollen. Ich hatte mich, wenn ich zurückdenke, in eine Geschichte verstrickt, die mich über das Leben mehr lehrte, als irgendetwas anderes zuvor.

Was aber Eugenia anging: War sie überhaupt noch verantwortlich für ihr Verhalten?

Den Anlass für die Rolle, die Markus Occhio in der Affäre spielte, gab die Lieferung von Forstmaschinen an eine Handelsvertretung in Wien. Forstmaschinen sind teuere und trotzdem für die allerfriedlichsten Waldarbeiten gedachte Konstruktionen. In diesem Fall aber war eine größere Anzahl davon an das zerfallende Jugoslawien verkauft worden, wo zu der Zeit niemand daran dachte, Bäume zu fällen oder Ast- und Rindenabfälle zu häckseln. Bei meinen Ermittlungen war ich auch auf den Erfinder der Maschinen gestoßen. Hatte er etwas damit zu tun? Warum wehrte er sich mit Händen und Füßen dagegen, dass sein Name in die Öffentlichkeit gelangte?

Bei meiner Suche nach den Hintergründen des Handels war Occhio derjenige, der mir am schnellsten brauchbare Informationen liefern konnte und sie auch zu liefern bereit war. Er wurde seit mehreren Wochen in einer Rehabilitationsklinik des Kurstädtchens K. behandelt, und seine Krankengeschichte erfuhr ich, bevor ich ihn dort besuchte, von seiner Frau.

Vor Jahren hatte ihn ein Herzinfarkt angefallen, nach dem nichts mehr war wie vorher: Atembeschwerden bei jedem unpässlichen Wetter, besonders bei Wetterumschwüngen, aber auch, wenn er beim Gehen in seinen eiligen Schritt verfiel, oder wenn sein Weg nur geringfügig anstieg. Am meisten aber peinigten ihn die nächtlichen Angstzustände und Albträume. Immer, wenn er dann alleine war, erfasste ihn eine Panik, die seinen ganzen Körper in Aufruhr versetzte. Er war froh, in der Klinik andere Patienten, Ärzte und das Pflegepersonal um sich zu haben, denn in ihrer Mitte fühlte er sich weniger gefährdet.

Dieses Mal hatten seine Beschwerden gar nicht mehr aufgehört und er spürte ein gleichbleibendes Stechen in der »Pumpe«. Markus Occhio konnte den Techniker in sich nicht verleugnen; die intensive Beschäftigung mit Fragen der Hydraulik in den letzten Jahren war ihm bis in seine elenden Tage hinein gegenwärtig geblieben. Das brachte mit sich, dass er sein Herz nie mehr Herz sondern »meine Pumpe« nannte. Sie hatte in seiner Vorstellung eine einfache und klare Funktion: Blut ansaugen, Blut weiter drücken. In den Hydrauliksystemen, mit denen er beruflich befasst war, trat allerdings der Defekt, der ihm zu schaffen machte, nicht auf. Er hatte nie von einer Pumpe gehört, die wie sein Herz von Ablagerungen zugesetzt war. War der Schöpfer da vielleicht unaufmerksam gewesen?

Was ihm früher kaum vorkam: Jetzt in der Klinik ertappte er sich immer wieder einmal dabei, mit Gott über sein Schicksal zu hadern. »Mein Lieber«, schimpfte er dann etwa auf einem Spaziergang im Park, »als DU den Menschen erschufst, gab es noch keine hydraulischen Systeme. Aber wenn DU der Allmächtige und Allwissende bist: Hättest DU die technische Entwicklung bei uns hier unten nicht voraussehen müssen? DU hättest einiges von uns abschauen können. Würde einem, der doch über allem steht, eine Perle aus der Krone fallen, wenn er zugäbe, dass unsere irdischen Hydrauliksysteme auch manches für sich haben?«

Es war wirklich so: Als man begann, Drücke und Bewegungen mit Öl zu übertragen, erkannten die Techniker schnell, wie in der zirkulierenden Flüssigkeit an x Stellen Verschmutzungen entstehen können, und auch Markus Occhio wusste es nur zu gut: Damit feinster Abrieb von den sich drehenden und hin und her gehenden Teilen in Pumpen, Zylindern und Ventilen, aber auch Alterungsprodukte des Öls dem Kreislauf nicht gefährlich wurden und kostspielige Ausfälle verursachten, sicherte man jedes System mit einer ausreichenden Zahl Filtern, Sieben und Magnetstäben ab. Wurden diese Schmutzsammler regelmäßig ausgetauscht, dann durfte man sicher sein, dass die Anlage so und so viele Stunden ungestört weiter arbeiten würde.

