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Langley, Virginia

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Agent Julius schaute fassungslos auf das Telex von Lieutenant Colonel Corso aus Saigon. Jane Mulwray sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit. Ihre unamerikanischen Umtriebe schadeten der Truppe zunehmend. Er schlug vor, persönlich für die Liquidierung zu sorgen. Was für ein kranker Mistkerl dieser Corso war. Agent Julius kannte Jane nicht. Er wusste nicht einmal, wie sie aussah. Aber das, was man jetzt plante, war ein Verbrechen! Das Schlimmste war, dass seine Vorgesetzten gesagt hatten: „Der Lieutenant hat freie Hand!“ Er lächelte in sich hinein. Nun, das würde er verhindern. Es wäre das erste Mal, dass der Wortlaut einer Nachricht an einen Feldagenten überprüft würde. „Fuck you, Corso! Diese Frau lässt du in Ruhe!“ Agent Julius grinste. Er war zufrieden.

***

Das Telefon schellte. Die Dame von der Rezeption war dran. Es sei Besuch für Miss Jane da. Eigentlich sah man Herrenbesuch ja nicht so gern, aber der Gentlemen sei von der Militärpolizei. Miss Jane habe sich hoffentlich nichts zuschulden kommen lassen? Jane verdrehte die Augen. Jedes zweite Hotel in Saigon war ein Behelfspuff, aber ausgerechnet dieser Schuppen hier gab den Moralapostel.

„Schicken Sie den Gentlemen rauf! Wir sind verabredet!“ Bevor sie die Tür öffnete, warf sie rasch einen prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild. Scheiße, es war vollkommen egal, wie sie aussah. Jones hatte bisher in keiner Art und Weise irgendein Interesse bekundet.

„Ich gehe mal nicht davon aus, dass du mich verhaften möchtest. Was treibt dich her?“

„Ich wollte dir einen kleinen Ausflug vorschlagen. Ich habe für einen Kameraden einen Job übernommen. Es geht Richtung Norden. Wir sollen da jemanden abholen. Der ‚Job‘ ist ein vollkommen durchgekrachter Lieutenant. Ich dachte, das ist vielleicht eine Abwechslung für dich.“

Jane musste nicht lange nachdenken. Es war auf jeden Fall besser, als ohne vernünftige Aufgabe in Saigon festzusitzen. Sie grinste breit.

Tank stutzte einen Moment: „Eine Sache noch, bevor wir runtergehen. Mich haben vor dem Haus zwei Typen auf dich angesprochen. Hast du irgendwelchen Ärger?“ Jane schüttelte den Kopf. Tank ging zum Fenster und blickte hinaus. Der Wagen stand noch da. Er war leer. Tank drehte sich zu Jane um. „Was immer auf deinen Filmen war, du machst die Sorte von Bildern, die die Leute auf keinen Fall beim Abendessen sehen sollen. Ich gehe vor.“

Die Gasse am Seiteneingang war sehr schmal. Hier gab es kein Pflaster und durch den Regen war der Boden ziemlich aufgeweicht. Es fiel wenig Licht hinein und Jane überkam ein unangenehmes Gefühl. Sie zuckte fast zusammen, als zwei Männer am Ende der Gasse auftauchten. Spontan blickte sie nach hinten. Ihr erster Reflex war Flucht. Tanks Modus war Angriff. Er hatte seinen Schlagstock in der Hand – weiß der Himmel, wie er den so schnell hervorgezogen hatte.

„Bleib hier und rühr dich nicht vom Fleck!“ Er ging mit einer gleichmütigen, selbstverständlichen Art auf die Typen zu. Jane blieb natürlich nicht stehen, sondern folgte ihm auf dem Fuße.

