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3. Metaphysik

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Philosophie fragt nach der besonderen Stellung des Menschen im Ganzen der Wirklichkeit, und sie fragt danach vor dem Hintergrund der Suche des Menschen nach dem Glück und einem gelingenden Leben.16 Diese Leitfrage verlangt von Philosophen, sich darüber im klaren zu werden, welche grundlegenden Arten von Gegenständen es gibt und wie diese so miteinander zusammenhängen, dass sie Bestandteile ein und derselben Welt bilden. Es ist die Metaphysik, die auf die Frage nach den grundlegenden Arten von Gegenständen und nach ihrem Zusammenhang in ein und derselben Welt zu antworten versucht.

Überaus anspruchsvoll ist diese Aufgabe der Metaphysik. Denn so, wie wir über die Welt reden, scheint es sehr viele verschiedene Arten von Gegenständen in der Welt zu geben. Jedenfalls dienen sehr verschiedene Gegenstände als logische (grammatische) Subjekte unserer Rede über die Welt. Konzentriert man sich auf die ganz grundlegenden Arten von grammatischen Subjekten menschlicher Rede, lassen sich mindestens die folgenden Arten auflisten17: konkrete materielle Dinge und Prozesse; seelische und geistige Zustände bei Tieren und Menschen; abstrakte Gegenstände, wie zum Beispiel Eigenschaften oder mathematische Gegenstände wie Zahlen oder Mengen; Bedeutungen von Zeichen und Symbolen, insbesondere Bedeutungen sprachlicher Zeichen; moralische, ästhetische und andere Werte; Raum und Zeit; Möglichkeiten und andere Modalitäten; nicht materiell verkörperte geistige Wesen wie Götter oder wie Gott.

Sind wir nur deshalb, weil all die aufgeführten Gegenstände unzweifelhaft als grammatische Subjekte in unserer Rede vorkommen, auch schon darauf verpflichtet, ihre eigenständige Existenz zu unterstellen? Mitnichten. Oder besser gesagt: Genau darüber streiten Metaphysiker. Sie streiten über zweierlei: Erstens darüber, welche der aufgeführten Arten von Gegenständen tatsächlich existieren. So scheiden für einen Naturalisten nicht materiell verkörperte geistige Wesen wie Götter von vornherein aus. Ebenso leugnen Naturalisten, dass moralische und ästhetische Werte eine eigenständige Seinssphäre bilden. Zweitens debattieren Metaphysiker darüber, wie die Arten von Gegenständen, deren Existenz sie nicht rundweg abstreiten, in ihrer Sicht von der Wirklichkeit im Ganzen unterzubringen sind. Dabei geraten Metaphysiker immer wieder bei der Frage aneinander, ob bestimmte Arten von Gegenständen so etwas wie die »eigentliche« oder »primäre« Realität bilden, während die übrigen Arten von Gegenständen dann auf irgendeiner Weise auf die jeweils für primär gehaltene Realität zurückzuführen sind. Etwa muss ein strikter Materialist zeigen, wie seelische und mentale Zustände, abstrakte Gegenstände, Wortbedeutungen, Möglichkeiten und Werte so aufgefasst werden können, dass zugleich verständlich wird und bleibt, warum im eigentlichen Sinne nur materielle Dinge und Prozesse existieren.

Das Herzstück einer jeden Metaphysik bildet daher eine Auskunft über das Ganze der Wirklichkeit in der Form:

»Es existieren (von den oben unterschiedenen und möglicherweise weiteren Gegenstandsarten) nur die wenigen18 Arten A1,…,An von Gegenständen, die auf die Weise W miteinander verbunden eine Welt bilden; die meisten anderen Arten von Gegenständen, die wir zumindest sprachlich erst einmal unterscheiden, existieren entweder nicht oder lassen sich jeweils auf die Weise W’ auf die wenigen Gegenstandsarten A1,…,An zurückführen.«

Solche grundlegenden Auskünfte einer Metaphysik über das Ganze der Wirklichkeit haben einen besonderen Status. Sie lassen sich durch Erfahrung weder beweisen noch widerlegen. Warum?

Die Kernbehauptung einer jeden Metaphysik ist ein Allsatz. Er lässt sich nicht durch Erfahrung beweisen. Wer könnte ein für alle Mal ausschließen, eines Tages auf Gegenstände zu stoßen, die sich jedem Versuch widersetzen, sie auf die als grundlegend unterstellten Arten von Gegenständen sinnvoll zu reduzieren?

