Читать книгу Schattenkriege - H.L. Thomas - Страница 8
Ltd. Corso
ОглавлениеLtd. Corso beobachtete hinter der Jalousette, wie die Frau aus dem offenen Jeep stieg. Sie lachte. Sie flirtete mit einem seiner Untergebenen! Was sollte sie sein? Ein K-Programm? Niemals. Sein Urteil war schnell gefällt.
Ein leichtfertiges, abenteuerlustiges und verantwortungsloses Geschöpf. Die Art, wie sie sich bewegte. So bewegte sich keine anständige, gottesfürchtige Frau. Eine anständige, gottesfürchtige Frau wäre gar nicht hier, würde sich nicht freizügig unter die Soldaten mischen, praktisch mit ihnen an der Front leben. Wer weiß, was sie tat, mit ihren langen Beinen, dem dunklen seidigen Haar, ihrem sündigen Körper, wenn sich das Dunkel der Nacht herabsenkte. Sie würde sie verderben, sie von der gerechten Sache abhalten.
Jane Mulwray verkörperte alles, was er hasste.
Die Kälte schlug Jane beinahe fühlbar ins Gesicht. Himmel, der Lieutenant hatte sein Büro in einen Kühlschrank verwandelt. Zwei Klimaanlagen, die ohne jedes Geräusch funktionierten. An den Wänden standen einige Schreibtische, auf denen Berichte lagen. Das wäre nicht weiter aufgefallen, aber die Art, wie sie dort lagen, passte zur Temperatur. Exakt ausgerichtet, wie frisch von einer gigantischen Papierschneidemaschine auf Kante gelegt. Die Mitte des Raums wurde von einem wahren Ungetüm von Schreibtisch dominiert. Dunkles Tropenholz, vermutlich höllisch schwer. Jane schaute sich nach einem Besucherstuhl um. Vermutlich standen die Soldaten, die Lieutenant Corso Bericht erstatteten. Die kleine Fußbank vor dem Tisch konnte wohl kaum als Besucherschemel durchgehen. Oder doch? Der Lieutenant saß in einen Bericht vertieft hinter dem Schreibtisch. Sie wusste nicht, ob es an der Umgebung, der Haltung oder der Kleidung lag. Der Mann schien nur aus rechten Winkeln zu bestehen.
Sie räusperte sich. Nicht, dass es den Lieutenant interessiert hätte. Seine Augen hoben sich nicht von dem Schriftstück. So viel Unhöflichkeit war ihr noch nie entgegengeschlagen. Nach endlos scheinenden weiteren zwei Minuten nahm er einen von den aufgereihten Stiften und unterschrieb den Bericht. Dann hob sich sein Blick. Einen Moment lang war er irritiert. Er sah etwas Seltsames. Ihre Aura, sie war beinahe magisch – nein, er wollte nicht über diese Dinge nachdenken. Das war widernatürlich, ekelhaft. Diese Frau hier war kein Mensch, jedenfalls nicht nach seiner Definition. So etwas musste vernichtet werden. Er musste es vernichten. Es war seine Pflicht.
Die Luft war Jane kalt vorgekommen? Das war nichts gegen die Temperatur, die ihr aus seinem Blick entgegenschlug.
„Sie sind Zivilistin und tragen die Uniform eines Sergeanten. Normalerweise kann ich Sie dafür einsperren lassen.“
Jane war einigermaßen fassungslos. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass es irgendeine Höflichkeitsfloskel zur Begrüßung geben würde, aber was sollte das denn? Ihr Hinweis, dass sie sonst wohl halbnackt in seinem Büro stehen würde, ließ ihn vollkommen kalt.
„Wir hatten zwar den Befehl, Sie dort rauszuholen, aber ich halte Sie für ein subversives Element! Unamerikanisch! Dennoch, wir kümmern uns um unsere Leute, selbst wenn sie Kommunisten sein sollten.“
Kommunisten? Lieutenant Corso schien sich wohl ziemlich sicher zu sein, dass das auf sie zutraf. Anders war sein angewiderter Blick nicht zu erklären.
