Читать книгу In der inneren Welt (Band 2) - Hero Leander - Страница 7

Ein neuer Anfang

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Seit dem Geständnis von Wolfgang über seine Liebe zu Diane waren inzwischen zwölf Jahre vergangen. Sie hatten nie wieder über diese Diane gesprochen. Marina lebte immer noch glücklich mit ihrem Wolfgang zusammen und hatte auch nie wieder Grund zur Eifersucht gehabt. Ihre Tochter Diana war inzwischen zu einer selbstbewussten Jugendlichen heran gewachsen.

Die allgemeine Situation hatte sich im Land drastisch verändert. Die Wirtschaft brach immer mehr zusammen. Der Dollar hatte keinen Wert mehr. In vielen Ländern kamen völlig andere Regierungen mit neuen Zielen an die Macht. Wie sollte das nur weiter gehen? Zum Glück hatte es Marina und Wolfgang noch nicht mit Arbeitslosigkeit getroffen, wie so viele andere. Sie hofften inständig, dass dieses Chaos bald vorüber wäre. Und Wolfgang dachte in letzter Zeit immer öfter an die Zukunftsprognosen, die er beim Bergkristall-Clan gehört hatte. Hatten sie dieses Chaos gemeint? Aber das konnten sie doch damals noch gar nicht wissen! Oder doch? Wolfgang war hin und her gerissen. Konnte er sich doch mit niemand darüber unterhalten. Besonders das bedrückte ihn am meisten. Seiner Familie gegenüber gab er sich jetzt stets optimistisch. Er erzählte seinen Frauen, dass die alten Mayas dieses Chaos vorausgesagt hatten und ebenso prophezeiten, dass hinterher ein goldenes Zeitalter anbrechen würde. Also müsse man sich keine großen Sorgen machen, denn alle Prophezeiungen der alten Mayas hatten sich in der Vergangenheit erfüllt. Dann würden sie auch diesmal recht behalten.

Freitagabends beim Abendbrot fragte Diana ihren Papa plötzlich: „Sag mal, glaubst du, dass es Außerirdische gibt?“

Wolfgang hatte sofort ein zynisches Lächeln im Gesicht. Doch dann besann er sich, dass er ja mit seiner unerfahrenen Tochter sprach. „Ich glaube schon. Wie kommst du darauf?“

„Na so meine ich das nicht. Sicher gibt es irgendwo welche. Ich meine, ob du glaubst, dass sie schon auf unserer Erde waren?“

„Sicher waren sie das. Es gibt genug Artefakte, die eindeutig darauf hinweisen, dass Außerirdische schon mal auf der Erde waren.“

Auf Dianas Stirn bildeten sich Falten und ihr Papa meinte lachend: „Willst du Falten im Gesicht haben?“

„Was? Nein!“ Und schon waren die Falten wieder verschwunden. Doch dann fragte sie erneut: „Was für Artefakte?“

Wolfgang winkte ab. „Da gibt es unheimlich viele. Denke nur mal an die Pyramiden in Ägypten, bei denen man bis heute nicht glaubwürdig erklären kann, wie sie gebaut worden sind. Alle Erklärungsversuche halten einer Hinterfragung nicht stand. Oder auch die Hünengräber, bei denen am Deckstein unten wie mit einem Laser eine Scheibe abgeschnitten wurde. Glaubst du, dass die Frühmenschen vor 4-6.000 Jahren schon Laser hatten?“

Diana schüttelte mit dem Kopf. „Und du glaubst, dass die Steine abgeschnitten wurden?“

„Nein! Ich glaube es nicht. Ich weiß es, denn ich habe selbst vor Jahren mehrere Hünengräber in Norddeutschland im Urlaub gesehen. Und was ich gesehen habe, redet mir niemand aus.“

„Wo soll denn das gewesen sein?“

„Warte mal, das ist schon länger her. Doch an zwei dieser Hünengräber erinnere ich mich ganz besonders. Es war ganz nah an der Autobahn und nicht weit vom Krakower See. Jetzt erinnere ich mich wieder. Die Autobahn ist die A 19 und das eine Hünengrab war bei Kuchelmiß und das andere befindet sich ganz in der Nähe im Wald, heißt Kretstein und liegt bei Serrahn. Diese beiden sind leicht zu finden. In jedem Dorf gibt es dort eine Hinweistafel mit einer Karte, in der diese Hünengräber eingezeichnet sind.“

„Können wir da mal hinfahren oder ist das zu weit“, fragte Diana interessiert.

„Das ist nicht all zu weit, vielleicht drei Stunden mit dem Auto. Aber wieso interessierst du dich plötzlich für solche Dinge?“

„Wir haben heute in der Schule über Stonehenge diskutiert und Markus aus unserer Klasse meinte, dass die Menschen damals nicht in der Lage gewesen wären, solche Bauwerke zu errichten.“

„Dieser Markus hat Recht. Die Steine sind viel zu schwer, als dass man sie nur mit Muskelkraft so hoch und auf den Millimeter genau hätte einbauen können. Dazu kommt das astronomische Wissen, was dort mit eingebaut ist und die Tatsache, dass man an diesem Bauwerk über eintausend Jahre gebaut hat, aber keinen schriftlichen Plan dazu hatte. Nur mündlich kann man einen Plan nicht über dreißig Generationen weiter geben. Das ist wie bei dem Spiel Stille Post. Da kommt am Ende auch nur Unsinn heraus. Nein, ich glaube auch, dass dort Außerirdische mitgewirkt haben.“

„Dann hat Markus ja recht. Er behauptet das nämlich auch. Er sagt auch, dass er im Internet gelesen hat, dass schon einige Regierungen von kleineren Ländern bestätigen, dass es Außerirdische auf der Erde gab. Und dann sagte er noch, dass es hier bei uns in der Nähe auch so etwas Ähnliches wie Stonehenge geben muss. Dieses Bauwerk wäre aber viel älter als Stonehenge.“

Bedächtig nickte Wolfgang. Die Bilder von Goseck kamen wieder in ihm hoch. „Ja, Diana, dieser Markus hat auch diesmal recht. Er meint bestimmt das Sonnenobservatorium in Goseck.“

Bei diesem Namen horchte Marina auf. Sie erinnerte sich, dass ihr Wolfgang vor vielen Jahren mal eine phantastische Geschichte erzählt hatte, in der dieser Ort eine Rolle spielte.

„Ja, so hat er es genannt. Du kennst es auch?“, fragte Diana erstaunt.

„Sicher! Ich war schon mehrmals dort. Es ist nicht sehr weit von uns entfernt. Mit dem Auto vielleicht eine Stunde.“

„Was? Können wir da nicht mal hinfahren? Dann hätte ich gleich was zu berichten, wenn wir uns am Montag wieder in der Schule treffen.“

„Diana, bitte sei mir nicht böse, aber ich möchte nicht dorthin fahren.“

„Warum nicht?“

„Weißt du … Ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll.“ Dabei sah er seine Marina an, die so tat, als hätte sie nicht zugehört. „Ich hatte dort mal … ein trauriges Erlebnis, bevor ich Mama kennengelernt habe. Ich möchte nicht wieder daran erinnert werden.“

„Papa, komm. … Hattest du dort etwa ein Date? Das ist ja spannend.“ Begeistert hing sie an seinen Lippen und wollte unbedingt mehr darüber erfahren.

Doch ihr Papa schüttelte den Kopf. „Diese Geschichte erzähle ich dir vielleicht später einmal. Heute nicht.“

„Schade. Hattest du nun dort ein Date?“

Nun musste Wolfgang über seine hartnäckige Tochter lachen. „Nein, Diana. Ein Date hatte ich dort nicht. Aber eines kann ich dir noch sagen. Es ist ein magischer Ort.“

„Was?! Und das willst du mir nicht erzählen? Bitte, Papa. Ich kann sonst nicht ruhig schlafen“, bettelte sie.

Als Wolfgang rüber zu seiner Frau sah, schüttelte sie unmerklich den Kopf in der Hoffnung, dass er sie verstand. Und so sagte er zu seiner Tochter: „Wenn ich es dir erzählen würde, könntest du auch nicht besser schlafen. Außerdem dauert das Stunden. Also heute nicht. Das ist mein letztes Wort.“

„Schade.“ Diana wusste, wenn ihr Papa so reagierte, brauchte sie nicht weiter betteln. So ging sie unverrichteter Dinge abends ins Bett und überlegte, was ihr Papa da wohl so geheimnisvolles erlebt hatte. Das konnte nur zusammen mit einer Frau gewesen sein. Das stand für sie fest. Aber in einem Bauwerk, wo immer Touristen sind, kann er doch nichts Schlimmes gemacht haben. Ihr kamen die wildesten Gedanken, doch dann hatte sie diese immer wieder verworfen und irgendwann schlief sie ein.

Einen reichlichen Monat später, es war am 09. November, verbreiteten die offiziellen Medien: Die neue amerikanische Regierung gab bekannt, dass es im Gegensatz zu früheren Aussagen doch Außerirdische gibt und fast alle Regierungen dieser Erde mit diesen Außerirdischen in Kontakt stehen. Das schlug wie eine Bombe ein. Die meisten Regierungen der anderen Länder bestätigten diese Aussage.

Nun liefen die Menschen verängstig herum. Sie hatten Angst vor einer außerirdischen Invasion. Viele zogen sich ängstlich in ihre Wohnungen und Häuser zurück. Andere hingegen sagten, dass sie das schon immer gewusst hatten und es Zeit wurde für diese offizielle Bekanntgabe.

Als Diana nach Hause kam, fragte sie aufgeregt ihren Papa: „Hast du schon gehört? Die US-Regierung hat bekannt gegeben, dass sie schon lange mit Außerirdischen Kontakt haben und alle anderen Regierungen auch!“

Wolfgang nickte bedächtig. „Das wusste ich schon. Sie haben seit 1995 ständigen Kontakt mit der Galaktischen Föderation des Lichts.“

Seine Tochter sah ihn etwas skeptisch an. „Was ist das denn für ein Verein?“

„Diese Galaktische Föderation des Lichts ist in unserer Milchstraße so etwas Ähnliches, wie auf unserer Erde die UNO. Ihr gehören tausende außerirdische Völker an. Deshalb habe ich vor einem Monat lächeln müssen, als du mich fragtest, ob ich an Außerirdische glaube.“

„Woher weißt du das alles? Davon haben sie im Fernsehen gar nichts gesagt.“

Wolfgang hob die Schultern und lächelte überlegen. Doch dann sagte er ihr: „Ich hatte vor zwanzig Jahren im Urlaub viel darüber gehört. Da war ich … mit Personen zusammen, die eine ganze Menge darüber wussten.“

„Davon musst du mir unbedingt mehr erzählen, aber heute nicht. Ich habe gleich ein Date.“ Sie verabschiedete sich und verließ die Wohnung.

Wolfgang sprach nun mit Marina darüber. „Siehst du nun, dass ich doch recht hatte. Jetzt müssen sie nur noch die Welt im Inneren der Erde offiziell bestätigen. Ich glaube, auch das wird nicht mehr lange dauern“, sagte er begeistert.

„Wenn das so ist, wirst du uns dann verlassen?“, fragte Marina ängstlich.

„Um Gottes Willen, Marina!“, rief er entsetzt. „Wie kommst du denn darauf? Nie würde ich euch verlassen! Nie!“

„Dann wäre doch der Weg zu dieser Diane wieder frei!“

Sofort ließ seine Euphorie nach. Nachdenklich nickend antwortete er: „Ja. … Vielleicht!“ Wie abwesend nickte er weiter vor sich hin. „Aber wenn ich wieder dort hin gehe, dann nur mit euch. Niemals allein! Ich liebe euch doch. Verstehst du denn das nicht?“

Marina zuckte mit den Schultern. Sie hoffte inständig, dass er dann auch noch so dachte, aber sicher war sie sich nicht.

Vier Tage später hatte sich die Aufregung der Menschen etwas gelegt. Im Fernsehen berichtete man von verschiedenen Außerirdischen, die so aussahen wie die Menschen. Man erklärte woher sie kamen und dass sie keine Gefahr für die Menschheit waren. Das beruhigte dann doch viele.

Diana und ihr Papa diskutierten am Nachmittag viel über diese erneuten Informationen von den Außerirdischen. Da meinte Wolfgang: „Du musst dich mit dem Gedanken anfreunden, dass manche Außerirdische wesentlich größer sind als wir. Jetzt, wo ihre Existenz offen bekannt gegeben wurde, werden sie uns sicher irgendwann offiziell besuchen.“

„Glaubst du, dass sie hier bei uns so einfach landen?“

„Sicher! Aber nur auf offizielle Einladung unserer Regierungen. Ich denke, das wird bald sein.“

Da meinte Diana spöttisch: „Und wenn es bei uns klingelt, müssten wir damit rechnen, dass draußen ein Außerirdischer steht.“

Wolfgang lachte: „Ja, vielleicht.“

Plötzlich klingelte es nun tatsächlich. „Da siehst du’s“, meinte Wolfgang lachend. „Jetzt kommt schon der erste Außerirdische!“

Noch bevor Marina oder Wolfgang aufstehen konnten, war Diana schon an der Tür. Kurz darauf kam sie mit verwundertem Gesicht ins Wohnzimmer zu ihren Eltern und sagte schulterzuckend: „Da draußen steht eine Frau, die mit euch sprechen will. Sie sagt, sie heißt Diane und Papa würde sie kennen.“

Wolfgang erstarrte und wurde ganz blass. Ihm lief es eiskalt den Rücken runter. Er starrte seine Tochter mit großen Augen an und war nicht fähig etwas zu sagen.

