Читать книгу Mausetot - Hermann Schunder - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеSeit einer Woche wieder im Dienst. Zugegeben seine Tätigkeit, zeitlich auf sechs Stunden pro Tag begrenzt, ist nicht besonders anspruchsvoll. Aber immerhin, mehr konnte er nach seiner langen Krankheit nicht erwarten. Ihm ist das erst einmal egal. Hauptsache nicht ausgemustert und vorzeitig in den Ruhestand abgeschoben. Eine neue Chance, ein neues Glück. Okay, etwas schal ist dieser Spruch schon, zu oft im falschen Ton als Trost in allen Lebenslagen gebraucht.
Die Polizeiinspektion Wittlich gehört nicht zu den Hotspots des internationalen Verbrechens. Hier in der Provinz geht es ruhiger zu, was die großen Dinger angeht. Genug gibt es für die Kollegen aber trotzdem zu tun. Das ganze Spektrum eines Polizeireviers halt. Die Kollegen vom Streifendienst konnten einiges erzählen aber damit hat Joseph Wolf nichts zu tun. Er ist ja ein Kriminaler, einer der nicht in Uniform auftritt.
Nach der lockeren Vorstellungsrunde auf dem Revier verfrachtete ihn der stellvertretende Dienststellenleiter in ein kleines Kämmerchen im hintersten Winkel der Einsatzzentrale. Hier soll er nun die nächsten Wochen verbringen.
Hauptkommissar Franz Bartel, ein drahtiger Typ, schätzungsweise Anfang vierzig, ist der Mann, der den Laden am laufen hält. Als stellvertretender Leiter des Reviers fängt er gleich an Joseph Wolf zu instruieren:
„Wie der Hase so läuft, hast Du schnell raus. Übrigens noch etwas, bei uns auf der Dienststelle beträgt der Frauenanteil mehr als fünfzig Prozent. Auf unsere Mädels lassen wir nichts kommen. Wenn einer meint, er könnte unsere Girls dumm anlabern, gibt’s was auf die Mütze?“
Bartel lachte nach dieser kurzen Amtseinführung, Seine erste Aufgabe hörte sich ziemlich langweilig an.. Er wurde dafür ausersehen, liegengebliebenen Papierkram aufzuarbeiten. Jobs, die keiner gerne machte. Aber jetzt gab es ja einen Knecht, dem sie dies alles aufhalsen konnten.
Die Faktenlage stellte sich so dar. Kurz vor Weihnachten ereignete sich ein schwerer Verkehrsunfall zwischen Osann-Monzel und Platten. Überhöhte Geschwindigkeit bei Dunkelheit und stellenweisem Nebel. Joseph sollte eine lupenreine Dokumentation des Ablaufs erstellen.
Mit den Worten „Sieh zu, dass du uns die Sache vom Hals schaffst. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du jederzeit bei mir vorbeikommen. Alles klar?“ ließ Bartel seinen neuen Mitarbeiter stehen.
„Jawohl, Herr Hauptkommissar“
Die schneidige Antwort sollte ein kleiner Scherz sein, doch Joseph Wolf hatte das Gefühl, seinem Vorgesetzten gefiel die Demutshaltung seines Untergebenen.
„Noch eine Frage. Gibt es Unterlagen und Akten zum Vorgang?“
Wie verfiel er nur auf so eine ungeschickte Frage? Logisch das es Berichte und Aktenvermerke geben müsse, sonst könnte er diese ja nicht ordnen und aufarbeiten. Einen Rüffel erwartend blickte Joseph Wolf seinen Vorgesetzten demütig in die Augen.
Wie aus der Pistole geschossen die knappe Antwort von Franz Bartel. „Asservatenkammer, Keller, zweite Tür links, Schlüssel im Sekretariat bei Maria, äh Frau Meister.“
Eine Asservatenkammer ist üblicherweise ein besonderer Ort. Dort werden Beweisstücke zu abgeschlossenen Fällen verwahrt. Normalerweise halt. Hier an seiner neuen Wirkungsstätte eigentlich auch, dachte sich Joseph Wolf, als er sich den Schlüssel von Frau Meister besorgte.
