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7. Kapitel
ОглавлениеNach den prunkvollen Villen der Moras und Delgados wirkte die Hafenkneipe, in die Bramme von Vilar geführt wurde, wie eine geräumige Bretterbude. Gleich am Eingang hockte ein abgerissen wirkender Maler, dessen ungepflegter Vollbart ebenso abstoßend wirkte wie seine zerschlissene Kleidung. Er saß vor einer alten Schiffsglocke, an die er seinen Skizzenblock anlehnte, und versuchte offenbar, das emsige Treiben und das Flair der Hafengegend einzufangen. Mit einem neugierigen Blick über des Malers Schulter stellte Bramme fest, dass ihm dies erstaunlich gut gelang. Er kramte in der Hosentasche nach einer Euro-Münze, aber Vilar schob ihn einfach weiter in den Gastraum hinein, der bedrückend eng, stickig und sehr laut war.
In der hintersten Ecke war gerade noch ein kleiner Tisch frei. Unterwegs dorthin musterte Bramme das sehr gemischte Publikum: Da saßen Herren in Nadelstreifenanzügen neben Hafenarbeitern und Matrosen, biederen Rentnern und Handwerkern. An dem großen runden Ecktisch saßen einige junge Männer, die wie Fischer aussahen, um einen gepflegten und sehr selbstbewussten, jungen Mann herum, der offensichtlich ihr Chef oder Vorgesetzter war.
Nachdem die drei Kommissare ihre Plätze eingenommen hatten, ließ Bramme seinen Blick zur Theke hinüberwandern. Als er die Wirtin bemerkte, die dort gerade ein paar Gläser füllte, stockte ihm der Atem. Dieses Vollblutweib war eine von den Frauen, die einem mit einem Schlag klarmachten, dass es außer Essen und Arbeiten auch noch etwas anderes auf dieser Welt gab. Fasziniert betrachtete er ihre aufregenden Kurven, die feurigen schwarzen Augen und die anmutigen Bewegungen.
„Matilda gefällt Ihnen wohl?“, fragte Vilar schelmisch grinsend, „sie hat sich schon für mehrere Männermagazine ausgezogen und ist deshalb weit über unsere Landesgrenzen hinaus bekannt.“
„Und wenn sie besonders gut aufgelegt ist, strippt sie auch schon mal für ihre Gäste“, fügte Caldelas hinzu.
„Jetzt verstehe ich, warum die Gäste hier alle männlich sind! Ich dachte, wir wären zum Essen hierhergekommen“, meinte Bramme.
„Sind wir auch. Auf was haben Sie denn Appetit?“ Vilar nahm eine auf dem Tisch liegende Speisekarte und reichte sie Bramme.
„Hier gibt es sicher Segredo de Matilda“, antwortete Bramme spöttisch, aber Vilar fand das gar nicht lustig und rümpfte die Nase.
„Ich würde Ihnen die überbackenen Langusten empfehlen“, riet Caldelas.
„Gut, das nehme ich auch“, sagte Vilar.
In diesem Moment hielt ein weißer Kastenwagen mit quietschenden Reifen vor der Kneipe. Drei athletisch gebaute Männer sprangen aus dem Wagen und kamen in das Lokal gestürmt. Zielsicher rannten sie auf den Ecktisch zu, an dem die Fischer mit ihrem Chef saßen. Ohne Vorwarnung prügelten sie auf die am Tisch sitzenden Männer ein. Das Überraschungsmoment war so gelungen, dass jegliche Gegenwehr zunächst unterblieb. Erst als einer der Männer nach einem Kinnhaken auf dem Boden landete, riss er wutentbrannt ein Tischbein heraus, worauf der Tisch klirrend und scheppernd in sich zusammenbrach. Wie ein Berserker fiel er, das Tischbein wie eine Keule schwingend, über die Angreifer her. Derweil schnappte sich ein Mitstreiter einen wackeligen Stuhl, ließ ihn über seinem Kopf kreisen, zertrümmerte dabei die Deckenleuchte und schlug ihn mit aller ihm zur Verfügung stehenden Energie dem nächstbesten Gegner auf den Kopf.
Nach zwei Minuten war alles vorbei. Die Angreifer lagen schreiend, stöhnend und jammernd auf dem Boden und leckten ihre Wunden. Aber auch die Angegriffenen sahen ziemlich mitgenommen aus, einer hielt sich benommen den Kopf, ein anderer blutete aus der Nase und der Chef hatte eine Platzwunde an der Schläfe.
Bramme, Vilar und Caldelas saßen immer noch auf ihren Plätzen. Keiner von ihnen war den Männern zu Hilfe gekommen, dafür war alles einfach viel zu schnell gegangen. Bramme hatte das Gefühl, Vilars Herz deutlich pochen zu hören.
Matilda stand wie angewurzelt hinter dem Tresen. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet und gaben ihrem Gesicht einen noch verführerischeren Touch.
Der Maler stand derweil unter dem Eingang und reckte kopfschüttelnd den Hals, um ja alles sehen zu können.
„Fordern Sie bitte Verstärkung an“, bat Caldelas an Vilar gewandt mit einer kühlen Sachlichkeit, die Bramme bereits zuvor an ihm bewundert hatte.