Seinem Reden zum Heiler allen Schmerzes verlieh Occhio mit theatralischem Fuchteln der Hände und Arme Nachdruck. Krankenschwestern und Pfleger, die ihn im Vorbeigehen oder durch die Fenster beobachteten, lästerten, offensichtlich sei nicht nur sein Herz angeschlagen, sondern nun beginne es auch im Kopf. Seinen unsichtbaren Gesprächspartner stellte sich Occhio vor wie jenen gekrönten Gottvater, den ein begnadeter Künstler des späten Mittelalters für den Hochaltar seiner Heimatkirche geschnitzt hatte. Eigentlich sprach er mit ihm, denn er war wie sein Freund, wie sein eigener Vater. Weil er ihn oft betrachtet und bewundert hatte, war er im Laufe der Jahre vertraut mit ihm geworden. Ihn versuchte Occhio zu Beginn seines Klinikaufenthalts in Streitgespräche zu verwickeln, denn er fühlte sich einsam und hatte deshalb Zeit dafür. Dass sein Gottvater nicht antwortete, erboste ihn anfangs. Doch er sah es ein: Es musste dem Himmel lächerlich erscheinen, wenn ihm ein Herzkranker mit menschlichen Erfindungen kam. Nach zwei Wochen glaubte Occhio, der Allerhöchste antworte ihm gerade dadurch, dass er still blieb, und er begann selbst still zu werden. Seine Gespräche und Fuchteleien wurden weniger, hörten schließlich ganz auf, und zuletzt war er nur noch Hörender. In diesem Zustand fühlte sich Markus Occhio seltsam glücklich und gelöst. Seine Frau wunderte sich, dass er ihr davon erzählte, denn das Thema Gott war in ihrer Ehe gänzlich ausgespart geblieben und so wusste sie nicht recht, wie sie umgehen sollte mit dem ungewohnten Gesprächsstoff.

Wenn er dann aber wieder in seine hydraulische Gedankenwelt verfiel, ging Occhio die Kavitation durch den Sinn, jenes Phänomen, das ihnen beim Prototyp der FOM – so bezeichnete man die Forstmaschine firmenintern – schwer zu schaffen gemacht hatte. Auch sie war etwas, was es im menschlichen Herzen nicht gab. Diese hinterlistige Kavitation! Sie ist in der Lage, aus einer Pumpe feinste Metallteilchen herauszuschlagen. Es brauchte nur an einerStelle des durch die Rohre schießenden Öls ein Unterdruck zu entstehen, dann bildeten sich Dampfbläschen, die kurz danach zusammenbrachen, implodierten, und – fast unvorstellbar – wie kleine Meißel auf das Metall eindroschen. Beim Blutpumpen allerdings konnte sich Occhio deren Existenz nicht vorstellen. Hier schien DER, dem nichts verborgen ist, alles richtig dimensioniert zu haben: Das Blut wurde in keiner Ader so schnell, dass ein Unterdruck entstand. Insofern hinkte sein Vergleich zwischen technischen Hydrauliksystemen und dem menschlichen Blutkreislauf, und er bat seinen fernen Gesprächspartner, der ihm nur dadurch antwortete, dass er still blieb, augenzwinkernd um Verständnis für manche Wissenslücken seinerseits. Trotzdem wollte er den Vorwurf deutlich ausgesprochen haben: Herr, es ist doch unter DEINER Würde, den nach Fortschritten lechzenden Menschen so unfaire physikalische Stolperfallen wie die Kavitation in den Weg zu legen.

