Читать книгу Unersättlich - Hermann Mezger - Страница 6

4. Kapitel

Оглавление

Vor dem Abendessen hatte Bramme das Bedürfnis nach etwas Bewegung. Nachdem er sein Zimmer bezogen hatte und sein bisschen Gepäck losgeworden war, machte er einen Spaziergang durch den Garten des Hotels. Das prachtvolle Renaissancegebäude türmte sich elegant in den purpurnen Abendhimmel; von der See her wehte eine angenehme Brise. Zufrieden schlenderte er einen Kiesweg entlang, wandelte unter Palmen an den in allen Farben leuchtenden Bougainvilleas vorbei, hörte dem aufgeregten Gezwitscher der Vögel zu und schaute interessiert einer Smaragdeidechse nach, die vor ihm über den Weg huschte und in einer Mauerritze verschwand. Er genoss dieses paradiesische Flair in vollen Zügen.

Auch wenn er seine Arbeit liebte, so waren ihm diese Momente äußerst wichtig. Sie bildeten den nötigen Ausgleich, damit man in der ständigen Hektik und Anspannung nicht den Kopf verlor. Zu seinem großen Glück war ihm bisher Leid erspart geblieben. Er wusste nicht, wie es sich anfühlte, wenn man einen guten Freund oder einen nahen Verwandten verlor.

Während er so durch den Garten schlenderte und mit den Fingern gedankenverloren über die raue, faserige Oberfläche einer Palme strich, musste er an die Familie Mora denken und an die Schmerzen, die er ihr durch die Exhumierung ihres Sohnes zufügen würde. Sicher, es war überhaupt nicht geklärt, unter welchen Umständen und aus welchen Motiven der Mord an Miguel Mora begangen worden war. Doch Mord war Mord, und ein getöteter Mensch und die, die um ihn trauerten, verdienten Respekt. Dieser Respekt konnte aber nicht so weit gehen, dass man bestehende Gesetze missachtete.

Gerade beugte er sich über die hellgelbe Blüte einer ihm unbekannten Blume, als Vilars Stimme ertönte und ihn zusammenfahren ließ.

„Na, habe ich Ihnen zu viel versprochen?“

Bramme richtete sich auf und lächelte Vilar an, der ihm entgegenkam.

„Keineswegs, hier kann man es aushalten!“

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Vilar besorgt, der offensichtlich Brammes nachdenkliche Miene bemerkt hatte, doch dessen Lächeln wurde breiter.

„Wollen wir essen gehen?“

Vilars Gesicht hellte sich sofort auf.

„Nichts lieber als das!“

Sie schlenderten langsam zum Hotel zurück und nahmen auf der Terrasse Platz. Von hier aus konnten sie nicht nur den schönen Garten bewundern, sondern auch den golden und purpurrot schimmernden Sonnenuntergang.

Ein Ober brachte die Speisekarten, und Vilar bestellte ungefragt zwei Porto seco.

„Was können Sie mir denn empfehlen?“, fragte Bramme, der mit der Speisekarte nicht zurechtkam.

„Also ich bestelle Segredo de Maria. Das ist ein Mus aus Muscheln mit Reis.“

„Oh, nein danke!“, entgegnete Bramme, der nach etwas suchte, was ihm wenigstens halbwegs bekannt vorkam. Nur allzu gut erinnerte er sich noch an das Hammelauge, das er in Zentralasien hatte verdrücken müssen. „Wie wäre es denn mit sechs Austern als Vorspeise und danach ein Seezungenfilet?“

„Das ist eine sehr gute Wahl! Die Austern nehme ich auch.“

Der Ober brachte die Aperitifs, und Vilar gab die Bestellung auf.

„Ich habe eine Flasche Weißwein für uns bestellt. Das ist Ihnen doch recht?“

„Mehr als recht! Die haben wir uns heute redlich verdient, und wir müssen ja auch noch auf eine gute Zusammenarbeit anstoßen.“

Grinsend prosteten sie einander zu, und als Bramme die ersten Tropfen des porto seco auf seiner Zunge spürte, waren alle Anstrengungen des Tages schlagartig verschwunden.

„Apropos verdient“, nahm Vilar den Faden wieder auf, „der Staatsanwalt wollte sich zwar mit der Genehmigung der Exhumierung etwas zieren, aber allein die Erwähnung des Justizministers hat genügt, um ihn zur Vernunft zu bringen. Der Obduktion steht also nichts mehr im Wege.“

„Unser Kollege Caldelas wird das nicht gerne hören. Der Mann gefällt mir nicht!“

„Zugegeben: Er war nicht besonders kooperativ, und sein Verhalten war ausgesprochen unfreundlich, aber Sie müssen ihn auch verstehen: Er war hier jahrelang der unumstrittene Chef, und plötzlich wird ihm einer vor die Nase gesetzt. Und dazu noch ein Ausländer!“

„Sie mögen ja recht haben, doch ich bleibe dabei: Mit dem Mann stimmt etwas nicht!“

In diesem Moment kam der Ober zurück und stellte eine große Schale mit Austern, Brot und halbierten Zitronen auf den Tisch. Allein der Anblick ließ Bramme das Wasser im Mund zusammenlaufen. Nachdem Vilar noch den Wein gekostet und ihnen der Ober „Bom apetite!“ gewünscht hatte, zog sich dieser mit einer leichten Verbeugung zurück.

Mit einem Heißhunger fielen sie über die Vorspeise her. Sie schlürften eine Auster nach der anderen und spülten sie mit einem Schluck des erfrischenden Weißweins hinunter. Nachdem die Platte geputzt war, leckte sich Bramme genießerisch die Lippen und ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen. „Fantastisch! So könnte es weitergehen, wenn wir morgen nicht einen so schweren Tag vor uns hätten.“

„Was haben Sie denn morgen vor?“

„Morgen besuchen wir die verfeindeten Familien. Caldelas wird ja wissen, wo sie wohnen. Mal sehen, ob wir noch etwas Neues erfahren.“

„Oh je! Da wird jede Familie versuchen, uns für sich einzunehmen. Wenn wir das hinter uns haben, haben wir uns wieder ein gutes Essen verdient. Es soll da eine urige Hafenkneipe mit einer sehr attraktiven Wirtin geben. Was halten Sie davon?“

„Sie denken wohl immer nur ans Essen!?“

Der Ober räumte ab und servierte die Hauptgerichte. Brammes Seezungenfilet schwamm für seinen Geschmack in etwas zu viel Fett, sah sonst aber ganz appetitlich aus. Vilars Muschelmus hingegen glich einer graphitartigen Masse, die in der Mitte des Tellers aufgehäuft war, umgeben von einem undefinierbaren Ring, der aussah wie Motorenöl. Drumherum befand sich ein Kranz aus gekochtem Reis.

Beide begannen zu essen. Bramme warf immer wieder einen Blick auf Vilars Teller und schließlich konnte er es sich nicht verkneifen, seinen Begleiter zu fragen, ob Segredo de Maria tatsächlich das Geheimnis der Maria bedeute.

„Ja, warum?“, fragte Vilar mit vollem Mund.

„Weil es eher so aussieht, als wären das auf Ihrem Teller die Sekrete der Maria.“

Vilars Gesichtsausdruck erstarrte. Angewidert legte er Messer und Gabel beiseite und schob den Teller weit von sich.

Unersättlich

Подняться наверх