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Prolog

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Vor zwei Monaten

Micha

Es lief nicht gut.

Micha Perkins hielt das Steuer von Dales verbeultem Kia Rio umklammert und schaute schon zum zehnten Mal in der letzten Minute aus dem Fenster. Dale hatte gesagt, er wollte nur kurz etwas aus einem der Läden am Ufer besorgen und bräuchte dazu Bries Hilfe und Micha als Fahrer.

Und er hatte Micha gesagt, dass er den Motor laufen lassen sollte.

Micha versuchte, Radio zu hören, aber die Musik ging ihm auf die Nerven. Es war schon ziemlich spät. Jedenfalls für diese Ecke von Seattle. Hatten um diese Uhrzeit überhaupt noch Läden auf? Und warum hatte Dale so lange gewartet, um seine Bestellung abzuholen?

Es war kein Geheimnis, dass Micha und Dale sich oft in die Haare bekamen, aber Dale hatte Micha eine Chance gegeben, als sich sonst niemand um ihn zu kümmern schien. Er hatte ihn aufgenommen und ihm ein Zuhause gegeben. Micha wusste, was er Dale schuldig war.

Warum also war er so nervös?

So lief es bei ihnen im Haus. Die meisten von ihnen waren schwul – Ausreißer und Streuner, die in die Stadt gekommen waren, um einen Neuanfang zu machen. Das Haus war ihre Familie und in einer Familie stand man füreinander ein.

Micha wusste das, auch wenn er ein ziemlich lausiger Sohn gewesen war. Mit dieser Familie wollte er es besser machen und dazu gehörte, dass er auf Dale hörte. Trotzdem hatte er ein ungutes Gefühl im Magen. Er wusste, dass Dales Geschäfte nicht immer lupenrein waren. Mist.

Warum war er nur mitgekommen? Brie war alt genug, um selbst zu fahren. Er war sich ziemlich sicher, dass sie einen Führerschein hatte, zumindest einen auf Probe.

Und er hätte die beiden nicht allein lassen sollen.

Micha knabberte wütend an seinem Daumennagel und schaute in den Rückspiegel. Es war nicht viel zu sehen, weil fast die Hälfte der Straßenlampen nicht funktionierte. Aber nichts deutete darauf hin, dass Dale und Brie demnächst in der kleinen Gasse zwischen den Lagerhäusern auftauchen würden, in denen er parkte.

Was wusste Micha schon? Nichts. Er musste daran denken, dass er froh sein konnte, ein Dach überm Kopf zu haben und die paar Kröten, die er in einer abgewirtschafteten Bar verdiente, nicht für die Miete draufgingen. Er musste an seine Position denken.

Was war schon dabei, dass Dale ein Kontrollfreak war? Wenigstens hielt er das Haus zusammen und stellte keine überflüssigen Fragen. War es da zu viel verlangt, dass man ihm ab und zu einen Gefallen tun musste? Bisher hatte er Micha allerdings noch nie zu einem so geheimnisvollen Geschäft mitgenommen.

Und was war mit Rich?

Micha schnalzte mit der Zunge und knabberte am nächsten Fingernagel. Rich war immer schwierig gewesen. Wohin auch immer er verschwunden war, dem Haus ging es ohne ihn besser. Aber Rich und Dale hatten oft nächtliche Expeditionen unternommen.

Micha konnte so dumm sein. Vermutlich hatten Dale und Rich nur gefickt und Micha war eifersüchtig. Er musste endlich einsehen, dass sie heute Nacht aus ganz banalen Gründen hier waren. Trotzdem… Er konnte das Gefühl nicht loswerden, dass es keine gute Idee war, Brie mit Dale allein zu lassen. Dale interessierte sich normalerweise nicht für Frauen, aber…

Mist. Was war denn das? Es war zu dunkel und er konnte nichts erkennen, also kurbelte er das Fenster etwas auf. Die laue Nachtluft des Augusts, die ins Auto eindrang, roch leicht nach Abgasen. Micha spitzte die Ohren.

Es war eine Alarmanlage.