Es half nichts: Bei ihm, bei Markus Occhio, waren Filter – sah man von den besonderen Funktionen der Leber und der Niere ab – nicht vorgesehen, und so lag er, er wusste schon nicht mehr, zum wievielten Mal, in der Klinik zur Beobachtung und hoffte, dieÄrzte würden ihn bald wieder einigermaßen hergestellt haben – »eingestellt«, sagten sie, und das Wort gefiel ihm, erfüllte ihn mit Vertrauen. Auch empfand er es als große Erleichterung, als man nach dem zweiten Klinikaufenthalt seinem Rentenantrag stattgegeben hatte. Dass die ewigen Aufregungen und Spannungen im »Geschäft«, wie er seine Arbeitsstelle nannte, ein gerütteltes Maß zu seinem Leiden beigesteuert hatten, davon war er überzeugt. Was er freilich auch nicht bestreiten konnte und was ihm die Ärzte oft genug vorhielten: Mit übermäßigem Rauchen hatte er seine Pumpe durch eigenes Zutun mehr geschädigt als der schlimmste Stress es je vermocht hätte. Dass man ihm gleich auch noch eine seiner großen Freuden verbot, das Waldhornspielen, nahm er nicht so ernst; den ersten Hornisten beschwichtigte er noch in der letzten Probe: »Lass den Doktor reden: In einem viertel Jahr werden wir weiter sehen.«

Occhios Frau war es immer unbegreiflich, wie er sein Herz mit einem Erzeugnis aus kaltem Metall, mit einem Gerät aus Kolben und Lagerbuchsen, aus Dichtringen, Leckölleitungen und Schrauben in Zusammenhang bringen konnte. Sie hatte eher romantische Vorstellungen vom Herzen und von seiner Rolle im Leben der Menschen. Wie den Altvorderen war es für sie gleichbedeutend mit dem Sitz der Seele, auch wenn sie von dieser nicht einmal annähernd hätte sagen können, was und wie sie sei.

Eines Morgens fiel Occhio in der Zeitung eine Notiz auf: Die Staatsanwaltschaft sei einem Handel auf der Spur, wurde berichtet, bei dem zu Kanonen umgebaute Harvester über Österreich ins balkanische Krisengebiet geliefert worden waren. ‚Harvester‘ nannte man solche Maschinen in Fachkreisen, die es geradezu mit Leidenschaft vermieden, Dinge mit ihren deutschen Namen zu bezeichnen. Markus Occhio allerdings gefielen fremde Ausdrücke, weil er mit ihnen stets Geheimnisvolles verband. Er verwendete sie sogar mit Lust, obwohl ihm das Englische ein Buch mit sieben Siegeln war. Als ihn an jenem Nachmittag seine Tochter mit den Enkelkindern besuchte, zeigte er ihr den Zeitungsbericht und sagte: »Ich bin gespannt, wie meine Firma ihren Hals aus dieser Schlinge ziehen wird.« Occhios ehemaliger Arbeitgeber wurde in dem kurzen Artikel allerdings nicht namentlich erwähnt.

Am Tag danach machte ich mich in die Klinik auf, zu der ich eine knappe Stunde von meinem Wohnort aus zu fahren hatte. Als ich im 2. Stock vor Occhios Tür stand, klopfte ich an und betrat auf ein »Herein« das Krankenzimmer.

Mir stand ein kleiner, drahtiger Mann gegenüber, der in einem grünroten Morgenmantel mit etwas zu lang geratenen Ärmeln steckte. Auf der rechten Kopfseite zog sich eine grausig aussehende, blaugrüne Verfärbung von der Stirn über das Auge zum Wangenknochen herab. Interessiert blickten mich durch große Brillengläser hindurch Augen an, die mir trotz des Flecks nicht den Eindruck eines kranken Menschen machten. Man weiß es ja: Die heutigen medizinischen Möglichkeiten können bei todkranken Menschen blühendes Leben vortäuschen. Ich sah den Schulfreund vor mir, den ich ein Jahr zuvor im Krankenhaus besucht hatte und der an Krebs litt. Obwohl er unverklemmt über sein böses Leiden sprach, kam auch er mir nicht vor, als sei er leidend, wenngleich er sehr abgemagert war. Eine Woche nach meinem Besuch las ich in der Zeitung in großen Lettern seinen Namen – in seiner Todesanzeige.

Ich bat Occhio, die Störung zu entschuldigen, und da ich dabei wohl etwas gehüstelt hatte, sagte er als Erstes: »Sie rauchen.«

»Leider ja.«

»Geben Sie’s auf«, belehrte er mich, »sonst sind Sie auch bald hier.«

Seit Jahren sei ich dabei, tröstete ich den so unerwartet um mich Besorgten, mich von dem Laster zu befreien. Ich zog ein Camel-Päckchen aus der Brusttasche, zeigte es ihm, verdrehte hilflos die Augen und steckte es wieder ein. »Unstihl, Hans-Gerd Unstihl – ich komme«, klärte ich ihn auf, »vom BRENNPUNKT«.