„Papa! Was ist mit dir?“, rief Diana besorgt.

Darauf fragte er halb abwesend: „Ist sie groß?“

„Ja!“, lachte Diana, „Fast zwei Meter.“

Erneut starrte Wolfgang seine Tochter an, stand sprungartig auf und rannte zur Tür. Da stand sie, Diane. Wolfgang konnte es noch immer nicht fassen. Sie lächelte wie damals, obwohl in ihren Augen Tränen standen. Um nicht aufzufallen trug sie die gleichen Sachen, wie er sie damals getragen hatte, als er in Posid ankam. Diane war seitdem kaum älter geworden, obwohl so viele Jahre vergangen waren. Vorsichtig fragte sie: „Darf ich euren Wohnraum betreten? Oder soll ich besser wieder gehen?“

Das löste bei Wolfgang die Starre und er umarmte sie. „Diane! Mein Gott, du bist hier.“ Tränen liefen nun auch über sein Gesicht. So viele Jahre hatte er gehofft und gezweifelt, und nun war sie da. Sie hatte ihn gefunden, wie Gerda ihren Kai in Andersens Märchen.

Diane fragte erneut: „Darf ich euren Wohnraum betreten?“

„Was? … Wieso? … Ach so, ja natürlich!“ Langsam kam er zurück in die Wirklichkeit. „Bitte komm rein. Ich möchte dich meiner Familie vorstellen.“

Er führte sie ins Wohnzimmer, wo Marina ängstlich wartete und Diana skeptisch diese Fremde betrachtete. Wie läuft die denn rum?, dachte Diana, nachdem sie sich den Gast genauer angesehen hatte. Mit Jeans und kariertem Hemd, als ob sie von Mode noch nie was gehört hätte.

„Marina, das ist Diane, von der ich dir schon viel erzählt habe.“

Ängstlich grüßte Marina die große Frau.

„Mama. Wer ist das?“, fragte Diana respektlos.

„Das ist eine frühere Freundin von Papa aus der Zeit, als wir uns noch nicht kannten“, versuchte Marina zu erklären.

Wolfgang bot Diane erst einmal einen Platz an. Er starrte sie ständig an und war noch immer nicht fähig etwas zu sagen.

Diana hingegen fixierte sie kampfbereit.

Da ergriff Diane das Wort. „Ich wollte eure Harmonie nicht stören. Vielleicht sollte ich dir, Diana, erst einmal erklären, wer ich bin und was ich hier will, bevor du mich hinauswirfst.“ Dabei lächelte sie Diana an.

Verlegen sah Diana nach unten. Kann die denn Gedanken lesen?

„Ja!“, antwortete Diane ihr knapp.

Nun wurde Diana diese Besucherin unheimlich. Eng rückte sie mit ihrer Mutter zusammen und sah jetzt auch ängstlich auf diesen großen Gast.

Doch das löste Wolfgang aus seiner Starre. „Diane! Ich denke ihr dürft das nicht ohne Zustimmung?“

„Du hast ja recht. Es war nicht fair. Bitte verzeih mir, Diana.“

Wolfgangs Tochter verzog ihr Gesicht, starrte ihren Papa und anschließend den Gast an. Dann bildeten sich einige Falten auf ihrer Stirn: „Was soll ich verzeihen?“

„Dass sie ohne dich zu fragen deine Gedanken gelesen hat“, antwortete Wolfgang seiner Tochter.

„Ja, ja, schon gut“, entgegnete nun Diana. Aber unheimlich blieb ihr der Gast trotzdem.

„Ihr habt sicher die offizielle Bekanntgabe über Außerirdische gehört. Das gab mir das Recht euch zu besuchen. Wie ihr sicher von ihm wisst, bin ich für euch ja auch so etwas wie eine Außerirdische, auch wenn das so nicht ganz richtig ist.“

„Was denn, sie woll’n ’ne Außerirdische sein?“, fragte Diana jetzt sehr skeptisch und lachte anschließend. Damit kam ihr Selbstbewusstsein wieder zurück. „Das ist mir zu blöd. Was wollen Sie von meinem Papa?“

Darauf erwiderte Diane: „Du glaubst mir nicht? Kannst du meine Gedanken lesen?“

„Blödsinn! Das kann niemand!“

„Wieso kann ich dann deine Gedanken lesen?“

„Können Sie das wirklich?“, fragte Diana schon etwas kleinlauter.

„Ja, und noch so manches mehr. Aber ich will euch damit nicht erschrecken. Diana, du heißt fast so wie ich. Ich heiße Diane. Wollen wir nicht Freundinnen werden?“

„Wer sind Sie eigentlich? Und dann lassen Sie vor allem meinen Papa in Ruhe!“, konterte Diana jetzt mutig. „Es ist vielleicht besser, wenn Sie wieder gehen!“

„Diana!“, ermahnte sie Wolfgang. „Diane ist unser Gast.“

„Meiner und Mamas nicht! Sie will dich doch nur von uns trennen. Merkst du das denn nicht!“, rief Diana trotzig ihrem Vater zu.

Noch bevor Wolfgang sich dazu äußern konnte, ergriff wieder Diane das Wort. „Wolfgang, lass mich das erklären. - Diana, ich verstehe dich, aber ich will deinen Papa nicht von euch trennen. Ganz bestimmt nicht!“

„Und das soll ich Ihnen glauben?“, antwortete Diana verächtlich.

„Ja. Dort, wo ich herkomme, sagt man immer die Wahrheit.“

„So? Kommen Sie vom Mars? Hier auf der Erde gibt es kein Land, wo alle immer die Wahrheit sagen.“

„Nein, vom Mars komme ich nicht, aber ich lebe auch nicht in eurer Welt. Ich wohne in Posid. Das ist in der inneren Erde unter Brasilien, wenn dir das etwas sagt. Und meine Vorfahren lebten in Atlantis. Hast du davon schon gehört?“

„Aber jetzt wollen sie mich auf den Arm nehmen! Die Erde ist innen flüssig und unvorstellbar heiß. Atlantis hat es nie gegeben und ist nur eine Spinnerei von irgendwelchen Phantasten. Wo also kommen Sie wirklich her?“

Marina überließ gern ihrer Tochter das Wort. Sie hätte nie so souverän mit dem Gast sprechen können. Wolfgang hingegen sagte bewusst nichts. Wusste er doch, wer Diane war. Aber wenn sie seine Tochter überzeugen konnte, dann überzeugte sie automatisch auch seine Frau mit. Das wiederum würde ihm helfen, seiner Marina die Situation so zu erklären, dass sie keine Angst haben müsste.

„Diana, ich habe dir die Wahrheit gesagt. Nur du hast etwas Falsches gelernt. Aber das ist nicht deine Schuld.“

„So? Und wo kommt dann das Magma her, wenn die Erde innen nicht flüssig sein soll? Sehen Sie, wie schnell Ihre Lügen wie Seifenblasen zerplatzen.“

Diane lächelte. „Nein, so ist es nicht. Wenn du deine Haut verletzt, dann blutet es. Heißt das aber, dass dein ganzes Körperinnere aus Blut besteht?“

„Was soll denn jetzt dieser Quatsch?“

„Es ist wie bei der Erde. Das Magma fließt unter der Erdrinde. Das ist richtig. Aber es fließt dort, wie das Blut unter deiner Haut. Unter der Magmaschicht ist die Erde fest. Du hast viele Dinge fasch gelernt, weil man hier, wie du vorhin richtig bemerkt hast, oft nicht die Wahrheit sagt. Bis vor ein paar Tagen gab es offiziell auch noch keine Außerirdischen. Und heute? Erst durch die Veröffentlichung wurde deren Existenz bestätigt. Du hast sicher vorher gelernt, dass es keine gibt. Stimmt’s?“

„Ja, aber was hat das mit Ihnen zu tun?“, fragte Diana weiter.

„Meine Vorfahren lebten auf dem Kontinent Atlantis, der nach eurer Zeitrechnung vor etwa 13.000 Jahren unterging. Mein Volk stammt von Siedlern ab, die vor 500.000 Jahren damals vom Sirius-B und aus den Plejaden kamen. Also sind Sirianer und Plejadier meine Urvorfahren, wenn man so sagen will.“

„Und das soll ich Ihnen glauben?“ Diana schüttelte den Kopf.

Diane überlegte lange und kam zu einem Entschluss. „Gut. Ich beweise es dir und deiner Mama, denn sie glaubt mir auch nicht so richtig. Wann wird es bei euch dunkel?“

„Was soll denn das? Was hat das mit dem Dunkelwerden zu tun? Jeder weiß, dass es zurzeit zwischen vier und fünf dunkel wird.“

„Nun, ich weiß es nicht. Bei uns ist das nämlich anders. So haben wir bis dahin noch etwas Zeit. Und sobald es dunkel ist, werde ich euch die innere Welt zeigen, wenn ihr wollt.“

„Waaas? Wie denn?“, fragte Diana jetzt völlig aufgeregt.

„Mit dem Transporter, mit dem ich durch die Südpolöffnung hierher gekommen bin.“

„Was denn, Sie wollen mit einem Transporter bis zum Südpol und dann ins Erdinnere fahren? Na dann viel Spaß!“

„Nicht fahren. Fliegen!“

„He? Fliegen? Mit einem Auto?“ Das war für Diana zu viel.

Da mischte sich Wolfgang in den Dialog zwischen Diane und seiner Tochter ein. „Mit Transporter meint Diane eine Art Mini-UFO für Kurzstrecken. Habe ich das so richtig erklärt?“

Diane nickte und lächelte besonders Diana an.

„UFO? Sie wollen sagen, Sie sind mit einen UFO gekommen und das steht hier vorm Haus?“

Da lachte Diane und schüttelte den Kopf. „Nein. Vor euerm Haus steht mein Transporter natürlich nicht, aber der Rest stimmt. Ich darf hier nicht sichtbar landen, weil das viele Menschen noch verunsichern würde. Deshalb bin ich heute früh, bevor es hell wurde, außerhalb der Stadt gelandet und habe mir eure Stadt angesehen, bevor ich hierher kam. Dein Papa hat mir vor vielen Jahren von seiner Stadt erzählt und ich war neugierig. Ich habe sie heute zum ersten Mal gesehen.“

„Und Sie wollen uns wirklich mit Ihrem UFO mitnehmen?“

„Ja, wenn ihr wollt. Ich will euch nur kurz die innere Welt zeigen, damit ihr mit glaubt. Solange du und deine Mama mir nicht vertrauen könnt, wird es keine Harmonie zwischen uns geben.“

Nun sah Diana ihre Mutter an. „Kommst du mit? Ich bin bereit!“

„Ich auch!“, meldete sich Wolfgang.

„Und Sie haben wirklich ein UFO?“, fragte Marina ängstlich.

„Es gehört mir nicht. Ich benutze es nur. Aber das geht erst, wenn es dunkel ist, damit wir ungesehen von anderen starten können. Gibt es hier in der Nähe eine größere Fläche, wo uns der Transporter aufnehmen kann?“

„Ich denke, er steht hier irgendwo?“, frage Diana enttäuscht.

„Das würde zu viel Aufsehen erregen. Noch müssen wir ungesehen starten und landen. Später können wir das dann sicher auch offiziell tun. Der Transporter wartet im Orbit darauf, dass ich ihn rufe.“

„Wo?“, fragte Wolfgangs Tochter erstaunt und starrte Diane mit großen Augen an.

„Außerhalb der Lufthülle, wo er für die Augen der Menschen nicht sichtbar ist.“

„Wie viel Platz braucht er zum landen?“, fragte jetzt Wolfgang.

„Du kennst die Transporter. Sie haben sich nicht verändert“, entgegnete Diane.

„Dann weiß ich, wohin wir müssen. Ich kenne so eine Fläche und weit ist es auch nicht.“

„Papa, du glaubst ihr wirklich?“

„Ja natürlich! Ich habe Diane in der inneren Erde getroffen. Damals, bevor ich deine Mama kennen gelernt habe. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt an dem ihr euch besser bekannt machen solltet.“ Er sah Diane an und sie nickte. Da sagte er: „Vielleicht solltet ihr mit dem Du beginnen. Diane ist nicht nur meine Freundin. Sie will auch eure Freundin sein und ganz bestimmt niemandem weh tun; auch dir nicht, Marina.“

Diane nickte.

„Gut, ich heiße Diana“, und sie gab dem großen Gast die Hand.

Diane nahm sie und entgegnete: „Ich bin Diane aus Posid.“

„Ich bin Marina“, sagte Wolfgangs Frau kleinlaut und streckte Diane ängstlich die Hand hin.

„Marina, ich bin ganz bestimmt nicht gekommen um euer Glück zu stören. Ich will dir auch deinen Mann auf keinen Fall wegnehmen.“ Sie schüttelte mit dem Kopf. „Wolfgang weiß, dass es bei uns so etwas wie Eifersucht nicht gibt. Ich wollte ihn nach der langen Zeit nur besuchen und euch dabei kennen lernen.“

„Woher wussten … weißt du von uns?“, fragte Marina skeptisch.

„Aus Wolfgangs Träumen. Ich hatte manchmal Kontakt zu ihm, wenn er besonders intensiv an mich dachte. Ich konnte ihn aber nur im Traum kontaktieren. Hat er nie davon gesprochen?“

Marina schüttelte den Kopf und sah dabei Wolfgang an. Jetzt versuchte er das zu erklären.

