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Die Horazische Satire
ОглавлениеHoraz hat die Satire des Lucilius übernommen und zu künstlerischer Form entwickelt und vertieft. Ohne Zweifel half die Philosophie bei dieser Verinnerlichung. Besonders die hellenistischen Wanderprediger mit ihren Diatriben (Predigten mit Beispielen aus Mythos und Alltag, mit Wortspielen und Anekdoten) boten Philosophie für das tägliche Leben. Bekanntester Lehrer solcher Ethik war Bion von Borysthenes (um 300 v. Chr.), von dessen kynisch-stoischer Predigt man schon die horazische Satire ableiten wollte. Sicher hat die Diatribe Einfluss auf die horazische Satire, doch steht diese mit ihrer formalen Kunst und inneren Freiheit hoch über der Schulphilosophie.
Die Kyniker waren Philosophen einer von Antisthenes begründeten Richtung; sie wollten die Freiheit des Menschen von gesellschaftlichen Bindungen durch persönliche Bedürfnislosigkeit erreichen und erstrebten Unabhängigkeit von jedem Vorurteil. Durch ärmliche Kleidung und derbes Betragen suchten sie Aufmerksamkeit zu erregen, wie etwa Diogenes.
Weiter waren Lehrer des Horaz die Stoiker und Epikur. Auch sie erstrebten innere Unabhängigkeit. Epikur lehrte, die Lust und das Freisein von Schmerz bilde die Grundlage der Glückseligkeit. Der Mensch müsse die Begierden beherrschen, um innere Ausgeglichenheit bewahren zu können; besonders müsse man die Furcht vor dem Tode und den Göttern bekämpfen.
Auch die Stoiker suchen das Glück, doch finden sie es in der Tugend; als deren Grundlage fassen sie das tätige Eingreifen in das Geschehen der Außenwelt auf. Menschliche Tugend, deren Hauptteile die vier (platonischen) Haupttugenden Gerechtigkeit, Einsicht, Tapferkeit, Besonnenheit seien, zeige sich in der vollkommenen Pflichterfüllung im Dienste der Menschheit.
Man darf aber nicht sagen, der Weg des horazischen Denkens habe von Epikur zur Stoa geführt. Horaz war nie einer Sekte verschworen, trug auch innere Spannungen in sich, die ihn beiden Schulen annäherten. Immerhin ist das erste Satirenbuch stärker epikureisch, das zweite stoisch gefärbt.
Ob Horaz seine Satiren als ‚Sermones‘ bezeichnet hat, ist eine Frage; sat. 1,4,42 spricht zumindest dagegen, dass er seine ersten Satiren so nannte. Einen Teil seiner Satire verdankt Horaz seinem Vater, dessen Erziehung das warnende Beispiel fremder Fehler hervorhob. Ihm selbst gehört die Weisheit, die lachend die Wahrheit sagt; das Wort ridentem dicere verum (sat. 1,1,24) ist das beste Kennzeichen der horazischen Satire.
Man soll lachend die fremde und eigene Torheit erkennen. Daher gibt es bei Horaz weniger Angriff und Spott als Darstellung von Erkenntnissen. Er tritt den Menschen wohlwollend entgegen und zeigt ihre Schwächen in heiterem Ernst.
Bis zu einem gewissen Grade waren aber wohl auch die veränderten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse an dieser Richtung der horazischen Satire beteiligt. Während Lucilius noch den „Sünder“ selbst angreifen konnte, war Horaz eher gedrängt, nur die „Sünde“ aufs Korn zu nehmen, wenn er Unannehmlichkeiten vermeiden wollte.
