Читать книгу Unersättlich - Hermann Mezger - Страница 4

2. Kapitel

Оглавление

Eine große Reisetasche in der Hand und den Trenchcoat lässig über die Schulter geworfen, betrat Bramme die Ankunftshalle. Die verglasten Gänge wirkten sauber und modern, und im Vorbeigehen blieb er kurz stehen, um im Spiegelbild seinen Kragen zu richten. Er trug ein weißes Leinenhemd, dessen Ärmel hochgekrempelt und dessen obere Knöpfe geöffnet waren und das er ungezwungen in seine cremefarbene Hose gesteckt hatte. Das Blond seiner Haare schimmerte leicht bronzefarben im diesigen Licht, das durch die oberen Fenster fiel, und durch das getönte Orange der Sonnenbrille auf seiner Nase konnte man gerade noch ein Paar meerblaue Augen funkeln sehen.

Zufrieden wandte er sich ab und ließ seinen Blick suchend über die vielen Wartenden schweifen, die mit Schildern und Zetteln ausgerüstet dastanden, um Passagiere in Empfang zu nehmen. Comissario Vilar jedoch, der sich ihm mit einem Prospekt in der Hand zu erkennen geben sollte, war nirgends zu entdecken. Bramme runzelte leicht die Stirn, doch gleich darauf verwandelte sich sein Unmut in ein mattes, nostalgisches Lächeln: Das fing doch gut an! Ganz so, wie er es kannte.

Während Bramme noch da stand und ein zweites Mal die Gesichter der Menschen durchforstete, wurde er von den anderen Passagieren einfach weitergeschoben. Sich in der Menge treiben lassend, richtete er den Blick zur Decke und erfreute sich des strahlend blauen Himmels. Plötzlich tauchte neben ihm ein gut genährter, junger Mann mit pechschwarzen Haaren auf und legte ihm die Hand auf die Schulter

„Willkommen in Portugal, Senhor Bramme. Mein Name ist Vilar. Pedro Vilar!“

Sie schüttelten sich lächelnd die Hände, und Bramme fielen die strahlend weißen Zähne des jungen Mannes auf. Vilar trug Jeans, ein offenes Hemd wie Bramme und ausgetretene Sneakers. Er schien etwas übereifrig, aber auf angenehme Weise motiviert zu sein.

„Hatten Sie einen guten Flug?“

„Danke! Ich habe das Schmuddelwetter bei uns zu Hause gegen die Sonne Portugals eingetauscht. Mehr kann man von einem Flug nicht erwarten.“

Vilars Blick musterte ihn von oben bis unten, als suche er etwas. Schließlich hob er fragend die Augenbrauen.

„Ist das etwa Ihr ganzes Gepäck?“, fragte er mit einer Geste in Richtung der Reisetasche und machte dabei ein Gesicht, als wüsste er nicht, ob er besorgt oder amüsiert sein sollte. Bramme jedoch zuckte nur die Achseln und schob die Sonnenbrille ein Stück die Nase hoch.

„Ja! Für ein paar Tage im sonnigen Portugal reicht es. Regenschirm und Windjacke brauche ich hier ja nicht“, sagte er zufrieden.

Vilar nahm ihm grinsend die Tasche ab und drängte ihn mit sanfter Gewalt zum Ausgang.

„Ein paar Tage. So, so!“

Der junge Mann lächelte verschmitzt.

„Sie glauben also, dass Sie den Mordfall in ein paar Tagen gelöst haben?“

Inzwischen traten sie ins Freie. Bramme blieb abrupt stehen. Zwischen seinen Augenbrauen bildeten sich zwei kleine, senkrechte Falten, die sein Kollege Petersen sofort als Alarmzeichen gewertet hätte.

„Moment mal! Damit wir uns recht verstehen: Ich habe hier keinen Fall zu lösen. Wie heißt der Ermordete noch mal?“

„Miguel Mora.“

„Die Aufklärung des Mordes an diesem Miguel Mora ist allein Ihre Sache. Meine Aufgabe ist es lediglich, darauf zu achten, dass bei den Untersuchungen nichts unter den Teppich gekehrt wird!“

Ein kurzes Schweigen trat ein. Comissario Vilar stand da wie ein begossener Pudel und ließ die Schultern hängen. Zu allem Unglück huschte in diesem Moment auch noch eine schwarze Katze über den Bürgersteig und verschwand hinter einem Container.