„Seit Marina von dir weiß, war sie immer sehr traurig, wenn es um dich ging. Deshalb habe ich nicht von dir sprechen wollen, wenn du mir im Traum erschienen bist. Sie hätte das vermutlich ganz anders aufgefasst, als es gemeint war. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich mir das vielleicht nur eingebildet hatte. Die Träume waren also alle wahr und du hast sie mir geschickt?“

Diane nickte. „Es war die einzige Kontaktmöglichkeit mit dir.“

„Und wie soll es jetzt weiter gehen?“, fragte Marina berechtigt.

„Na erst einmal der UFO-Flug. Dunkel genug ist es ja inzwischen. Ich will schon wissen, ob das wirklich stimmt, was Diane die ganze Zeit behauptet“, warf Diana ein.

„Gut! Gehen wir“, sagte Wolfgang und stand auf.

„Du glaubst wirklich, wir werden ein UFO sehen?“, fragte Diana immer noch ungläubig ihren Papa.

„Glauben? Ich weiß es! Schließlich bin ich mit so einem Ding schon mehrmals geflogen.“

„Irre!“, war Dianas ganze Antwort.

Sie verließen nun die Wohnung und Wolfgang führte sie jetzt zu einem ehemaligen Industriegrundstück, welches seit Jahren unbebaut war und an einer Bahnbrücke lag.

„Hier stand früher mal eine Gießerei. Doch nach der Wende hat man alles abgerissen und seit dem ist hier freie Fläche. Entspricht das deinen Vorstellungen, Diane?“

Sie sah sich um und nickte. Es waren keine Wohnhäuser in unmittelbarer Nähe und der Platz war viel größer als notwendig. Dunkel genug war es auch. Also rief sie den Transporter telepathisch.

Es dauerte gar nicht lange, als Diana ein merkwürdiges Geräusch in der Luft hörte, welches immer näher kam. Es klang wie der Brenner bei einem Heißluftballon, nur war es ein Dauerton und leiser.

Plötzlich fiel ein Schatten direkt neben ihnen zu Boden. Diane ging auf ihn zu und eine kaum wahrnehmbare Öffnung zeigte sich.

„Schnell einsteigen. Es ist wichtig, dass uns niemand sieht.“

Wolfgang ging gleich hinter Diane hinterher. Diana wollte auch, aber ihre Mutter traute sich nicht so richtig. Da wurde sie von ihrer Tochter an die Hand genommen und mit in das UFO gezogen. Sofort schloss sich die Öffnung hinter ihnen. Diana schaute sich nun um. Innen war ein kreisrunder Raum, aber nicht wirklich größer als ihr Wohnzimmer zu Hause. Über ihnen war eine Kuppel und unten ein normaler glatter Fußboden. An der ringförmigen hüfthohen Außenwand konnte Diana eine schmale, leicht schräge tischartige Fläche erkennen, die ringförmig den Innenraum nach außen begrenzte und auf der einige Felder leuchteten. Direkt darüber begann die Kuppel. Vor dieser Apparatur befand sich eine ringförmige Bank, auf die sich nun Diane und ihr Papa setzten. Mehr war in diesem UFO nicht zu erkennen.

Diana und ihre Mama setzten sich nun ebenfalls mit dem Rücken zur Ringapparatur. Dabei stellten sie fest, dass die Sitzbank angenehm weich, aber etwas zu hoch war. Ihre Füße baumelten in der Luft. Wolfgang erkannte an ihren Gesichtern, dass ihnen das unangenehm war. Deshalb klärte er seine beiden Frauen auf: „Diese Transporter sind für Atlanter und diese sind größer als wir. Deshalb reichen unsere Füße nicht bis zum Boden.“

Diana sah ihre Mutter an und zuckte mit den Schultern. Dann warteten sie, aber es passierte nichts.

„Und was jetzt?“, fragte Diana forsch.

„Sieh mal nach unten“, forderte Diane sie auf.

Der Boden und die Kuppel wurden jetzt glasklar und Diana sah, wie die Lichter der Stadt immer kleiner wurden.

„Wir fliegen ja schon!“, rief Diana begeistert. „Wieso merkt man hier drinnen nichts davon?“

„Weil unsere Technik so weit fortgeschritten ist, dass sie alle Fliehkräfte absorbiert“, erklärte ihr Diane.

Durch die Kuppel, die jetzt ebenfalls durchsichtig wurde, konnte man nun uneingeschränkt nach der Seite und nach oben sehen. Dabei erkannte Diana, dass sie jetzt sehr hoch und nach Westen flogen, wo es noch hell war. Nach kurzer Zeit erklärte Diane: „Das ist Amerika unter uns. Diana, kannst du es erkennen?“

„Aber … wir sind doch höchstens zehn Minuten unterwegs! Wie …“

„Unsere Transporter würden in weniger als einer Stunde eine komplette Erdumrundung schaffen. Und von euch bis nach Nordamerika sind das eben nur einige Minuten.“

Diana starrte nach unten und erkannte die Umrisse von Nordamerika, da sie sich in großer Höhe befanden. Jetzt flog der Transporter über Mittel- und Südamerika. Alles ging furchtbar schnell. Über Brasilien stoppte das Fluggerät und Diane sagte: „Wir sind jetzt über Brasilien und direkt über dem Mato-Grosso-Plato. Darunter auf der anderen Seite der Erdschale liegt Posid. Dorthin fliegen wir jetzt.“

Nun wurde es auch der selbstsicheren Diana unheimlich. Jetzt waren sie auch schon am Südpol und tauchten in eine große Öffnung ein. Drinnen war noch heller Tag und Diane klärte ihre Fluggäste auf: „Auch hier wird es in ein paar Stunden Nacht. Wir haben also nicht all zu viel Zeit.“

Plötzlich stand der Transporter über einer fremden Welt. Unter ihnen waren merkwürdige runde Gebäude zu sehen und viel Wald, Seen und einige Flüsse.

„Das ist Posid. Glaubt ihr mir jetzt?“, fragte Diane die beiden Frauen.

„Dann … Dann stimmt alles, was Wolfgang erzählt hat?“, fragte Marina ängstlich.

„Ich glaube ja, obwohl ich nicht weiß, was er erzählt hat. Aber so wie ich ihn kenne, übertreibt er kaum. Eher lässt er mal etwas weg.“ Dabei lächelte sie ihn zum ersten Mal vor Marina an. Bisher hatte Diane das tunlichst vermieden, um sie nicht zu provozieren.

„Kann man uns nicht sehen? Hier ist es doch hell!“, fragte Diana jetzt besorgt.

„Das stört hier niemanden“, antwortete Diane. „Bei uns ist man an den Anblick der Transporter gewöhnt.“

„Können wir hier auch landen?“, fragte Diana wieder.

„Ja.“

Nun konnten sie sehen, wie der Boden unter ihnen immer näher kam. Kurz bevor der Transporter aufsetzte, erkannte Wolfgang den Wohnort von Dianes Bergkristall-Clan. Ob sie mich wiedererkennen, fragte er sich.

Da lächelte Diane und meinte zu ihm: „Wie kannst du daran zweifeln?“

„An was soll mein Papa zweifeln?“, fragte Diana schon wieder kampfbereit.

„Daran, dass meine Verwandten ihn wieder erkennen. Ich weiß, er hat es nicht gesagt, aber ich habe seine Gedanken gehört.“

„Hörst du meine Gedanken auch immer?“, fragte sie jetzt misstrauisch.

„Nein. Ich darf das nur, wenn du es mir erlaubst. Dein Papa hat mir vor zwanzig Jahren erlaubt, dass ich seinen Gedanken immer zuhören darf. Bei dir war es heute Nachmittag ungewollt. Deshalb habe ich dich auch um Verzeihung gebeten.“

„M-m!“ Diana nickte nachdenklich. „Und die können hier alle meine Gedanken lesen?“

„Sie könnten es schon, aber sie dürfen es nicht“, erklärte ihr Diane.

„Und du glaubst ernsthaft, dass sich alle daran halten. Dann bist du aber sehr naiv.“ Überlegen lächelte Diana die große Diane an.

„Nein, Diana. Du kannst eure Welt nicht mit unserer vergleichen. Hier gibt es keinen Betrug, weil jeder die Gedanken des anderen lesen kann und den Betrug sofort bemerken würde. Das Leseverbot gilt nur euch gegenüber, weil ihr sonst im Nachteil wärt.“

„Das klingt fair. Und die halten sich wirklich daran?“

„Ganz sicher. Teste es, wenn du möchtest.“

Inzwischen verließen sie den Transporter und Diana stellte fest: „Hier ist es ja richtig warm.“

„Ja. Bei uns ist immer die gleiche Temperatur. Anziehsachen als Kälteschutz brauchen wir nicht. Deshalb tragen hier alle nur eine Togadile. Doch diese Kleidung, wie ich sie jetzt im Moment trage, hatte dein Papa an, als er uns vor zwanzig Jahren besuchte. Ich habe sie gewählt, um bei euch nicht aufzufallen.“

Da kamen schon die ersten von Dianes Clan und begrüßten Wolfgang wie einen alten Bekannten. Ihm kam es plötzlich vor, als wäre er nur ein paar Wochen weggewesen. Sie begrüßten auch Marina und Diana.

Da stellte Diane ihnen Arebe vor. „Das ist die Frau, die mich geboren hat. Sie ist jetzt 146 Jahre alt. Ihr würdet sagen, sie ist meine Mutter.“

„Was? Du spinnst! So alt wird kein Mensch“, entgegnete Diana ihr entrüstet.

„Ich bin kein Mensch. Ich bin wie Diane Atlanter“, antwortete Arebe freundlich lächelnd.

„Ach so, ja. Und wie alt könnt ihr hier werden?“, fragte Diana jetzt neugierig.

„Bei uns gibt es keine bestimmte Lebenserwartung wie bei euch. Man lebt so lange, wie man will“, klärte Diane sie auf.

„Heißt das, ihr könnt mehrere hundert Jahre alt werden?“

„Ja. Oder tausend, je nach dem, wie lange man leben will.“

Überwältigt schüttelte Diana mit dem Kopf.

Da fragte Marina vorsichtig: „Könnt ihr auch Krankheiten heilen?“

„Nein. Dafür fehlt uns die Erfahrung. Bei uns wird niemand krank. Warum fragst du?“

„Nur so. Es wäre ja toll, wenn ihr es könntet.“

„Willst du deinen Gästen nicht einmal unser Zuhause zeigen?“, fragte Arebe jetzt Diane.

„Ja natürlich. Wollt ihr?“

Marina und ihre Tochter nickten und gingen neugierig Diane hinterher. Wolfgang folgte ihnen in kurzem Abstand mit Arebe.

„Du hast eine nette Familie“, meinte Dianes Mutter. „Deine Tochter ist nur etwas ungestüm. Sind bei euch alle Jugendlichen so?“

„Die meisten“, antwortete Wolfgang lächelnd.

Im Wohntrichter erklärte Diane die einzelnen Räume. Als sie vor der Tür von Wolfgangs ehemaligem Schlafraum ankamen, meinte Diane: „Und hier hat Wolfgang damals vor zwanzig Jahren geschlafen.“ Sie öffnete die Tür und er erstarrte, als er den Raum sah. Dort standen immer noch eine weiße und eine rote Rose am Kopfende des Bettes und die gelben Lilien am Fußende. Bei diesem Anblick verkrampfte sich sein Herz. Wolfgang gab sich alle Mühe, dass seine Augen tränenfrei blieben. Er versuchte mit aller Kraft zu verstecken, was ihn im Moment so sehr bewegte. Marina hingegen war angenehm überrascht, dass in dem kleinen Zimmer nur ein einzelnes Bett stand. Sie suchte Wolfgang mit ihren Augen, doch er merkte das gar nicht. Er blickte wie versteinert in das Zimmer. Das machte Marina erneut unsicher. Jetzt dachte sie auf einmal an die beiden gleichen Rosen unter ihrem Balkon, die Wolfgang so hingebungsvoll pflegte. Ob das auch etwas mit dieser Diane zu tun hat?

Verwirrt fragte er: „Ist das immer noch mein Zimmer?“

„Ja. Du gehörst immer noch zu unserem Clan“, antwortete Diane mit einem unergründlichen Lächeln im Gesicht.

„Aber wieso?“, entfuhr es ihm.

„Darüber können wir ein andermal sprechen, wenn wir mehr Zeit dazu haben.“

Nun gingen sie wieder nach draußen und Wolfgang zeigte ihnen, um die Situation aufzulockern, Arebes Obst- und Beerengarten und Mikahs Reich für Gemüse.

Jetzt schlug Dianas Herz höher. „Darf ich hier mal kosten? Ich esse so gern Himbeeren und bei uns gibt es jetzt keine.“

Da erklärte ihr Diane: „Du darfst von allem so viel essen, wie du willst. Diese Früchte sind für alle da, also auch für dich.“

„Papa, ist das wahr?“

„Du kannst Diane glauben. Sie lügt nie!“

Diana griff zu und die anderen von Dianes Clan, die sie begleiteten, freuten sich, wie sehr es ihr schmeckte.

Da fragte Wolfgang Diane leise: „Können wir auch noch einmal einen Abstecher zur Herbergsschule machen?“

„Abstecher? Was ist das?“, fragte Diane, die diesmal nicht seinen Gedanken gelauscht hatte.

„Ach so, ich bin ja wieder in Posid. Ein Abstecher ist ein kurzer Ausflug.“

„Das können wir, aber all zu lange darf es nicht dauern. Auch hier wird es bald dunkel und kurz danach schlafen alle, wie du ja weißt.“

„Dann fliegen wir am besten gleich. Marina und Diana, kommt. Wir wollen noch an den Ort, wo ich die Tiger behandelt habe.“ Und ganz aufgeregt fragte er: „Lebt eigentlich Toni noch?“

Diane schüttelte den Kopf. „Überleg mal, wie lange das her ist. Tiere haben bei uns die gleiche Lebenserwartung wie bei euch. Ein Tiger lebt etwa fünfzehn Jahre. Auch seine drei Tigerbabys von damals gibt es nicht mehr. Es ist zu lange her. Sei nicht traurig.“

„Ich habe oft daran gedacht und was aus ihnen geworden ist“, gestand Wolfgang traurig.