Die Allsätze lassen sich aber auch empirisch nicht widerlegen. Das ist einer Eigentümlichkeit jeder Metaphysik geschuldet. In der Metaphysik geht es um das Ganze der Wirklichkeit. Angenommen, wir glauben, dass p tatsächlich der Fall ist. Dann gehört freilich zur Wirklichkeit nicht nur diese Tatsache p, vielmehr gehört zu ihr auch die erkenntnistheoretische Tatsache, dass wir glauben, dass p der Fall ist. Jede Metaphysik muss ontologische Auskünfte über das, was der Fall ist, und erkenntnistheoretische Auskünfte darüber, was wir auf welche Weise von der Wirklichkeit erkennen, auf kohärente Weise miteinander verknüpfen. So unverzichtbar die Forderung nach Kohärenz ist, so wenig legt sie die Verknüpfung von ontologischen und erkenntnistheoretischen Tatsachen in einem metaphysischen System eindeutig fest. Immer bleibt ein Spielraum. Und bereits dieser Spielraum verhindert eine definitive Widerlegung metaphysischer Kernaussagen.

Betrachten wir das zunächst abstrakt. Nehmen wir also an, ein Metaphysiker behaupte, dass alle realen Gegenstände von einer der Arten A1 bis An seien oder sich auf eine bestimmte Weise auf sie zurückführen ließen. Des Weiteren nehmen wir an, dass es nicht gelingen will, Gegenstände der Art A einsichtig auf Gegenstände der Art A1,…,An zurückzuführen. Das sieht ganz nach einer Widerlegung der Kernaussage unseres Metaphysikers aus. Trotzdem ist der Metaphysiker nicht gezwungen, von seiner Position abzurücken. Es steht ihm die Möglichkeit offen zu behaupten: Zwar sind auch Gegenstände der Art A letztlich Gegenstände der Art A1,…,An, aber wir sind nicht in der Lage, das zureichend zu erkennen. Diesen Zug kann ein Metaphysiker immer erst einmal machen, gerät er mit seiner metaphysischen Grundposition in Schwierigkeit. Allein deshalb schon sind Kernaussagen einer Metaphysik durch Erfahrung niemals definitiv zu widerlegen.

Aber ist der Rückzug auf eine erkenntnistheoretische Unerkennbarkeitsthese nicht ebenso dogmatisch wie hilflos? So betrachten es viele Philosophen – leider, denn mit welchem Recht verwirft man, ohne genauer auf den Einzelfall zu achten, die Möglichkeit, dass wir etwas Wichtiges über die Stellung des Menschen in der Welt in dem Augenblick in Erfahrung bringen, indem wir behaupten: Obwohl Gegenstände der Art A in Wahrheit Gegenstände der Art A1,…,An sind, erscheinen sie uns anders, oder vermögen wir ihre wahre Natur erst einmal auf Anhieb nicht zu erkennen? Woher will man von vornherein wissen, dass man damit nicht etwas überaus Interessantes und Wichtiges über die Welt und unsere besondere Stellung in ihr entdeckt haben könnte?

Jedenfalls ist man in den Wissenschaften immer wieder gut damit gefahren, an Sätzen trotz abweichender Erfahrungen festzuhalten. Ein Beispiel mag das kurz illustrieren19: Lange Zeit glaubte man, dass Wärme ein Stoff sei, der materiellen Objekten bei Erwärmung zugeführt und bei Abkühlung entzogen wird. Gleichzeitig kannte man schon lange Zeit einen Spezialfall des Energieerhaltungssatzes, nämlich, dass bei bestimmten Bewegungsvorgängen die Summe aus Bewegungsenergie (kinetische Energie) und Lageenergie (potenzielle Energie) erhalten bleibt, während bei anderen Bewegungsvorgängen (z.B. reibungsbehafteten Vorgängen) Energie scheinbar verloren geht. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen Physiker auf die Idee, trotzdem die Energieerhaltung zu unterstellen und den scheinbaren Verlust von Energie bei reibungsbehafteten Vorgängen damit zu erklären, dass die dabei entstehende Wärme in Wahrheit kein Stoff ist, sondern eine weitere Energieform. Berücksichtigt man diese Energieform, ist die Energie auch bei reibungsbehafteten Vorgängen eine Erhaltungsgröße. Gerade indem die Physiker trotz scheinbar widerstreitender Erfahrungen den Energieerhaltungssatz nicht opferten, entdeckten sie etwas überaus Wichtiges: Wärme ist kein Stoff, sondern eine Energieform.

Das Beispiel lässt sich auf die Metaphysik übertragen. Auch ein Metaphysiker ist gut beraten, nicht bei jeder erstbesten empirischen Anomalie seine Kernbehauptung zu opfern, sondern ebenso ernsthaft zu durchdenken, ob sich die scheinbar gegenläufige Erfahrung nicht auf informative Weise erkenntnistheoretisch erklären lässt. Wir gewinnen bestimmte relevante Erkenntnisse über uns nur, indem wir unsere Erfahrungen im Lichte der metaphysischen Kernbehauptung »Alle realen Gegenstände sind von einer der Arten A1 bis An oder lassen sich auf eine bestimmte Weise auf sie zurückführen« interpretieren und sie gerade angesichts scheinbar widerstreitender Erfahrungen nicht fallenlassen. So betrachtet spielen metaphysische Kernbehauptungen die Rolle von Rahmenannahmen, die bestimmte Erfahrungen allererst ermöglichen und deshalb durch Erfahrung nicht zu widerlegen sind.20

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