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Sophie, Deutschland - Der Wettbewerb

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Auf jeder Packung Wunderkerzen steht in kleiner Schrift immer: Nicht in geschlossenen Räumen anzünden! Der Chemieraum musste da wohl eine Ausnahme bilden, überlegte Sophie und grinste in sich hinein. Bis auf gelegentliches Husten und Räuspern war es still im Raum. Sie roch das Hustenbonbon von Iris und konnte die Ecken des Streichholzes in ihren Fingern genau spüren, so angespannt vor Aufregung waren ihre Sinne. Würde es klappen? Hatte sie sich beim Mischen der Chemikalien auch nicht vertan?

Da, das Kommando von Herr Weißhardt: „Ihr könnt sie jetzt anzünden.“ Endlich! Mit einem beherzten Zug zündete sie ihr Streichholz an und hielt es an das metallische Stäbchen vor ihr. Es zischte, Schwefelgeruch durchdrang die Luft, zwanzig Lichtpunkte tanzten durch den Raum. Die gelbroten Flammen spiegelten sich in den Sicherheitsbrillen, erhellten für kurze Zeit den Raum und entzündeten die Metallstäbchen. Fünfzehn violette und eine orangefarbige Funkenblume erleuchteten den Raum. Sophie hörte laute „Ahs“ und „Ohs“ und einige „Verdammt, bei mir brennt nichts“.

Sophies Augen leuchteten, während ihre selbst gemachte Wunderkerze abbrannte. Es hatte geklappt, jubelte sie innerlich.

Von anderen Schülern ihrer Altersstufe außerhalb der Friedrich-Stein-Schule hatte sie noch nie gehört, dass sie aktiv in der sechsten Klasse experimentieren durften. Doch hier in der Friedrich-Stein-Schule war das anders, hier durfte und sollte man experimentieren. Natürlich nur unter Anleitung! Doch nur so machte Chemie ihr Spaß, es zischte und blubberte, manchmal roch es gut, manchmal stank es zum Himmel: angewandte Chemie eben. Die meisten ihrer Mitschüler dachten genauso. Na ja, abgesehen von Lulu vielleicht - die mit ihrer orangefarbigen Wunderkerze alles andere als glücklich aussah.

Die letzten Funken erleuchteten den Raum kommentiert von einem leisen: „Schön“, von Svenja, die neben Sophie saß. Die Luft roch metallisch und irgendwie auch verkohlt, als hätten die brennenden Metallspäne irgendwo Holz angekokelt. Das Licht ging an. Die plötzliche Helligkeit schmerzte in den Augen. Sophie blinzelte und nach ein paar Augenblicken sah sie auch, warum es verkohlt roch: Kleine Brandlöcher hatten sich in die Halterung der Wunderkerzen gefressen. „So, das war doch ein schönes Experiment“, unterbrach Herr Weißhardt Sophies Gedankengang fröhlich, nach dem Motto: Wieder mal ein Experiment geklappt, dass die Schulbehörde sicherlich nicht genehmigt hätte. Er grinste die Klasse an und sagte: „Bitte legt die Wunderkerzen in eure Experimentierschale und dann könnt ihr gehen.“ Mit einem Kopfnicken quittierte er, das Gehen der Schüler, während er durch den Raum ging. Er stellte sich vor Lulu, die zwei Reihen vor Sophie mit ihren Freundinnen saß, und sah sie ernst an. „Und Lulu für deinen Betrugsversuch gebe ich dir eine Sechs“, sagte er mit lauter Stimme, sodass wirklich jeder, der noch anwesend war es hören konnte. Sophie war natürlich auch aufgefallen, dass Lulus Wunderkerze anders leuchtet als die restlichen im Raum. „Aber“, erwiderte Lulu mit hochrotem Kopf und zittriger Stimme. „Nichts aber! Du kannst gehen und sei froh, dass ich dich nicht dem Rektor melde“, fügte Herr Weißhardt ernst hinzu. Alle schauten zu Lulu, die eiligst ihre Sachen einpackte und schnell den Experimentierraum verließ.

„Wie hat den Lulu betrogen?“, fragte Irene Michael beim Herausgehen so laut, dass jeder es mitbekam. Sophie verdrehte die Augen. „Hast du denn nicht gesehen, dass Lulus Kerze orange gebrannt hat und nicht lila?“, hörte Sophie Michael noch ungläubig fragen, bevor der Schülerstrom die beiden aufnahm.

Mit einem Bedauern packte Sophie ihre Sachen ein. Der Rest des Tages würde nicht so vergnüglich sein. Englisch und Sport standen noch auf dem Stundenplan. Sie seufzte, doch plötzlich starrte sie wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf den Aushang, den Herr Weißhardt soeben an der Tür anbrachte.

„Der besondere Schüler“ stand da in großen blauen Buchstaben. Endlich! Der Stein-Wettbewerb war wieder eröffnet. Sophie jubelte innerlich. Dank diesem Wettbewerb, war sie hier auf der Friedrich-Stein-Schule.