„Toni und besonders Sira haben am Anfang auch oft nach dir gefragt, wenn sie uns besucht hatten. Sie war dir unendlich dankbar für die Wundbehandlung und beide haben es nicht verstanden, dass du für immer fort warst. Sie haben uns noch eine ganze Zeit lang besucht. Als sie aber merkten, dass du nicht wieder kommst, wurden ihre Besuche immer seltener und hörten irgendwann ganz auf. Als die Kleinen groß waren, verließen sie bald das Revier. So traf ich dann nur noch Toni und Sira auf der Tigerwiese an den Wasserfällen. Ich besuchte sie auch immer mal, als ich die Schule schon verlassen hatte. Toni hatte irgendwann aufgehört nach dir zu fragen. Doch Sira hat bis zu ihrem Tod auf ein Wiedersehen mit dir gewartet.“

Wolfgang standen Tränen in den Augen. Wie gern hätte er sie jetzt noch einmal gestreichelt.

„Moment mal!“, rief da Diana. „Wovon redet ihr da eigentlich?“

„Toni und Sira waren ein Tigerpärchen, welchem dein Papa geholfen hatte, als sie verletzt waren.“

„Wie geholfen?“, fragte Diana jetzt ungläubig.

„Er hat sie mit Kräutern und Bienenhonig behandelt und sie verbunden“, erklärte Diane ihr.

„Wie jetzt? Du hast richtige Tiger verbunden?“, fragte sie ihren Vater erstaunt.

„Ja. Erst hatte ich natürlich auch Angst vor ihnen, aber hier in der inneren Erde leben auch die Tiere von Lichtnahrung. Sie fressen kein Fleisch. Deshalb waren sie genau so gefährlich, wie bei uns eine Hauskatze. Ich habe die beiden sehr geliebt.“

„He? Geliebt? Wie soll ich denn das versteh’n?“

„Nun, ich habe sie sehr gern gehabt. So wie Toni, unseren Kater, den wir vor Jahren hatten. Erinnerst du dich noch?“, fragte Wolfgang seine Tochter.

„Oh ja. Ich habe damals viel geweint, als er eines Tages von seinen Ausflügen in die Umgebung nicht wieder kam.“

„Siehst du, so habe ich die beiden Tiger auch geliebt.“

„Euer Kater hieß Toni?“, frage Diane gerührt.

„Ja, Papa hat ihn so … Hast du ihn wegen diesem Tiger so genannt?“, fragte nun Diana ihren Vater. Dieser nickte nur.

Weil sie noch zur Herbergsschule wollten, verabschiedeten sie sich von Dianes Clanmitgliedern und stiegen in den Transporter, der sie umgehend zur Wiese vor der Herbergsschule brachte.

Unterwegs fragte Diana erneut: „Wieso könnt ihr so alt werden und die Tiere leben bei euch auch nur so lange wie bei uns?“

„Das ist ganz einfach. Wir bestimmen mit unserem Verstand, wann wir aus diesem Leben gehen wollen. Damit es dadurch zu keiner Überbevölkerung kommt, gibt es bei uns eine strenge Geburtenkontrolle. Das heißt, es werden nur so viele Kinder geboren, wie Erwachsene gestorben sind. Da Tiere weder einen Verstand wie wir haben und dadurch auch keiner Geburtenkontrolle unterliegen können, muss ihr Leben genau so begrenzt sein wie bei euch, sonst würden sie sich doch explosionsartig vermehren und damit die gesamte Ökologie zerstören.“

„Hm, das leuchtet ein“, gab Diana zu.

Als sie landeten, sahen sie, wie eine Gruppe auf der Wiese saß und ihre Landung beobachtete. Nun stiegen sie aus und Wolfgang stutzte. War das nicht Sharula? Mit großen Schritten rannte er auf sie zu und umarmte sie begeistert. Ihre Schüler saßen im Kreis um sie herum und bestaunten inzwischen die Ankömmlinge von der äußeren Erde. Sie hatten noch nie Kontakt mit Menschen von außen.

Nach der stürmischen Begrüßung von Wolfgang begrüßte Sharula nun auch Marina und Diana. „Diane hat euch schon bei mir angemeldet und angefragt, ob ihr uns besuchen dürft.“

Nun fragte Diana ihren Vater vorwurfsvoll: „Begrüßt du denn hier alle Frauen so stürmisch. Kannst du dir nicht vorstellen, dass das Mama stört?“

Wolfgang stutzte kurz und erwiderte dann lachend: „Ich glaube nicht, dass Mama dadurch eifersüchtig wird. Sharula ist 494 Jahre alt.“

„Wie alt?“, rief Diana entsetzt.

„494 Jahre!“, wiederholte Sharula lächelnd. Sie wusste ja noch, wie diese Information auf Menschen der äußeren Erde wirkte.

„Ich brauche etwas zum setzen“, erklärte Diana, verdrehte dabei die Augen und setzte sich ins Gras.

Sofort kam ein Schüler von Sharulas Klasse und wollte ihr helfen. Erschrocken blickte sie nach oben, wo der freundliche Helfer endete. Erst jetzt merkte sie, dass auch hier alle viel größer waren als sie. Doch bei dem Anblick des jungen Mannes wurde sie wieder selbstbewusst und fragte Diane: „Wie konntest du uns eigentlich anmelden? Ich habe gar nicht gesehen, dass du mit deinem Handy telefoniert hast.“

„Wir brauchen keine Handys wie ihr. Wir machen das alles telepathisch.“

Betroffen sah Diana jetzt in die Runde der jungen Männer und Frauen, die alle verständnisvoll lächelten. Ihr dagegen war es peinlich, sich so zu blamieren.

Wolfgang fragte unterdessen Sharula erstaunt: „Sind das alle Schüler? Es sind aber diesmal viel weniger und vor allem wenig Mädchen.“

Sharula hob die Schultern, wie sie es bei Wolfgang damals oft gesehen hatte und sagte lachend: „Mehr als fünf Kinder im Schulalter gibt es zurzeit nicht in Posid.“

Da wandte sich Wolfgang wieder zu Diane. „Können wir noch einmal zum Wasserfall. Du würdest mir einen großen Wunsch erfüllen.“

Sie wiegte den Kopf und meinte: „Gut, aber danach müssen wir zurückfliegen.“

„Marina und Diana, kommt mit. Ich will euch etwas Schönes zeigen.“

Sie gingen mit schnellen Schritten den Waldweg von damals entlang und Diana war erstaunt, dass alle Tiere, die ihnen begegneten, gar nicht scheu waren. Zweimal konnte sie sogar ein Reh streicheln. Marina war ebenso begeistert. Jetzt verstand sie Wolfgang, dass er diese Zeit von damals nicht vergessen konnte. Hier war es wirklich sehr, sehr schön.

Als sie die Lichtung an den Wasserfällen erreicht hatten, blühte Marina vollends auf. Das hier war ein wunderschöner Platz. Hier wäre sie am liebsten für immer geblieben. Nach einer kurzen besinnlichen Pause drängte Wolfgang weiter. Er wollte zu der Stelle, wo er Tonis und Siras Tigerkinder zuerst gesehen hatte. Auf dem Weg dort hin warnte Diane: „Sei etwas vorsichtiger. Das ist immer noch ein Tigerrevier.“

„Ich denke, Tiger sind hier ungefährlich“, gab Diana zurück.

„Das sind sie so lange man ihnen nicht zu nah kommt, aber trotzdem sollte man sie nicht reizen.“

Inzwischen waren sie an dem Felsen angelangt und Wolfgang wollte gerade auf ihn zugehen, da kam schon ein Tiger um den Felsen. Marina und Diana schrien auf. Diane hielt ihnen sofort den Mund zu und sagte ihnen: „Der Tiger tut euch nichts, wenn ihr euch ruhig verhaltet. Aber Lärm mögen Tiger gar nicht.“

Ängstlich suchten die beiden hinter Diane Schutz. Nur Wolfgang ging ganz langsam auf den Tiger zu. Er spürte, dass dieser fremde Tiger keine Gefahr für ihn war. Auf halber Strecke zum Tiger blieb er aber stehen und wartete. Langsam kam der Tiger auf ihn zu. Ganz vorsichtig näherte er sich Wolfgang, bis er vor ihm stand. So verharrte er einige Minuten bewegungslos. Doch dann legte sich der Tiger zum Erstaunen der drei Frauen zu seinen Füßen. Wolfgang hockte sich hin und streichelte ihn vorsichtig. Der Tiger ließ sich das gefallen. Bald graulte Wolfgang ihn, wie er damals Toni und Sira gegrault hatte. Marina und Diana trauten ihren Augen nicht. Selbst Diane war verwundert. Das war keine typische Reaktion von einem Tiger. Das wusste sie. Tiger waren zwar nicht gefährlich, trotzdem sollte man ihnen nicht zu nah kommen. Aber für Wolfgang schien das nicht zu gelten.

Als der Tiger wieder aufstand, hörte Wolfgang auf, streichelte ihn kurz und ging langsam zurück zu den Frauen. Der Tiger blieb stehen und sah den Menschen nach, die sich nun entfernten.

Auf dem Rückweg sagte Wolfgang begeistert: „Ich weiß nicht wieso, aber der Tiger hat mich akzeptiert.“

Diane nickte. „Dieser Tiger ist eine Tochter von Siras letztem Wurf, aber nicht von Toni. Er ist wesentlich älter gewesen und daher viel eher gestorben. Siras Tochter wird übrigens bald Junge haben.“

„Woher weißt du das alles?“, fragte Diana skeptisch. „Ich denke, du kennst den Tiger gar nicht.“

„Sie hat es mir gesagt und auch, dass wir Abstand zu ihr halten sollen. Deinen Papa aber würde sie kennen.“

„Du kannst sogar mit Tieren sprechen?“, fragte Diana total erstaunt.

„Nein, nicht sprechen. Aber wir können unsere Gedanken austauschen. So kommunizieren wir alle untereinender“, klärte Diane ihre junge Freundin auf. Zu Wolfgang sagte sie dann: „Du hast vermutlich in der Gruppenseele der Tiger einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das hätte ich nie für möglich gehalten, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte.“

„Jetzt wird mir auch klar, weshalb sogar die Tiger bei uns im Zoo in Leipzig auf mich reagieren. Natürlich nur auf Entfernung, denn diese Tiger sind immer noch Fleischfresser.“

„Sie reagieren auf dich?“, fragte jetzt Diane ganz erstaunt.

„Damals vor zwanzig Jahren, als ich wieder zurück war, bin ich oft im Zoo gewesen und habe die dortigen Tiger besucht. Sie haben immer auf mich reagiert.“ Und er erzählte, was er damals im Zoo erlebt hatte. „Später war ich dann nur noch sehr selten im Zoo. Ich wollte die Vergangenheit hinter mir lassen, denn ich hatte ja nun eine Familie und wollte mich nur noch auf sie konzentrieren.“

Marina hörte erstaunt zu. Von all dem wusste sie noch nichts. Diane hingegen nickte verständnisvoll und lächelte Wolfgangs Frau an. Sie verstand ihn. Weil die Zeit langsam drängte, liefen sie schnell zurück zur Herbergswiese, wo der Transporter auf sie wartete.

„Einen Abstecher zu Gunile, Gudane oder Atmos schaffen wir jetzt wohl nicht mehr?“, fragte Wolfgang bittend.

Diane schüttelte den Kopf. „Vielleicht beim nächsten Mal. Sie würden sich ganz bestimmt freuen.“

Als sie an der Wiese ankamen, war es schon merklich dunkler und von der Schulklasse nichts mehr zu sehen. Deshalb bat Wolfgang Diane, dass sie Sharula und der Klasse ihre Grüße übermitteln solle, da sie sich nicht mehr verabschieden konnten.

Kurz darauf antwortete Diane lächelnd: „Ist schon passiert. Sie grüßen zurück.“

Wieder riss Diana die Augen auf, aber sagte nichts. Wusste sie ja, wie man das hier ohne Handy macht. Trotzdem war es ihr etwas unheimlich, weil man so gar nichts davon mitbekam.

Beim Einsteigen sagte Diane: „Jetzt fliegen wir aber wieder zurück. Bei euch ist schon fast Mitternacht und ihr müsst doch auch schlafen.“

„Wie kannst du jetzt von schlafen reden? Ich bin innen in der Erde. Ich fasse es noch immer nicht. Ich sitze in einem UFO und bin in der inneren Erde. Da redest du von schlafen!“, antwortete die aufgedrehte Diana.

Der Transporter entfernte sich recht schnell von Posid und flog nun wieder zurück zur Polöffnung. Kurz davor wies Diane die beiden Frauen darauf hin, dass sie gerade die deutsche Kolonie Neuschwabenland überflogen.

„Neu-was?“, fragte Diana.