Er setzte sich gerade auf und krallte sich am Lenkrad fest. Der Motor brummte leise. Alles war in Ordnung. Nachts gingen in der Stadt ständig Alarmanlagen los. Vielleicht war sie von dem Wind ausgelöst worden, der vom Meer her blies. Oder von einem Fuchs, der in den Abfalltonnen nach Fressbarem wühlte. Oder Jugendlichen mit ihren Spraydosen, die das falsche Fenster besprühten.

Außer… Kam da jemand gerannt?

Micha drehte sich in seinem Sitz um und schaute mit zusammengekniffenen Augen ins Dunkel. Sein Herz pochte. Mist. Das waren definitiv Dales und Bries dünne Beine, die da durch die Gasse auf ihn zugerannt kamen.

»Los!«, brüllte Dale.

Was? Meinte er etwa, dass Micha losfahren sollte? Die beiden waren nur sechs oder sieben Meter vom Auto entfernt. Der Motor lief und er konnte losfahren, sobald sie im Wagen saßen. Und was zum Teufel hielten sie in den Armen?

Und war das etwa eine Sirene?

Dale riss die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Sitz fallen. »Fahr los!«

»Aber…«, stammelte Micha. Brie war noch einige Schritte vom Auto entfernt.

»Fahr los, du verdammter Idiot!«, brüllte Dale ihm ins Ohr. Es dauerte einige Sekunden, bis Brie die Tür aufgerissen und ins Auto gesprungen war. Einige weiße Schachteln fielen auf den Rücksitz.

Micha gab Gas und Brie schlug die Tür zu, während sie durch die Gasse schossen.

»Dale? Was soll die Scheiße?«, schrie Micha. »Was geht hier ab?«

»Halt's Maul und bring uns hier raus!« Dale sah sich panisch um, schaute in die Spiegel und hinten aus dem Fenster, während Micha die Straße entlangraste. »Mein Gott, Perkins… Du hattest nur einen Job…«

»Ich fahre doch schon!«, schnauzte Micha ihn beleidigt an, weil Dale so tat, als wäre das alles seine Schuld. Er hatte alles getan, was Dale ihm aufgetragen hatte. Nur Brie hatte er nicht zurückgelassen. Das hätte er niemals getan. Wahrscheinlich war Dale nicht aufgefallen, dass sie noch nicht im Auto gesessen hatte.

Sie kurvten um eine Ecke. Die Nachtluft blies durch das offene Seitenfenster ins Auto. Ja, das waren definitiv Sirenen, die Micha da hörte. Und sie wurden lauter.

»Dale, sind das die Bullen?«, rief Micha ungläubig. Er konnte im Rückspiegel Bries verängstigtes Gesicht sehen, das sich kreidebleich von den roten Haaren abhob, die sie zu einem strubbeligen Dutt zusammengebunden hatte. Für einen kurzen Augenblick wurde er wütend und vergaß seine Angst, sie in Gefahr gebracht zu haben. »Habt ihr etwas gestohlen?«

»Wenn du nicht aufs Gas trittst, spielt das alles keine Rolle mehr, du Idiot!« Dale packte die weißen Schachteln in einen Rucksack, den er unterm Beifahrersitz hervorzog.

Er trug Handschuhe.

Brie auch.

Mitten im Sommer…

Verdammte Scheiße! »Dale, sind das iPads?«

»Perkins… Aufpassen!«

Micha trat auf die Bremse, riss das Lenkrad herum und bog mit quietschenden Reifen in eine kleine Gasse ab. Nur weg von dem Polizeiauto, das mit blinkenden Lichtern und heulender Sirene immer näher kam.

Galle stieg in ihm auf. Was war hier los? Wie war es so weit gekommen? Es war alles so schnell gegangen. Er hatte im Auto gesessen und gewartet, und dann…

Micha kannte sich hier nicht gut aus. Die blinkenden Lichter waren wieder hinter ihnen und er wusste nicht, warum sie vor ihnen auf der Flucht waren. Nur… dass er es doch wusste. Er wollte es sich nur nicht eingestehen.

»Dale?«, meldete sich Brie ängstlich vom Rücksitz. Micha sah im Spiegel, wie sie nervös abwechselnd nach vorne auf die Straße und wieder nach hinten schaute, von wo sich das Polizeiauto näherte.

»Links abbiegen!«, bellte Dale.