„Wir mussten davon ausgehen, dass Sie so leichtsinnig wären, auf der vermeintlichen Suche nach Ihrer Wahrheit“, Corso spuckte diese Worte beinahe aus, „den Feind um ein Interview zu bitten. Vermutlich würden Sie dann so wie Henderson enden. Der Vietcong – Charlie – achtet nicht auf Ihren wackelnden Arsch! Wir müssten Sie in einem Leichensack zurückschicken, so wie ihn!“
Jane riss langsam die Hutschnur. Was bildete sich dieses Arschloch ein? Sie war schließlich keine Idiotin. Sie nahm sich zusammen, um einen Rest von Höflichkeit zu wahren.
„Sir, wir waren im offiziellen Auftrag dort. Mein Partner, William Henderson, hatte eine Akkreditierung seitens des Militärs und war dort, um offiziell den Einsatz zu dokumentieren.“
Corso hielt die Hand hin. „Haben Sie eine?“
Jane verneinte. Sie war als Hendersons Assistentin hier, eine eigene Akkreditierung besaß sie nicht.
„Sie haben vierundzwanzig Stunden, ansonsten sitzen Sie im Flieger nach Hause! Dieses Land befindet sich im Kriegszustand. Sie befinden sich unter Kriegsrecht. Ich hoffe, Sie wissen, was das bedeutet.“
„Sir, selbstverständlich werde ich mir eine eigene Akkreditierung …“
„Diese Uniform verlässt den Stützpunkt nicht!“, fiel ihr Corso unvermittelt ins Wort. Jane sah ihn irritiert an. „Sie haben sich unrechtmäßig Armeeeigentum angeeignet. Normalerweise würden Sie dafür drei Tage in den Bau gehen, Zivilist hin oder her.“
Jane reichte es. Es war ihr vollkommen egal, dass ihr T-Shirt zerrissen war und sie unter der Armeehose nur ihren Slip trug. Sie knöpfte die Jacke auf, zog sie mit einem Ruck aus und knallte sie ihm auf den Tisch.
„Ein bisschen pfleglich mit fremdem Eigentum.“
Jane schoss einen Moment lang der Gedanke ins Hirn, ihm mit der Hose sein verflixtes Maul zu stopfen. Die Idee war verlockend, aber stattdessen schnürte sie die Stiefel auf, zog sie von den Füßen und streifte dann die Hose ab. Sie behandelte sie keineswegs pfleglicher als die Jacke, als sie alles auf seinen Schreibtisch warf. Zumindest geriet die penible Ordnung der Stifte durcheinander, wie sie befriedigt feststellte. Corso nahm alles mit eisiger Miene hin.
„War es das? Dann sind Sie entlassen!“
Als sich Jane zum Gehen umwandte, nahm sie aus dem Augenwinkel seinen Blick wahr. Sie hatte selten Angst. Jetzt konnte sie sich eines Schauers nicht erwehren. Er gierte nach etwas. Er wollte etwas mit ihr tun. Etwas, was ihr nicht gefallen würde, aber es würde ihm gefallen. Sie riss sich los und knallte die Tür zu.
Jane schloss die Tür hinter sich. Sie holte tief Luft und ließ ihren Blick über das Büro streichen. Ein halbes Dutzend Männer saß dort und hackte irgendwelche Berichte in Reiseschreibmaschinen. Das Klappern der Schreibmaschinen verstummte. Alle Blicke wendeten sich ihr ungläubig zu. Das Geräusch der Ventilatoren erschien ihr beinahe laut. Jane setzte eine harmlose Miene auf und zuckte mit den Schultern, bevor sie weiterging. Mehr als ein Dutzend Augenpaare folgten ihr, als sie hocherhobenen Kopfes den Raum verließ.
Tank verschluckte sich an seiner Coke, als Jane halbnackt wieder herauskam.
„Ich müsste mal was zum Anziehen besorgen. Wären Sie so nett und fahren mich?“
Tank schaffte es, seine Fassungslosigkeit einigermaßen zu verbergen, als er sich auf den Fahrersitz schwang und den Motor startete.
„Klar, Ma’am!“ Er salutierte und versuchte, sich das Grinsen zu verbeißen. „Ach übrigens, mein Name ist Trevor. Die meisten nennen mich Tank.“
Sie lächelte.