„Mein Fall ist es auch nicht“, gab Vilar schließlich achselzuckend zu verstehen, „die Untersuchungen vor Ort führt mein Kollege Henrique Caldelas. Ich bin nur hier, um Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.“

„Das kann ja heiter werden!“, murmelte Bramme vor sich hin, doch die Sonnenstrahlen, die ihn vor einer knappen Stunde im Flugzeug begrüßt hatten, ergossen sich nun herrlich einladend und ungefiltert über sein Gesicht, und er nahm die Brille ab, um die Nase in den Himmel zu strecken. Nach den vergangenen Tagen im vergleichsweise frostigen Deutschland erschien ihm Portugal wie das Paradies auf Erden, und die Sonne hatte nun mal die gute Eigenschaft, Probleme kleiner erscheinen zu lassen und die positiven Dinge ins rechte Licht zu rücken.

Vilar hielt es offensichtlich für klug, das Thema nicht weiter zu vertiefen, und nachdem er Bramme geduldig beim Tanken von Vitamin D zugesehen hatte, lächelte er.

„Darf ich Sie zu einem Imbiss, oder einem Drink einladen?“

„Nein, danke“, Bramme setzte die Sonnenbrille wieder auf und folgte Vilar, „wie weit ist es denn bis Setubal?“

„Ach, das ist nur ein Katzensprung. Setubal ist berühmt für seine Austern. Wenn ich nur daran denke, läuft mir schon das Wasser im Munde zusammen!“ Sich die Lippen leckend und scherzhaft den Bauch reibend verdrehte er genießerisch die Augen.

„Wo wohne ich überhaupt?“, wollte Bramme wissen.

„Wir haben Sie in einem kleinen schnuckeligen Hotel untergebracht. Sie werden begeistert sein!“

Er winkte ein herannahendes Taxi herbei, und als er Brammes fragenden Blick sah, beeilte er sich, seinen Gast aufzuklären.

„In Setubal steht natürlich ein Wagen für uns bereit.“

Der Taxifahrer hielt von Geschwindigkeitsbeschränkungen gar nichts und bretterte auf der Überholspur erst durch die Stadt und dann über den siebzehn Kilometer lange Ponte Vasco da Gama, ein beeindruckendes Meisterwerk der Brückenbaukunst. Am Ende der Brücke fuhren sie auf eine Raststätte zu.

„Haben Sie wirklich keinen Hunger, Senhor Bramme?“

„Nein. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen. Jetzt fahren wir erst mal zu Ihrem Kollegen Caldelas und holen uns die Ermittlungsakte und den Wagen.“

„Mir knurrt aber schon der Magen!“

„Hunger fördert die Kreativität“, gab Bramme ironisch zurück und nahm die Sonnenbrille ab.

Vilar spielte den Beleidigten, doch Bramme tat so, als bemerke er das nicht.

„Was wissen Sie denn über den Fall?“

„Ich weiß auch nur das, was in den Zeitungen steht.“

„Und was steht da drin?“

„Dass sich zwei einflussreiche Familien, die Moras und die Delgados, in der Wolle haben. Der älteste Sohn der Moras ist erschossen worden, und sein Vater beschuldigt nun die Delgados.“

„Hat er Beweise?“

„Keine Ahnung! – Das ist aber nicht der einzige Fall, der uns derzeit zu schaffen macht.“

„So?“

„Der Leiter des hiesigen Zollamtes, Jorge Tavira, ist seit ein paar Tagen spurlos verschwunden.“

„Das geht mich nichts an. Damit sollen sich Ihre Kollegen herumschlagen.“

Damit ein für alle Mal klar war, dass er mit dem zweiten Fall nichts zu tun haben wollte, schaute Bramme demonstrativ zum Fenster hinaus.

Vor Setubal wurde der Verkehr dichter und kam des Öfteren ins Stocken. Motorroller drängelten sich durch die Autoschlangen und ernteten hupenden Protest dafür. Bramme begann, diese lebendige Stadt zu mögen.

Unersättlich

Подняться наверх