Читать книгу 2 - Хидео Ёкояма - Страница 4

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Hier im Zimmer bekam man nichts mit vom Wind oder vom Frühling mit seiner unendlichen Vielfalt an Stimmen. Die Fenster waren immer geschlossen, die schweren Vorhänge dicht zugezogen. Die Klimaanlage lief, aber man musste nur kurz an einem der Schreibtische sitzen, um zu merken, dass sie im Wesentlichen Krach machte und sonst nichts.

Die gut sechzehn Quadratmeter große Dependance der Verwaltungsabteilung lag im Nordflügel des Polizeipräsidiums Präfektur D im ersten Stock. Da sie nicht durchgängig genutzt wurde, hieß sie auch »das Sommerhaus« oder »die Klause« – natürlich nur bei den Verwaltungsmitarbeitern selbst. Die übrigen Beamten des Präsidiums heuchelten Gleichgültigkeit und sprachen einfach vom »Personalbüro«, manche mit wissendem Grinsen, andere mit einer merklichen Beklommenheit im Blick.

Jetzt hocken sie wieder beisammen, da oben im Personalbüro.

Alle sagten sie das.

In fünf Tagen würden die internen Bescheide herausgehen; die jährliche Liste der Versetzungen war so gut wie fertig. Gerade einmal dreitausend Stellen im höheren und gehobenen Dienst waren auf dem Prüfstand, und bei längst nicht allen stand tatsächlich eine Versetzung an: In jedem normalen Jahr wären sämtliche Teile des Puzzles zu diesem Zeitpunkt bereits an ihrem Platz gewesen.

Doch ein ominöser Anruf aus der Innenrevision hatte den Prozess am Nachmittag ins Stocken gebracht. Grund war der Leiter von Direktion S im Norden der Präfektur, der seinen Schwiegereltern durch den Landschaftsgärtner einer Feriensiedlung in seinem Bezirk einen Garten hatte anlegen lassen, und das, wie es schien, für ein bestenfalls symbolisches Entgelt.

Dieser Idiot!

Shinji Futawatari verwünschte den Mann, dessen Gesicht jetzt aus seinem Bildschirm zu ihm heraussah.

Der Direktionsleiter, ein Mensch mit länglichem Gesicht und sanften Zügen, hatte seine Stelle erst letztes Frühjahr angetreten. Insofern war er eigentlich kein Versetzungskandidat gewesen. Nun aber, da sein Fehltritt bekannt war, konnte man ihn unmöglich in einer Position belassen, in der er das Aushängeschild seiner Direktion war. Futawataris Vorgesetzter in der Verwaltung hatte ihm unmissverständlich aufgetragen, die Pläne bis zum nächsten Morgen so umzuarbeiten, dass für den Mann ein weniger sichtbarer Posten gefunden wurde.

Futawatari konnte auf eine lange Zeit im Personalwesen zurückblicken. In seinen insgesamt sechs Jahren als Polizeiratsanwärter und dann Polizeirat, gefolgt von der Beförderung zum Polizeioberrat und anschließender Ernennung zum Verwaltungsinspektor mit allgemeineren leitenden Aufgaben, hatte er durchgehend bei der Ausarbeitung der Versetzungspläne mitgewirkt. Es schien wenig wahrscheinlich, dass die Oberen jemanden mit seiner Erfahrung ziehen lassen würden. Zumindest nicht, ehe sein Bereich – der denkbar unterbesetzt war – zum Dezernat hochgestuft wurde.

Krisen wie diese waren nichts Neues für ihn.

Er hatte unter einem Präsidenten gearbeitet, der besonders anfällig für Speichelleckerei war und wie ein verblendeter Potentat Beförderungen vornahm, eine aberwitziger als die andere. Er hatte mehrere Direktoren über sich gehabt, die sich alle angemaßt hatten, beim Versetzungspuzzle mitzumischen, ohne jede Rücksicht auf örtliche Gegebenheiten oder Gebräuche. Er wusste, es war zwecklos, sich aufzuregen, wenn so etwas passierte. Dank der oft willkürlichen Anordnungen dieser ichbezogenen Bürokraten ging es nur selten ohne eine Reihe von Nachtschichten ab.

Dennoch war dies das erste Mal, dass er sich gezwungen sah, eine Änderung zu einem Zeitpunkt vorzunehmen, da er im Begriff stand, die vom Präsidenten bereits abgezeichnete Liste zum Ausdrucken zu Versorgung und Personalentwicklung hinüberzuschicken. Und schuld war nicht die Laune eines Karrierebeamten, sondern das Fehlverhalten eines Direktionsleiters, eines Menschen also, der auf derselben Seite hätte stehen sollen wie er.

Nicht einmal Futawatari konnte da gleichmütig bleiben.