„Neuschwabenland! Hier leben seit über 85 Jahren Landsleute von euch. Von ihnen haben wir Atlanter eure Sprache gelernt.“

„Ist das wahr?“ Diana verzog ihr Gesicht in ein ablehnendes Aussehen. „Davon habe ich noch nie etwas gehört.“

„Das glaube ich“, bestätigte Diane ihr. „Wenn das bekannt wäre, würden auch alle von der hohlen Erde und ihren Bewohnern wissen.“

„Deutsche? Es ist nicht zu fassen.“ Diana hatte immer noch Probleme, diese Tatsache zu verkraften. „Papa, hast du das gewusst?“

„Ja. Ich habe sie vor zwanzig Jahren mit Diane besucht. Sie haben sich sehr über meinen Besuch gefreut und sagten, sobald die Situation es erlaubt, werden sie sich wieder mit uns vereinigen.“

Diana schüttelte mit dem Kopf. Das alles stand im absoluten Gegensatz zu dem, was sie in der Schule gelernt hatte. „Da haben wir ja nur Blödsinn gelernt!“, rief sie jetzt aus.

„Nicht nur, aber vieles ist anders, als ihr es gelernt habt. Das ist richtig“, ergänzte ihr Papa.

Der Transporter war längst durch die Polöffnung wieder nach draußen geflogen und bewegte sich jetzt durch die Nacht. Es war nun nichts mehr zu sehen.

Da erinnerte sich Diana plötzlich und fragte: „Hast du vorhin nicht gesagt, dass die Tiger nach Papa gefragt haben? Können alle Tiere in der inneren Erde sprechen?“

Diane antwortete: „Alle Tiere können mental kommunizieren. Auch bei euch, nur ihr könnt sie nicht verstehen. Aber sie verstehen euch, wenn sie wollen. Wie du inzwischen weißt, können bei uns in Posid das nicht nur die Tiere. Deshalb konnte ich heute Nachmittag, als ich zu euch kam, deine Gedanken lesen.“

„Und jetzt kannst du es nicht mehr?“, fragte Diana erstaunt.

„Doch! Aber es ist ungehörig, wenn man die Gedanken eines anderen heimlich liest, der sich nicht dagegen wehren kann. Es gehört zum Anstand, dass man es nicht tut. Sollte es doch einmal passieren, dann weißt man den anderen darauf hin und bittet ihn um Verzeihung.“

Da sah Diana ihre neue Freundin mit großen Augen an. „Du könntest jetzt immer noch jeden Gedanken von mir verstehen?“

Diane nickte. „Aber nur die vordergründigen Gedanken. Das heißt, nur das, was du gerade denkst. An dein Gedächtnis kommt niemand heran und das ist auch gut so.“

„Na da bin ich ja beruhigt. Und was denke ich jetzt?“

„Mal sehen, ob sie das rauskriegt, hast du gerade gedacht. Stimmt’s?“

„Jaaa! Du kannst ja wirklich Gedanken lesen. Dich könnte ich in der Schule gebrauchen. Da hätte ich nur noch gute Zensuren. - Wie ist das eigentlich bei euch in der Schule? Da brauchen die Kinder doch nur die Gedanken vom Lehrer lesen und überhaupt nichts mehr lernen. Das wäre ja richtig bequem!“

Nun lächelte Diane wieder und meinte: „Wenn man selbst Gedanken lesen kann, dann kann man seine Gedanken auch vor dem Zugriff von anderen schützen. Die Kinder können nur die Gedanken lesen, die der Lehrer sie lesen lassen will. Aber das Schulsystem ist bei uns sowieso völlig anders. Bei uns gibt es keine Zensuren und auch keine Schulpflicht. Alles ist zwanglos und freiwillig.“

„Was? Dann möchte ich lieber zu euch kommen. Da ist es ja bei euch viel schöner. Gibt’s denn bei euch auch Jungs?“

„Diana!“, ermahnte sie jetzt ihre Mutter.

Doch Diane lächelte. „Frag deinen Papa. Er kennt die Antwort.“

„Papa. Gibt’s in Posid auch Jungs?“

„Oh ja, und was für welche. Keiner ist unter 2,10 Meter. Du hast sie doch vorhin auf der Wiese gesehen, als wir das zweite Mal landeten.“

„Was denn, das waren Schüler? Die waren doch schon erwachsen.“

„Bei uns gehen die Kinder bis zu ihrem 35. Lebensjahr zur Schule“, erklärte Diane ihr jetzt.

Und Wolfgang fügte lachend hinzu: „Und dann gibt es da noch ein paar andere Probleme. Aber über die reden wir später einmal.“

„Das würde ich auch sagen. Ihr könnt aussteigen.“

„Wie … Was … Wo sind wir denn?“, fragte Diana erschrocken. Sie hatte völlig vergessen, dass sie sich ja in dem Transporter befanden.

„Wieder in Leipzig an der Stelle, an der wir losgeflogen sind. Ihr müsst aber schnell und leise machen, damit es niemand bemerkt.“

Wolfgang drehte sich ruckartig um und sah Diane tief in die Augen.

Da antwortete sie laut und deutlich: „Nur wenn deine Frau es auch will. Ich möchte euren Hausfrieden auf keinen Fall stören.“

„Was soll ich?“, fragte Marina, die fast die ganz Zeit geschwiegen hatte.

Wolfgang erklärte ihr: „Diane kommt nur dann noch einmal mit, wenn du sie jetzt einlädst. Sie will unsere Beziehung auf keinen Fall stören.“

Marina sah Diane an, dann Wolfgang und anschließend wieder Diane. Dann sagte sie: „Bitte komm mit, wenn du Zeit hast. Ich habe viele Fragen an dich.“

Diane umarmte Marina spontan. Ihr standen Tränen in den Augen. Sie sagte leise: „Danke! Ich komme mit.“

Dann verließen sie schnell den Transporter und dieser stieg sofort wieder nach oben. Sie waren auf dem Industriegelände, auf dem sie gestartet waren.

Als sie dann zu Hause in ihrem Wohnzimmer waren, meinte Diana zu ihrer großen Freundin: „Diane, bitte verzeih mir, dass ich dir nicht geglaubt habe. Ich bin erschlagen. Wie lange bleibst du?“

„Das hängt nicht von mir ab. Du möchtest schlafen gehen. Richtig?“

„Hast du jetzt meine Gedanken gelesen?“

„Nein. Ich habe das nur vermutet“, gestand Diane.

„Ja, ich muss wirklich erst mal schlafen. Hoffentlich kann ich nach all dem überhaupt schlafen. Und was werden erst meine Freunde in der Schule sagen, wenn ich ihnen erzähle, wo ich war.“

Da gab ihr Wolfgang zu bedenken: „Sei damit nicht so schnell. Man wird dir vermutlich nicht glauben, so wie du es vor zwei Stunden ja auch nicht glauben konntest. Ich hatte meine Erlebnisse vor zwanzig Jahren auch meinen Kollegen auf Arbeit erzählen wollen. Aber schon bei den Begriffen innere Erde und Atlantis lachten sie mich aus. Das solltest du dir ersparen.“

„Hm! Schade! Vielleicht hast du recht. Aber vielleicht auch nicht.“

Diana zog sich in ihr Zimmer zurück.

Da fragte Marina jetzt wieder in den Raum: „Und wie geht es jetzt weiter? Diane, du liebst ihn doch. Auch wenn du es sehr gut verbergen kannst. Ich fühle es! Und du bist wesentlich jünger als ich.“

Diane nickte. „Ja, Marina. Ich liebe ihn. Ich weiß auch, dass du ihn sehr liebst. Aber für mich ist das kein Problem. Bitte verstehe mich jetzt nicht falsch! Dein gedanklicher Protest war nicht zu überhören. Wir in Posid leben anders als ihr. Deshalb stört es mich nicht. Aber ich will auf jeden Fall auch deine Gefühle respektieren.“

Dann halte dich von seinem Bett fern, dachte Marina spontan. Erschrak aber sofort und sah Diane schuldvoll an.

Diane lächelte verständnisvoll. „Das werde ich sowieso tun, Marina. Dieses Thema spielt bei uns eine sehr untergeordnete Rolle.“

„Klärt mich mal eine auf, worum es bei euerm Gespräch eigentlich geht?“, warf Wolfgang entrüstet ein.

„Um dich, Wolfgang“, antwortete Diane und sah ihn dabei zärtlich an.

Marina begann wieder: „Du meinst, bei euch … erzähl mir bitte, wie man bei euch lebt. Vor allem, wie ihr in Partnerschaft lebt.“

Wolfgang schüttelte den Kopf. „Gar nicht! Sie kennen gar keine Partnerschaft wie wir.“

„Ist das wahr, Diane?“

Die Angesprochene nickte. „So eine Zweierpartnerschaft wie bei euch gibt es bei uns nicht. Wir leben in Clans, wie du ja gesehen hast. Diese sind meistens so etwa zwischen dreißig bis vierzig Personen stark. Sie sind unsere Familien.“

Marina starrte sie jetzt mit großen Augen an.

Da lächelte Diane wieder und meinte: „Nein, Marina. Ich sagte ja schon, dass das bei uns eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Bitte verzeih mir, wenn ich schon wieder deinen Gedanken zugehört habe. Es ist für mich sehr schwer, euch zu verstehen, wenn ich eure Gedanken nicht kenne.“

„Aber ihr habt doch auch Kinder!“

„Ja, aber nur sehr selten. Wir haben eine strenge Geburtenkontrolle, weil bei uns auch selten jemand stirbt.“

Marina ruckte mit einem Male zurück. „Wie meinst du das, dass kaum jemand stirbt? Wenn man alt ist, muss man doch auch sterben!“ Sie hatte das Gespräch über das Altwerden beim Clan nicht mitbekommen.

„Was glaubst du, wie alt ich bin, Marina?“

„Vielleicht dreißig?“

„Du kannst ruhig Mitte dreißig sagen. Das hast du doch gedacht.“

Marina nickte schüchtern.

„Bitte verzeih mir, wenn ich immer mal deinen Gedanken lausche. Ich tue es nur um dich zu verstehen. Ihr sprecht oft nicht aus, was ihr denkt. Aber mit dem Alter liegst du nicht richtig. Ich bin 49 Jahre alt.“

„Waas? So alt wie ich? Wie ist das möglich?“

Da erklärte ihr Wolfgang: „Doch ist es so, Marina. Als ich sie kennen lernte, war sie 29 und das ist jetzt zwanzig Jahre her.“

„Aber sieh sie dir doch an“, rief Marina ungestüm. „Sie ist doch allerhöchstens 35!“

„Marina. Ich habe dir doch von der Klasse erzählt, in der ich mit Diane gesessen habe.“

Wolfgangs Frau nickte. Sie hatte sich beim Besuch auf der Schulwiese zurückgehalten und daher das Gespräch mit Diana und Sharula nicht mitbekommen.

„Ihre Lehrerin war damals 474 Jahre alt und sah altersmäßig so aus, wie Diane heute. Du hast sie heute gesehen, als ich sie auf der Wiese begrüßte. Inzwischen müsste sie 494 Jahre alt sein.“

Diane nickte.

„Vier … Vierhundertvierundneunzig?“ Marina starrte Wolfgang an, als wäre er ein Gespenst. „Und das glaubst du?“

„Diane ist der beste Beweis dafür. Ich weiß doch, wie sie vor 20 Jahren aussah. Wenn du recht hättest, dann wäre sie ja damals höchstens fünfzehn gewesen. Glaubst du, dass ich eine Fünfzehnjährige geliebt hätte. Ich war damals immerhin 35!“

„Hm. Das geht auch nicht. Du bist wirklich schon 49 Jahre alt?“

Diane nickte. „Wir haben 12 arbeitende DNS und damit können wir unseren Körper regenerieren. Deshalb altern wir ab dem 35. Lebensjahr nicht mehr und werden auch nicht krank.“

„Da möchte ich auch für immer bei euch leben. Glaubst du, dass das geht, Diane.“

Nun lachte diese wieder. „Natürlich! Wir waren doch heute schon einmal dort. Aber für immer geht das noch nicht. Vielleicht aber schon nächstes oder übernächstes Jahr. Ich werde auf euch warten.“

„Und wenn es nicht geht?“, fragte Marina wieder ängstlich.

„Wolfgang wird wieder kommen. Das steht so in seinem Lebensplan. Dann wirst du doch und Diana auch mitkommen?“

„Ja, wenn wir dürfen?“

„Natürlich dürft ihr dann genau so. Ihr müsst nur noch die nötige Eigenschwingung erreichen. Das wird aber sehr bald sein.“

„Ach, wenn du nur recht hättest“, seufzte Marina.

Plötzlich sah Diane sie ganz intensiv an, riss die Augen auf und starrte Marina an. Diese nickte nur unmerklich. Da setzte sich Diane direkt neben Marina und umarmte sie wortlos.

„Was ist denn plötzlich in euch gefahren?“, fragte Wolfgang lachend.

Diane sah ihn an und sagte: „Ich verstehe Marina.“ Dann nahm sie ihre Hand und hielt sie ganz fest.

„Danke, Diane. Du bist eine wirkliche Freundin.“ Tränen liefen über ihr Gesicht. „Ich nehme alles zurück, was ich Schlechtes von dir gedacht habe. Du bist sehr lieb.“

Wolfgang verstand nun gar nichts mehr. Aber da die beiden schwiegen, gab er sich damit zufrieden, dass sie sich vertrugen. Wenn auch diese Einigung etwas Merkwürdiges an sich hatte.

Sie besprachen, dass Diane noch einen Tag blieb. Marina machte ihr die Couch im Wohnzimmer zum Schlafen fertig. Dann zogen sie sich zurück. Als er schon im Bett lag, fragte Wolfgang seine Frau: „Irgendetwas verschweigt ihr mir doch? Was ist es?“

„Frauensache!“, war die ganze Antwort von Marina. Mehr war aus ihr nicht herauszuholen. Also gab Wolfgang auf. Dann war es sicher auch nicht so wichtig.