Mittel seiner Satire sind folgende: Kontrastierende Bilder von Lebensweisen sowohl als Kunstmittel wie als Vorführung von Extremen, zwischen denen das Rechte liegt (wobei Horaz jede Schwarz-Weiß-Malerei meidet), lustige Anekdoten, die zur Auflockerung dienen, Fabeln, die als „Grenzrain zwischen Poesie und Moral“ (Lessing) Lehre und poetisches Bild vereinen, Abbildungen des Lebens, die Fehler geistvoll vorstellen, ohne zu verzerren, keine Predigt, sondern Beobachtung. Der Realismus geht manchmal ins Derbe, fast Überderbe; vgl. sat. 1,2,25ff.: Einer geht mit hängender Tunika, einer hat sie bis zur Scham hinaufgezogen, Rufillus duftet nach Pastillen, Gargonius stinkt wie ein Bock. Heitere Komik: Horaz schildert fremdes und eigenes Handeln in lustig übertreibender Form. Parodie fremder und eigener Dichtungen: Horaz baut in das Kunstwerk seiner Satire Anspielungen auf andere Dichtungen und Gattungen ein, so dass ein beziehungsreiches Gebilde entsteht. Gelegentlich wird die Selbstparodie gepflegt (vgl. sat. 2,7,46–65 mit sat. 1,2); Horaz zeigt deutlich, wie frei er sich selbst gegenübersteht. Mit der Parodie verwandt ist die Ironie, die bei Horaz als Mittel der Selbstdarstellung und dichterischen Gestaltung auftritt. Hinzu kommen mythologische und historische Beispiele, Anekdoten, Sprichwörter, Personifikationen, Beispiele aus dem Tierleben.
Wichtige Grundlage dieser Satire sind die unverkrampfte Art und die verborgene Tiefe, der die so einfach erscheinende Darstellung entspringt.
Noch nicht untersucht ist die Bedeutung des Mythos in Horazens hexametrischer Dichtung. Oft dient der Mythos zur Illustration eines Gedankens mit Beispiel, Vergleich, Analogie. Die mythologischen Szenen sind real aufgefasst, werden sogar in den komischen Vergleich hineingezogen (sat. 1,1,100 fortissima Tyndaridarum). Gerne wird Homer zitiert; epist. 1,2 ist Odysseus, epist. 1,7 Telemachos als Vorbild rechtschaffener Art hingestellt.4
Horaz betrachtet in seiner Satire das Leben der ihn umgebenden Gesellschaft; er deckt ihre Fehler auf und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Dabei sucht er sich selbst in Distanz zu diesen Fehlern zu stellen und kämpft gegen Ehrgeiz, Geldgier und Leidenschaft. Im Lernen aus fremdem Fehlverhalten sucht er sich selbst zu erziehen und innere Freiheit zu gewinnen. Horaz könnte wie Goethe sagen, dass jeder, der seine Werke las, innere Freiheit erlangen konnte. Herder schreibt: „Horaz macht die Seele frei von jedem Vorurteil, von jeder Bürde und Afferei des Lebens. Und zwar tut er dies nicht ernst und steif …, sondern als ob er’s nicht täte.“
Horaz wusste durchaus von der Verpflichtung eines römischen Dichters zur politischen Aussage im Dienste seines Volkes. So gab er in den Epoden seiner Verzweiflung über die politischen Wirrnisse des Bürgerkrieges Ausdruck, stellte aber auch den Dichter dar, wie er öffentliche Verantwortung fühlt und auszuüben sucht. Die Oden zeigen vielfach die Sorge des Dichters um Staat und Gesellschaft und geben der Sehnsucht nach Frieden Ausdruck. In den Römeroden steigt Horaz empor zur Haltung des vates (Sehers), der begeistert sein Volk Sitte und Disziplin lehrt und das Reformprogramm des Augustus unterstützt.
In den Satiren des Horaz aber ist das Politische weitgehend ausgespart, obschon die Satirenbücher in der Zeit zwischen Philippi und Actium erschienen. Das kommt nicht nur davon, dass das Politische vorwiegend in den Epoden und Oden Eingang fand und dass der Stil der horazischen Satire der Politik nicht zugeordnet ist; in Horaz stehen epikureische Distanz und politische Verpflichtung spannungsreich nebeneinander. Zudem ließ damals die politische Vergangenheit des Horaz, der ja eben erst amnestiert worden war, eine politische Satire wenig geraten erscheinen. Wie Lucilius lebte Horaz in einer Zeit des politischen Umbruchs, doch konnte der Sohn des Freigelassenen nicht so schreiben wie der selbstbewusste kampanische Ritter.