Hinabgestiegen in das Reich der nicht mehr benötigten Dinge. Die zweite Tür links von der Treppe, das dürfte nicht schwer zu finden sein. Aber nachdem er die schwere Eisentür aufgesperrt hatte, ein einziges Durcheinander. Regale vollgestopft mit alten Akten füllten eine ganze Wand, längsseits von der Eingangstür. An der Querseite des Raumes die besagten Beweisstücke abgeschlossener Ermittlungsverfahren. Den Großteil des Raumes füllten unzählige alte Möbelstücke aus. Eine Art Sperrmüllzwischenlager. Hier stapelten sich defekte Stühle, zu abenteuerlichen wackligen Gebilden aufgetürmt. Uralte Bildschirme, aus den Anfangszeiten der elektronischen Datenverarbeitung, komplettierten die Unordnung.. Alles wild durcheinander, ohne erkennbares System.
Es gab noch einen Nebenraum. Die wuchtigen vom Boden bis zur Decke reichenden Metallschränke, die mittels einem ausgeklügelten mechanischen Drehmodus zu öffnenden Fächer, bildeten einen eigenartigen Gegensatz zu der Rumpelkammer. Hier wurden die brisanten Akten und Beweismittel aufbewahrt. Nicht frei zugänglich für Jedermann.
„Na kommen sie zurecht Herr Wolf?“ Das war die hell klingende Stimme von Frau Meister. Joseph freute sich, dass die Sekretärin nach ihm sah. Allein hier in diesen Katakomben etwas zu finden, dass schien unmöglich. Also gab es nur den Weg Frau Meister für sich und sein Anliegen zu erobern. Mit einem gewinnenden Lächeln strahlte er die leicht mollige Blondine an und signalisierte damit Hilfe könnte er gut gebrauchen. Joseph Wolf kannte sich da aus. Frauen mochten das, wenn er ihnen gegenüber den ahnungslosen Trottel spielte. Zudem war er ja der Neue.
„Was suchen sie denn, um welchen Vorgang handelt es sich?“ gab sich Maria Meister von ihrer besten Seite.
„Hauptkommissar Bartel meinte, es betrifft diesen Totalcrash kurz vor Weihnachten.“
„Da kann es sich nur um den Vorgang Steinmann handeln! Das haben wir gleich. Die Unfallprotokolle sind nebenan bei den unerledigten Fällen.“
Maria Meister strahlte über ihre Sachkenntnis. Joseph Wolf konnte nur anerkennend nicken, als er nach kurzem Suchen einen schmalen Schnellhefter in die Hand gedrückt bekam. Auf dem hellbraunen Aktenordner stand der Name Sebastian Steinmann mit dickem schwarzem Filzstift in Druckbuchstaben, fein säuberlich geschrieben.
„Vielen Dank Frau Meister, allein hätte ich diese Akte wohl nie gefunden!“
„Seien sie doch nicht so förmlich. Hier duzen wir uns alle unter den Kollegen. Bis auf die Goldsternchen.“
Joseph machte ein fragendes Gesicht. Offensichtlich schien er ziemlich bescheuert aus der Wäsche zu gucken. Die Sekretärin musste laut lachen.
„Die Goldsternchen, das sind unsere Vorgesetzten. Hier auf dem Revier gibt es zwei davon. Eine gewisse Distanz scheint gewünscht um die Truppe nach den neusten Methoden der Personalführung in Schach zu halten.“ Wieder lachte Frau Meister. Joseph gefiel diese offene erfrischende Art.
„Maria“
„Äh, Joseph“
Nach einem kurzen Händeschütteln und einem leichten Klaps auf die Schulter rauschte Maria Meister davon. Sie befand sich schon auf der Treppe, als Joseph ihr nachrief.
„Wie wäre es später mit einem Kaffee als kleines Dankeschön für ihre, Verzeihung, deine Hilfe?“
Auf halber Treppe drehte sich Maria um, „gerne, aber nur wenn du nicht mehr Sie sagst. Um halb Drei bei mir im Sekretariat.“
Zurück an seinem Schreibtisch begann Joseph mit seiner Recherche. Lange würde er nicht brauchen, um die Unterlagen zu ordnen. Ein fein sortiertes Dossier als ersten Arbeitsnachweis wollte er seinem Vorgesetzten präsentieren.