„Sergeant, machen Sie den Weg frei und überlassen Sie uns Miss Mulwray für einen Moment. Das Miststück hat sich wirklich eine Abreibung verdient!“

Jane sah, dass einer der Männer nach seiner Waffe griff. Verdammt, eine Schießerei war das Letzte, was sie wollte. Tank sah das offenbar genauso. Da der Agent jedoch Vernunftgründen gegenüber wenig aufgeschlossen schien, ging Jones ansatzlos zum Angriffsmodus über. Ohne ein Wort der Warnung krachte seine Faust unter das Kinn des Mannes. Jane hörte förmlich, wie die Zähne brachen. Er ging sofort zu Boden und spuckte Blut. Tank störte sich nicht im Geringsten daran und packte sich den nächsten Kerl. Seine Schläge trafen schnell, brutal und effizient. Jane schaute ihm entsetzt zu. Sie hatte schon gehört, dass Jones dafür bekannt war, extrem brutal vorzugehen: ein mieser Schläger, der sich nicht an Regeln hielt. Jetzt sah sie es mit eigenen Augen. Sie brauchte ein wenig, um ihre Kaltblütigkeit zurückzugewinnen. Sie hockte sich neben den Mann, der zu Boden gegangen war, und fingerte in seiner Seitentasche nach einem Ausweis oder Ähnlichem. Sie brauchte nicht lange zu suchen.

„Oh Gott, Tank! Die Typen sind von einer Bundesbehörde!“

Tank schien nicht wirklich überrascht. „Komm mit! Wir sollten machen, dass wir hier wegkommen!“ Er war so ruhig, als wäre nichts gewesen.

Sie traten aus der engen Gasse in das brodelnde Gewimmel der Hauptstraße. Das geschäftige Treiben verschluckte sie förmlich. Jane schaute auf Tanks Rücken. Das Hemd war zerrissen. Tank drehte sich zu ihr um:

„Was ist?“

Sie deutete auf den halb abgerissenen Ärmel. Tank ruckte einmal daran und er war ganz ab. Der zweite Ärmel hatte den Kampf ebenfalls nicht überstanden.

Die Muskeln der Oberarme arbeiteten unter der gebräunten Haut und nahmen Janes Blick gefangen. Er sah wirklich gut aus, dieser Sergeant Trevor Jones! Er war unglaublich cool. Ihre Kehle wurde trocken. Sie riss sich zusammen und hoffte, dass er ihre Gedanken nicht von der Nasenspitze ablesen konnte.

„Du solltest vielleicht was Neues zum Anziehen besorgen.“

Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube, wir sollten machen, dass wir loskommen.“

***

Wenige Stunden später saßen Tank und Jane in einer DC 3, die sie nach Norden brachte. Es war kein offizieller Einsatz und sie war sich ziemlich sicher, dass Tanks Vorgesetzter nicht die mindeste Ahnung von ihrer Anwesenheit besaß. Tank hatte sie dem Piloten als Psycho-Doc vorgestellt, die ihn unterstützen sollte, falls es Ärger gab. Claude, der Pilot, grinste vielsagend. Vermutlich glaubte er, dass sich der Sergeant auf dem Flug ein wenig die Zeit vertreiben wollte.

Tank schlug ihr vor, ein wenig zu schlafen, aber sie konnte nicht, obwohl sie sich vollkommen zerschlagen fühlte.

„Na komm, lehn' dich an. Du brauchst deine Kräfte, wenn wir da oben sind!“

Jane spürte, wie er seinen Arm um sie legte. Das regelmäßige Pochen seines Herzschlags. Es war ein schönes, seltsam vertrautes Gefühl.

Nach fast zwei Stunden erwachte sie. Sie hatte wunderbar geschlafen, keine Albträume, kein Herzrasen, keine Angst. Wohlig streckte sie sich. Tank war ebenfalls eingenickt. Er besaß den leichten Schlaf der Soldaten und schlug sofort die Augen auf, als er ihre Bewegung spürte.

„Etwa eine halbe Stunde noch“, meinte er knapp nach einem Blick auf seine Armbanduhr. Draußen war es dunkel geworden.

In Richtung des 17. Breitengrades gab es keine Infrastruktur. Sie würden im Dunkeln landen müssen, auf irgendeiner Schneise im Urwald. Hier gehörte die Nacht Charlie, dem Vietcong. Wie auf ein Kommando erschienen Leuchtraketen wie bizarre Blumen am Nachthimmel. Claude fluchte, schien aber nicht wirklich überrascht.

