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3. Kapitel
ОглавлениеDas Polizeirevier in Setubal lag direkt an der Avenida Luisa Todi. Es war weiß gestrichen, um der ungnädigen Sonneneinstrahlung etwas Einhalt zu gebieten. Da die Platzverhältnisse dort sehr beengt waren, hatte Comissario Henrique Caldelas, angeblich auf Drängen des Ministeriums, für den Sonderermittler aus Deutschland ein Büro im benachbarten Comando Distribal eingerichtet. Dieses hellgelb gestrichene Gebäude war von einem hohen Staketenzaun abgeschirmt, dahinter lag ein großer Parkplatz. Es machte einen vertrauenerweckenden Eindruck.
Als Bramme das Gebäude betrat, spürte er sogleich eine angenehme Kühle. Schon auf den paar Schritten vom Taxi bis zum Eingang hatte ihm die Sonne ordentlich eingeheizt.
Vilar öffnete ihm die Tür zu Caldelas` Büro, und Bramme trat ein. Der Comissario war ein Mann in den besten Jahren, kleinwüchsig, quirlig, mit pomadisierten schwarzen Haaren und einem unübersehbaren Schnauzbart. Er ließ seine beiden Gäste auf der Stelle spüren, dass sie nicht willkommen waren. Besonders Bramme beäugte er wie einen abgebrühten Schurken, der zu allem fähig war. Entsprechend kühl fiel die Begrüßung aus. Bramme machte sich gar nicht erst die Mühe, Caldelas die Hand zu geben. Die Atmosphäre gefror zu Eis.
„Mein Name ist Holger Bramme, ich bin von Ihrem Justizministerium beauftragt worden, den Mordfall Mora zu untersuchen. Bitte geben Sie mir die entsprechenden Ermittlungsakten.“
Caldelas blickte Bramme scharf an, lehnte sich zurück und faltete unbeeindruckt die Hände über dem Bauch.
„Da könnte ja jeder kommen! Die Akten bleiben hier!“
In Bramme stieg die Wut hoch. Was wollte der Giftzwerg mit seinem Verhalten erreichen? Wollte er Macht, die er in Wirklichkeit gar nicht besaß, demonstrieren oder hatte er gar etwas zu verbergen?
„Erstens bin ich nicht zu meinem Vergnügen hier, und zweitens bin ich nicht jeder.“
Bramme zog ein Papier aus der Brusttasche, entfaltete es und reichte es Caldelas.
„Wenn Sie mit mir nicht zusammenarbeiten wollen, dürfen Sie das nur sagen. Ein Anruf von mir genügt, und Sie sind Ihren Job los.“
Stille trat ein und man konnte förmlich das Knistern hören, das in der Luft lag. Der Comissario überflog das Schreiben mit dem ihm wohlbekannten Briefkopf; er wirkte verunsichert, aber schließlich kippte die Stimmung. Bramme hatte gewonnen.
Caldelas öffnete wortlos die Schublade seines Schreibtisches, holte eine Akte heraus und ließ sie betont widerwillig vor sich auf den Tisch fallen.
„Bitteschön!“
„Danke!“, bemerkte Bramme übertrieben freundlich, griff nach der Akte, setzte sich ungefragt an einen kleinen Tisch und begann, darin zu blättern.
Ganz oben auf waren Fotos abgeheftet, die den Ermordeten zeigten. Bramme hatte schon viele Tote gesehen und er war einiges in dieser Hinsicht gewohnt. Aber immer, wenn der Tod einen Menschen in der Blüte seiner Jahre gewaltsam an sich riss, wurde er sentimental.
„Blattschuss!“, murmelte Bramme vor sich hin, während Vilar und Caldelas zum Schweigen verurteilt waren. „Mitten ins Herz! Saubere Arbeit.“
Auf den folgenden Seiten fand er nur noch die Protokolle der Spurensicherung, dahinter einige nichtssagende Zeugenaussagen. Wie bei dem unbefriedigenden Ende eines Romans drehte er das letzte Blatt in der Akte mehrfach um. Er wollte sicher gehen, dass er nichts übersehen hatte. Mit erhobenen Augenbrauen sah er zu Caldelas auf.
„Wo ist denn der Obduktionsbericht?“
„Obduktionsbericht? Wozu das denn? Der Mann ist mit einer Kugel hingerichtet worden. Das sieht doch jedes Kind“, erwiderte der Comissario, und machte dabei den Eindruck eines auf frischer Tat ertappten Diebes.
„Sie wissen doch genau so gut wie ich, dass jeder Ermordete in die Gerichtsmedizin muss!“
„Dazu ist es zu spät“, sagte Caldelas kleinlaut.
„Zu spät?“, mischte sich da Vilar ein, „heißt das, der Tote ist schon beigesetzt worden?“
„Es war der ausdrückliche Wunsch der Familie Mora, den Toten umgehend zu beerdigen.“
„Kein Mensch kann sich über die bestehenden Gesetze hinwegsetzen, auch die Familie Mora nicht!“ Bramme zwang sich ruhig zu bleiben. „Veranlassen Sie, dass der Tote sofort wieder ausgegraben wird!“ Er klatschte die Akte zu und unterstrich damit, dass seine Forderung unwiderruflich war. Im Augenwinkel sah er, wie Caldelas der Schweiß auf die Stirn trat.
„Muss das sein?“, fragte dieser nervös.
„Das muss sein! Und zwar sofort! Sorgen Sie dafür, dass die Leiche nicht hier untersucht wird, sondern in Lissabon!“
Vilar holte sein Handy aus der Tasche. „Ich werde sogleich das Nötige veranlassen!“
Bramme griff nach seinem Trenchcoat, klemmte sich die Akte unter den Arm und schickte sich an, zu gehen. Caldelas hörte zähneknirschend zu, wie Vilar mit der Staatsanwaltschaft telefonierte. Als Bramme noch einmal innehielt und sich nach Caldelas umdrehte, hätte dieser sich am liebsten in Luft aufgelöst.
„Gibt es auch eine Akte über den verschwundenen Zöllner?“
„Sicher!“, entgegnete Caldelas, einem Nervenzusammenbruch nahe, „möchten Sie die auch haben?“
„Ich möchte nur mal einen Blick hineinwerfen.“