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Unsere belächelte „Konsensgesellschaft“

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Die Segnungen der Dreiteilung sind uns ja auch nicht durch einen feudalen Gnadenakt zugefallen. Die Arbeiterbewegung hat Kolossales geleistet mit ihren Arbeiterbildungsvereinen, Konsumgenossenschaften, Gewerkschaften und Wohnungsbaugenossenschaften. Die Bauern haben sich zusammengetan, gemeinsam Saatgut eingekauft und gemeinsam ihre Ernteerträge vermarktet. Hinzu kommt der glückliche Umstand, dass diese Basisbewegungen tatkräftige Unterstützung aus dem aufgeklärten Bildungsbürgertum erhielten. Hermann Schulze-Delitzsch stellte den jungen Genossenschaftsgründern seine Kenntnisse in der Organisation und Verwaltung zur Verfügung. Und er betrieb mächtig Lobbyarbeit für die neue Bewegung bei den Mächtigen im Preußen des Neunzehnten Jahrhunderts. Friedrich Wilhelm Raiffeisen tat dasselbe aus christlichem Antrieb, Ferdinand Lassalle aus sozialistischer Perspektive.

Die Obrigkeit in Preußen benötigte gewiss eine gehörige Zeit, bis der Groschen gefallen war. Bis man in Berlin begriff, dass man sich den Ast absägt, auf dem man sitzt, wenn man den unteren Ständen nicht entgegenkommt. Doch schon 1869 wurde ganz offiziell ein Gesetz angenommen, das den Genossenschaften einen anerkannten Platz in der preußischen Gesellschaft garantierte. Und die Initiative zu öffentlich-rechtlichen Sparkassen ging sogar von preußischen Ministerialbeamten aus. „Kleinvieh macht auch Mist“, wird man sich wohl gedacht haben. Die „Sparbüchse des kleinen Mannes“ ermöglichte segensreiche Investitionen in der Region, aus der das Geld stammte. Das Ersparte kam den Leuten direkt wieder zugute, zum Beispiel durch saubere Straßen mit Abwasserkanälen. Das gestiegene Bewusstsein für Hygiene und das Wissen um die Gefahr durch Bakterien verlängerte die Lebenserwartung und verbesserte die Lebensqualität.

Es herrschte in den aufgeklärten Kreisen des deutschen Adels durchaus eine Sensibilität für die Probleme der unteren Schichten, wie man sie in gehobenen Kreisen der USA und Englands nie wahrgenommen hat. Als im Jahre 1888 in Westdeutschland schwere Auseinandersetzungen zwischen streikenden Bergarbeitern und Streitkräften auszubrechen drohten, griff der gerade ins Amt gekommene blutjunge Kaiser Wilhelm II., der Nationalökonomie studiert hatte, in das Geschehen ein. Der Kaiser traf sich mit Delegierten der Bergarbeiter. Er forderte Bismarck auf, Gesetze zur Begrenzung der Arbeitszeit und für den Arbeitsschutz auf den Weg zu bringen. Bismarck entgegnete dem Kaiser, was auch Otto Graf Lambsdorff nicht anders gesagt hätte: wir verlieren unseren Wettbewerbsvorteil, wenn wir den Arbeitern zu sehr entgegen kommen. Woraufhin Wilhelm eine internationale Konferenz in Paris einberufen ließ, auf der die Arbeitszeit und die Sicherheitsnormen international verbindlich geregelt werden sollten.3 Wenn auch jene Konferenz keine sichtbaren Ergebnisse zeitigen sollte, so ist Wilhelms Initiative trotzdem bemerkenswert. Von Wilhelms Großmutter, Königin Victoria von England, oder vom amerikanischen Präsidenten ging niemals eine solche Initiative aus.