„Festhalten, Leute, jetzt rumpelt es.“

Jane starrte fasziniert auf die Leuchtmarkierungen. Sie waren so hell, dass sie den Boden darunter ins Licht tauchten. Es sah fantastisch aus, wenn man nicht darüber nachdachte, wozu diese Markierungen dienten. Sie nahm die Kamera zur Hand und stellte die Blende ein. Entweder würden die Fotos gar nichts oder spektakulär werden. Sie war wie elektrisiert und knipste, was das Zeug hielt.

Jane klinkte die Karabinerhaken ihrer Sicherung ein und stand fast in der Luft, als Claude die Maschine runterzog. Dieses eigentümliche Gefühl in der Magengrube – sie liebte diesen Kick von Adrenalin. Es war wie Achterbahnfahren. Sie riss die Arme hoch und genoss das Gefühl von freiem Fall.

Tank sah sie an. Von allen Gefahrensuchern unter den Reportern, die er bisher erlebt hatte, war Jane definitiv die Verrückteste. Jeder vernünftige Mensch hätte sich einen Sitzplatz gesucht und sich festgekrallt. Sie hing in diesem Gurt und genoss das Ganze. Sie hörten die Luftabwehrraketen, sahen die Mündungsfeuer. Es störte diese Frau nicht im Geringsten. Jemand wie sie würde früher oder später draufgehen. Bei aller Bewunderung, die er insgeheim für sie hegte, war es besser, das im Hinterkopf zu behalten.

Claude war begeistert über seine Passagierin. Endlich jemand, der seine Flugkünste zu schätzen wusste. Gekonnt wich er den Geschossen aus. Er riss die Maschine herum und flog an einer Kuppe vorbei. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche. Auch im Dunkeln war er schon oft dorthin geflogen. Vor ihnen lag eine schwarze Schneise im Busch. Die Landebahn war notdürftig erleuchtet. Die Maschine setzte auf. Behutsam konnte man es nicht nennen. Wäre bei dieser Piste auch nicht möglich gewesen.

Als sie ausstiegen, blickte sich Jane neugierig um. Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt noch in Vietnam waren. Sie tippte eher auf Laos, aber das konnte nicht sein. Dort gab es keine amerikanischen Soldaten, keine amerikanischen Flugplätze. Oder etwa doch? Immerhin sollten sie hier einen amerikanischen Lieutenant abholen.

„Tank, sind wir hier überhaupt noch in Vietnam?“

Er zuckte nur die Schultern und verzog keine Miene. Manchmal wünschte sie sich, er wäre ein wenig mitteilsamer. Aber vielleicht war er auch nicht schlauer als sie.

Am Rand der Piste standen Männer in einer Tracht, die sie noch nie gesehen hatte. Sie trugen Turbane. Die Kittel zeigten eine andere Form als die der vietnamesischen Landbevölkerung. Die Gesichtszüge waren nicht die von Vietnamesen. Das könnte wirklich Laos sein! Es gab einige Hütten, vor denen Waren in Ballen gelagert wurden. Was mochte darin sein? Jane zog vorsichtig die Kamera aus der Tasche und machte einige Bilder. Die Männer standen mit dem Rücken zu ihr. Der Pilot und Tank begrüßten einen großen, leicht rotgesichtigen Amerikaner mit Hawaii-Hemd und bekamen daher nichts mit. Die kleine Leica arbeitete tapfer, in ihr steckte ein besonders lichtempfindlicher Film. Hoffentlich wurden die Bilder etwas. Hier sah es schon ziemlich merkwürdig aus.

Als die Sprache auf sie als mitreisende Psychologin kam, ließ sie die Leica mit gekonnten Bewegungen blitzschnell in ihrer Tasche verschwinden.

„Hi, nett, Sie kennenzulernen.“ Mit gewinnendem Lächeln schüttelte sie dem Typen, der sich als Joe vorstellte, die Hand. Sie fand ihn schmierig und der Händedruck vertiefte diesen Eindruck nur.