Draußen preschte der Kastenwagen mit heulendem Motor davon. Bramme rannte noch nach draußen, konnte aber in den Wolken von Abgasen das Kennzeichen nicht erkennen.
Wieder in der Kneipe sah er, wie Caldelas breitbeinig über den am Boden liegenden Kampfhähnen stand und auf sie hinabblickte.
„Sie sind verhaftet!“, verkündete er, „und zwar alle!“
„Moment mal!“, protestierte der junge Mann im Anzug und erhob sich, „ich bin Ubaldo Delgado. Sie müssen doch gesehen haben, dass man meine Leute und mich zuerst angegriffen hat!“
„So, so, Sie sind also Ubaldo Delgado?“
Caldelas Stimme klang wenig beeindruckt. „Das ist ja interessant! Ihr Vater hat uns erzählt, dass Sie in der Firma sind.“
„Aber doch nicht um diese Zeit!“, schnaubte Delgado wutentbrannt. Sein Zorn verhieß nichts Gutes.
Bramme bemerkte, dass Vilar vorsichtshalber die Hand auf seinen Pistolengriff gelegt hatte. Die Lage entspannte sich aber, da Matilda sich zu ihnen gesellte, um mit fachmännischem Blick den Schaden zu betrachten. Ihr Atem ging schwer, ihre Brüste hoben und senkten sich. Bramme starrte die hübsche Frau bewundernd an, registrierte ihre langen Beine und den wohlgeformten Po, und sein Blick blieb wieder und wieder an ihrem wogenden Busen hängen.
Matilda schien davon keine Notiz zu nehmen. Sie war es offensichtlich gewohnt, Männerblicke auf ihrer Haut zu spüren. Und als Bramme daran dachte, dass all die Männer Tag für Tag hierher kamen, große Reden schwangen und eine Flasche nach der anderen bestellten, nur um die Aufmerksamkeit dieser Frau zu erhaschen, kam er sich lächerlich vor. Diese Frau, so sein Fazit, würde nie nur einem Mann gehören.
Matilda wollte sich gerade bücken, um ein noch intakt gebliebenes Glas aufzuheben, da hielt sie Caldelas zurück.
„Nichts anfassen!“, rief er entsetzt, „ich muss den Trümmerhaufen erst noch fotografieren.“
„Von mir aus“, Matilda zuckte neckisch die Achseln, „der Schaden muss mir aber ersetzt werden.“
„Keine Angst, dafür sorge ich schon!“
Mit lautem Geheul und Blaulicht trafen zwei Streifenwagen ein. Bei dem Anblick der vier Beamten lockerte Vilar den Griff um seine Waffe. Zufrieden schaute er zu, wie die Raufbolde, die die Schlägerei begonnen hatten, abgeführt wurden.
„Kennen Sie diese Männer?“, fragte Bramme Ubaldo Delgado, der sich immer noch ein Taschentuch an die blutende Schläfe hielt.
„Nein!“, gab er schroff zurück und seine ohnehin schon düstere Miene verfinsterte sich noch mehr, „aber die kann uns nur Ricardo Mora auf den Hals gehetzt haben.“
„Das werden wir bald wissen, und wenn ich es aus den Männern herausprügeln muss“, knurrte Caldelas.
Der Gastraum sah aus, als wäre er mit Bauschutt aufgefüllt worden. Nachdem Caldelas alles im Bild festgehalten hatte, räumten helfende Hände auf – selbst Ubaldo und seine Männer legten mit Hand an -, und bald stellte sich die alte Atmosphäre wieder ein.
Ubaldo humpelte, von seinen Leuten begleitet, zur Tür. Kurz vor dem Ausgang drehte er sich noch einmal um und rief der Wirtin zu: „Matilda, schick die Rechnung an unsere Firma.“
„Mach ich!“
Matilda winkte ihm zu und kam dann an den Tisch der drei Kommissare.
„Entschuldigen Sie den Zwischenfall, meine Herren. Darf ich Ihnen etwas zum Essen bringen?“
„Was können Sie uns denn empfehlen?“, fragte Vilar.
„Meine Spezialität sind Langusten in allen Variationen“, sagte sie und zückte einen Notizblock.
„Gut, ich nehme die Variationen“, erwiderte Bramme und erntete dafür lautes Gelächter. Selbst Matilda fand das lustig, streifte ihre Haare zurück und warf Bramme einen anerkennenden Blick zu. Doch dieser schielte zum Eingang hinüber, wo der Maler mal wieder den Kopf hereinsteckte, um den Grund für die ausgebrochene Heiterkeit herauszufinden. Matilda folgte seinem Blick, und als sie den Maler bemerkte, winkte sie ihn zu sich her.
„Pablo! Komm rein!“
Pablo ließ sich das kein zweites Mal sagen. Mit großen Schritten kam er an ihren Tisch.
„Dürfen wir Sie zum Essen einladen?“, fragte Bramme und wies mit der Hand auf den leeren Platz neben sich.
„Mir genügt schon eine Flasche Rotwein“, entgegnete der Maler.
„Also dreimal Langusten nach Art des Hauses, eine Flasche Vinho verde und für den Herrn da eine Flasche Vinho tinto“, orderte Vilar, und Matilda ging zufrieden Richtung Küche, nicht ohne dabei kokett die Hüfte zu schwingen.