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Am Sonntag ging die Ausstellung zu Ende. Am Freitagabend davor tafelten zwölf Personen in dem am Rande der Stadt liegenden Anwesen von Wieland Dietrich, Kunstprofessor und Vorsitzender des Ausschusses »Gutes Design« der deutschen Wirtschaft. Eingefädelt hatte das Treffen C-Moll – so wurde Carsten Moll von allen genannt. Schon bei der Verleihung des Preises an Mallör hatte Moll Occhio informiert, gegen Ende der Messe sei ein Kontaktförderungstreffen geplant; er solle »gut aufpassen« und später ein Protokoll über die wichtigsten Aussagen anfertigen, während des Treffens jedoch möge er keine Aufschriebe machen. Er hielt ihn an, niemals mit irgendjemandem, auch nicht in der Firma, über die Veranstaltung zu reden.

Auch mit Mallör nicht? Das würde C-Moll dann wohl selbst übernehmen. Mallör war bereits Donnerstag früh auf eigenen Wunsch zurückgereist, um bei der Bearbeitung des neuen Auftrags keine Zeit zu verlieren.

Vor dem Treffen bei Wieland hatte der größere Teil der Teilnehmer zusammen das Theater besucht. Occhio fand es schon fast makaber, dass man vor das Ganze die Aufführung des »Freischütz‘« gesetzt hatte. Wenn doch, wie in dieser Oper, der Teufel bei den Jugoslawien-FOM auch nur jede siebte Kugel abschösse! Am Ende des Abends war Occhio vielmehr, als habe der Satan den FOM-Handel ganz und gar an sich gerissen. Und doch hatte er sich der Theateratmosphäre, der eingängigen, einschmeichelnden romantischen Musik, entspannt hingegeben. Es tat ihm gut, einmal in eine ganz andere Welt einzutauchen als die, die er dauernd erlebte: Maschinen, Hydraulik, Arbeitsdruck, Reklamationen, Ärger mit den Mitarbeitern, die Besserwisserei, das Misstrauen des Chefs. In der Dunkelheit des Opernsaals dachte er mit Bedauern daran, wie wenig Platz er Kulturgenüssen in seiner Freizeit einräumte. Dies wollte er bald ändern.

Vor dem von einem Traiteur servierten opulenten Mahl, das Professor Dietrich genutzt hatte, die Anwesenden noch einmal offiziell einander vorzustellen, begab sich die Gesellschaft über eine breite, geschwungene Treppe hinauf in den riesigen Wohnraum in der 1. Etage. Occhio fielen großformatige Bilder an den Wänden auf, durchweg abstrakte Malerei, mit der er wenig anzufangen wusste. Dagegen imponierte ihm das Ambiente insgesamt, das die Kunstwerke dem Raum verliehen. Was genau ihm behagte, hätte er nicht sagen können. Es waren wohl die Farben, die in ihrer Komposition und Ausgewogenheit angenehm und beruhigend auf ihn wirkten. Auf dem Boden stand eine Vase mit einem gewaltigen Strauß von wenigstens hundert Rosen. Occhio vermutete hinter dieser Pracht Moll als Urheber, der Rosen über alles liebte. Rosen gehörten zu seinem Büro wie der Blick von dort über das Tal auf die Buchenwälder. Auch hier war es genau Molls bevorzugte Art, eine langstielige Sorte mit tiefroten, fast schwarzen Blüten.

Sie nahmen in im U aufgestellten Ledersesseln Platz. So hatten sie alle auch den Rosenstrauß im Blick. In der Runde saßen Professor Dietrich und seine beim Ausschuss »Gutes Design« beschäftigte Assistentin, zu ihrer Rechten Carsten Moll mit Gattin und Chefsekretärin. Schon gleich mit seinem Sessel an sie herangerückt war Milan Brankovic, ein athletischer, gut aussehender Mensch, etwa um die vierzig, den der Professor als serbischen Maschinenhändler und Partner von Dr. Riscisc vorgestellt hatte. Die Sekretärin schien – Occhio beobachtete es mit einigem Neid – die Nähe des Charmeurs zu genießen. Dr. Riscisc, Generalvertreter aus Wien, seine Gattin sowie Holzbaumer, Abteilungsleiter bei Riscisc, folgten. Den Kreis beschlossen Dr. Justus von Woehle, Abgeordneter und Sprecher des Wirtschaftsausschusses im Landtag, Occhio und Holleweg, der Verkaufsleiter von Moll.

Professor Dietrich und die Assistentin reichten Champagner. C-Moll bestimmte, man werde nun auf das Wohl aller und besonders auf den guten Verlauf der Messegeschäfte anstoßen.

Danach erhob sich der Abgeordnete.

Er sei sehr gerne hergekommen, sagte er, da er jedoch am folgenden Morgen mit einer Regierungsdelegation nach Saudi-Arabien fliege, müsse er den round table leider schon bald verlassen. Herr Carsten Moll, der ihm seit ihren gemeinsamen Zeiten auf dem Gymnasium ein teurer Freund sei, habe ihn zu dem meeting eingeladen; auch habe er wegen seines übervollen Terminkalenders ihm freundlicherweise erlaubt, als Erster ein kurzes statement an die Versammlung zu richten.

