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Kapitel drei 1823

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Christian Peter Beuth hatte auch nach dem Fiasko von Geislautern und weiteren Fehlschlägen keine Sekunde daran gedacht zu kapitulieren. Ihm war aber bewusst geworden, dass es nicht ausreichte, die Maschinen und Lokomotiven der Engländer einfach abzuzeichnen und die Pläne nach Preußen zu bringen. Man brauchte auch Männer dafür, Techniker und Handwerker, die in der Lage waren, nach den mitgebrachten Zeichnungen und Skizzen funktionsfähige Maschinen zu bauen. Da kam es manchmal auf Bruchteile von Millimetern an. Aber man musste auch das Wesen einer Maschine verstehen und sie lieben wie seinen eigenen Hund, zu ihr sprechen, sie streicheln und ihr gut zureden, wenn sie nicht anspringen wollte. Und solche Männer gab es in Preußen nicht, Männer, die er Maschinenärzte genannt hätte, wenn er dafür nicht verspottet worden wäre. Dieser James Watt, dem sie die Erfindung der Dampfmaschine zuschrieben, musste ähnlich gedacht haben, als ihm die Idee gekommen war, die Pferdestärke als Maßeinheit für die Leistung einer Dampfmaschine zu wählen. Auch an Fabrikanten mit den nötigen Kenntnissen, mit Weitblick und Wagemut fehlte es. Das alles war nicht weiter erstaunlich, denn alle hatten sich an den langjährigen Protektionismus ihres Staates gewöhnt.

Beuth fasste sich an den Kopf. Da hatte man in den preußischen Universitäten und in Kreisen jüngerer Beamter dem freien Wettbewerb und freien Handel das Wort geredet und dabei übersehen, dass der Rückstand der einheimischen Gewerbetreibenden viel zu groß gewesen war und nun die Engländer mit ihren Waren ungebremst den ganzen Kontinent überschwemmten. Der Schuss war also gründlich nach hinten losgegangen …

Doch Beuth hatte weder resigniert noch die missliche Situation schöngeredet – er hatte gehandelt: Nachdem ihm 1820 die Zuständigkeit für das Gewerbeschulwesen übertragen worden war, hatte er am 1. November 1821 im Gebäude seiner Technischen Deputation in der Klosterstraße 36 eine zweiklassige Gewerbeschule mit zunächst dreizehn Schülern und vier Lehrern eröffnet. Deutlich grenzte er sein Technisches Institut von dem Lehrbetrieb an den Universitäten ab: Wer mehr lernen will, tut es auf der Universität. Dieses Mehr schließe ich von der Technischen Schule aus, weil ich es mehr für eine Zierde als von wesentlichem Einfluß auf das Gedeihen der Gewerbe und ihre Blüte halte. Sein Institut sollte allen Bevölkerungsschichten offenstehen, und zur Aufnahme in die untere Klasse genügten anfangs eine gute Handschrift, die Fähigkeit, dem mündlichen Vortrage zu folgen und das Vorgetragene sprachlich auszuarbeiten, sowie das gewöhnliche Rechnen. Für die obere Klasse wurden vorausgesetzt: Kenntniß der Geometrie (Planimetrie und Stereometrie) ohne Beweise, Kenntniß der gemeinen Arithmetik, des Gebrauchs der Logarithmen, Elementarkenntniß in der Physik und Chemie, Handzeichnen nach aufgestellten Körpern, Maschinenzeichnen nach eigener Aufnahme und geometrische Darstellung.

Das Ganze gedieh prächtig, doch Beuth wollte sich mit dem Erreichten nicht zufriedengeben. Im Gebäude der Technischen Deputation, dem ehemaligen Palais Kreutz, wollte er eine Maschinensammlung, eine Modellsammlung und eine Sammlung fertiger Produkte anlegen, und sogar einen Anbau plante er. Auch ein anderes Projekt, das er gemeinsam mit seinem Freund Karl Friedrich Schinkel angefangen hatte, trieb er kräftig voran.

