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Das Klingeln ihres Handys reißt Kriminalhauptkommissarin Anna Klettner aus dem morgendlichen Tiefschlaf. Der Arbeitstag gestern war sehr lang geworden. Das liegt auch daran, dass eine Frühjahrsgrippe zwei ihrer Kollegen erwischt hat. Daher war sie wieder einmal allein für den Großteil der Ermittlungsarbeit der Neuruppiner Kriminalpolizei zuständig. Vor ein paar Jahren hatte das Land Brandenburg seiner Polizei eine Schrumpfkur verordnet. Bereiche wurden zusammengelegt. Die ständige starke Belastung macht anfällig für Krankheiten. Häufig fallen Kollegen aus, auch Anna Klettner selbst hat es schon einige Male erwischt.

Es existiert längst nicht mehr in jeder Kleinstadt eine Polizeiwache. Auch in Rheinsberg wurde gespart. Dort hatte es seit Mitte der 1990er-Jahre eine rund um die Uhr recht gut besetzte Wache gegeben. Zu deren Einweihung hieß es seinerzeit, dass die Stadt wegen der vielen Touristen und des Kraftwerk-Rückbaus ein Schwerpunkt polizeilicher Arbeit sei und bleibe. Doch auch in der Prinzenstadt besteht längst nur noch ein weniger gut besetztes Revier.

Anna Klettner ist aufgefallen, dass der aktuelle Ministerpräsident in Sachen Polizeistrukturreform den Kurs seines Vorgängers korrigiert. Sie ist froh darüber, dass schon bald zumindest wieder mehr deutlich Streifenwagen im gesamten Land im Einsatz sein sollen. Gut auch, dass der Wasserkopf an der Spitze zugunsten der Basis ausgedünnt werden soll. Lauter Schritte in die richtige Richtung, die Klettner vorerst aber wenig bringen. Tag für Tag macht sich die Ermittlerin neuen Mut und freut sich über jeden trotz alledem gelösten Fall. Vor zehn Jahren war die inzwischen 37-Jährige aus Berlin nach Nordbrandenburg gekommen. Damals wurde eine engagierte Ermittlerin gesucht. Sie fühlte sich sofort angesprochen. Doch inzwischen ist sie oft gestresst und bemerkt, dass sie manchmal Fehler macht.

Als sie am potenziellen Tatort eintrifft, stehen dort schon gut 20 Schaulustige. „Hier gibt es nichts zu sehen“, teilt sie den Neugierigen in scharfem Ton mit. Zwei Rheinsberger Streifenpolizisten haben den Auffindeort mit rot-weißem Plastik-Flatterband abgesperrt. Die Kriminaltechniker sind noch nicht hier.

So wie Bergner dort liegt, könnte er durchaus eines natürlichen Todes gestorben sein. Nichts deutet für Klettner auf Fremdeinwirkung hin. Doch dieser Mann war erst 42 Jahre alt, da stirbt man nicht ohne schwere Grunderkrankung. Depressiv war Bergner bestimmt nicht, glaubt sie. Wer sich so oft in der Zeitung feiern lässt, der begeht doch keinen Selbstmord.

Sandy Schmitting hatte fast eine Deriviertelstunde gewartet, bis die Ermittlerin endlich eintraf. Die Streifenpolizisten hatten die Zustellerin mehrfach vertröstet. Sie möge doch bitte warten, bis die Chefin hier ist. Viel kann sie der Beamtin jetzt allerdings nicht sagen. Die ganze Angelegenheit ist Sandy mittlerweile doch mehr auf die Seele geschlagen, als sie zunächst wahrhaben wollte. Ein Zittern liegt in ihrer Stimme und sie gerät ins Stottern: „I ich ha habe ja noch versucht, ihn zu re etten. Aber da ging ni ichts mehr.“ Sie würde nun gern die restlichen Zeitungen in die Kästen stecken, sagt sie der Kommissarin. Es sei ohnehin schon viel zu spät. Eigentlich sollte jeder Leser sein Exemplar spätestens um 6 Uhr im Briefkasten haben. Für heute hat Anna Klettner keine Fragen mehr an sie.

Erst jetzt entdeckt die Polizistin Heiko Reimer. Die Zeitung ist also schon vor Ort, kein Wunder, da doch die Austrägerin die Leiche gefunden hat. Der Journalist ist der Kommissarin bestens bekannt. Manchmal nervt er, wenn er sie persönlich wegen einer laufenden Ermittlung anruft, statt bei der Pressestelle nachzufragen. Doch sie wird versuchen, sich auch heute ihm gegenüber freundlich zu verhalten. Nein, sie könne ihm noch gar nichts sagen. Natürlicher Tod oder Mord, möglich ist beides. Auch ein Suizid könne nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Allerdings spreche die Auffindesituation eher dagegen. Gern könne er sie oder die Pressestelle im Laufe des Tages nochmals anrufen. Allerdings werde es dann noch keine Sicherheit geben. Bis zum Abschluss der kriminaltechnischen Untersuchung und der Obduktion würden etliche Tage vergehen.

Wieder einmal ist es die Aufgabe der Ermittlerin, den Angehörigen die Nachricht vom Tod zu überbringen. Sie hasst das. Doch wer soll es sonst machen? Sie wird der Ehefrau nicht nur den Tod ihres Mannes mitteilen müssen. Sie wird ihr auch unangenehme Fragen zu stellen haben, denn die meisten Täter sind in der Familie oder im sozialen Umfeld des Opfers zu finden, sagt die Statistik. War es am Ende die schöne Susanne, wie sie halb Rheinsberg nennt, selbst?

Giftmord statt Goldschatz

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