„Nun, dann schauen Sie mal, wie Sie Jesus aus der Hütte bekommen. Der ist vollkommen durch!“

„Jesus?“

„Ja, er hält sich für die Reinkarnation Christi. Und, Lady, lassen Sie den Sergeanten vorgehen. Ihr ‚Job‘ ist unbekleidet und weigert sich seit Tagen, auch nur in die Nähe einer Schüssel Wasser zu kommen. Er stinkt erbärmlich!“

Jane schaute zu Tank rüber, der sich ein Grinsen kaum verbeißen konnte.

Während sie mit Tank zur Hütte ging, bekam sie im Augenwinkel mit, dass der Pilot mit Joe und einigen Männern zum Laderaum der Maschine ging.

Lieutenant Stanley entpuppte sich wirklich als schwerer Fall. Sie rochen das Marihuana schon draußen. Außerdem mischte sich noch ein anderer, schärferer Geruch hinein, den Jane nicht deuten konnte. Tank forderte Lieutenant Stanley auf, die Tür zu öffnen, was er nicht tat. Jane wusste ja schon, dass Geduld nicht gerade zu Sergeant Jones’ Stärken gehörte, und so war sie keineswegs verwundert, als Tank die notdürftig zusammengezimmerte Tür eintrat.

Der Lieutenant lag auf einer Art improvisiertem Bett, links und rechts zwei vollständig zugedröhnte Frauen im Arm. Er erhob sich mit einer einladenden, beinahe pastoralen Geste und lud sie zur Teilnahme an der Party ein. Jane sah nicht zum ersten Mal einen nackten Mann, allerdings selten in dieser Souveränität, wenn gerade die Polizei in der Tür stand. Na ja, vermutlich verstand er mit seinem vernebelten Gehirn die Situation ohnehin nicht wirklich.

Tank sah den Bruchteil einer Sekunde so aus, als wolle er Jane diesen Anblick ersparen. Sie war immerhin eine Lady und Tank hatte in dieser Hinsicht eine eher konservative Erziehung genossen. Dann wurde ihm schlagartig klar, dass Jane nicht wie andere Mädchen war. Verflucht, wahrscheinlich hatte sie schon mehr als einen nackten Kerl gesehen!

Er ging in den Raum, packte ein paar am Boden liegende Klamotten und warf sie dem Lieutenant zu.

„Anziehen!“ Der Ton duldete keinen Widerspruch.

Der Lieutenant blickte verwirrt von den Kleidungsstücken zu Tank, zu Jane und wieder zurück zu den Mädels auf dem Bett. So langsam schien er die Lage zu erfassen. Er traf die falsche Entscheidung, als er sich anschickte, die Flucht anzutreten. Eine kurze, schnelle Bewegung von Tank stoppte ihn und ließ ihn sich zusammenkrümmen.

„Ich sag’s nicht noch mal, Lieutenant. Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit. Ich habe den Auftrag, Sie nach Saigon zu bringen. Das können wir nett und freundlich erledigen oder auf die harte Tour. Ihre Wahl!“

Der Mann blickte zu Jane. War sie auch dieser Ansicht? Sie schien kein MP zu sein. Jane setzte ein unverbindliches Lächeln auf.

„Lieutenant Stanley, mein Name ist …“ Sie stutzte einen Moment. Verdammt, welchen Namen sollte sie nennen? Mulwray wäre keine gute Idee. „Mein Name ist Henderson. Ich bin Militärpsychologin.“ Die Lüge ging ihr völlig glatt über die Lippen. Tank grinste. „Ich denke, Sie sollten den Anweisungen des Sergeanten folgen, Sir. Ich warte draußen, bis Sie fertig sind.“

Solch einen tollen Anblick bot der Lieutenant nun auch nicht, dass sie sich darum reißen würde, ihn weiter anzuschauen.