Vor zwei Jahren hatte sie ihn als Grundschülerin in ihrer Altersstufe gewonnen. Jetzt lief ihr Stipendium aus, und nur wenn sie einen Notendurchschnitt von Eins Komma fünf oder besser vorweisen konnte, durfte sie gegen einen verminderten Gebührensatz bleiben. Wenn sie den Wettbewerb allerdings wieder gewinnen würde, dann musste sie sich keine Gedanken über das Schulgeld machen, denn der Gewinner brauchte bis zur Oberstufe kein Geld mehr zu bezahlen. Ich muss wieder gewinnen! Ihre Schultern strafften sich, sie nahm ihre Schultasche und stellte sich direkt neben Dominique, die auch das Plakat studierte.

So, so, für das Mittelstufenstipendium musste man eine naturwissenschaftliche Arbeit einreichen. Glück gehabt, dachte Sophie bei sich. Denn ein Losverfahren, loste die einzelnen Aufgaben den verschiedenen Stufen zu. Die Grundschüler hatten diesmal ein Kunstprojekt einzureichen. Das würde Babette interessieren, ihre kleine Nachbarin, und die Oberstufe musste ein Theaterstück entwickeln. Ideeneinreichung bis zum 1. März und Abgabe der Arbeit bis zum 1. Juni.

Nachdenklich ging Sophie nach draußen und schloss sich dem Schülerstrom an. Für die Ideenentwicklung hatte sie noch mehr als zwei Monate Zeit, doch der Abgabetermin lag genau in der Phase der Prüfungen, das würde stressig werden. „Mist“, entfuhr es Dominique, sie war anscheinend zum gleichen Ergebnis gekommen.

Den Rest des Schultages zog sich für Sophie qualvoll langsam dahin. Ihre gute Laune aus dem Chemieunterricht verpuffte sofort, als ihr klar wurde, dass Frau Allington die Klassenarbeit von gestern korrigiert hatte. Eine Vier in Englisch, wieder mal. Verdammt, dachte sie bei sich und ließ ihre Finger knacken, was ihr einen tadelnden Blick von Lulu eintrug, die vor ihr saß. Englisch war Lulus Glanzfach. Kein Wunder, wenn man seine Sommerferien auf einer Sprachschule verbrachte, dachte Sophie säuerlich. Der restliche Englischunterricht schleppte sich mit der Korrektur der Klassenarbeit dahin. Als der Gong zur Mittagspause erklang, war Sophie richtig erleichtert. Anschließend noch drei Stunden Sportunterricht und danach war für diese Woche Schluss. Denn Freitags gab es glücklicherweise keine Lerngruppe.

Im gesamten Sportunterricht überlegte Sophie, in welchem Fach sie starten sollte: Physik, Chemie oder doch Biologie? „Sophie pass auf!“ Hörte sie noch, als ein Volleyball sie unsanft aus ihren Überlegungen riss. „Aua“, schrie sie und rieb sich mit ihrer Hand am Kopf, wo der Ball sie getroffen hatte. „Alles in Ordnung? Setz dich besser für den Rest der Stunde auf die Bank“, sagte Frau Löffel, die junge Sportlehrerin besorgt. Dankbar setzte sich Sophie an den Rand.

Während sie ihre Mitschülerinnen beobachtete, die leicht und schlagkräftig den Volleyball über das Netz spielten, wanderten Sophies Gedanken wieder zu dem Stipendium und ihrem Notendurchschnitt.

Neben Englisch war ihr zweites schlechtes Fach: Sport. Warum legte man in dieser Schule nur so viel Wert auf Sport, sinnierte sie missmutig. Dreimal die Woche je drei Stunden Sport. Sophie fand das viel zu viel. Mehr Naturwissenschaft hätte sie besser gefunden. Sie brauchte ein kleines Wunder um ihren Notendurchschnitt auf Kurs zu bringen. Mit einem Seufzer stand sie auf, die Sportstunde war zu Ende und ein halbes Jahr blieb ihr ja noch. Mit der Prüfung am Ende des Schuljahres konnte sie ja noch viel ausgleichen, aber eben auch viel verlieren. „Es ist zum verrückt werden“, haderte Sophie. Warum musste Frau Sommer auch nur schwanger werden. Mit ihr als Englischlehrerin hatte es so gut geklappt. Nur Zweier, mündlich sogar eine Eins und jetzt abgerutscht auf eine Vier - schriftlich wie mündlich.

Als letzte zog sich Sophie an und verließ dick eingepackt die Umkleidekabine. Seit Weihnachten hatte es immer wieder geschneit und jetzt Mitte Januar zeigte sich der Winter von seiner schönsten Seite. Sie lächelte als sie im dämmrigen Rest des Tageslichts durch den Schulpark stapft. Der Schnee knirschte bei jedem Schritt. Sie sog die kalte Luft ein. Mit einer kindlichen Freude atmete sie große Dampfwolken aus. Wie eine Lokomotive stapfte sie an den Schulgärten mit seinen Raureif überzogenen Grünkohlpflanzen und den Streuobstbäume, mit ihren leuchtenden Äpfeln, vorbei. Die Außensportanlagen ließ sie mit einem innerlichen Frösteln hinter sich. Glockengeläut hallte durch die Luft. Sie musste schneller gehen, wollte sie ihren Bus zur Frau Hummel erwischen. Sie kürzte den Weg ab, indem sie über den zugefrorenen Teich lief. Die Fassade der Friedrich-Stein-Schule hob sich hinter ihr, wie ein Scherenschnitt von der weißen Winterpracht, ab.

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