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I. Naturalismus 2. Naturalismus als Metaphysik

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Wer heute fragt, wie vernünftig es ist, an Gott zu glauben, dem schallt ein »Indiskutabel unvernünftig!« von der Mehrheit der Intellektuellen, zumal von der Mehrheit der Philosophen unter den Intellektuellen entgegen. Die meisten Intellektuellen, vor allem aber die meisten Philosophen glauben heutzutage an den Naturalismus. Was glaubt ein Naturalist? Ich zitiere den Naturalisten Ansgar Beckermann (*1945):

»1. Die gesamte Realität besteht nur aus natürlichen Dingen; in der Realität gibt es weder Götter noch Geister noch Seelen noch andere übernatürliche Mächte und Kräfte. 2. Philosophie und Wissenschaft gehören enger zusammen als gemeinhin angenommen wird; letztlich sind es die Wissenschaften, die uns sagen, was es in der Welt gibt und wie das, was es gibt, beschaffen ist.«11

Den Glauben von Erwachsenen an Gott hält der Naturalist intellektuell für beschämend, so wie wir alle es vermutlich für intellektuell beschämend hielten, glaubte ein Erwachsener ernsthaft an Frau Holle. Am Ende seines Aufsatzes sagt Beckermann:

»Es gibt kein methodisches a priori, das bewirkt, dass sich die Wissenschaften nur mit bestimmten Aspekten der Welt befassen oder dass sie die Welt nur aus einer bestimmten Perspektive erfassen können. Denn Wissenschaft ist nicht durch eine bestimmte Methode definiert; vielmehr ist sie der systematische Versuch, herauszufinden, welche Hypothesen am besten gestützt sind.«12

Das heißt ja wohl im Klartext: Allein die Wissenschaft ist erkenntnistheoretisch vorurteilsfrei offen für die Wirklichkeit, nur die Wissenschaft hat kein Brett vor dem Kopf, im Gegensatz zu den Anti-Naturalisten aller Couleur.

Allerdings ist falsch, was Beckermann über die wissenschaftliche Vorgehensweise behauptet. Die Wissenschaften kennen sehr wohl ein methodisches Apriori. Wissenschaft verpflichtet sich auf methodologische Standards. Sie einzuhalten entscheidet mit darüber, ob etwas als Wissenschaft gelten darf oder nicht. Zu diesen Standards zählen unter anderem zwei Verbote und ein positives Gebot: In den empirischen Wissenschaften soll außerhalb des Kontextes menschlichen Handelns13 nichts mit der Wirksamkeit von Zwecken oder Zielen erklärt werden. Dieses Verbot teleologischer, auf das Ziel einer Entwicklung ausgerichteter Erklärungen ist eine methodologische Maxime. Auf sie haben sich die Wissenschaften verständigt, nachdem sich der Darwinismus und die Evolutionstheorie Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hatten. Der Ausschluss teleologischer Erklärungen geht einher mit einem methodischen Atheismus: Nichts darf mit dem Wirken und den Absichten einer erfahrungstranszendenten Intelligenz erklärt werden. »Die Hypothese Gott benötigen wir in der Wissenschaft nicht«, so lautet seit Laplace in den Wissenschaften der Schlachtruf des methodischen Atheismus. Diesen beiden methodologischen Verboten stellen die Wissenschaften ein Gebot positiv zur Seite: Außerhalb des Kontextes menschlicher Handlungen ist alles letzten Endes und auf lange Sicht naturgesetzlich zu erklären.

Die drei methodologischen Maximen sind legitim. Die Wissenschaften haben alles Recht der Welt, sich selber auf das zu beschränken, was sich mit bestimmten methodologischen Prinzipien und Regeln erforschen lässt. Trotzdem muss man an ein elementares wissenschaftshistorisches Faktum erinnern: Die drei Maximen sind nicht in Geltung gesetzt worden, weil und nachdem man zuvor die Existenz Gottes widerlegt und darüber hinaus wissenschaftlich bewiesen hat, dass sich abgesehen von menschlichen Handlungen ausnahmslos alles am besten naturgesetzlich erklären lässt, sodass teleologische Erklärungen wegfallen können.

Weil das so ist, mutet Beckermanns folgende Behauptung naiv an:

»Wenn man die Welt wissenschaftlich untersucht, findet man de facto in der Regel nichts, was für die Existenz nicht-natürlicher Phänomene spricht. Wenn man die Welt unvoreingenommen beobachtet, zeigen sich in ihr weder Götter noch Geister, noch andere übernatürliche Mächte und Kräfte.«14

Nachdem sich die Wissenschaften auf den Ausschluss teleologischer Erklärungen und auf den methodischen Atheismus eingeschworen haben, soll eine unvoreingenommene wissenschaftliche Betrachtung der Wirklichkeit – also methodologisch genauer und ehrlicher formuliert –, soll eine Betrachtung der Wirklichkeit unter strikter Beachtung des methodischen Atheismus auf nichts stoßen, was für die Existenz von Göttern oder die Existenz des Gottes der Monotheisten spricht? »Kunststück!« möchte man Beckermann zurufen. Wer bereits im methodologischen Vorfeld Gott für die Wissenschaften als nicht-existent erklärt, kann ihn nicht finden. Ist damit das Dasein Gottes widerlegt? Wohl kaum. Wer mit der Wahl seiner Beweismittel Gott von vornherein als akzeptable Erklärung für irgendetwas ausschließt, für den existiert Gott offensichtlich nicht als eine Größe, mit der ernsthaft zu rechnen ist. Er hält das methodisch a priori, also aufgrund der Wahl seiner methodischen Mittel von vornherein für eine ausgemachte Sache.

Nein, mit den zugelassenen Erkenntnismitteln der Wissenschaften lässt sich ersichtlich nicht nachweisen, dass es nichts gibt, was sich nicht mit den zugelassenen Erkenntnismitteln der Wissenschaften nachweisen lässt. So ein vermeintlicher Beweis wäre selbstwidersprüchlich. Deshalb hat ihn die Wissenschaft wohlweislich bisher nicht präsentiert, und das dürfte auch in Zukunft so bleiben.15

Der Naturalismus folgt nicht aus den Resultaten der Wissenschaften. Er ist selber eine metaphysische Position, indem er die Wissenschaft zur Metaphysik erhebt. Was genauer heißt hier Metaphysik?

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