Der Lieutenant legte den Kopf schief und musterte Jane. War sie ein Engel, der gesandt worden war, sein irdisches Dasein mit ihrem süßen Körper zu verschönern? Warum hatte sie nur so viel an? Das sollte man ändern ... Zu dumm nur, dass er nach der bösartigen Attacke dieses MP dazu gerade nicht in der Lage war. Sein Blick besagte, dass er lieber mit Jane dort weitergemacht hätte, wo er bei den beiden anderen Mädels so rüde unterbrochen worden war.

Tank entging dieser Blick nicht und er verspürte nicht übel Lust, diesem drogenvernebelten Lüstling noch eine zu verpassen. Jane machte ihm ein Zeichen, dass er den Ball flach halten solle und schlüpfte aus der Tür. Na gut, er würde ihr den Gefallen tun, aber bei der nächsten dummen Idee, die diesem Mistkerl kam … Tank hoffte beinahe darauf, dass der Lieutenant noch einen Fluchtversuch wagen würde, aber den Gefallen tat er ihm nicht.

Jane war aus der Hütte geschlüpft. Sie wollte eigentlich Richtung Flugzeug gehen, als sie jedoch bemerkte, dass der Pilot und einige der Einheimischen Kisten ausluden, entschied sie sich anders. Sie stand hier im Schatten in einer sehr guten Deckung. Verflixt, das waren Armeekisten! Waffen? Sie zog die Leica heraus. Sie fotografierte hier aus dem Dunkel und die Maschine wurde nur vom Licht der Fackeln erleuchtet. Nur mit viel Glück würde man auf dem Foto überhaupt etwas erkennen können.

Die Munitionskisten wechselten den Besitzer. Joe warf einen Blick in die Kisten und zählte einige Geldscheine in die Hand des Piloten. Dann nickte er den Turbanträgern zu und die Ballen wanderten in den Laderaum.

Was gab es in dieser Gegend an Waren? Wenn Janes Vermutung über die Gegend richtig war, gab es nur eine Ware: Opium. Waffen gegen Drogen! Ihr Pilot war zumindest ein Schmuggler und Joe war der Mann, der alles vor Ort koordinierte. Ob Tank so etwas vermutet und sie deshalb mitgenommen hatte? Immerhin war es ein großes Risiko für ihn, eine Zivilistin ohne Abstimmung mit auf eine solche Mission zu nehmen. Sie bekam ihre Story!

Tank stieß die Tür auf und hielt den Lieutenant im Polizeigriff. Dieser lamentierte laut herum und wollte Tank offenbar von einem Leben mit Love, Peace and Happiness überzeugen, das doch die deutlich bessere Alternative zu diesem Krieg war. Es gab das Paradies, das musste doch selbst ein Mann von der MP einsehen. Aus dem Augenwinkel sah Jane, dass Joe den Leuten kaum merklich Zeichen gab, das Zeug so schnell wie möglich wegzuschaffen, während er selbst mit jovialem Grinsen auf Tank zuging. Jane ließ die Kamera wieder verschwinden, augenscheinlich hatte Joe nichts mitbekommen.

Tank kämpfte mit seiner Selbstbeherrschung. Er war heilfroh, als Jane es übernahm, auf den Lieutenant wie auf einen kranken Gaul einzureden, während er mit Joe den Papierkram erledigte. Jane verstand es zumindest, den Lieutenant davon zu überzeugen, ohne Widerstand mitzukommen. Vermutlich wäre sie wirklich eine gute Psychologin, die Rolle spielte sie jedenfalls perfekt. Bereits eine Viertelstunde später im Flugzeug war der Lieutenant so weit, ihr zu berichten, dass er sich auf den Weg nach San Francisco machen wollte, um sich der Hippiebewegung anzuschließen. Auf einmal krallten sich seine dürren Hände um ihren Arm. Die Intensität seines Blickes aus den tiefliegenden Höhlen war beinahe fiebrig.

„Lady, Sie glauben nicht, was ich gesehen habe.“

Ob sie nun Informationen zu dem Opiumhandel bekommen konnte? Sie wechselte einen kurzen Blick mit Tank. Der nickte.

„Lieutenant, ich würde sehr gern hören, was passiert ist.“ Sie lächelte ihn strahlend an.