Dr. von Woehle sprach mit fast unangenehm starkem schwäbischem Akzent. Sein Bemühen, hochdeutsch zu reden, verunstaltete seinen Dialekt derart, dass es Occhio schmerzte.

Es sei ja nun kein Geheimnis, sagte er, dass sein Land der Förderung des technischen Fortschritts seit Langem höchste Priorität einräume und Kooperationen wie die zwischen der Firma Moll und Unternehmen in Jugoslawien nachdrücklich unterstütze. Er bedauere zutiefst, und dabei verschluckte er sich und führte seinen Zuhörern einen nicht enden wollenden Hustenanfall vor, dass der Balkanstaat eine so unerfreuliche Phase der Friedlosigkeit durchzustehen habe – das Wort Krieg nahm er nicht in den Mund. »Womit könnten wir krisengebeutelten Staaten besser zu neuer Stabilität zu verhelfen«, rief er pathetisch aus, »wenn nicht mit so harmlosen, friedlichen und doch hoch entwickelten Maschinen wie unseren harvesters?«

Occhio sah Brankovic verständnisvoll mit dem Kopf nicken. Ihm war ganz übel geworden, denn C-Moll hatte ihm beim Essen zugeflüstert, dieser dauernd lächelnde Brankovic sei nicht der Maschinenhändler, als den Dietrich ihn vorgestellt hatte, sondern Offizier der jugoslawischen Armee. Das müsse er aber unbedingt für sich behalten.

Nur bedauerlich, meinte von Woehle, dass Herr Mallör, der Schöpfer dieses technischen Wunderwerks, nicht anwesend sei. Der verehrte Herr Professor Dietrich – von Woehle machte eine knappe Verbeugung zum Professor hin, himmelte dabei aber dessen reizende Assistentin an – habe ja Herrn Mallör am Dienstag den wohlverdienten »Award of Best Design« überreichen dürfen. Ihm selbst habe man die Frage gestellt, ob die Landesregierung solche deals unterstütze. Dazu könne er, erklärte von Woehle etwas verspannt und rückte seine Fliege zurecht, im Moment zwar nichts Definitives sagen, aber er werde das Problem einer Klärung zuführen, denn Frieden stabilisierende connections wie die vorliegenden stießen bei den Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium durchaus auf open ears.

Dr. Riscisc übersetzte dem des Deutschen nicht mächtigen Brankovic von Woehles Einlassungen flüsternd ins Ohr.

Man möge ihm nachsehen, sagte von Woehle zum Schluss, wenn er in etwa einer halben Stunde die Party verlasse, weil er, wie gesagt, morgen in aller Frühe a flight to Saudi habe. Aus nahe liegenden Gründen benötige man dort leider keine harvesters, außer eventuell bei Oasenrodungen. Es gebe fast nur Steine, sands und desert da unten. Nur: Speziell über die Oasenrodungsproblematik mit ihrem ganzen background an klimatechnologischen Problemkomplexen besitze er kein präzises know how, werde sich jedoch kundig machen und spätestens in einer, zwei Wochen in der Lage sein, Herrn Moll weitere informations zu diesem Aspekt zukommen zu lassen. Im Moment seien Solaranlagen der Hit und er jette nicht zuletzt deswegen an den Golf, um nach dem Rechten zu sehen, weil hinter dem Solargeschäft inzwischen auch die Japaner her seien und offensichtlich mächtig pression machten. Er selbst sei sich jedoch der kausalen Rolle der das Ganze so schwierig gestaltenden Nationalitätssensibilitäten durchaus bewusst.

Occhio war angewidert; er hatte regelrecht Kopfweh bekommen. Während die Anderen dem Abgeordneten frenetisch Beifall klatschten, pochte sein Herz und er hatte wieder diesen unangenehmen, stechenden Schmerz auszuhalten. Nach von Woehles Gesülze schwor er sich, selbst nie mehr ein englisches oder amerikanisches Wort in den Mund zu nehmen. Um sich Luft zu verschaffen, neigte er sich zu seinem Nachbarn hinüber: »Na, Holleweg, ist dir nun klar, warum du es beruflich nicht weiter gebracht hast?«

Holleweg fingerte nach seinem Glas: »Ich bin höchst gespannt auf deine scharfsichtige Analyse, Occhio.«

»Weil du einfach nie den Mumm aufbrachtest, an Sir von Woehles verbale Explikationspotenz heranzukommen.«

»Und das muss ich mir von einem Bleistift spitzenden Harvesterbauer, wie du einer bist, sagen lassen?«

Occhio, vergnügt über die gelungenen Sprüche, schlug sein Glas so ungestüm an das Hollewegs, dass beide nach dem Zuprosten nur noch den Stiel zwischen den Fingern hielten. Die Gutes Design-Sekretärin rannte auf, kam mit Handfeger und Schaufel zurück und setzte sich wieder.