Zu dieser von neoliberalen Milchbärten als „Konsenskultur“ mokant belächelten Sensibilität der deutschen Regenten gehört auch folgende Episode: Kaiser Wilhelm wagte es im Jahre 1890, die Ikone Bismarck fristlos zu feuern, weil dieser einen Bürgerkrieg von oben gegen die Arbeiterbewegung auf den Weg bringen wollte. Seit jenem Zeitpunkt hatte Kaiser Wilhelm II. in den angloamerikanischen Oligarchien eine durchweg negative Presse. Und Bismarck ist zum Heiligen der Neoliberalen erhoben worden. Die bereits erwähnte Maggie Thatcher bekam in Anlehnung an den „Eisernen Kanzler“ Bismarck von der neoliberalen Presse den Ehrentitel „Eiserne Lady“ verliehen.

In Deutschland war bis in die Achtzigerjahre des Zwanzigsten Jahrhunderts klar, dass in den Kernbereichen des gesellschaftlichen Lebens das Profitprinzip nichts zu suchen hat. Ich liste im Folgenden der Kürze halber einmal die bedeutendsten Wohltaten unserer bespöttelten „Konsenskultur“ auf, die vor dem Profitstreben geschützt waren:

•Bildung, Forschung und Lehre

•Gesundheit und Versorgung der Schwachen

•Öffentliche Personenbeförderung

•Öffentliche Infrastruktur: Straßen, Schienennetze, Stromtrassen, Telefonleitungen, Post

•kommunale Stadtwerke

•öffentlicher Wohnungsbau

•existentielle Vorsorge durch Renten- und Krankenkassen

•Justiz, Polizei und Strafvollzug.

Unschwer erkennen wir, dass bis auf den letzten Punkt alle Bereiche dem Zugriff der profitorientierten Privatwirtschaft ausgeliefert sind. Und bei genauerem Hinsehen bleibt bislang nur die Justiz in staatlichen Händen. Unsere Polizisten tragen mittlerweile keine friedfertigen grünen Uniformen mehr. Mit den neuen schwarzen Uniformen sehen die verbeamteten Ordnungshüter nicht nur ungleich martialischer aus. Zudem sind sie jetzt von den privat bezahlten Sicherheitsmännern, den so genannten „Schwarzen Sheriffs“ auf den ersten Blick nicht mehr zu unterscheiden. In England wird bereits über die Privatisierung der Polizei laut nachgedacht.

Der Strafvollzug wird auch in Deutschland privatisiert. Es gibt in Hessen und in Mecklenburg-Vorpommern zwei privat betriebene Gefängnisse. Die Privatisierung der Gefängnisse in den USA führte übrigens zu einer Vermehrung der Gefängnisinsassen um den Faktor elf: von 1970 bis heute nahm die Anzahl der Strafgefangenen von damals 200 000 auf heute 2,2 Millionen zu! Der Gefängnisindustrie ergebene Politiker ließen immer neue Straftatbestände in das Gesetzbuch hineinschreiben, um die Gefängnisse und Arbeitslager immer weiter aufzufüllen.4

Viele Zitadellen des Sozialstaats sind bereits vom Dauerbeschuss der neoliberalen Sturmtruppen stark gezeichnet. Doch geschleift sind sie noch nicht. Unsere Daseinsvorsorge zum Beispiel erfreut sich trotz aller Störmanöver noch guter Gesundheit. Gerade nach den Finanzdesastern der letzten Jahre wollen viele Leute zurück in die gesetzlichen Krankenkassen. So hielten die gesetzlichen Krankenkassen im Jahre 2013 einen Marktanteil von 86,5 Prozent, die privaten Versicherungen lediglich von 11 Prozent.5 Die gesetzlichen Krankenkassen verfügen über ein enormes Geldvolumen, was man daran ermessen kann, dass sie 2012 über 300 Milliarden Euro an Leistungen ausgezahlt haben.6 Diese Potenz möchten sich private Finanzhaie gerne aneignen. Und so sind die von ihren marktradikalen Einflüsterern beeinflussten Politiker fest entschlossen, trotz zu erwartender höherer Versorgungsansprüche an die gesetzlichen Krankenkassen den Beitragssatz zu senken und auf niedrigem Niveau festzunageln.7

Das alles frei nach Shakespeare: Ist es auch Schwachsinn, so hat es doch Methode!

Die Macher hinter den Kulissen

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