Читать книгу Mausetot - Hermann Schunder - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеJoseph Wolf stand in der Tür, als ihn einer der Beamten zu sich an den Schreibtisch beorderte. Mit der freien Hand winkte er ihn zu sich. Er telefonierte mit dem zwischen Ohr und Schulter eingeklemmten Handy und versuchte dabei Notizen auf den Schreibblock vor sich festzuhalten. Ein akrobatisches Unterfangen.
„Herr Wolf, hier ist etwas reingekommen, was ihren Einsatzort betrifft. Können Sie sich ja bei Gelegenheit einmal ansehen. Keine große Sache. Anzeige wegen Trickdiebstahl, Aufklärungsquote nahezu bei Null. Hier die Akte.“
Sein zweites Wochenende auf der Suche nach dem Nichts. Im Gemeindehaus avancierte der traditionelle Närrische Kappenabend zum Höhepunkt der Fastnachtskampagne. Die bunten Plakate, mehrfach im Ort platziert, rührten die Werbetrommel für dieses einzigartige Spektakel. Wo sich viele Menschen gesellig treffen, da wurde auch geredet. Davon ging er aus.
Eine Verkleidung musste schon sein. Sonst war es ja langweilig zu einem Kostümball zu gehen. Für Joseph Wolf durfte es da schon etwas kostspieliger ausfallen, er wollte Eindruck schinden, nicht so Null-acht-fuffzehn, rote Pappnase und Strohhut. Fertig.
Nein, das wäre langweilig und kam für ihn nicht in Betracht. Nach einigem Suchen entschied er sich für Napoleon, den Kaiser der Korsen. Im Spiegel betrachtete er seine verwandelte Erscheinung. Die Inhaberin der Kostüm-Manufaktur Breitschneider lobte seine schlanke Statur über den Klee, die perfekt zur Galauniform des französischen Imperators passte. Beide mussten herzhaft lachen, als Frau Breitschneider allen Ernstes erklärte „der Napoleon wäre Stolz auf sie gewesen, Herr Wolf.“
Das Kostüm passte perfekt wie angegossen. Jetzt noch der Hut und die Verwandlung vom biederen deutschen Kriminalkommissar zum Kaiser der Franzosen war perfekt. Kleider machen eben doch Leute.
Im vollem Pomp und Ornat betrat der pfälzische Napoleon den Vorraum des Gemeindehauses. An der Kassenbarriere entrichtete er seinen Obolus von drei Euro, ermäßigt, weil er Kostüm trug. Der närrisch geschmückte große Saal schien bereits gut besetzt. An den längs zur Bühne aufgebauten Tischen gab es nur noch im hinteren Bereich einige unbesetzte Stühle. Die herunter gedimmte Beleuchtung hüllte die anwesende Narrenschar in gedämpfte Farben. Lichtreflexe huschten über die Besucher hinweg..
Joseph steuerte auf einen Tisch in Nähe des Ausgangs zu. Höflich erkundigte er sich, ob noch ein Stuhl für ihn frei sei. Die Stimmung am Tisch schien bereits ausgelassen, zwei leere Weinflaschen gaben darüber Auskunft. Als die Bedienung Nachschub brachte, nutzte er die Gelegenheit für sich eine Flasche Riesling zu ordern. Nach einem kurzen Blick auf die Weinkarte wandte sich Joseph an den ihm gegenüber sitzenden Mann im Cowboykostüm mit der Frage, ob er ihm einen Wein empfehlen könne.
„Hier probieren sie, das ist ein Paulinshofberg, Spätlese, edel und gehaltvoll, da können sie den ganzen Abend davon trinken, da merken sie am nächsten Morgen nichts.“ Ehe er sich versah stand schon ein Glas vor ihm und der Mann mit dem Sheriffstern auf der Brust schenke ihm einen Schluck zur Probe ein.
„Hans, gib doch nicht so an“ flötete die rot geschminkte Indianergattin. „Du musst nicht immer deinen eigenen Wein über alle Maßen loben. Das ist doch kein Weinkunde.“ Der so zurecht gewiesene Winzer lachte laut auf, hob sein Glas und prostete Joseph zu. Nach dem ersten Schluck und dem pflichtgemäßen Nicken als Zeichen des guten Geschmacks raunte der von seiner Squaw gerüffelte Mann seinem neuen Tischnachbarn ins Ohr „von Nichts kommt halt Nichts.“
Mit einem Tusch setzte die Musik ein. Die Tischgespräche verstummten. An der Hammondorgel agierte die Ein-Mann-Unterhaltungskapelle. Mit einem Potpourri bemühte sich der Alleinunterhalter die Stimmung im Saal anzuheizen. Es folgte das offizielles Programm. Im Raum wurde es still, als das Licht ausgeschaltet wurde. Gespannte Erwartung. Ganz im Stile der Shows in Las Vegas dröhnte eine Stimme aus dem Hintergrund.
„Spot an“
Im aufflackernden Punktstrahler präsentierte sich der Ortsbürgermeister in einer bunten Maskerade. Frack und Zylinderhut schillerten in allen Farben. Ein kurzes Räuspern und die obligatorische närrische Begrüßung hob an. Höflicher Applaus. Angekündigt wurde nun einer der Höhepunkte des närrischen Abends. Das Männerballett der Freiwilligen Feuerwehr mühte sich ungelenk. Die Lacher auf ihrer Seite strebten die Herren im gesetzten Alter wahren turnerischen Höchstleistungen entgegen. Tosender Applaus verabschiedete unter den Klängen des Narhallamarsches die gelungene Darbietung.