Am nächsten Morgen gab es schon das erste Problem. Diana wollte ins Bad, aber dort war schon Diane. „Papa, ich will mich fertig machen. Kannst du Diane nicht sagen, dass sie das Bad räumen soll.“

„Was macht sie?“

„Sie steht unter der Dusche. Das kann dauern.“

„Dann geh einfach rein. Sie stört das ganz gewiss nicht“, riet ihr Wolfgang.

„Aber das geht doch nicht! Sie hat ja nichts an“, entgegnete Diana entrüstet.

„Es geht! Sie ist das so gewohnt. Die Menschen in Posid schämen sich nicht. Sie kennen dieses Gefühl nicht einmal“, klärte Wolfgang seine Tochter auf.

„Waaas? Hast du da etwa auch mit ihr zusammen … Na du weißt schon“, fragte sie erschrocken.

„Geduscht?“ Er nickte. „Früh stand die ganze Klasse in der Herberge im Gemeinschaftsduschraum. Das waren damals drei Jungs, sieben Mädchen und ich.“

„Was? Und das war dort normal?“, rief Wolfgangs Tochter entrüstet.

Da kam Diane in ein Handtuch gewickelt aus dem Bad und sagte zu der jugendlichen Diana: „Ja, das ist bei uns normal. So viel ich weiß, geht ihr doch hier auch nackt baden und findet das normal.“

„Na ich nicht!“, stellte Diana energisch fest.

„Wenn du zu uns kommen willst, musst du das aber noch lernen.“

„Ist das wahr, Papa?“, fragte sie jetzt erschrocken.

Er nickte. „Dort geht man nur so ins Wasser. Aber jetzt ist das Bad frei. Beeil dich!“

Diana verschwand im Bad.

„Wolfgang. Denkst du inzwischen auch so, wie deine Tochter?“, fragte Diane besorgt.

Er schüttelte den Kopf. „Sie wurde durch die Schule und die Medien so. Als Kind war sie anders. Bitte hab Verständnis für sie.“

„Was stört dich daran, dass sie ein natürliches Schamgefühl hat?“, fragte Marina ihre Tochter verteidigend.

„Nein, Marina. Natürlich ist dieses Gefühl nicht. Dann hätten es ja alle Menschen. Denk mal an Naturvölker oder an die Menschen, die in Asien leben. Besonders von Indien oder Japan ist bekannt, dass sie dieses Schamgefühl nicht haben. Also kann es nichts Natürliches sein. Trotzdem respektiere ich es“, erklärte Diane.

Am Frühstück beteiligte sich Diane nicht. Sie saß nur mit am Tisch und trank einen Tee.

„Esst ihr früh nichts?“, fragte Diana neugierig.

„Wir essen nur Früchte, wenn wir etwas essen wollen. Wir leben von Lichtnahrung und müssen nicht ständig essen wie ihr.“

Da verzog Wolfgangs Tochter das Gesicht und sah Diane befremdend an. „Ganz ohne Essen? Das geht?“

Diane nickte nur und das jugendliche Mädchen schüttelte mit dem Kopf.

Nun fragte Wolfgang: „Was willst du tun, wenn ich mit Diana unterwegs bin? Ich habe ihr versprochen, sie zu ihrem Handballspiel gegen die Parallelklasse zu begleiten.“

„Ich werde mir mit Marina wieder eure Stadt ansehen. Das ist sehr interessant.“

„Dann sehen wir uns heute Mittag wieder?“

„Ja.“

Als Wolfgang und Diana das Haus verlassen hatten, fragte Marina ihren atlantischen Gast: „Du weißt von meiner Krankheit?“

Diane nickte. „Deine Gedanken haben es mir gestern verraten.“

„Meine Familie weiß nichts davon. Ich möchte, dass sie es nicht erfahren. Könnt ihr mir helfen?“

Da schüttelte Diane den Kopf. „Wir haben keine Erfahrungen mit Krankheiten. Bei uns wird niemand krank, wie du ja weißt. Ich würde dir sehr gern helfen. Wolfgang liebt dich sehr. Er wird leiden, wenn er dich verliert.“

Marina nickte und brach in Tränen aus. Da umarmte Diane ihre Gastgeberin um sie zu trösten.

Am Nachmittag saßen sie wieder alle zusammen und Diane erzählte vom Leben in Posid. Besonders Marina und ihre Tochter lauschten ihren Worten. Für sie war es völlig unverständlich, wie man so leben kann.

Zu fortgeschrittener Stunde verabschiedete sich Diane.

„Du willst zurück?“, fragte Wolfgang traurig.

„Ja, aber ich komme wieder. Ich habe es Marina versprochen.“

Wolfgang drehte sich ruckartig zu seiner Frau um und starrte sie an. Was für eine Frau habe ich, dachte er. Sie hat sogar für Diane Verständnis. Er umarmte sie und drückte sie ganz fest an sich. „Du bist eine wundervolle Frau, Marina.“

Wolfgangs Familie begleiteten Diane noch zum Industriegelände und warteten, bis Dianes Transporter mit ihr in der Dunkelheit verschwand. Dann gingen sie nach Hause zurück. Wolfgang nahm jetzt seine beiden Frauen in den Arm und seufzte.

„Liebst du sie?“, fragte jetzt seine Tochter plötzlich besorgt.

„Ja, Diana. Etwa so wie dich.“

„Wirst du uns jetzt verlassen?“

Mit einem Ruck blieb Wolfgang stehen und starrte seine Tochter an. Dann beruhigte er sich wieder, schüttelte den Kopf und meinte: „Nein! Dafür gibt es keinen Grund. Vielleicht kannst du das noch nicht verstehen, aber meine Liebe zu ihr ist anders als zu Mama. Sie ist mir eher wie eine Schwester.“

„Na, ich dachte nur“, erwiderte Diana und schmiegte sich nun an ihren Vater. Sie liebte ihn, auch wenn sie ihn nicht immer verstand.

Drei Wochen nach Silvester stand Diane plötzlich Dienstagfrüh vor ihrer Tür. Wolfgang war genau so überrascht, wie beim ersten Mal.

„Diane! Ich freue mich sehr, aber du kommst sehr ungünstig. Ich muss auf Arbeit.“

„Ich weiß. Deine Frau hat mich gerufen.“

„Ist das wahr?“ Verwundert sah er, wie Marina nickte und sagte: „Schön, dass du gekommen bist. Ich hätte nie geglaubt, dass das funktioniert. Aber jetzt bist du da.“

„Wenn ich alles verstehe, aber das nicht“, gestand Wolfgang.

Diana verstand noch weniger. „Mama, du hast sie wirklich angerufen? Wie denn?“

Da lächelte Diane und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Wir brauchen keine Handys wie ihr. Das weißt du doch. Wir schicken einfach unsere Gedanken auf Reise und der andere versteht uns. So hat es deine Mama auch gemacht. Sie hat sehr stark an mich gedacht und ich habe es verstanden.“

Nun schüttelte Diana den Kopf. „Was bei euch alles möglich ist?“

Nach dem Frühstück verließ Wolfgang mit seiner Tochter die Wohnung. Er ging seiner Arbeit nach und auf Diana wartete das Gymnasium. Als Marina mit ihrem Gast allein war, fragte sie: „Willst du mich begleiten? Ich muss zum Arzt und … Ich habe Angst. Wolfgang und Diana wissen immer noch nichts, aber ich werde es ihnen heute sagen müssen.“

Diane nickte. „Das ist besser so. Du kannst es nicht mehr verschweigen. Ich begleite dich. Aber Angst musst du keine haben. Die Angst macht es nur noch schlimmer.“

„Ja, ich weiß. Aber ich komme nicht dagegen an.“

Beim Arzt erfuhr Marina, dass ihr Körper voller Metastasen ist und es für sie keine Rettung gibt. Sie fiel Diane um den Hals und weinte bitterlich.

„Ich verstehe dich gut, auch wenn uns Krankheiten fremd sind. Wie gern würde ich dir helfen, wenn ich könnte. Deshalb habe ich dir etwas mitgebracht. Vielleicht bringt dir das etwas Trost.“ Und sie gab ihr ein kleines Kästchen.

Marina öffnete es und strahlte Diane an. „Eine Sonne von Atlantis! Sie ist für mich? Das ist nicht Wolfgangs Amulett?“

„Nein. Es ist für dich. Man sagte mir, dass es dir die Schmerzen lindern kann. Trage es einfach immer. Damit ihr es unterscheiden könnt, habe ich es an eine goldene Kette gehangen. Wolfgangs Amulett hängt an einem Permaditband, wenn er es nicht geändert hat.“

„Das hat er nicht. Es liegt so lange wir uns kennen, in seinem Nachttisch.“

Nun rollten auch von Marina unbemerkt ein paar Tränen über Dianes Gesicht. Er hat mich die ganze Zeit nicht vergessen, dachte sie. Marina war viel zu sehr mit sich und ihrer Krankheit beschäftigt, so dass sie Dianes Gefühlsausbruch gar nicht bemerkte.

Am Abend weihte Marina ihre Familie ein, dass sie unheilbar krank sei. Wolfgang war furchtbar erschrocken und Diana umklammerte weinend ihre Mutter.

„Du wusstest es?“, fragte Wolfgang Diane.

Sie nickte.

„Das war also euer Geheimnis vor zwei Monaten?“

„Marina wollte nicht, dass ihr es schon erfahrt. Sie wollte euch und das anstehende Weihnachtsfest nicht damit belasten.“

„Was für eine starke Frau habe ich?“ Nun verließen auch Wolfgangs Augen ein paar Tränen. „Und es gibt keine Rettung? Ihr könnt ihr auch nicht helfen?“

Diane schüttelte den Kopf. „Wenn ich das könnte, hätte ich es längst getan. Ich liebe Marina auch, genau wie du.“

Um die Stimmung zu ändern, zeigte Marina jetzt ihr Geschenk von Diane. Wolfgang starrte auf das Amulett und dann auf die Atlanterin.

Seine Tochter fragte: „Was ist das? Es ist wunderschön!“ Sie betrachtete es von allen Seiten.

„Das ist die Sonne von Atlantis. Ein Symbol, welches …“ Wolfgang kam nicht weiter. Er schluchzte und nahm seine Frau jetzt fest in den Arm.

Diana sah nun ihren Gast fragend an und so erklärte ihr Diane: „Dieses Symbol ist sehr kraftvoll. Es kann deine Mama nicht gesund machen, aber es kann helfen die Schmerzen zu lindern. Es hilft ihr Lichtnahrung und Lebensenergie aufzunehmen.“

„Das kann dieses Amulett? Davon hast du mir damals aber nichts gesagt“, bemerkte Wolfgang erstaunt.

„Warum trägst du es nicht?“, fragte Diane zurück.

„Ich hatte es immer getragen und erst abgelegt, als ich Marina kennen gelernt hatte. Wie hätte ich ihr erklären sollen, dass ich eine Erinnerung an eine andere Frau ständig trage?“

Marina sah Diane liebevoll an. „Weißt du, was dieses Amulett bei uns für einen Wert hat?“

Ihr Gast aus Posid schüttelte den Kopf.

„Als wir es vor vielen Jahren bei einem Juwelier schätzen lassen haben, hat dieser uns jede beliebige Summe geboten.“

„Und Wolfgang hat es nicht verkauft?“

Marina schüttelte den Kopf. „Er hat auch mir zu verstehen gegeben, dass ich ihn verliere, wenn ich es heimlich verkaufen würde. Damals habe ich schwer damit gekämpft, aber heute verstehe ich ihn und bin froh, dass ich sein Amulett nicht angerührt habe.“

Und wieder rollten Tränen über Dianes Gesicht. Diesmal bemerkte es Marina und dachte, du liebst ihn sehr. Diane sah plötzlich zu ihr hin und nickte leicht. Dann umarmte sie Marina und fragte: „Kannst du mir verzeihen?“

Gerührt antwortete Marina: „Ja. Ich verstehe dich und bin dir auch nicht böse. Du bist mir eine liebe Freundin geworden.“ Dann lachte sie auf einmal und meinte kopfschüttelnd: „Das ist schon eine merkwürdige Situation.“

Spät abends brachten Marina und Wolfgang Diane wieder zu ihren Transporter. Diana war schon im Bett. Auf dem Rückweg erklärte Marina: „Sie ist mir eine gute Freundin geworden. Schade, dass ich ihre Welt nie richtig kennen lernen werde. Aber ich habe sie wenigstens schon einmal gesehen.“

„Du wirst sie richtig kennen lernen. Bald bist du wieder gesund und dann werden wir sie uns länger ansehen“, versuchte Wolfgang sie zu trösten.

Marina schüttelte nur mit dem Kopf. „Ich werde nicht wieder gesund. Diane weiß es.“

„Marina!“, rief Wolfgang und umklammerte weinend seine Frau. Es war ja dunkel und niemand konnte sie sehen. So standen sie lange an einem Fleck, bis sie den restlichen kurzen Weg nach Hause gingen.

Anfang März lag Marina im Krankenhaus. Wolfgang und ihre Tochter besuchten sie täglich. Sie mussten zusehen, wie Marina ganz langsam dieses Leben verließ. Das war eine bittere Zeit für die zwei. Diana weinte oft zu Hause und Wolfgang schaffte es nur schwer seine Tochter zu trösten.

Eines Tages trafen sie beim Krankenbesuch Diane an Marinas Bett. Nicht nur Wolfgang war völlig überrascht, seine Tochter auch.

„Wie kommst du denn hierher?“

„Deine Mama hat mich wieder gerufen. Wir haben lange miteinander gesprochen.“ Marina klärte jetzt ihre Familie auf. „Es war mir wichtig, solange ich das noch kann. - Bitte Diane und Diana, lasst uns einen Moment allein.“

Die beiden verließen wortlos das Krankenzimmer.