Soll er doch irgendwo versauern, vielleicht bei Fortbildung oder Polizeilichem Markenrecht.

Futawatari fuhr mit seiner Maus die Kästchen des Organigramms ab auf der Suche nach dem passenden Exil.

Wenn sich ein Beamter in exponierter Stellung etwas zuschulden kommen ließ, das zu einem Gesichtsverlust führen konnte, war es üblich, ihn für vier, fünf Jahre den Blicken entzogen irgendwo im Präsidium zu parken, bis Gras über die Sache gewachsen war. Eine zu offensichtliche Herabstufung musste vermieden werden – damit riskierte man es, die Aufmerksamkeit der Presse zu erregen, und wie Futawatari nur zu gut wusste, durchschauten einige alte Hasen unter den Reportern das innerpolizeiliche Prozedere besser als viele Beamte selbst. Dann wuchs die Gefahr, dass die Verstöße publik wurden. Zum Glück war das Personalbüro sehr versiert darin, Posten in der Hinterhand zu haben, die so ungreifbar und nebulös waren, dass eine Versetzung dorthin intern zwar als Strafe erkennbar war, sich nach außen aber dadurch rechtfertigen ließ, dass Dienststelle X oder Y »verstärkt« werden musste.

Wohin mit dem Mann?

Angenommen, der Direktionsleiter wurde zu Markenrecht oder Fortbildung verbannt, musste der nächste Schritt sein, einen geeigneten Führungsbeamten für die frei gewordene Stelle in Direktion S zu finden. Ein direkter Tausch wäre das Wünschenswerteste, aber für den derzeitigen Leiter des Markenrechts war es ein entschieden zu großer Karrieresprung. Und der Leiter der Fortbildungsstelle kam erst recht nicht infrage. Bei ihm stimmten zwar Alter und Erfahrung, aber seine Heimatstadt lag im Zuständigkeitsbereich der Direktion. Ein solches Vorgehen war tabu und würde Fragen aufwerfen. Futawatari würde nicht umhinkommen, eine Begründung für die Versetzung zu liefern.

Arschloch.

Wieder fluchte Futawatari. Er atmete tief durch und machte sich dann daran, das schon abgesegnete Puzzle in seine Einzelteile zu zerlegen. Es half nichts, er musste alles wieder aufdröseln. Den Leiter von Markenrecht hinüberschieben zu Direktion G, die eine Stufe unter Direktion S lag. Den Leiter von Direktion G zurück zur Jugendkriminalität im Präfekturpräsidium holen. Den Leiter der Jugendkriminalität bei der Kommunalen Sicherheit unterbringen. Den Leiter der Kommunalen Sicherheit zu …

»Futawatari. Haben Sie eine Minute Zeit?«

Er blickte auf, sein Gesicht noch immer grimmig, und sah Dezernatsleiter Shirota, der ihm von der halb offenen Eingangstür her Zeichen machte. Hier drüben gab es keine Telefone. Das war ein ganz bewusstes Signal; nicht nur drangen auf diese Weise weniger Informationen nach außen, es konnte auch niemand anrufen und Sonderwünsche anmelden. Selbst Shirota, der ranghöchste unter den Dezernatsleitern im Präsidium, musste den weiten Weg aus der Verwaltungsabteilung auf sich nehmen, durch den langen gekachelten Verbindungsgang, der vom Hauptgebäude zum Nordflügel herüberführte. Futawatari nickte und stand auf. Zum ersten Mal seit Stunden warf er einen Blick auf die Uhr an der Wand.

Schon nach neun.

»Es ist ein Problem aufgetreten. Wenn Sie so freundlich wären, mich ins Büro des Direktors zu begleiten?« Die Sorgenfalten auf Shirotas Stirn waren selbst in dem dämmrigen Korridor zu erkennen.

Was denn nun schon wieder?

»Wenn es um Direktion S geht – ich habe schon angefangen …« Futawatari brach den vorschnell begonnenen Satz ab. Von dieser Sache hatte Shirota bereits Kenntnis, wenn er sich also persönlich herbemühte, musste das andere Gründe haben. Und es klang ganz so, als wäre der Abteilungsdirektor noch in seinem Büro statt wie sonst um diese Zeit zu Hause bei einem Glas Brandy. Futawatari trat noch einmal kurz an den Schreibtisch. Er schloss die geöffneten Dateien, nahm die Diskette heraus und sperrte sie im Tresor ein. Dann folgte er dem nervös vorausgehenden Shirota den Gang entlang.

Futawatari sah blass aus, auch ohne den Widerschein des Bildschirms.

Welches Problem konnte noch größer sein als das jetzige?