Noch während Holleweg die Scherben zusammenkehrte, richtete sich C-Moll in seinem Ledersessel auf und erhob das Glas. »Auf eine erfolgreiche Reise, Justus, und denke daran: Scherben bringen Glück!« sagte er vergnügt, und von Woehle prostete zurück.

Moll bedankte sich bei seinen Gästen für ihr Erscheinen und beim Professor dafür, dass er seine geschmackvolle Villa für den Anlass zur Verfügung gestellt habe. Sein besonderer Gruß galt Herrn Dr. Riscisc aus Wien und seiner charmanten Gattin, besonders aber Herrn Milan Brankovic aus Belgrad. Mit ihrem Auftrag von gleich zehn Forstmaschinen habe die RIHAG indirekt nicht zu unterschätzende Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Moll GmbH beste Qualität liefern werde und nun vor jeglicher Konkurrenz uneinholbar vorne liege, sofern es bei Forstmaschinen überhaupt eine solche gebe.

»Nicht wahr Herr Brankovic«, unterbrach ihn Riscisc mit lauter Stimme, und legte seinem Geschäftspartner jovial die Hand auf den Arm, »und wir freuen uns über die Absicht Ihrer Firma, mit der Moll GmbH einen Kooperationsvertrag abzuschließen; Sie geben damit den Weg frei, die Maschinen in Jugoslawien in Lizenz zu bauen.« Dies wiederholte er auf Serbisch und Brankovic, der notgedrungen von der Sekretärin abgerückt war, bestätigte es glucksend, denn er hatte sich nicht nur mit einem Glas zufrieden gegeben.

Dann erhob sich Riscisc. Er war eine schwergewichtige, aber gepflegte Erscheinung, um die sechzig Jahre alt, und Occhio beobachtete genüsslich, mit wieviel Mühe er sich aus seinem weichen Sessel herauswand. Doch da stand schon Brankovic vor ihm und streckte ihm die Hand entgegen. Mit der Hilfe des selbst nicht mehr ganz standsicheren Jugoslawen fand Riscisc das Gleichgewicht, zog seine Jacke zurecht, klopfte an sein Glas, und ließ seine sonore Stimme ertönen:

»Meine Damen und Herrn, es war eine exzellente Idee von Herrn Fabrikant Moll, zu diesem Gedankenaustausch einzuladen. Unser Treffen wird nicht nur Grundlage sein für neue Geschäftsverbindungen zwischen zwei kompetenten Partnern, den Firmen RIHAG und Moll, nein, wir werden auch die Beziehungen zu unserem jugoslawischen Auftraggeber intensivieren, die möglicherweise, wie schon erwähnt, in die Lizenzfertigung von Harvestern einmünden werden. Da die Maschinen für den Balkan wegen der besonderen Waldverhältnisse dort anders bestückt sein müssen als mitteleuropäische Harvester, haben wir mit Schweizer Herstellern Kontakt aufgenommen, die unsere Maschinen mit hoch spezialisierten Ausrüstungen und Aggregaten komplettieren werden. Ich freue mich, dass die Firma RIHAG auf diese Weise zu einer Konzentration und Stärkung des Harvestermarkts beitragen kann.«

»Hoch spezialisierte Ausrüstungen«, dachte Occhio verbittert. Nahm Riscisc ernsthaft an, dieses Wortspiel würde irgendeiner hier missverstehen? Dass ein Schweizer Hersteller nicht schon über die Ausrüstung für eine Maschine verfügen konnte, die erst als Prototyp bestand und deren Existenz Fachkreisen seit gerade einer Woche bekannt war, musste jedem klar sein. Nein, um welche Art von Ausrüstung es wirklich ging, zeigte die Anwesenheit dieses jugoslawischen Offiziers. Für die meisten hier galt Brankovic zwar als Maschinenhändler, aber von Woehle zum Beispiel, dieser verlogene Schwätzer, wusste genau, wer er war. Und die dubiosen Schweizer Hersteller? Wer weiß – Occhio durchfuhr es heiß – vielleicht saßen sie längst in ihren Startlöchern als Lieferanten für die Jugoslawien-Ausrüstung. Dann hätte man ihn, den Chefkonstrukteur der Moll, schamlos hinters Licht geführt. Er fühlte sich mehr als unwohl in seiner Haut. Unter diesen Umständen hatte er es nicht zu verantworten, wenn seine Firma nun dabei war, sich in eine unseriöse Situation hinein zu manövrieren.

Riscisc sagte nur noch: »Wir, die Firma RIHAG, werden für die Firma Moll ein verlässlicher Partner bleiben. Ich stoße mit Ihnen auf diese Partnerschaft an.«

Occhio blieb wie erschlagen in seinem Sessel sitzen.

Von alledem erfuhr Mallör, ganz nach C-Molls Wunsch, nie etwas.

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