Als der offizielle Teil der Veranstaltung nach einer Stunde endete, trat der Alleinunterhalter wieder in Aktion. Mit dem Schneewalzer und den Tulpen aus Amsterdam brach er das Eis. Seine Aufforderung vor dem dritten Musikstück
„Damenwahl“
fand frenetisch beklatschten Beifall. Die Herren der Schöpfung wurden von ihren Ehefrauen ausnahmslos auf die Tanzfläche geschleppt. Da halfen keine Ausreden. Joseph Wolf blieb allein an seinem Tisch sitzen, schenkte sich nach und beobachtete die Szenerie vor der Bühne. Vorn auf der linken Seite des Saals gab es einige Tanzmuffel, die sich erfolgreich der Aufforderung des Tanzmeisters entzogen. Singles, Witwer oder sonstige Originale, wie es sie überall gab.
Ein Schunkellied erklang vor dem nächsten Tanzdurchgang. Luftschlangen schwirrten durch die Tischreihen. An der Stirnseite des Tisches hakte sich Joseph bei seinen beiden Nachbarn ein. Lieber hätte er auf der anderen Seite der Wirtshausgarnitur gesessen, denn dann wäre er bei den fröhlichen Frauen untergekommen.
Mit seiner prächtigen Kopfbedeckung überragte Joseph die meisten der Anwesenden. Der goldglänzende Saum und die bunte in den französischen Farben brillierende Kokarde machten viel her. Dazu die schicke Uniform. Sehnsuchtsvolle Blicke verfolgten ihn, als er sich aufmachte eine Tanzpartnerin aufzufordern. Er steuerte gezielt auf den vorderen Tisch zu. Dort saß die Auserwählte. Ein hübsches Kostüm. Schwarz weiß im Wechsel. Das war ein Bajazz, nein, ein Pierrot, ordnete Joseph das Outfit des Possenreißers ein. Eine melancholische tragische Figur, nicht ohne Reiz. Ein toller Kontrast zu den meisten grellbunten Kostümen.
Langsam, wie auf der Pirsch, schlängelte sich Joseph seinem Ziel entgegen. Er brauchte etwas Zeit um bei dem Gewimmel, der auf die Tanzfläche strömenden Paare, voranzukommen. Die Tische standen eng und die zurückgeschobenen Stühle erschwerten zusätzlich den Durchgang.
Die Dame seines Herzens beobachtete gelassen die Tanzpaare, saß bequem auf ihrem Stuhl, den Rücken angelehnt. Joseph wollte schon die in seinem Geiste vorgeformten Worte
„Darf ich bitten“
artikulieren, als er zwei, drei Schritte vor dem weiß geschminkten Clown plötzlich inne hielt. Dieses maskenhaft geschminkte Gesicht, wirkte wie aus einer anderen Zeit. Aus dem Augenwinkel heraus, mehr so ein Reflex, kam eine Unsicherheit auf. Sein rechter Fuß zögerte einen Moment. Lag da auf dem Boden etwas hell Glitzerndes, eine Tasche oder etwas Ähnliches? Mitten in der Bewegung stoppte er abrupt, suchte instinktiv nach einem Halt.
Irritiert griff Joseph nach dem vor ihm stehenden Stuhl und versuchte die Lehne zu fassen. Unglücklicherweise veränderte die dort sitzende Frau genau in diesem Augenblick ihre Haltung. Sie legte ihren rechten Arm lässig auf die Stuhllehne. In seiner Panik, einen Sturz zu vermeiden, griff Joseph nach dem sich bietenden Halt. Er achtete nicht darauf, dass sich seine Hand kräftig um den Oberarm der sich vor ihm befindlichen Person krallte.
Ein unterdrücktes Aua und ein irritierter böser Blick folgten postwendend seinem ungeschickten Handeln. Joseph starrte in ein weit aufgerissenes Augenpaar. Wie gebannt stand er da, unfähig sich zu rühren. Seine napoleonische Kopfbedeckung, die er sich unter den Arm geklemmt hatte, entglitt ihm und fiel auf den Fußboden zwischen den Stuhlreihen. Das registrierte er in seiner aufkommenden Panik schon nicht mehr.
Bevor er ein „Entschuldigung, wie ungeschickt“ murmeln konnte, keifte der geschminkte Pierrot schon heftig los.
„Sie tun mir weh. Was fällt ihnen denn ein? Mann, sie sind ja betrunken. Machen sie das sie wegkommen oder ich schreie auf der Stelle alle Leute zusammen.“
Zwei dunkle Augen starrten aus dem weiß geschminkten Gesicht in unerbittlicher Härte auf den unglücklichen Joseph. Alles lief in Sekundenschnelle ab, er kapierte erst gar nicht, was er da angerichtet hatte.
Ohne weiter auf die zeternde Frau zu achten, drehte er ab. Fluchtartig versuchte er vom Ort seiner Schmach zu entfliehen. Erst nachdem er auf der Straße vor dem Gemeindehaus stand und sich in Richtung seiner Pension davonmachte, wurde ihm bewusst, wie dämlich er sich angestellt hatte. Wie vom Schlag gerührt merkte er, dass er seinen pompösen Hut bei der missglückten Aktion eingebüßt hatte. Es half nichts. Er konnte unmöglich zurück. Zu blöd aber auch.