Micha sah ihn verwirrt an. »Aber das ist eine Sackgasse…«

»Links!« Dale griff ins Lenkrad und fuhr sie beinahe gegen eine Hauswand. Micha schaffte es gerade noch, den Wagen auf der Straße zu halten. Nicht, dass es ihnen viel geholfen hätte. Sie fuhren auf ein weiteres Lagerhaus zu, aber die Gasse endete vor dem verschlossenen Hoftor aus Maschendraht.

»Dale, wir können nicht…«

Dale schnippte ihm hektisch mit den Fingern vorm Gesicht. »Ranfahren! Da!«

Dieses Mal zögerte Micha nicht. Er tat, was Dale ihm befohlen hatte. Er musste den Plan nicht recht kapiert haben. Kaum hielt er auf die kleine Nische zu, öffnete Dale die Tür und sprang aus dem Wagen. Er verschwand mit seinem Rucksack in der Nacht. Brie folgte ihm dicht auf den Fersen.

»Micha! Komm schon!«, schrie sie. Ihre zerfetzten Turnschuhe fanden auf dem Kiesboden kaum Halt. Ihr junges Gesicht war angstverzerrt im harten Licht der Innenbeleuchtung. Dann drehte sie sich um und war ebenfalls verschwunden, während Micha noch versuchte, seinen Sicherheitsgurt zu lösen.

Die Sirenen heulten durch die Nacht. Es waren jetzt zwei Polizeiwagen, die in die Sackgasse einbogen. Micha konnte rechts nicht mehr von links unterscheiden und lief einfach blindlings los. Adrenalin pumpte ihm durch die Adern.

Wo war Brie? War sie in Ordnung? Gott, sie war noch so jung… Er hätte vorsichtiger sein sollen. Der Boden war uneben. Micha kam in der Dunkelheit ins Stolpern und ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Es kostete ihn kritische Sekunden.

»Stehen bleiben! Polizei!«

Er drehte sich um und wurde durch das Licht einer Taschenlampe geblendet, die ihm direkt ins Gesicht schien. Er konnte gerade noch erkennen, dass der Polizist eine Pistole auf ihn gerichtet hatte.

Eine ungekannte Angst schoss ihm durch den Leib. Seine Beine waren wie gelähmt. Er hielt sich schützend die Arme vor den Kopf. »Ich bin unbewaffnet!«, rief er. »Ich schwöre, ich bin unbewaffnet!«

Immer mehr Lichter tanzten vor seinen Augen und blendeten ihn. Er hörte Schritte und Stimmen, aber seine Füße waren wie festgewurzelt. Dann wurde er von groben Händen gepackt, die ihn umdrehten und an den Drahtzaun schoben.

Die Arme wurden ihm nach hinten gezogen. Sein Kopf wurde seitlich an den Zaun gedrückt und er konnte kaum atmen. Tränen brannten ihm in den Augen. Micha blinzelte sie weg.

»Du hast das Recht zu schweigen«, rezitierte der anonyme Polizist. Micha unterdrückte ein Schluchzen. Nein, nein, nein. Das war nicht sein Leben!

Was war nur passiert?

Dann sah er sie. Sie kauerte auf der anderen Seite des Zauns hinter einem Laster. Brie. Micha wusste nicht, wie sie dorthin gekommen war, aber sie hatte es geschafft. Sie war weit genug weg und es war so dunkel, dass die Bullen sie nicht gesehen hatten. Aber Micha hatte sie gesehen. Und dann sah er auch Dale, der hinter ihr kauerte und ihr eine Hand auf die Schulter legte.

Micha wollte Bries Leben nicht auch noch ruinieren. Er sah sie direkt an. Brie sah aus, als wäre sie am liebsten zu ihm gerannt.

Er schüttelte den Kopf. »Nein.«

Sie würde ihm von den Lippen ablesen können, was er gesagt hatte. Er hoffte, es würde sie zurückhalten. Dale zog sie an der Schulter nach hinten und sie verschwanden im Schatten der Dunkelheit.

»Sorry, mein Junge«, sagte der Bulle, offensichtlich als Antwort auf sein Nein. »Hast du deine Rechte verstanden oder nicht?«

Oh, Micha hatte verstanden. Er hatte sehr viel verstanden.

Er hatte gerade innerhalb von zehn Minuten sein ganzes Leben versaut. Die Frage war nur, ob es jemanden interessierte.

Homeward Bound

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