Klare Sache. Überhöhte Geschwindigkeit bei nasser Fahrbahn. Totalschaden und ein schwerverletzter Fahrer. Keine Anzeichen auf Fremdverschulden. Alles paletti. Dem Hinweis auf Gegenstände, die im Fahrzeug sichergestellt wurden, wollte er noch nachgehen. Viel erwartete sich Wolf von seinem erneuten Gang in den Keller nicht. Auf einem gelben post-it Zettel vermerkte er den in der Akte angegebenen Lagerort der Fundobjekte.
Das er an dieser Aufgabe scheitern würde, war schon im Ansatz vorprogrammiert. Hilflos stocherte er sprichwörtlich im Nebel, irrte von einem Regal zum nächsten, konnte das Gesuchte aber nicht finden. Kleinlaut stand er nach einigen Minuten vor Maria Meister und bat die Sekretärin um Hilfe. Ein leichtes Hochziehen einer Augenbraue von Maria verbesserte seine Erfolgschancen nicht wesentlich.
„Hier, ist doch ganz einfach! Regal 4 obere Reihe links!“ Ein schmales Kuvert kam zum Vorschein. Joseph konnte seine Verlegenheit nicht recht verbergen. Hatte er doch genau vor dem vermerkten Lagerort des gesuchten Objekts wie der Ochs vorm Berg gestanden. Blamabel, als die Sekretärin noch einen drauf setzte:
„Zählen kannst du aber schon. Ist doch nicht so schwer, da reicht eine Hand!“
Joseph wusste nicht, ob die leichte Verärgerung in Maria`s Gesicht ein Zeichen echter Missbilligung andeutete oder ob sie das alles nur spielte. Er entschied sich für Letzteres.
Wie erwartet der dünne Aktenordner gab nicht viel her. Der Vermerk Komapatient weckte sein Interesse. Also fragte er bei einem seiner Kollegen nach. Er wollte sich im in Krankenhaus nach Sebastian Steinmann erkundigen. Mit der Antwort konnte er zuerst nichts anfangen.
„Hauptfriedhof, Stadtmitte, genaue Adresse hab ich vergessen.“
Ein Lachen unterdrückte er im letzten Moment, als er den verdutzten Gesichtsausdruck des „Neuen auf dem Revier“ wahrnahm. Der eingehende Notruf rettete den Kollegen aus der misslichen Lage.
Dann wurde er stutzig. Aufmerksam betrachtete er die sichergestellten Gegenstände aus dem Unfallauto. Ein Handy und ein Bündel Zehn-Euro-Scheine mit Banderole.
Nichts Ungewöhnliches bis auf die Geldscheine. Warum hatte Steinmann die bei sich? Könnte sich um ein Geschenk handeln, Weihnachten stand schließlich vor der Tür. Von solchen Liebesgaben unter dem Christbaum hatte er schon gehört.
Der Schnellhefter füllte sich mit den recherchierten Ergebnissen zum Vorgang Steinmann. Joseph Wolf arbeitete planmäßig. Tatorte von Gewaltverbrechen entbehrten einer gewissen Romantik. Aber der ausgedruckte Presseartikel über den Unfall im Wald mit dem demolierten BMW, das war schon ein makabrer Anblick. Ein schwarz-weiß Foto zeigte das ganze Ausmaß des Totalschadens.
Dem Betrachter suggerierte die Aufnahme die ungeheure Wucht des Aufpralls des Mittelklassewagens auf den Anhänger eines abgestellten Holzlasters. Unwirklich, diese Lichtreflexe, es schien, als sei die Szenerie fachmännisch ausgeleuchtet worden. Der Fotograf verstand sein Handwerk, hatte offensichtlich einen Sinn für das Wesentliche.
Moment, Joseph Wolf blätterte zurück zum Unfallbericht. Der Notruf erreichte die Zentrale am Samstag exakt um 6 Uhr 10. Von einem Bäcker auf Verkaufstour stammte die Meldung. Soweit alles klar. Nur warum wurde über den Unfall bereits in der Samstagausgabe der Lokalzeitung berichtet? Irgendetwas stimmte da nicht, passte nicht zusammen.
Nach einem Telefonat mit der Rheinpfalz Druckerei in Ludwigshafen stand für ihn fest, dass der Unfallzeitpunkt früher als 6 Uhr 10 gewesen sein musste. Wenn das stimmte, dann wäre ein unbekannter Zeuge oder gar Beteiligter vorher am Unfallort gewesen. Da käme unterlassene Hilfeleistung in Betracht.Irre, wenn das zusammen passt. Wahnsinn.