Schinkel, geboren am 13. März 1781 in Neuruppin, war 1805 von seiner zweiten Italienreise nach Berlin zurückgekommen und hatte 1810 durch Vermittlung Wilhelm von Humboldts eine feste Anstellung gefunden. 1815 war er zum Geheimen Oberbaurath ernannt worden und hatte begonnen, Berlin mit den von ihm erdachten Bauten zu einer europäischen Metropole zu machen, allen voran mit der Königswache, dem Schauspielhaus und dem Königlichen Museum. Er wohnte jetzt mit seiner Familie Unter den Linden 4a und kam gern einmal in die Klosterstraße.

Beuth sprang auf, als Schinkel eingetreten war, und eilte dem Freund entgegen, um ihn herzlich zu umarmen. Beide gaben die Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker heraus, eine aufwendig gestaltete Sammlung von vorwiegend antiken Formen und Mustern, an denen sich die Gewerbeschulen wie die Fabrikanten orientieren sollten. Gebrauchsgegenstände sollten nicht nur nützlich, sondern auch schön sein und den Aufstieg der preußischen Industrie befördern.

»Was gibt es Neues?«, fragte Beuth.

Schinkel überlegte einen Augenblick. »Unser Kronprinz Friedrich Wilhelm wird im November seine bayerische Elisabeth zum Traualtar führen, und er wird zur Hochzeit Schloss Stolzenfels am Rhein geschenkt bekommen.«

»Und was hast du damit zu schaffen?«

»Ich soll die Pläne zum Umbau entwerfen.«

Beuth verzog das Gesicht. »Schade, ich sähe es lieber, wenn du dich ganz um Berlin kümmern würdest.«

Schinkel lachte. »Deine Gewerbeschule hier wird doch in Bälde so viele große Köpfe hervorbringen, dass Leute wie ich schnell entbehrlich werden.«

»Dein Wort in Gottes Ohr!«

Als August Borsig am letzten Sonntag im Februar am Ring stand und auf seinen neuen Freund Friedrich Hermes wartete, lief ihm sein alter Klassenkamerad Walter Rawitsch über den Weg. Sie hatten sich ein wenig aus den Augen verloren, dennoch begrüßten sie sich mit einigem Hallo. Beide standen kurz vor ihrer Gesellenprüfung, Walter als Tischler, August als Zimmermann.

»Wir machen also beide unser Glück mit dem Holz«, sagte Walter Rawitsch.

Borsig winkte ab. »Ich bin über meinen Beruf gar nicht mehr so glücklich …«

Walter Rawitsch lachte. »Bist du also sozusagen auf dem Holzweg?«

»Eher in einer Sackgasse.«

»Besser in einer Sackgasse als auf einem Misthaufen.« Walter Rawitsch war immer noch der Alte. »Aber mit der schönen Henriette ist es trotz deines Opfers nichts geworden?«

»Leider nein. Oder Gott sei Dank – ganz wie man will.«

Walter Rawitsch kam ihm mit einer alten Volksweisheit: »Früh gefreit, hat nie gereut.«

»Wir haben ja noch unsere Walz vor uns. Wer weiß, wen ich da kennenlerne …«

Die Walz galt als Voraussetzung, um von der Zunft in den Meisterstand aufgenommen zu werden. Wenn ein Lehrling aus der Lehrzeit entlassen wurde, ging er als Geselle für ein bis drei Jahre, manchmal sogar noch länger, auf Reisen. Als »er-fahrener« und »be-wanderter« Mann sollte er nach abgeschlossener Wanderschaft in die Heimatstadt zurückkehren.

»Wohin treibt es dich denn?«, fragte Walter Rawitsch.

Borsig zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Irgendwie habe ich zu nichts mehr richtig Lust. Ein Leben lang nur Zimmermann sein … Ich weiß nicht …«

»Das erinnert mich an Goethes Die Leiden des jungen Werther.« Über diesen Roman hatten sie in der Schule eingehend gesprochen, und Mistek hatte den Gedanken an einen Selbstmord als zutiefst unchristlich und unpreußisch verdammt.

