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1.Leben und Werk Ernst Fraenkels
ОглавлениеErnst Fraenkel (1898–1975) gehört zu den wichtigsten deutschen Politikwissenschaftlern. Er schrieb bis heute grundlegende Arbeiten zu vier politischen Systemen: über die Weimarer Republik, über den Nationalsozialismus, über die USA und über die Bundesrepublik Deutschland. Alle seine Schriften entstanden aus der unmittelbaren Anschauung eines theoretisch gebildeten, praktisch engagierten und politisch sensiblen Zeitgenossen. Fraenkels Gesammelte Schriften erschienen 1999 bis 2011 als Gesamtausgabe in sechs Bänden. Sein Leben wurde 2009 umfassend dargestellt von Simone Ladwig-Winters.1
Fraenkel promovierte 1923 in Frankfurt am Main bei Hugo Sinzheimer, einem der Begründer des deutschen Arbeitsrechts. 1927 wurde er Anwalt in Berlin. Er war Syndikus des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes und vertrat die SPD in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten. In vielen Publikationen stritt er leidenschaftlich für die Erhaltung der Demokratie der Weimarer Republik.2 In einer dieser Veröffentlichungen formulierte Fraenkel als erster Autor das Konzept des konstruktiven Mißtrauensvotums, das 1949 in Art. 67 GG geltendes Verfassungsrecht wurde.
Die Nationalsozialisten beließen Fraenkel wegen seiner freiwilligen Teilnahme am ersten Weltkrieg – in immer beschränkterem Umfang – die Möglichkeit zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes. Er vertrat Gegner des Regimes und beteiligte sich an der Widerstandsarbeit des »Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK)«. Für dessen in Paris erscheinende Zeitschrift »Sozialistische Warte« schrieb er sechs Artikel, die z. T. in Deutschland als Flugblätter verteilt wurden. Rechtzeitig gewarnt floh Fraenkel am 20. September 1938 aus Berlin in die USA. Das bleibende Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist sein Buch »Der Doppelstaat3«.
Von 1939 bis 1941 absolvierte Fraenkel ein Studium des amerikanischen Rechts an der Law School der University of Chicago. Während des Krieges publizierte er in den USA zwei Bücher: die englische Fassung des »Doppelstaats« unter dem Titel »The Dual State«4 und die im Blick auf die bevorstehende Besetzung Deutschlands verfaßte Studie »Military Occupation and the Rule of Law«.5 Von 1945 bis 1950 arbeitete Fraenkel als Rechtsberater bei amerikanischen Behörden in Korea.6
1951 kehrte Fraenkel nach Deutschland zurück. Seitdem lehrte er Politikwissenschaft am späteren Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Über zwanzig Jahre lang entwickelte er eine ungewöhnlich erfolgreiche Publikations- und Vortragstätigkeit zu zentralen Themen der Politikwissenschaft: In umfangreichen Amerikastudien vermittelte er der deutschen Öffentlichkeit die Prinzipien, Institutionen und Verfahren der amerikanischen Demokratie.7 Grundlegend für das Selbstverständnis der deutschen Demokratie wurden seine verbreiteten Arbeiten zur Theorie und Verfassung des Pluralismus. Sein zuerst 1964 publizierter Sammelband »Deutschland und die westlichen Demokratien« erschien in neun Auflagen.8 Fraenkels Pluralismusstudien bilden bis heute einen zentralen Bezugspunkt für die Debatten über die Konkretisierung des Demokratiegebotes des Grundgesetzes. In allen seinen neueren Arbeiten kam es Fraenkel entscheidend darauf an, Deutschland in den Kreis der westlichen Demokratien einzuführen, als deren Gegenbild er den Doppelstaat der NS-Zeit erlebt und erlitten hatte.