Da nahm Marina Wolfgangs Hand und sagte zu ihm: „Geh mit ihr, wenn ich nicht mehr da bin. Und behüte unser Kind. Du musst bald allein für sie sorgen. Es dauert nicht mehr lange.“

„Marina!“, rief Wolfgang schmerzvoll und umarmte sie so gut es ging.

„Gib unserem Kind meine Sonne von Atlantis, damit sie etwas hat, was sie an mich erinnert und werde mit Diane glücklich. Mehr Wünsche habe ich nicht.“

Als Diana und ihre große Begleiterin das Krankenzimmer wieder betraten, sahen sie, wie Wolfgang mit dem Kopf auf Marinas Bett lag und hemmungslos weinte.

„Papa!“, rief Diana und rannte zu ihren Eltern.

„Du musst bald sehr stark sein, Diana“, sagte ihre große Freundin. „Deine Mama wird diese Welt bald verlassen.“

„Nein! Bitte nicht.“ Nun lag sie auch halb mit auf dem Bett und weinte.

Marina nahm beide in ihre Arme und sagte: „Doch, meine Tochter, es ist so. Diane hat recht. Ich weiß es.“

Drei Wochen später konnte Marina nicht mehr sprechen. Nur noch ihre Augen strahlten, wenn Wolfgang und Diana sie besuchten.

Eines Tages hatte Marina ihre Sonne von Atlantis in der Hand, als sie von ihrer Familie besucht wurde. Sie legte sie in die Hand ihrer Tochter und nickte leicht. Mehr konnte sie nicht.

„Mama! Meine liebe Mama!“ Diana umarmte ihre Mutter und weinte bitterlich. Ihr wurde es in diesem Moment deutlich bewusst, dass sie ihre geliebte Mama nicht mehr lange haben würde.

Zwei Tage darauf verstarb Marina. Für Wolfgang und auch für Diana brach eine Welt zusammen. Beiden fehlte sie sehr. Da halfen auch die tröstenden Worte von ihren wenigen Bekannten nichts. Marina hinterließ bei Wolfgang und ihrer Tochter eine nicht zu schließende Lücke.

Siebzehn Tage später zur Beisetzung auf dem Friedhof stand plötzlich Diane mit unter den Trauernden.

„Wieso … Woher wusstest du …?“, fragte Wolfgang verwundert, als sie das Grab verließen.

„Marina hat mich gerufen.“

„Aber … wie …?“

„Sie ist doch noch da! Nur ihre sterbliche Hülle habt ihr heute der Erde übergeben.“

Verständnislos sah Wolfgang sie an.

„Sie wird auch weiterhin bei euch sein. Auch wenn ihr sie nicht mehr wahrnehmen könnt. Aber in euern Herzen wird ihre Liebe ewig bestehen.“

Diana klammerte sich zum Unverständnis der wenigen anderen Trauernden jetzt an ihre große Freundin. „Bitte bleib bei uns und verlass du uns nicht auch noch.“

Sanft streichelte Diane Marinas Tochter übers Haar. „Ich werde euch nicht verlassen. Das war der Wunsch deiner Mama und ich habe es ihr versprochen.“

„Du willst jetzt immer hier bleiben?“, fragte Wolfgang herausgerissen aus seinem Kummer.

„Wir reden heute Nachmittag darüber.“

Nach der Trauerfeier saßen Wolfgang und seine Tochter mit Diane im Wohnzimmer. Es lag bodenlose Traurigkeit in der Luft. Das letzte Mal, als sie so zusammen saßen, weilte Marina noch unter ihnen. Alle drei erinnerten sich wortlos daran.

Da begann Diane: „Sie hat mir gesagt, dass ich euch nicht verlassen soll. Marina war eine sehr wertvolle Frau.“

Wolfgang nickte in Gedanken versunken. Doch dann erinnerte er sich und fragte noch einmal: „Du willst jetzt immer hier bleiben?“

„Nein, das ist nicht möglich. Aber ich kann euch mitnehmen, wenn ihr wollt. Seit diesem Jahr ist das in Ausnahmefällen möglich. Ihr seid so eine Ausnahme, weil … es die Verbindung zu mir gibt.“

„Wie mitnehmen? Für immer nach Posid?“, fragte Wolfgang ungläubig und Diana horchte auf.

„Ja. Ich habe eine Genehmigung für euch, aber nur, wenn ihr es auch wollt. Es werden bald viele Menschen in die innere Erde umziehen. Ihr würdet die ersten sein.“

„Aber wir können doch Mamas Grab nicht einfach im Stich lassen“, gab Diana zu bedenken. Der Wunsch in Posid zu leben gefiel ihr aber auch.

„Diana. Es ist ganz anders. Deine Mama liegt nicht in dem Grab, sondern nur ihre sterbliche Hülle. Sie selbst wird mit uns kommen. Du weißt nicht viel über den Tod und das Leben danach. All das kannst du bei uns lernen. Wir wissen sehr viel darüber. Und wenn du später mit deiner Mama sprechen willst, dann kann ich dir helfen. Wir können das und du wirst es bei uns auch lernen.“

Diana war überrascht. „Wenn das so ist, dann komme ich mit. Im Gymnasium verpasse ich sowieso nichts. Dort lernen wir nur Dinge, die kein Mensch braucht. Und seit ich von unserem Ausflug in die innere Erde erzählt habe, will keiner mehr aus der Klasse etwas mit mir zu tun haben. Sie lachen mich alle nur noch aus. Hier hält mich nichts mehr.“

„Mich auch nicht!“, fügte Wolfgang schweren Herzens hinzu.

„Dann nehmt mit, was euch wichtig ist und lasst uns nach Posid gehen. Sie warten schon auf euch“, berichtete ihnen Diane.

„Wer?“, fragte Diana skeptisch.

Diane lächelte nun sehr hintergründig und machte eine Pause. Doch dann sagte sie: „Deine Brüder.“

Nun lachte Diana mit. „Ich habe doch bei euch keine richtigen Brüder.“

Da nickte Diane und sagte lächelnd: „Doch!“

Mit einem Mal riss es Wolfgang herum. Er stierte Diane an und diese nickte leicht und lächelte immer noch.

Diana aber zog die Stirn in Falten und fragte: „Das sind doch nicht meine Brüder!“

Ihre große Freundin aber erwiderte lächelnd: „Bei euch sagt man, Falten machen alt und hässlich. Ich zähle jetzt mindestens sieben davon auf deiner Stirn.“

Sofort war Dianas Stirn wieder glatt, doch ihr skeptischer Blick blieb.

Nun wurde Diane etwas ernster und Wolfgang hörte stumm und völlig überrascht zu. „Du hast in Posid zwei Brüder. Sie sind Zwillinge und reichlich zwei Jahre älter als du.“

„Was? Ich habe wirklich zwei große Brüder?“, rief Diana begeistert.

Diane nickte. „Du erkennst sie an den etwas dunkleren Haaren. Die haben sie von deinem Papa geerbt. Die Größe haben sie von mir. So gesehen sind sie wirklich deine großen Brüder. Sie sind übrigens die ersten Zwillinge, die in Posid geboren wurden.“

„Ist das wahr?“, fragte Wolfgang immer noch nicht sicher, ob er ihr glauben soll.

Nickend klärte Diane ihn auf. „Es ist wahr. Du weißt, dass es bei uns unehrenhaft ist zu lügen.“

„Aber wieso hast du nie etwas gesagt?“

„Ich wollte Marina nicht noch mehr Kummer bereiten. Sie hätte sich darüber vermutlich nicht gefreut, obwohl es mit ihr ja nichts zu tun hatte.“

Nun nickte auch er. „Ja, das war sehr lieb von dir.“ Und plötzlich kam in ihm wieder diese Herzenswärme hoch, die er damals vor zwanzig Jahren so oft verspürt hatte. Doch dann stutzte er. „Ich denke, bei euch wird keine Frau unter achtzig schwanger?“

Diana riss Mund und Augen auf und fragte erstaunt: „Ist das wahr?“

„Das ist richtig. Ich bin in Posid eine Ausnahme. Bei uns wird gelehrt, dass Sexualität nur wichtig ist, wenn man Kinder zeugen will. Eine Frau kann bei uns ihren Körper so steuern, dass es dann auch dazu kommt. Ich weiß, dass das bei euch anders ist.“

Diana schüttelte den Kopf. „Was denn, ihr könnt nur mit euerm Bewusstsein steuern, ob ihr schwanger werdet oder nicht?“

„Ja! Das wirst du auch lernen. Es ist gar nicht so schwer, wenn alle DNS arbeiten. Eure werden in Posid in den Kristall-LICHT-Kammern repariert.“

Plötzlich sah Wolfgang Diane mit großen Augen an. „Du wolltest schwanger werden?“

Sie nickte und ihr Blick war der gleiche wie damals, als Sharula und ihre Schüler ihn in der Runde zurück teleportierten. „Es hat einige Wochen gedauert, bis ich meinen Clan und die Schulklasse überzeugt hatte, dass für mich dieser Weg richtig ist. Unterstützung bekam ich am Anfang nur von Arebe, Sirai und Mikah.“

„Von Mikah auch?“, fragte Wolfgang überrascht.

„Ja. Bei ihm hast du eine sehr große Sympathie hinterlassen, weil du sein Gemüse so gern gegessen hast. Er liebt dich seit dem genau so wie ich.“

Wieder betrachtete Diana ihre große Freundin sehr merkwürdig. Nun klärte ihr Papa sie auf. „Liebe ist in Posid nicht das, was du darunter verstehst. Mit Liebe ist nur die geistige Zuneigung gemeint, die vom Herzen kommt. Mikah ist nicht schwul.“ Dabei lachte Wolfgang. Dieses Problem hatte er ja damals auch. Deshalb verstand er seine Tochter jetzt so gut. „Und in der Schule hattest du auch Probleme?“

Diane nickte. „Atmos warf mir Undiszipliniertheit vor. Auch Gunile und Ehrube fanden meinen Entschluss anfänglich falsch. Sharula hingegen sagte lange gar nichts dazu. Aber Inarde und Gudane haben von Anfang an zu mir gestanden. Es war nicht immer leicht, doch irgendwann hat auch die restliche Klasse meinen Entschluss akzeptiert. Als ich dann Herbert und Hermann entbunden hatte, waren alle begeistert.“

„Herbert und Hermann? Wie bist du gerade auf diese Namen gekommen?“, fragte Wolfgang.

„Wieso ich? Kinder bestimmen auch bei euch ihren Namen selbst und teilen das ihrer Mutter noch vor der Geburt telepathisch mit. Ich hatte diese Namen plötzlich im Kopf, als ich begriff, dass es Zwillinge sind. Im Bergkristall-Clan überzeugte das dann auch die Letzten. Zwillinge gab es seit der Gründung von Posid noch nie. Sirai meinte, auch von Atlantis ist ihr kein solcher Fall bekannt. Diana, deine Brüder sind in ganz Posid berühmt. Sie freuen sich schon darauf dich besser kennen zu lernen.“

„Aber sie kennen mich ja noch gar nicht.“ Diana wunderte sich über die Sicherheit von Diane.

„Doch! Sie haben dich vor fünf Monaten gesehen, als wir zusammen in Posid waren. Sie saßen mit Sharula auf der Wiese vor unserer Herbergsschule. Sie gehören zu dieser Klasse, zu der du sicher auch bald gehören wirst. Kannst du dich erinnern, dass dir ein Schüler helfen wollte, als du dich ins Gras gesetzt hattest. Das war Hermann.“

„Das war mein Bruder? Aber warum hat er und Herbert uns dann nicht begrüßt?“, fragte Diana enttäuscht.

„Ich habe ihnen erst hinterher gesagt, wer ihr wart. Nur so war es möglich, dass deine Mama sich nicht ausgegrenzt fühlt. Ich wollte ihr auf keinen Fall weh tun. Herbert und Hermann hatten keine Ahnung, dass du ihre Schwester bist. Aber jetzt sind sie sehr gespannt und stolz auf dich. Keiner der anderen Schüler hat Geschwister. Das gibt es bei uns nicht. Nun aber haben die Zwillinge noch eine Schwester. So etwas hat es noch nie gegeben. Die ganze Klasse ist unheimlich neugierig. Sie hatten noch nie Kontakt mit einem Kind, welches auf der äußeren Erde gelebt hat. Sie werden viele Fragen an dich haben. Vor allem die beiden Mädchen. Du hast ihnen manches voraus.“

„Ich bin kein Kind mehr!“, rief Diana etwas befremdet.

„Bei uns schon. Alle bis zum 35. Lebensjahr sind bei uns Kinder. Dafür lebt man bei uns viel länger.“

Überzeugt erwiderte Diana nun: „Na ja, von mir aus. Und die warten wirklich auf mich? Ich dachte, ich bin dort ganz fremd. So sieht die Sache ja ganz anders aus. Wann fliegen wir? Jetzt gleich?“

„Heute noch, wenn ihr wollt.“ Nach einer Pause meinte Diane zu Wolfgang: „Kannst du dich an das Orakel erinnern, welches meine Mutter während ihrer Schwangerschaft zu meinem Horoskop bekommen hat?“ Er nickte. „Einen der drei letzten Punkte haben wir inzwischen erkannt. Es war die Information, die besagte, dass ich mich mehrfach vervielfältige und damit in die Geschichte der Atlanter eingehe. Mit der Vervielfältigung sind die Zwillinge gemeint. Das gab es in der langen Geschichte der Atlanter noch nie.“

„Was für ein Orakel?“, fragte Diana und Diane erzählte ihr von den Informationen, die Arebe bekam, als sie mit ihr schwanger war.

