Читать книгу Giftmord statt Goldschatz - Holger Rudolph - Страница 15
Doppelleben
ОглавлениеJanina Gutenberg hat die Nachricht von Bergners Tod heute früh kaum noch überrascht. Der umtriebige Bautischler lebte schon seit Jahren gefährlich. Nicht, dass er sich auf der Arbeitsstelle, als Stadtverordneter oder durch die Tätigkeit in mehreren Vereinen Feinde gemacht hätte. Der mögliche Schlüssel zu seinem Tod befand sich an ganz anderer Stelle. Noch ist sich die 34-Jährige unsicher, ob sie zur Aufklärung der Tat beitragen möchte. Sie müsste in diesem Fall wahrscheinlich aus Rheinsberg verschwinden. Noch besser wäre es, wenn sie – ausgestattet mit einer neuen Identität – woanders ganz neu anfangen könnte. Doch zuvor hätte sie einen Verrat zu begehen.
Wenn die hübsche Janina werktags an ihrem Schreibtisch in einem Callcenter in einer Nachbar-Kleinstadt sitzt, bekommt sie es immer wieder mit anzüglichen Anspielungen von Kollegen auf ihre tolle Figur zu tun. Diese schwanzgesteuerten Idioten halten sie anscheinend für Freiwild. Doch sie weiß unerwünschte Annäherungsversuche sehr gut abzuwehren. Sie genießt ihr Single-Leben ebenso wie ihre Nebentätigkeit, von der offiziell niemand weiß.
Janina könnte die Ermittlungsarbeit der Polizei in eine bestimmte Richtung lenken, die mit ihrer zweiten Arbeitsstelle zu tun hat. Allerdings würde das unter anderem für vier weitere junge Rheinsbergerinnen erheblichen Ärger bedeuten.
Die Frau spaziert durch den westlich vom Schlosspark gelegenen Boberow-Forst. Hier draußen findet sie die nötige Ruhe, um über jene Dinge nachzudenken, für die es eine Lösung zu finden gilt. Sie muss sich darüber klar werden, was sie tun wird.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Grienericksees ruht das Wasserschloss in stolzer Schönheit. Die Tage sind schon wieder deutlich länger als zur Wintersonnenwende kurz vor Weihnachten. Die untergehende Sonne tut ihr Bestes dazu, dass Park und Schloss geradezu märchenhaft wirken. An einem derart herrlichen Ort kann, nein darf es so viel Bosheit doch eigentlich gar nicht geben. Und doch ist ein Mord geschehen. Janina glaubt zu wissen, wer Bernd Bergner auf dem Gewissen hat.
Ein wiederkehrendes Grummeln in der Magengegend könnte ein Zeichen dafür sein, dass es Zeit für das Abendbrot wäre. Viel eher aber rührt das Rumoren daher, dass sie sich in der kommenden Stunde zu entscheiden hat, ob sie auch heute Abend wieder, wie schon seit drei Jahren, ihrer Nebentätigkeit nachgehen wird. Vielleicht ist es besser, vorerst alles beim alten zu belassen. Anders entscheiden kann sie sich auch später noch, falls die Polizei den Täter nicht ermitteln sollte.
Für Janina steht fest, dass ein ihr sehr gut bekannter Mann den Ehemann ihrer Freundin umgebracht hat. In Frage käme noch ein anderer Rheinsberger. Doch wie es aussieht, hat er den gemeinsam mit seiner Komplizin geschmiedeten üblen Plan nicht zu Ende gebracht. In einer schwachen Stunde hatte Susanne Bergner ihre Freundin Janina eingeweiht, vielleicht weil sie zu viel getrunken hatte, vielleicht auch, um ihr Gewissen zu entlasten. Janina wundert sich ohnehin, wie Susanne Lebenswandel und Glauben miteinander vereinbart. Sie weiß, dass ihre Freundin für ihr eigenes Glück über Leichen gehen würde. Diese Frau ist unberechenbar und gefährlich. Nein, sie wird ihr Wissen vorerst nicht preisgeben.
Schnelleren Schrittes geht sie zurück in den Park. Dabei trifft sie einen ihrer abendlichen Kunden. Er gehört zur Oberschicht im Städtchen und wahrt den Anschein. Grußlos begegnen sich die beiden. Sie soll auch weiterhin annehmen, dass er nicht weiß, dass sie ihm schon als Catwoman, Krankenschwester, Polizistin und Gefängniswärterin begegnet ist. In allen Rollen dirigiert sie ihre fast ausschließlich männliche Kundschaft. Auch heute Abend wird sie sich wieder verkleiden und eine ganz Andere sein dürfen als die freundliche Frau vom Callcenter, die Kunden verschiedener Versandhäuser Auskunft über ihre Bestellungen gibt.