Jaja, sagte er, seine Frau habe ihm von einem Zeitungsmenschen erzählt, der darum gebeten habe, ihn besuchen zu dürfen.

Da ich nicht mit der Tür ins Haus fallen wollte, erkundigte ich mich nach seinem Leiden.

»Nicht das blaue Mal hier ist es«, beeilte sich Occhio zu sagen und umkreiste die Verfärbung mit der Hand. Vorgestern sei er gestolpert und gestürzt, vor dem Klinikeingang, so eine Schande, wenigstens zwei Dutzend Menschen hätten es mitangesehen, ein Schwächeanfall, wie aus dem heiteren Himmel. »Nein. Die Pumpe«, sagte er dann seufzend und pochte mit den rund zusammengenommenen Fingerspitzen ein paar Mal auf seine Brust, »die Pumpe, Herzinfarkt. Mit meiner Pumpe ist nicht mehr viel los.« Occhio sprach mit einem auffällig rollenden R. Eine Krankenschwester, die ohne anzuklopfen mit einem Tablett voller Arzneien hereingekommen war, hatte diese letzte Bemerkung Occhios gehört.

»Nehmen Sie’s nicht zu tragisch, Herr Otschio«, sagte sie beschwingt, »wir haben Sie im Griff. Hier ist Nachschub.«

Ich hatte sie sofort erkannt: Ursula! Dass ich schon gleich bei seiner Frau geklärt hatte, wie »Occhio« auszusprechen sei – nämlich wie ‚Ockio‘ – dies gab mir ein Gefühl des Vorsprungs, als ich vernahm, dass Ursula ein ‚Otschio‘ daraus machte. Occhio selbst schien es nicht zu stören, wenigstens korrigierte er sie nicht.

»Solche optimistischen Menschen braucht man in meinem Zustand«, bemerkte er lächelnd, als sie wieder draußen war. »Und gerade sie tut mir gut. Sie ist ja auch eine Augenweide, wie Ihnen nicht entgangen sein wird.«

Ich schluckte trocken: Ursula. Ja, das war sie früher schon gewesen: eine Augenweide. In ihrer Geschäftigkeit war ich wahrscheinlich gar nicht in ihren Blickhorizont geraten, was mir sehr entgegen kam, denn es hätte mir vielleicht nur Unannehmlichkeiten gebracht.

Ich wolle ihn nicht über Gebühr belästigen, sagte ich zu Occhio und kam mir etwas verlegen vor; ich sei beauftragt, im BRENNPUNKT über einen Handel zu berichten, in den ein deutscher Maschinenhersteller verwickelt sei. Bei meinen ersten Recherchen sei mir sein Name genannt worden. Ich hätte erfahren, dass er, Occhio, Einblicke in technische Einzelheiten der Maschinen habe, um die es in der Angelegenheit gehe.

»Nehmen Sie doch Platz,« sagte Occhio und zog einen Hocker unter dem kleinen, in der Ecke stehenden Tisch heraus. Dann blätterte er auf seinem Nachttisch in einem Berg Postkarten, Briefen und Zeitungen, und legte eine ausgeschnittene Zeitungsnotiz vor mich hin: »Meinen Sie das hier?« Ich nickte und dachte daran, dass man von mir verlangte, dem Staatsanwalt zuvorzukommen.

Occhio hatte von meinem ersten Wortschwall offensichtlich einen trockenen Mund bekommen, denn er füllte ein auf dem Nachttisch stehendes Glas zweimal mit Mineralwasser und trank es beide Male in einem Zug leer. Schüchtern fragte er, ob ich mehr wisse als das, was in der Tageszeitung stand. Ich habe mir in solchen Dingen über die Jahre jenen Stil angeeignet, der in unserem Beruf oft genug auf eine Beschwichtigung des Gesprächspartners hinausläuft, und so fuhr ich fort, er werde sich mit seinen Aussagen ganz und gar nicht verdächtig machen, zumal er ja nicht mehr in seiner Firma tätig sei. Sein Name, beruhigte ich ihn, werde, falls er mir Informationen gebe, in dem Bericht natürlich nicht genannt, er werde auf jeden Fall geändert. Was ich benötige, seien verlässliche Fakten, denn der BRENNPUNKT sei, wie er bestimmt wisse, als seriöses Nachrichtenmagazin bekannt, das einen Namen und Leser zu verlieren habe und ich einen Job dazu, falls ich Erfundenes oder gar Unwahres veröffentliche.