August Borsig winkte ab. »Das nicht, aber …« Ein Vergleich kam ihm in den Sinn. »Manchmal sehe ich mich als Kugel, die Gott auf die Kegelbahn gerollt hat. Ich möchte meinen Lauf gerne ändern, kann es aber nicht. Ich rolle und rolle …«

»Und am Ende deines Lebens heißt es dann: Volltreffer, alle Neune!«

»Oder aber die Kugel rollt von der Bahn und alle schreien: Eine Ratte!«

Nach diesem Gespräch verbrachten sie noch einen sehr angenehmen Tag miteinander, und als sie am Abend adieu sagten, verabredeten sie, sich von nun an öfter zu treffen.

Daraus aber sollte nichts mehr werden, denn am Donnerstag bekam August Borsig die Nachricht, dass Walter Rawitsch bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Gemeinsam mit seinem Meister hatte er ein Sägewerk besichtigt, und dabei waren aufeinandergeschichtete Baumstämme ins Rollen gekommen und hatten ihm den Brustkorb zerquetscht. August Borsig trauerte lange um den Freund, und immer wieder musste er an dessen Worte denken: »Wir machen also beide unser Glück mit dem Holz.« Von wegen! Walter Rawitsch hatte das Holz den Tod gebracht, und August fragte sich, ob das ein Wink des Schicksals war, er selbst solle einen anderen Weg nehmen. Aber welchen denn? Die Kugel, die rollte unaufhaltsam … Bei aller Trauer kam ab und an ein Gefühl in ihm auf, dessen er sich furchtbar schämte, das er aber nicht ganz unterdrücken konnte: Gott sei Dank hat es ihn getroffen – und nicht mich! Wer weiß, was der Himmel mit mir noch vorhat? Aber was sollte er schon vorhaben? Zimmermeister zu Breslau würde er werden.

Nun, die erste Etappe auf diesem Weg hatte er am 12. März 1823 zurückgelegt. Da stand er im schwarzen Feiertagsanzug im Festsaal der Innung und bekam den Lehrbrief überreicht. Schnell überflog er die verschnörkelten Buchstaben. Die Alt- und Gildemeister des löblichen Zimmermittels der Haupt- und Residenzstadt Breslau bestätigten ihm, dass er vom Quartal Reminiscere 1820 bis Reminiscere 1823 die Zimmer-Profession bei dem Zimmermeister Georg Ihle gehörig erlernt habe.

Ihle schüttelte ihm zuerst die Hand und war sichtlich gerührt, dann gratulierten ihm auch die Eltern und sein Freund Friedrich Hermes.

Der Zimmermeister Caspar Kiesewetter, einer von den Alt- und Gildemeistern, hatte bei der Freisprechung alle Lehrlinge aufmerksam gemustert, dann hatte er August Borsig freundlich zugenickt und ihn zu sich herangewinkt. »Borsig, Sie gefallen mir von allen am besten, und ich würde mich freuen, wenn ich Sie als meinen Gesellen begrüßen dürfte.«

Was blieb August Borsig da anderes übrig, als sich artig zu bedanken? Aber dass jähe Freude in ihm aufschoss, ließ sich nicht behaupten. Die Kugel, die rollte unaufhaltsam … Offenbar kam alles so, wie es kommen musste.

Das Leben eines Zimmergesellen unterschied sich von dem eines Zimmerlehrlings nicht wesentlich. August Borsig führte immer noch das gleiche Leben. Ein bisschen mehr Rechte kamen ihm zu, und die Arbeiten, die er auszuführen hatte, waren etwas anspruchsvoller, aber der Polier und der Meister konnten ihm weiterhin Anweisungen geben, wie sie wollten – und ihn tadeln, wenn sie es für richtig hielten. Sein eigener Herr war er nun weiß Gott noch immer nicht. Und das lastete ebenso auf ihm wie das Wissen, dass er das Holz nicht mehr liebte, sondern es mehr und mehr verachtete, weil es ein zu simpler Werkstoff war. Man ging ganz einfach in den Wald und fällte einen Baum, dann hatte man es. Wie anders dagegen das Eisen! Wie viel menschlicher Geist und wie viel handwerkliches Geschick waren vonnöten, aus Erz Eisen zu gewinnen!