„Ich bin vor drei Monaten in dieses verdammte Drecksloch gekommen. Man sagte mir, der Einsatz würde meiner Karriere dienlich sein, immerhin war das ein leitender Posten. Mein Job war es, die einheimischen Stämme davon zu überzeugen, gegen den Norden vorzugehen, mit allen Mitteln. Lady, wenn einer das konnte, dann ich. Ich wäre in der Lage, dem Teufel einen Gebrauchtwagen zu verkaufen. Das war leicht, also dachte ich: Jimmy, das schaffst du mit links. Sie gaben mir einen Haufen M16-Gewehre, damit sollte ich die Leute bewaffnen. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutete? Diese Wilden hier kennen nur alte Steinschlossgewehre und Macheten! Es war ein Kinderspiel.“ Er kicherte. „Zumindest dachte ich das. Es gab hier einen Übersetzer, Kung Pao. Er sprach wirklich sehr gutes Englisch, ich war ziemlich verwundert, hier auf so jemanden zu treffen. So ein kleiner, schmaler Kerl. Obwohl – die sehen hier alle klein und schmal aus. Alle gleich, Miss, alle gleich. Auf dem Weg zur Unterkunft ging es schon los. Er bot mir alles Mögliche an. Essen, ein Bad, Mädchen, einen Ritt auf dem Drachen. Ich wollte das nicht. Ich fand es widerlich. Ich mag auch diese kleinen, schnatternden Frauen nicht so besonders. Das sind Wilde, Barbaren.“ Er verzog bei der Erinnerung angewidert den Mund. „Ich hatte meine Instruktionen, aber diese Wilden wollten ihr eigenes Ding durchziehen. Die leben hier wie in der Steinzeit und dieser Kung Pao wollte sich rein gar nichts sagen lassen. Dabei bin ich doch der Adler, der Abgesandte von Uncle Sam! Hergekommen, um diesem Teil der Welt die amerikanische Kultur zu bringen, die Freiheit. Ich bin die Verkörperung Amerikas, und wenn am Sonntag Gottes Sohn zu mir kommt, werden wir gemeinsam diese barbarischen Heiden bekehren, die Kommunisten erschlagen und Gottes amerikanischer Segen wird das Land erblühen lassen. Und die Blumen, die lässt er natürlich auch erblühen. Miss, die stecke ich Ihnen ins Haar. Sie sehen bestimmt toll aus, so nur mit den Blumen im Haar und sonst nichts …“ Er kicherte, dann wurde die Stimme zu einem Flüstern. „Ich schwöre Ihnen, Miss, dieser Kung Pao ist kein Mensch. Diese kleinen, miesen Kerle haben alle dunkle Augen, aber seine Augen waren schwarz, vollkommen schwarz wie die Hölle. Und er hatte Hörner, wirkliche Hörner auf seiner Stirn.“

Jane nickte todernst, während Tank sich mit eindeutiger Geste an die Stirn tippte. Joe gesellte sich zu ihnen. Lieutenant Stanley senkte seine Stimme zu einem Flüstern.

„Hüten Sie sich vor Joe. Er macht Geschäfte mit dem Teufel. Wir sind im goldenen Dreieck. Sie lassen uns den Drachen jagen. Irgendwann erwischt es alle. Aber der Herr wird kommen und seine Liebe wird das Böse besiegen. Das goldene Dreieck wird im Licht aufgehen und zurück bleibt nur Liebe und Frieden. Und dann kommen wir wieder und tanzen nackt in der Sonne, wie die unschuldigen Kinder Evas im Paradies.“

Joe betrachtete den Lieutenant und beschloss, dass es an der Zeit war, mit dem Saufen aufzuhören. Lieutenant Stanley hatte nur eines Abends mit Kung Pao gegessen und das hatte ihn schon in diesen Zustand versetzt. Joe war bestrebt, dass ihm so etwas nicht passierte. Er war nur am maximalen Profit interessiert. Geld machen und so schnell wie möglich wieder fort, sonst wurde man irgendwann verrückt in dieser elenden, feindlichen Fremde. Lieutenant Stanley war vollkommen verrückt geworden. Einen Vorteil hatte die Sache: Ihm würde keiner glauben, dass hier oben Opium gehandelt wurde. Das war auch besser so, White-Powder-Dad, Joes Partner in Saigon, war nicht unbedingt für seine Gutherzigkeit bekannt. Er bemerkte den misstrauischen Blick von Sergeant Jones.