»Ich will Sie zu nichts drängen, wäre aber trotzdem für Details dankbar. Ich kann Ihnen ein Honorar anbieten, das sich, wenn Sie nicht zu zimperlich sind, durchaus auf der Ebene von tausend Mark bewegen würde.«

Occhio formte seine dicken, blutleer gewordenen Lippen zu einer kunstvollen Rundung und entließ einen erstaunten Pfiff.

»Dafür müsste ich Näheres über gewisse Eigenschaften der Forstmaschine der Firma Moll erfahren, aber auch, was Sie über den Weg wissen, den die Maschinen ins Ausland genommen haben.«

Occhios Pumpe hatte, wie er mir am Tag darauf verriet, unter diesem unerwarteten Überfall zu schlagen begonnen, als hätte er ihr »einen Marsch auf die Zugspitze« zugemutet.

Ich spürte, wie es in Occhio arbeitete. Er nestelte an den Bügeln seiner Brille herum und sagte dann mit unsicherer Stimme: »Das kommt mir zu schnell – ich muss mir Ihr Ansinnen durch den Kopf gehen lassen.« Ich möge mich doch morgen Nachmittag – er zog einen auf dem Tisch liegenden Terminplan zu sich her, um sich zu vergewissern – ja, morgen Nachmittag, das gehe in Ordnung, möge ich mich nochmals vorbei bemühen. Es sei ihm aber lieber, setzte er hinzu, wenn ich nicht ins Krankenzimmer, sondern in die Cafeteria im vierten Stock käme, gegen vierzehn Uhr dreißig.

Occhio fand keinen Schlaf in der folgenden Nacht. Bei der Visite kommentierte der Oberarzt die Vormittagsmessungen mit: »Mein lieber Herr Occhio, mit so schlechten Werten sind Sie uns noch nie gekommen, seit wir Sie in unserer Obhut haben. Ich verstehe das nicht recht! Konstatierten wir bis jetzt nicht eine durchgängige Besserung?« Er heftete seinen Blick auf die neben ihm stehende Oberschwester. Doch, so sei es, bestätigte die Schwester und fuchtelte mit dem Krankenblatt in der Luft herum.

»Das hängt bestimmt mit meiner schlaflosen Nacht zusammen«, versuchte Markus Occhio zu erklären.

»Sollten die Werte morgen nicht besser sein, müssen wir etwas unternehmen.« Der Oberarzt lächelte freundlich wie immer und klopfte nach dieser Occhio recht nebulös erscheinenden Auskunft seinem Patienten kumpelhaft auf die Schulter, bevor er mit seinem Anhang aus dem Zimmer segelte.

Markus Occhio setzte sich an seinen Tisch und schaute auf eine Zeitung, ohne zu lesen. Wieder dachte er: Tausend Mark! Hört sich nicht schlecht an für die Beschreibung einer Angelegenheit, die genügend anderen in der Firma auch bekannt war. Er beschloss in diesem Moment, dafür einiges preiszugeben. Alles würde er diesem Journalisten nicht sagen, denn es gab Erlebnisse, wie beispielsweise jenes Treffen in Hannover, über die nie etwas nach außen dringen durfte. Sogar Mallör hatte er die Party unterschlagen. Wenn er Unstihl richtig verstanden hatte, war der in erster Linie an technischen Details interessiert. Über den Transport der Harvester nach Österreich gab es nichts Spektakuläres zu berichten. Bevor er Unstihl gegenüber den Mund auftat, würde er jedoch eine Unterschrift verlangen, mit der er den Journalisten verpflichtete, seinen Namen geheim zu halten. Und das Honorar würde er unverzüglich dem Altenstift überweisen.

Occhios Gedanken blieben in Hannover hängen, an diesem seltsamen Abend in Hannover.

Rechnung ohne Wirt

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