Friedrich Hermes fand, dass er richtig schwermütig geworden war.

»Du hast gut reden!«, rief Borsig. »Du bist ja Schmied und hast das Eisen als Material. Holz, das ist das Mittelalter – Eisen, das ist die moderne Zeit!«

Friedrich Hermes versuchte sich als Philosoph: »Ein Pferd kann keine Kuh werden – und eine Kuh kein Pferd.«

August Borsig stöhnte auf. Keiner verstand ihn so richtig. Aber wie denn auch, er selbst schaffte es ja auch nicht. Sein verstorbener Freund Walter Rawitsch hätte gesagt: »Der August Borsig ist jetzt bei den Stadtmusikern. – Wie denn das? – Er bläst. – Trompete oder Tuba? – Nein, Trübsal.«

Das Ende der Tristesse kam schlagartig, als er Marie erblickte, die Tochter seines neuen Meisters. Sie war für ein paar Wochen in Liegnitz gewesen, um ihre kranke Großmutter zu pflegen.

Er war jetzt neunzehn Jahre alt, sie mochte etwas jünger sein, und von daher passten sie zusammen. Vielleicht war sie etwas drall, aber das fand er sehr verführerisch, und sie hatte ein liebes rundes Gesicht. Es musste unwillkürlich an die Kolportageromane denken, die langsam in Mode kamen: Tüchtiger Geselle heiratet liebliche Tochter seines Meister, übernimmt später dessen Geschäft, und alle werden froh und glücklich. Märchen, die wahr wurden. Auch Maria schien Feuer gefangen zu haben, denn hatte sie ihn anfangs unschuldig angelächelt, so zuckte sie jetzt, wenn sich ihre Blicke trafen, und ihre Wangen wurden von einer verräterischen Röte überzogen. Und er hatte seine Schwierigkeiten, sich abrupt zu erheben, wenn er sie heimlich angestarrt hatte, denn die Aufwölbung seines Hosenlatzes wäre zu peinlich gewesen. Ab und an saßen der Lehrling und die Gesellen im Hause des Meisters und mit dessen Familie am Mittagstisch, und das waren dann wahre Festtage für August Borsig. Näher aber kam er Marie Kiesewetter nicht.

»Du musst ihr einen Liebesbrief schreiben«, riet ihm sein Freund Friedrich Hermes, als er dem seine Nöte geschildert hatte. »Am besten mit einem Gedicht. Die Frauen lieben so etwas und sind dann ganz gerührt.«

»Das kann ich nicht.«

»Dann machen wir das gemeinsam. Meine ältere Schwester ist mit der Feder so gewandt wie mit der Nähnadel. Außerdem hat sie ein paar von Goethes Gedichten im Poesie-Album stehen.«

So kam dann mit Hilfe von Katharina Hermes Borsigs erster Liebesbrief zustande, veredelt mit den ersten und den letzten Zeilen des Goethe-Gedichtes Nähe des Geliebten:

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer

Vom Meere strahlt;

Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer

In Quellen malt.

Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,

Du bist mir nah!

Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.

O wärst du da!

Nun war es zwar schwer, von Breslau aus aufs Meer zu blicken, aber das Brieflein tat dennoch seine Wirkung, denn als August Borsig einen Tag später vom Abtritt kam und Marie, die in die Küche wollte, in die Arme lief, fuhr sie nicht etwa erschrocken zurück, sondern umschlang ihn, so dass es geradezu unmöglich war, sie nicht zu küssen. Die Welt um ihn herum versank, und er sagte später, er könnte schwören, stundenlang in enger Umarmung mit ihr im Flur gestanden zu haben. In Wahrheit aber waren es nur Sekunden, denn da tauchte auch schon Kiesewetter auf und trieb sie mit einem harschen »Was soll denn das?!« schnell wieder auseinander.