„Und das hat man deiner Mama gesagt, als sie mit dir schwanger war? Aber das geht doch gar nicht. Sie konnten doch nicht wissen, dass du einmal Papa triffst!“, warf jetzt Diana ein.

„Und doch war es so“, erklärte Diane. „Ein Orakel kann weit in die Zukunft reichen, aber oft versteht man es erst, wenn es sich erfüllt hat.“

„Und die letzten beiden Punkte?“, fragte Wolfgang.

„Sie haben sich noch nicht offenbart. Einmal hatte Ephros den Gedanken, dass mit den Brücken zu einem weniger bekannten Volk die Zwillinge und du gemeint sein könnten, aber ihr seid ja nur drei. Also konnte das auch nicht stimmen.“

„Wie lauteten denn diese beiden Orakelsprüche noch mal genau?“, fragte Diana jetzt ganz aufgeregt. Sie hatte eine Idee, wollte aber erst sicher sein, eh sie darüber sprach.

Diane holte aus ihrem Gedächtnis die beiden noch offenen Orakelsprüche und trug sie Diana vor: „Ich werde zum ersten Mal auch eine Basisquelle ersetzen. Und dann werde ich auch mit Traditionen brechen und dabei fünf Brücken bauen, von denen eine vergänglich sein wird.

Doch alle diese Brücken werden zu einem weniger bekannten Volk führen.“

Vollkommen aufgeregt meinte Diana jetzt: „Und wenn ich die vierte Brücke bin und vielleicht Mama die Fünfte?“

Wolfgangs Stirn zog sich in Falten. „Das wäre möglich, aber Mama ist doch …“ Plötzlich riss er die Augen auf, umarmte spontan seine Tochter und rief: „Die vergängliche Brücke! Das ist Mama! Diana, du hast es gefunden!“

Die Atlanterin nickte ebenfalls euphorisch. „Damit könntet ihr recht haben. Wir werden das im Clan besprechen, aber es sieht ganz so aus, als ob ihr es gefunden habt. Sie werden sich mit uns freuen, dass wir wieder einen Orakelpunkt erkannt haben. Nur die Sache mit dem Ersetzen der Basisquelle hat sich offenbar noch nicht erfüllt.“

„Dann vielleicht später“, meinte nun Diana überzeugt. Danach fiel ihr wieder das Gespräch von vorhin ein und sie fragte wiederholt. „Wann wollen wir fliegen?“

„Wann ihr wollt, sobald es dunkel geworden ist.“

„Was, wirklich?“ Diana konnte es gar nicht fassen.

„Dann solltest du dir alles, was dir wichtig ist, zusammen suchen“, erklärte Wolfgang seiner Tochter.

„Aber geht denn das alles in das UFO rein?“

„Du brauchst nur die Erinnerungsstücke, von denen du dich nicht trennen willst. Fotoalben, deine beiden Kuscheltiere und vielleicht auch ein paar Bücher, sonst nichts.“

„Nichts weiter? Keine Sachen? Soll ich denn dort nackt herumlaufen?“

„Das bekommst du in Posid alles, wie du es brauchst. Oder willst du mit deinen modischen Sachen dort herumlaufen, so dass man schon von weitem sieht, dass du kein Atlanter bist?“, fragte sie jetzt Diane.

„Na, das nun auch gerade nicht. Aber dann brauch ich ja gar nicht so viel.“

„Stimmt!“, bestätigte ihr Vater und schon war sie in ihrem Zimmer verschwunden. Wolfgang nahm jetzt Diane an die Hand und verließ die Wohnung, ging mit ihr durch den Keller und verließ das Haus auf der Hofseite. Nun führte er sie an die Blumenrabatte, wo an einer Stelle zwei Rosen nebeneinander standen. „Es ist ein Rote und eine Weiße. Jetzt im März blühen sie aber noch nicht.“

Wortlos dreht sich Diane zu ihm und umarmte ihn ganz heftig. Tränen liefen ihr übers Gesicht. „Du hast die gleichen Rosen hier noch einmal gehabt?“

Wortlos nickte Wolfgang. Doch dann sagte er: „Sie standen anfangs genau so in meinem Schlafzimmer, wie bei euch in meinem Zimmer. Als aber Marina zu mir zog, hatte ich sie dann hier her gepflanzt. Wie hätte ich ihr diese Rosen erklären sollen?“

Sie streichelte ihn ganz zärtlich. „Du hast mich die ganze Zeit nicht vergessen.“ Und wieder drückte sie ihn ganz fest an sich. „Ich dich auch nicht. Ich habe deine Rosen in deinem Zimmer die ganze Zeit gepflegt und immer gehofft, dass du zurückkommst. Nun ist der Tag da und ich kann es immer noch nicht begreifen.“ Noch einmal schlossen sich ihre Arme ganz fest um seinen Körper und sie weinte vor Glück.

Nach einer Weile fragte Wolfgang: „Wollen wir die Rosen hier lassen?“

Wieder liefen ihr Tränen übers Gesicht. All ihre Befürchtungen, Wolfgang könne sie mit der Zeit vergessen, kamen jetzt wieder in ihr hoch. Sie war überglücklich, dass er sie die ganze Zeit genau so vermisst hat, wie sie ihn. Deshalb antwortete sie: „Ja. Sollen sie hier von unserer Liebe künden und all denen Hoffnung geben, die auch auf ihr Glück lange warten müssen.“

Auf dem Rückweg in die Wohnung blieb Wolfgang im Keller plötzlich stehen. Ihm war sein Traum eingefallen, den er am zweiten Wochenende in Posid geträumt hatte. Er war im Traum auf der Tigerwiese in Posid mit Diane, zwei jungen Männern und einem jugendlichen Mädchen. „Diane!“, rief er heftig aus. „Erinnerst du dich an meinen Traum, den ich damals …“

„Ich lese ihn in deinen Gedanken. Ja, du hattest eine Zukunftsvision. Es waren Hermann, Herbert und Diana, die mit auf der Wiese waren. Welch wundersame Dinge es doch zwischen Himmel und Erde gibt.“

Eng umschlungen kamen sie wieder in der Wohnung an. Diana hatte sie schon vermisst. „Wo wart ihr denn?“

„Ich habe Diane nur unseren Hof gezeigt.“

„Ach so.“ Diana winkte ab. „Da gibt’s doch nichts Besonderes zu sehen.“

„Es wird langsam dunkel. Damit öffnet sich die innere Erde für euch“, erinnerte jetzt Diane. Zu Wolfgang gewandt sagte sie: „Es war der Wunsch von Marina, dass ich euch mitnehme.“

Er nickte. „Sie hat uns beiden viel Glück gewünscht. Was hatte ich doch für eine wundervolle Frau?“, sagte er mit Tränen in den Augen. Dann weinte er noch einmal bitterlich. Seine Tochter und auch Diane setzten sich jetzt zu ihm und versuchten ihn zu trösten.

Als er sich wieder beruhigt hatte, suchten sie ihre persönlichen Sachen zusammen. Wolfgang hängte seine Sonne von Atlantis wieder um und sie verließen zum letzten Mal ihre Wohnung. Da ihre freundlichen Nachbarn nicht zu Hause waren, steckte Wolfgang in den Briefkasten ein Kuvert mit all ihren Schlüsseln, Papieren und einem Briefbogen, auf dem stand:

Leipzig am 19. April 2028

Liebe Nachbarn!

Wir danken euch für diese angenehme Nachbarschaft, denn wir werden diesen Ort jetzt für immer verlassen. Unser Auto und alles was sich in unserer Wohnung befindet, schenken wir euch. Soviel wir wissen, sucht doch euer Sohn mit seiner Freundin eine Wohnung. Er kann alles haben. Wir wollen nichts dafür! Wir kommen nie wieder!!!

Alles Gute für euch.

Diana und Wolfgang Nebsi.

Danach meinte Diane: „Und dir, Diana, soll ich die Mutter ersetzen, hat mir deine Mama gesagt. Das werde ich sicher nie schaffen, aber ich versuche es, so gut ich kann.“

Wolfgang starrte Diane plötzlich an. Ihm lief es eiskalt den Rücken herunter. „Ersetzen! Du willst Diana die Mutter ersetzen?“

„Ja“, antwortete Diane etwas verwirrt. Noch bevor sie es in seinen Gedanken lesen konnte, platzte es aus ihm heraus. „Eine Mutter ist doch die Quelle oder die Basis eines Lebens. Und du wirst sie ersetzen. Das ist der letzte Orakelspruch! So etwas hat es sicher unter den Atlantern noch nie gegeben.“

Überrascht sah sie ihn an. „Du hast recht! Das ist es! Damit hat sich das gesamte Orakel erfüllt.“ Glücklich umarmte sie Wolfgang. Als sie Diana etwas unglücklich abseits stehen sah, nahm Diane jetzt zusätzlich auch ihre neue Tochter in die Arme. Ihr wurde in dem Moment bewusst, dass sie jetzt auch eine kleine Familie hatte und dass das Orakel all diese Dinge schon zu ihrer Geburt kannte; sogar Marinas vorzeitigen Tod. Das verstand nicht einmal sie selbst, obwohl sie als Atlanterin über viele Dinge Bescheid wusste. Noch immer umarmte sie die beiden.

Minuten später gingen sie zusammen zu Dianes Lande- und Startplatz in dem Industriegelände, stiegen in den Transporter und flogen einer neuen Zukunft entgegen. Wolfgang sah wehmütig nach unten, als sein Leipzig unter ihm verschwand. Es war 54 Jahre seine Heimat gewesen und nun sollte sich alles ändern. Im Grunde genommen hielt ihn hier nichts mehr, doch diesmal war es ein Abschied für immer. Und so kam in ihm doch so manche Erinnerung wieder hoch. Hatte er doch hier eine glückliche Kindheit verbracht, bis sich dann seine Eltern vor 40 Jahren scheiden lassen hatten. Ja, hier war er aufgewachsen. Die meisten seiner Bekannten wohnten noch hier. Allerdings wirkliche Freunde hatte er hier nie gehabt. Deshalb fiel ihm auch der Abschied nicht so schwer. Seine Mutter war hier vor rund 25 Jahren gestorben und sein Vater fünf Jahre später tödlich verunglückt. All diese Dinge gingen ihm jetzt durch den Kopf.

Damals, im Sommer 2007, hatte sich sein Leben gewaltig geändert. Nichts war mehr so wie vorher. Nun kamen auch die Erinnerungen an seinen Wanderurlaub zurück, den er sich in diesem Sommer vor zwanzig Jahren vorgenommen hatte. Dabei fiel ihm auch seine Zugbekanntschaft Wassili ein, der ihn in voller Begeisterung auf das Sonnenobservatorium in Goseck aufmerksam gemacht hatte. Trotz Verabredung im Zug hatte er Wassili aber später nie wieder gesehen. Das machte Wolfgang wieder nachträglich traurig. Er hätte ihm so viel zu erzählen gehabt, denn sein Tipp, im Sonnenobservatorium zu meditieren, hatte sein Leben total verändert. Durch diese Meditation war er völlig unerwartet nach Posid teleportiert. Hier hatte er Diane und ihre Schulklasse kennen gelernt. Sharula, die Lehrerin der Klasse, hatte damals viel zum Verständnis für seine neue Situation beigetragen. Diane und all ihre Klassenkameraden waren ihm damals zu echten Freunden geworden. Ebenso dachte er jetzt an die Tiger Toni, Sira und ihre Tigerbabys zurück. Ihnen konnte er nicht mehr begegnen, denn sie lebten nicht mehr. Aber den Hyperboreaner Zohar, den Arianni Ag-Agria, die Lemurer Angelina, Luriel und Celestia und vielleicht auch Adama könnte er jetzt vielleicht wieder sehen. Auch hatte er damals vor zwanzig Jahren den Neuschwabenländern Herbert Nussbaum, Rudolf Holzer, Gertraud Werner und Ingrid Jentzsch versprochen wieder zu kommen, wenn sich eine Gelegenheit bot. Und die bot sich jetzt. Darauf freute er sich. Doch dann kam ihm wieder der schmerzliche Abschied auf der Schulwiese in den Sinn. Die Umarmung von Sira. Hatte sie gefühlt, dass sie sich nie wiedersehen würden? Vielleicht! Trotzdem hatte sie bis zu ihrem Tod auf ihn gewartet, hatte Diane ihm berichtet.

Nach seiner Rückkehr in die äußere Welt war sein Herz voller Sehnsucht nach Posid, dem Bergkristall-Clan und besonders nach Diane. Doch irgendwann hatte er die Hoffnung aufgegeben, sie wiederzusehen und ein neues Leben begonnen, als Marina seinen Lebensweg kreuzte. Augenblicklich trieb es ihm Tränen in die Augen. Die glückliche Zeit mit Marina dauerte nur achtzehn Jahre. Es war erst Stunden her, dass sie beigesetzt wurde.

Nun blickte er etwas verstohlen auf Diane. Ob ihre Liebe noch einmal so erblühen würde wie damals vor 20 Jahren? Er war jetzt für sie ein relativ alter Mann mit seinen 54 Jahren. Dagegen war ihr Alterungsprozess bei etwa 35 Jahren stehen geblieben. Wird ihre Liebe groß genug sein und diese zwanzig Jahre überwinden? Und wird Diane auch seiner Tochter die Mutter ersetzen können? All diese Fragen gingen ihm durch den Kopf. Und dann warteten auch noch zwei Söhne in Posid auf ihn, von denen er bis jetzt noch gar nichts wusste.

In der inneren Welt (Band 2)

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