Читать книгу 2 - Хидео Ёкояма - Страница 5

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Auf dem Weg zurück durch den dunklen Korridor hätte Futawatari am liebsten das Gesicht in den Händen vergraben. Auch wenn Shirota es nicht in dieser Deutlichkeit gesagt hatte: Die Lösung des Problems wurde von ihm, Futawatari, erwartet. Was immer Osakabe plante, die Mühlen des Präsidiums hatten bereits zu mahlen begonnen. Futawatari würde nichts anderes übrig bleiben, als dem Mann die Kündigung zu überreichen. So viel schien unvermeidlich. Dafür werden Sie schließlich bezahlt. Futawatari hatte sich einen Kommentar verkniffen. Er wusste ohnehin, was Shirota – immer der Erste, wenn es galt, die eigenen Interessen zu wahren – geantwortet hätte: Sie wissen doch besser als jeder andere, was es mit dem Posten auf sich hat.

Ein halbes Jahr vor Osakabes Eintritt in den Ruhestand hatte eine Gruppe von Baufirmen der Verwaltungsabteilung ihren Plan unterbreitet, eine Stiftung einzurichten, deren Aufgabe es war, die Entsorgung von Industriemüll zu überwachen. Der Schritt fiel nicht zufällig in eine Zeit, in der die Branche mit einer Welle von Korruptionsvorwürfen zu kämpfen hatte. Nach viel Kopfzerbrechen über die Frage, wie sich die Beziehungen zum Präfekturpräsidium verbessern ließen, waren die Firmen auf die Idee mit der Stiftung verfallen und boten der Polizei nun einen Vorstandsposten an.

Der Verwaltung ihrerseits war der Vorschlag sehr gelegen gekommen. Bedarf an gehobenen Positionen gab es immer, und in dem Jahr schieden gleich mehrere leitende Beamte aus dem Dienst, für die noch ein Posten gefunden werden musste. Das Dezernat selbst hatte keine Gefälligkeiten zu verteilen, sollten der Baubranche Untersuchungen bevorstehen – dennoch blieb ein Rest Unbehagen, verschleiert allerdings durch die Tatsache, dass niemand das Thema offen ansprach.

Der Direktor der Verwaltungsabteilung hatte Osakabe zum ersten Vorstandsvorsitzenden der Stiftung ernannt und seine Amtszeit auf drei Jahre begrenzt. In der Präfektur D wurden Positionen dieser Art für drei bis sechs Jahre vergeben. Bei Osakabe hatte man die kürzestmögliche Dauer gewählt, um die Anzahl der in den nächsten fünf Jahren zur Pensionierung anstehenden Spitzenbeamten mit der Zahl der frei werdenden Posten in Einklang zu bringen.

Hatte Osakabe mit dieser Regelung gehadert? Das war Futawataris erster Gedanke. Er selbst war Abschnittsleiter im Personalbüro gewesen, als der Posten zu besetzen war. Er hatte es alles selbst durchgerechnet. Er hatte die Zahlen vorgelegt.

Oder …

Ein zweites, noch beunruhigenderes Szenario begann sich abzuzeichnen. Ein eigenes Büro, eine Sekretärin, ein Dienstwagen mit Chauffeur, ein Gehalt, das mindestens so hoch war wie sein altes. Wie, wenn ihm all das zu lieb geworden war, um es aufzugeben? Ganz ausgeschlossen schien es Futawatari nicht. Wenn Osakabe tatsächlich gierig geworden war, verkomplizierte das die Sache. Seine Amtsdauer war zwar auf drei Jahre begrenzt, aber die Abmachung war nur eine mündliche. Wie jedes Gentlemen’s Agreement galt sie nur so lange, bis eine Seite sie aufkündigte.

Das war selbstredend noch nie vorgekommen.

Noch mehr als jeder andere Apparat bildete die Polizei ihre eigene, in sich geschlossene Gemeinschaft. Man gehörte ihr von dem Moment an, in dem man auf die Polizeischule kam. Man verschrieb sich dieser Gemeinschaft mit Leib und Seele, und man blieb bis zum letzten Atemzug Teil von ihr. Die Pensionierung bedeutete lediglich das Ende der aktiven Dienstzeit. Sie hatte keine Auswirkungen auf den Grad der Verbundenheit. Insofern war ein Gentlemen’s Agreement mehr als nur ein Versprechen. Es war Gesetz. Dass Osakabe sich nun darüber erhob, sich gegen die Gemeinschaft stellte – die Vorstellung schien absurd. Es kam einem Selbstmord gleich, sein Leben als Polizist wäre damit beendet.