***
Dieser Corso war ja recht schnell dabei, dachte Agent Julius. Typisch Militär: widerspenstiges, aufmüpfiges Hippiemädchen, sexuell promiskuitiv, drogensüchtig, kommunistische Tendenzen, unamerikanische Einstellung. Er seufzte. Es wäre schön gewesen, etwas mehr Information statt einiger Schlagworte zu haben. Es würde seinen Boss auch interessieren, aufgrund welcher Äußerungen dieses Ergebnis zustande gekommen war. Er selbst hätte gern mal ein Foto von dem Mädchen gesehen.
***
Jane musste bei der Erinnerung an die Verkäuferin grinsen, als sie halbnackt in den Laden gekommen war und sich eine neue Jeans und eine Bluse gekauft hatte. Tank war so nett gewesen, sie zu begleiten. Vermutlich war er auch nicht wild darauf, schnellstmöglich wieder zum Stützpunkt zu kommen. Es war bestimmt kein Spaß, für Lieutenant Corso zu arbeiten. Ein paar Straßen weiter gab es eine kleine Bar und sie setzten sich auf die Terrasse.
„Ich habe keine Ahnung, was das eben bedeuten sollte. Es wäre ihm wahrscheinlich lieber gewesen, du hättest mich in einem Leichensack abgeliefert. Er hat vielleicht ein Theater wegen der Uniform gemacht. Er wollte nicht mal wissen, was da oben passiert ist. Es interessierte ihn nicht mal im Ansatz. Ich frage mich, warum er mich überhaupt suchen ließ!“ Jane stockte. „Tank, der hat mich so irre angesehen! Ich bin weiß Gott nicht ängstlich, aber dein Boss …“ Ihre Stimme wurde leiser. Tank sagte nichts weiter, sondern legte ihr einfach nur seine Hand auf die Schulter. Es hatte etwas ungemein Tröstliches. Jane schaute ihm in die Augen. „Weißt du, er hat mir gesagt, dass sie Billy gefunden haben. Sein Leichnam wurde bereits ausgeflogen. Ich, ich konnte ihm nicht mal Lebewohl sagen.“ Ihre Stimme stockte. Neben ihr stieß Tank so etwas wie ein leises Knurren aus. Jane schaute ihn fragend an.
Er schüttelte nur den Kopf, wollte ihr aber offensichtlich nicht mehr sagen.
„Was wirst du jetzt machen?“
Jane lächelte ein wenig bitter. „Ja, ich muss jetzt wohl mein Leben hier ohne Billy auf die Reihe kriegen. Ich brauche ein nicht allzu teures Zimmer, einen neuen Ausweis von AP und einen Job. Vermutlich alles ein Kinderspiel.“
Tank kannte ein Hotel, das billig, aber nicht unbedingt eine Absteige war. Als er sie absetzte, hätte sie ihn am liebsten gebeten, mit raufzukommen. Einfach deshalb, weil sie nicht allein sein wollte. Er war der einzige Freund, den sie in dieser verdammten, lauten und grellen Stadt hatte. Sie verkniff sich die Bitte, umarmte ihn kurz und war schon hinter dem bunten Glasstäbchenvorhang, der den Eingang abschirmte, verschwunden.
***
Es ist dunkel geworden. Unweit der Mango-Bar geht ein Mann durch eine enge Nebenstraße. Er sieht sie überall. Die Huren Babylons, verdorben, schmutzig, verseucht. Gott straft und prüft. Er ist sein Werkzeug, sein Jäger, der Jäger Gottes.
„Na Mister, Sir? Sex? Ich viel lange bumsen, nur dreißig Dollar. Ich ja sooo geil.“
Ja, er hatte wieder eine gefunden, die er reinigen konnte, sie war jung, da war noch nicht alles verloren. Die Zeichen Gottes, geschrieben in ihrem eigenen Blut, würden sie säubern. Diese kleine Hure würde keinen seiner Jungs mehr besudeln.
„Gut, gehen wir. Ich kenne da eine Pension. Ist nicht weit.“
Gott gab ihm ein Zeichen, das Brennen im Schritt, das ihn seit Wochen quälte, ließ nach. Er würde sie reinigen, sie segnen, ihr Gottes Zeichen in den Körper schnitzen.
Er griff nach dem Messer mit der Dreißig-Zentimeter-Klinge unter seinem Armeemantel. Er hatte eine Erektion. Halleluja.