„Ich hab doch gesagt, der Kerl ist irre. Er war gerade mal drei Tage hier, da hockte er auf einem leeren Ölfass, nur mit seinen Shorts bekleidet. Er erklärte jedem, der es hören wollte oder auch nicht, er sei der Adler, von Gott gesandt, um die Erlösung zu bringen. Ich bin heilfroh, dass Sie ihn mitnehmen.“

***

Tank schaute auf den schlafenden Lieutenant und schüttelte verständnislos den Kopf. Er hatte von der Hippiebewegung gehört. Männer wie Frauen, die sich die Haare lang wachsen ließen, Blumenkränze auf den Kopf setzten, den ganzen Tag Marihuana rauchten oder Trips schmissen. Dazu freie Liebe, was bedeutete: jeder mit jedem … War es das, was Lieutenant Stanley wollte? Er selbst fand die Vorstellung ziemlich absonderlich. Arrest, Disziplinarstrafe und dann ab an die Front. Das war es, was einen üblicherweise nach einer solchen Nummer erwartete. Lieutenant Stanley hatte allerdings einen ziemlich einflussreichen Daddy und so standen die Chancen nicht schlecht, dass der Kerl demnächst wie gewünscht in San Francisco auf einen Dauertrip gehen konnte. Egal, es machte einfach keinen Sinn, auch nur einen weiteren Gedanken an die Sache zu verschwenden.

Jane tippte ihm auf die Schulter. „Sag mal, wusstest du, dass Claude außer dem Lieutenant noch andere Dinge befördert?“ Sie sprach ziemlich leise und bei dem lauten Motorengeräusch konnte er sie kaum verstehen.

„Na klar, wenn es einmal in eine so abgelegene Gegend geht, sind meist noch Nahrungsmittel oder Versorgungsgüter dabei. Manchmal sogar lebende Viecher, Hühner oder Schweine!“

„Das meine ich nicht! Ich spreche von Waffen und Munition.“ Sie sah ihm voll in die Augen.

Tank wusste, dass die Piloten von Air America keine Chorknaben waren. Die meisten waren vollkommen durchgekrachte Irre, die nie wieder im normalen Leben klarkommen würden. Claude machte da keine Ausnahme. Konnte schon gut sein, dass er Waffen schmuggelte. Jane schaute ihn weiter unverwandt an. Tank las das Misstrauen in ihrem Blick. Scheiße, sie dachte doch wohl nicht, dass er in die Sache verwickelt war? Doch, genau das dachte sie! Tank schüttelte den Kopf.

„Jeder weiß, dass die Jungs hier öfter mal Dinge auf eigene Faust machen. Aber ich habe nichts damit zu tun. Wirklich nicht!“

Jane musterte seine Züge. Entweder log er verdammt gut oder er hatte wirklich nichts damit zu tun. Sie überlegte einen Moment. Es wäre unlogisch, ausgerechnet eine Reporterin auf solch einen Trip mitzunehmen, wenn er in den Schmuggel verwickelt war. Das würde er nicht tun. Jones war nicht dämlich.

„Okay.“ Sie lächelte kurz und nickte ihm zu. „Ich habe nämlich auch gesehen, was im Gegenzug eingeladen wurde. Es gibt nicht wirklich viele lohnenswerte Erzeugnisse aus dieser Gegend, oder? Der Lieutenant hat zwar eine Menge Blödsinn geredet, aber an der Sache mit dem Opium ist vermutlich was dran.“

Tank sagte nichts. Er kannte Gerüchte über das, was hier oben vor sich ging. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er Jane aus genau diesem Grund mitgenommen hatte.

***

Schattenkriege

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