Wieder in seinem Büro, eröffnete Futawatari Uehara, dass ab sofort er sich mit dem Versetzungspuzzle herumschlagen durfte. Er gab ihm noch rasch ein paar Tipps, dann setzte er sich an seinen Schreibtisch. Er schob eine Diskette mit der Aufschrift »Ehemalige« in das Laufwerk, holte einmal tief Atem und rief die Akte von Michio Osakabe auf.

Sie las sich eindrucksvoll.

Der Mann war zu einer Zeit in den Polizeidienst eingetreten, als es die alten Regionalverwaltungen noch gab. Als junger Beamter in einer kleinen Polizeiwache hatte er eine Bande von Fahrraddieben ausgehoben. Daraufhin hatte man ihn in die Kriminalabteilung seiner Bezirksdirektion geholt. Nachdem er dort weitere drei Jahre Diebstahlsfälle bearbeitet hatte, war er ins Kriminaluntersuchungsamt des Präfekturpräsidiums berufen worden, ins Kommissariat Gewaltverbrechen in Dezernat I, das polizeiweit als eines der prestigeträchtigsten galt. Danach bekleidete er eine Reihe von Posten auf Bezirksebene, alle mit dem Schwerpunkt Gewaltverbrechen. Vierzehn Jahre hatte er auf diese Weise zugebracht, fünf davon als Einsatzleiter. Von da aus war er schnell aufgestiegen: erst stellvertretender Leiter von Dezernat I, dann Chefberater, dann Dezernatsleiter. Schließlich war er dann Direktor geworden und damit die Nummer eins im KUA.

Dazu hatte er im Lauf der Jahre die Kriminalabteilung seiner Region sowie zwei Polizeidirektionen geleitet und war erst stellvertretender Leiter und dann Leiter des Kriminaldauerdiensts gewesen. Und auch in Tokio hatte er Lorbeeren geerntet, bei einer zweijährigen Entsendung in die Fahndungsstelle der Nationalen Polizeibehörde, kurz NPB.

Nur zwei bedeutende Fälle während seiner Laufbahn waren ungelöst geblieben. Der erste war ein bewaffneter Banküberfall, in dem er als Leiter von Dezernat I ermittelt hatte. Der zweite war der brutale Mord an einer Büroangestellten, der kurz nach seiner Beförderung zum Direktor verübt worden war. Dagegen waren die Fälle, die er persönlich aufgeklärt hatte, kaum zu zählen. Futawatari scrollte mit der Maus durch die Liste, aber sie schien schier unendlich.

Er seufzte tief.

Wie immer nötigte ihm die Leistung Bewunderung ab. Osakabes Polizeilaufbahn erstreckte sich über zweiundvierzig Jahre, und jedes einzelne davon hatte der Verbrechensaufklärung gedient. Ein paar andere Kriminalbeamte gab es, die ähnlich lange an vorderster Front standen wie er. Aber Futawatari wusste mit absoluter Sicherheit, dass keiner von ihnen es schaffen würde, zum Direktor des Kriminaluntersuchungsamts aufzusteigen, auch wenn sie dem KUA ihr ganzes Leben gewidmet hatten.

Die Regionalpräsidien waren anders strukturiert als die in den Ballungsräumen, wie etwa die Tokioter Polizei. Hier konzentrierte sich, organisatorisch gesehen, alles in den fünf großen Abteilungen: Verwaltung, Kriminaluntersuchungsamt, Kommunale Sicherheit, Ordnungs- und Schutzaufgaben sowie Kfz-Wesen. Die Direktoren von Verwaltung und von Ordnungs- und Schutzaufgaben wurden durch die NPB in Tokio besetzt, sodass nur drei Direktorenposten blieben, die man als Regionalbeamter anstreben konnte. Von diesen dreien war das KUA der ehrenvollste.

Man hätte erwarten können, dass der Platz an der Spitze von einem Mann eingenommen wurde, der seine ganze Laufbahn in der Abteilung abgeleistet hatte, aber de facto lief es darauf fast nie hinaus. Beamten, die rund um die Uhr Verbrechen aufklärten, blieb wenig Zeit, um für Prüfungen zu büffeln, und falls ihnen dieses Kunststück doch gelang, gab es genügend Geschichten von Kripo-Männern der alten Schule, die ihre Kandidaten am Abend vor der Prüfung mit Alkohol abfüllten. Üblicherweise waren es stattdessen die Leute, die nur einen kleinen Teil ihrer Zeit der Ermittlungsarbeit widmeten und den weit größeren Teil anderen Tätigkeiten – solchen, bei denen sie Ergebnisse einfahren und den Prüfungsparcours durchlaufen konnten –, die es bis ganz an die Spitze schafften.