Der nächste Tag – es war der 22. September 1823 – sollte August Borsigs letzter an der Königlichen Provinzial-Kunst- und Bauhandwerksschule werden. Mit ungewissen Gefühlen, ebenso erleichtert darüber, dass alles vorbei war, wie enttäuscht darüber, dass nun schon alles vorbei war, hockten sie in ihren Bänken und warteten darauf aufgerufen zu werden. Hier wusste man, was einen erwartete, doch die Zukunft war ungewiss, und ob alle Blütenträume reiften, war fraglich, denn Preußen war noch nicht so weit – so schien es ihnen jedenfalls –, dass man sie mit ihrer hohen Qualifikation draußen im Lande wirklich gebraucht hätte.

»Borsig!«

Wie in Trance erhob er sich und schritt nach vorn. Der Bauinspector Hirt nahm sein Abgangszeugnis aus einem blauen Aktendeckel, drückte es ihm aber noch nicht in die Hand, denn zuerst war August Borsig noch die große silberne Medaille für die Konstruktionszeichnung einer hölzernen Kuppel nach italienischen Vorbildern auszuhändigen.

»Der Kuppelbau war ja Ihre große Leidenschaft, Borsig. Gut so!«

August Borsig musste unwillkürlich an Walter Rawitsch denken, der ihm einmal gesagt hatte, wenn er es so mit den Kuppeln habe, solle er doch am besten Kuppler werden. So sah er etwas geistesabwesend aus, als man ihm sein Abgangszeugnis in die Hand drückte.

»Ein guter Anfang, Borsig«, sagte Hirt mit der gebotenen Feierlichkeit. »Und wir freuen uns darauf, später noch viel Gutes von Ihnen zu hören!«

August Borsig bedankte sich und überflog im Zurückgehen das Blatt, das er vorsichtig in den Händen hielt und das vom Hofrath Bach unterschrieben war:

Sein Fleiß und seine Fortschritte in dem Unterricht der schönen und städtischen Baukunst, im Zeichnen alter Säulen, in den vorzüglichen Übungen der Zimmerkunst wie auch im besonderen Unterricht der Mechanik waren besonders lobenswert. Zudem hat der Eleve Borsig mit Eifer und Fleiß die Freihandzeichnungen in verschiedener Art studiert und dabei sehr gute Fortschritte gemacht.

Man feierte das Bestehen in einer nahe gelegenen Schänke, aber als August Borsig dann mit dem Zeugnis in der Hand nach Hause ging, war er etwas schwermütig gestimmt.

»Was hast du denn erwartet?«, fragte ihn Friedrich Hermes. »Dass Friedrich Wilhelm III. höchstpersönlich in einer Kutsche angefahren kommt, um dich als Königlichen Hofzimmermann nach Berlin zu holen?«

»Ja, so in etwa«, brummte Borsig und wurde bitter. »Aber was habe ich denn von der langen Quälerei bei Hirt und Bach? Dieses Zeugnis hier ist doch zu nichts nütze, damit kann ich mir doch den Hintern abwischen!«

Friedrich Hermes suchte, ihn zu beruhigen. »Gott, August, du hast doch in den drei Jahren unheimlich viel gelernt. Das ist doch ein Kapital, mit dem du später einmal wuchern kannst.«

»Ja, ich habe den Kopf voller Wissen und Ideen, aber es ist niemand da, der das alles haben will!«, rief Borsig.

»Sei doch nicht so ungeduldig, du musst nur warten können.«

Am Abend wurde Borsig von Caspar Kiesewetter zu einem Gespräch unter vier Augen gebeten. Er bekam weiche Knie und zitterte am ganzen Körper, denn er erwartete nichts anderes, als dass der Meister ihn bitten würde, förmlich um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Aber es sollte ganz anders kommen.

»Borsig, ich kann und ich darf Sie nicht mit Gewalt halten, wenn ich es auch äußerst gern täte. Aber Sie wollen in die Welt, und Sie müssen in die Welt!« Damit bekam er ein Blatt Papier in die Hand gedrückt.