Sie nahmen Kurs auf das Hauptgebäude, durcheilten Korridor um Korridor, bis sie den roten Teppich erreichten, mit dem der ganze lange Gang bis zum Amtszimmer des Präsidenten ausgelegt war. Rechter Hand fiel ein Lichtschein durch die Glasscheibe in der Tür des Direktors. Futawatari straffte die Schultern und folgte Shirota hinein. Augenblicklich fühlte sich der Teppich unter den Füßen dicker an. Direktor Oguro, der auf einem Sofa saß, sah ihnen entgegen. Seine Augen waren unmutig zusammengekniffen.

»Es ist ein Problem aufgetreten.« Oguro zeigte auf ein zweites Sofa, wartete aber nicht erst ab, bis sie saßen, ehe er dieselben Worte hervorknurrte wie vor ihm Shirota.

»Welcher Art, Herr Direktor?«

Shirota mied Futawataris Blick. Der für seinen Teil war bereits jetzt auf das Schlimmste gefasst.

»Osakabe. Er hat uns mitgeteilt, dass er seinen Posten nicht räumen will.«

»Was?«, entfuhr es Futawatari, ehe er seine Verblüffung überspielen konnte.

»Tja, es wirkt sehr so, als wäre der Herr auf Ärger aus.« Oguro unternahm gar nicht erst den Versuch, seine Gereiztheit zu kaschieren.

Aber das ist … undenkbar.

Michio Osakabe. Der Mann gehörte zu den ganz Großen bei der Polizei. Er hatte das Kriminaluntersuchungsamt geleitet, bis er vor drei Jahren aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war, um einen Vorstandsposten zu übernehmen, den die Verwaltung geschaffen hatte. Seine Amtszeit sollte zur jetzigen Versetzungsrunde auslaufen. Als sein Nachfolger war Direktor Kudo von der Kommunalen Sicherheit vorgesehen, der seinerseits dieses Jahr in den Ruhestand ging.

Das wars dann mit dem Puzzle.

Shirota hatte Osakabe vor nicht einmal einer Stunde zu Hause angerufen, um die Übergabe zu besprechen. Doch als er das Thema anschnitt, hatte Osakabe ihm eröffnet, dass er nicht gehen würde, und das Gespräch kurzerhand abgebrochen.

Futawataris Herz hämmerte. Osakabe weigerte sich, seinen Posten zu räumen. Wohin dann mit Kudo? Eine der Schlüsselaufgaben der Verwaltung war die Schaffung von Posten, in die leitende Beamte bei der Pensionierung wechseln konnten. Das war eine Möglichkeit für die Abteilung, ihre Kompetenz unter Beweis zu stellen. Das Personalbüro blamierte sich bis auf die Knochen, wenn für jemand so Hochrangigen wie den Direktor der Kommunalen Sicherheit kein Posten bereitstand. Und jedes Versagen des Personalbüros warf ein schlechtes Licht auf die Verwaltung als Ganzes.

Verdammt.

»Hat er einen Grund genannt?«, fragte Futawatari. Er versuchte beherrscht zu klingen, aber in seiner Stimme schlug die Anspannung durch.

»Wenn er das getan hätte, wäre die Sache einfacher«, fauchte Oguro.

Oguro hasste und fürchtete Versagen auf jeglicher Ebene. Er war im südlichen Teil der Präfektur geboren und hatte es in seiner Bezirksdirektion zum Revierleiter gebracht. Nach ein paar Jahren dort hatte er sich, vielleicht einer spontanen Regung folgend, für die Prüfung zum höheren Dienst angemeldet, sie bestanden und so in die Karriereschiene gewechselt. Dennoch blieb er in vielerlei Hinsicht ein Zwitter. Auf Präfekturebene mochte er noch so viel gelten, aus Sicht Tokios, wo die »reinrassigen« Bürokraten den Kampf um die Spitzenposten unter sich austrugen, blieb er ein kleiner Fisch. So war er zwischen den Regionaldirektionen hin und her gereicht worden, mit gelegentlichen unbedeutenden Tokioter Gastspielen, die ihn jedoch zu keiner Zeit hatten vergessen lassen, dass ihm die wichtigste Voraussetzung für den Aufstieg fehlte: eine eigene Seilschaft. In seinem Alter hatte er nur noch einen oder zwei Posten vor sich. Er hoffte sicher, eine Direktionsleitung zu ergattern, bevor er seine Uniform an den Nagel hängte. Eine kleine Direktion wäre schon genug – vielleicht irgendwo in der Ebene, wo das Klima milder war.

Untersteht euch und versaut mir das.

Für Futawatari hätte die Warnung genauso gut laut ausgesprochen sein können.

»Die Versetzungspläne kann Abschnittsleiter Uehara fertig machen – Sie finden heraus, was in Osakabe gefahren ist.«

Auch Shirota hatte die Drohung demnach gehört; in dem Blick, mit dem er Futawatari seinen Befehl erteilte, lag fast schon etwas Flehentliches.

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