Unter bestimmten Umständen konnte es sogar sein, dass das Amt jemandem angetragen wurde, der nie bei der Kriminalpolizei gewesen war, jemandem, der keine Ahnung von echter Ermittlungsarbeit hatte. Vorrang bei der Besetzung dieses Postens, des bedeutendsten auf Regionalebene, hatte in solchen Fällen für gewöhnlich der, der es in seiner Generation am frühesten zum Polizeioberrat gebracht hatte.

Und das hieß: Futawatari.

Er hatte diesen Schritt schon mit vierzig geschafft, womit er seinen Altersgenossen eine Länge voraus war. Er war dünn, vom Typ her mehr Bankbeamter als Polizist, und hätte kaum gewusst, wie man eine Verhaftung vornahm, doch dank seiner langen Erfahrung im Personalbereich war ihm klar, dass er in zehn oder fünfzehn Jahren der aussichtsreichste Kandidat für die Rolle sein würde.

Ob er wollte oder nicht.

Vielleicht war das der Grund, weshalb er sich angesichts von Osakabes Lebensleistung klein und unbedeutend fühlte und sich vager Neid in ihm regte.

Nicht daran denken.

Direktor des KUA zu werden, diese unstrittige Krönung einer Polizistenlaufbahn – das war ein Traum, dem sich fast jeder Polizeibeamte irgendwann im Leben hingab.

Osakabes Karriere war in mehr als nur einer Hinsicht einzigartig in der Geschichte der Personalabteilung. Gut, zu seinen Anfangszeiten waren nicht nur die befördert worden, die bei Prüfungen gut abschnitten, sondern auch die, die sich im praktischen Einsatz hervortaten. Trotzdem, dachte Futawatari bei sich, verdankte er seinen Aufstieg sicher auch einer Portion Glück.

Das Gesicht des Mannes sah ihn vom Bildschirm an. Dunkle, markante Züge, tief in ihren Höhlen liegende Augen, düsterer Blick: ein Kriminaler, wie er im Buche stand. Und zwar genau der Typ, mit dem sich Futawatari schwertat. Wobei er für dieses Urteil, das noch aus Osakabes aktiver Dienstzeit herrührte, gar keine rechte Begründung hätte liefern können. Letztlich hatte er kaum direkten Kontakt mit dem Mann gehabt, auch wenn sie über zwanzig Jahre demselben Apparat angehört hatten. Die Male, die er bei Osakabe im Büro gewesen war – um mit ihm eine Personalfrage zu klären oder sich seine Budgetforderungen anzuhören –, konnte er an den Fingern einer Hand abzählen. Osakabes Reich war der vierte Stock mit den diversen Dezernaten des KUA gewesen, das von Futawatari war die erste Etage mit ihren dort versammelten Verwaltungsfunktionen.

Futawatari machte sich klar, dass er an ihm nur den finsteren Ausdruck kannte, den er auch jetzt auf dem Foto sah. Er konnte sich nicht erinnern, je erlebt zu haben, dass der Mann lachte oder sich über etwas aufregte.

Es hilft nichts. Ich muss ihn mir persönlich vornehmen.

Futawatari versuchte sich Mut zu machen, während er Osakabes Privatadresse notierte.

Abbezahltes Eigenheim. Frau und drei Töchter. Die beiden älteren schon länger verheiratet. Die jüngste derzeit wohnhaft in Tokio.

Er gab Uehara, dessen Stirn inzwischen glänzte von Schweiß, noch einige Hinweise und verließ dann das Gebäude. Der Wind blies kalt, er schlug den Kragen hoch.

Es war schon nach Mitternacht.

Es ergab keinen Sinn. Warum weigerte sich Osakabe, den Posten zu räumen? Waren ihm drei Jahre zu wenig gewesen? Hatte er sich zu sehr an seine Privilegien gewöhnt? Beide Theorien schienen zu kurz zu greifen. Zu lebhaft stand ihm das Bild aus Osakabes Akte vor Augen, auf das er vor einer Minute noch gestarrt hatte. Meinte der Mann es ernst? Wollte er wirklich seinen Stolz begraben und mit der Polizei brechen? Sich der Industrie verkaufen, eintauchen in diesen Sumpf der Korruption?

Ausgerechnet Direktor Osakabe …

»Lächerlich«, murmelte Futawatari und wandte sich vom Hauptgebäude ab, das nun fast völlig im Dunkeln lag.

Bis die internen Bescheide über die Versetzungen im höheren Dienst versandt würden, blieben noch fünf Tage. Was immer dahintersteckt, ich gehe gleich morgen früh zu ihm. Futawatari beschleunigte seinen Schritt, als er auf den Parkplatz zuhielt, und die Unruhe, die ihn antrieb, war von ganz anderer Art als die, mit der er vorhin Direktor Oguros Büro betreten hatte.

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