Hierdurch bestätige ich, dass Johann Friedrich Borsig bei mir in Arbeit gestanden und auf sein Ansuchen, weil derselbe, um seine Kenntnisse zu vermehren, reisen will, hiermit entlassen wird. Sein Fleiß und seine Aufführung waren stets so, dass ich ihn jedem meiner Mitmeister empfehlen kann.

»Nicht einmal meinen eigentlichen Vornamen hat er auf diesen Wisch geschrieben«, sagte Borsig später zu seinem Freund Hermes. »Das Ganze hat er doch nur in Szene gesetzt, um mich von seiner Tochter abzutrennen. Marie soll sicher einen reichen Laffen heiraten.«

Friedrich Hermes nickte. »Kann schon sein. Möglich ist aber auch, dass dein Vater dahintersteckt und mit Kiesewetter gesprochen hat, denn es stört ihn mächtig, dass du nicht auf die Walz gehen willst, wie es sich für einen echten Zimmermann gehört.«

»Ich will aber kein echter Zimmermann mehr sein!«, rief Borsig.

Der Hofrath Professor Bach saß am Schreibtisch in der Provinzialregierung und starrte aus dem Fenster – als könnte ihm die matte Herbstsonne zu einer Erkenntnis helfen. Vor ihm lag ein Schreiben aus Berlin, auf das er heute endlich reagieren musste, aber bis jetzt hatte er sich noch nicht zu einer Entscheidung durchringen können. Man beschwerte sich darüber, dass Breslau noch immer keinen Zögling aus Schlesien in die neue Königliche Gewerbeschule in der Klosterstraße geschickt habe. So ginge das nicht – und wenn man den Willen des Königs weiterhin konterkariere, werde das negative Folgen für Breslau haben. Irgendeiner müsse doch auch in Schlesien zu Höherem berufen sein als zu einem schlichten Handwerksmeister. Unterschrieben war das Ganze von einem Christian Peter Wilhelm Beuth, Director der Technischen Deputation für Handel und Gewerbe.

Bach war hin- und hergerissen. Einerseits musste dem Wunsche Berlins entsprochen werden, und er gönnte ja auch jedem Schlesier den Aufstieg – ja, es war ihm eine Herzensangelegenheit, jede Begabung zu fördern –, andererseits aber wollte er verhindern, dass Schlesien austrocknete und seine Provinz mit der zweiten Wahl vorliebnehmen musste. Das war ein unlösbares Dilemma. Schließlich ließ er den Bauinspector Hirt rufen, um sich mit ihm zu beraten.

»Einen müssen wir schicken, lieber Hirt, da kommen wir nicht drum herum. Aber nehmen wir den Besten, dann berauben wir uns selbst, nehmen wir das Mittelmaß, dann blamieren wir uns.«

Hirt dachte nicht lange nach. »Es ist unsere Pflicht vor Gott und den Menschen, den Besten zu schicken, damit er sich in Berlin entwickeln und zu Preußens Größe beitragen kann.«

»Unser Bester, das ist der Borsig …«

»So ist es, Herr Hofrat. Er ist so begabt wie kein Zweiter.«

Bach sah ein, dass es keine andere Lösung gab. »Dann schicken wir einen Boten nach ihm und lassen ihn kommen.«

Eine halbe Stunde später stand August Borsig vor ihnen – und sah nicht sehr begeistert aus, als er erfahren hatte, was sie mit ihm vorhatten. Dass er wegen Marie in Breslau bleiben wollte, konnte er ihnen unmöglich verraten.

»Borsig«, rief der Hofrath, »warum zögern Sie da? Die Lebensbahn eines Handwerkers ist nichts mehr für Sie, Sie sind dafür geschaffen, sich andere Ziele zu setzen, höhere Ziele! Berlin ermöglicht es Ihnen, das Wissen zu erwerben, das Sie befähigt, Großes, Eigenartiges und Wunderbares zu schaffen!«

Der König vom Feuerland

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