Читать книгу Ute Bock Superstar - Houchang Allahyari - Страница 9

Silvesterabend 2009 Ute Bock in Zitaten

Оглавление

„Ohne Geld geht gar nichts. Man kann wollen, was man will. Wenn man kein Geld hat, bringt man nichts weiter. Darum gibt es den Ute-Bock-Ball, im Museum dort, und mich – nicht im Ballkleid.“

„Ich arbeite meistens bis zwei Uhr in der Früh. Dann lese ich die Zeitung. Dann ärgere ich mich und gehe schlafen.“

In ihrer Arbeit im Flüchtlingsverein ging Ute Bock völlig auf; er war ihr Leben, ihre Familie, ihre Erfüllung. Sie arbeitete häufig nachts und – abgesehen von ihrer Katze – auch allein.

Wir schrieben den 31. Dezember 2009. Ich behandelte in meiner Facharztpraxis im Wiener 1. Bezirk an diesem Tag nur wenige Patienten. Die Praxis war nicht weit weg von dem Haus im 2. Bezirk in der Großen Sperlgasse, in dem Ute Bock arbeitete. Am Abend, so um acht Uhr herum, war ich noch nicht müde, und da kam ich auf die Idee, zu Ute zu gehen, um zu schauen, was sie an diesem letzten Abend des Jahres machte. An diesem Abend hatte ich bereits zwei Mal versucht, Ute telefonisch zu erreichen, was mir aber nicht gelungen war. Aber vielleicht wollte sie ja doch ein bisschen plaudern mit mir.

Ich spazierte also durch die Straßen und Gassen der City, überquerte den Stephansplatz, der, wie nicht anders zu erwarten, voller Menschen war, die meisten augenscheinlich Touristen. Nur waren es an diesem Silvesterabend noch viel mehr als sonst. Doch das machte mir nichts aus, ich mag es, wenn es von Leuten nur so wimmelt. Das erinnert mich an meine Geburtsstadt, die Megametropole Teheran. Dass viele Menschen bereits ausgelassen waren, in Feierlaune und betrunken, machte mir allerdings ein bisschen Angst. Es war ja erst früher Abend.

Ich hatte wie immer meinen Blick zu Boden gerichtet, nahm die vielen unterschiedlichen Geräusche wahr, die Stimmen, die Schreie, das Gehupe, das Klacken von Stöckelschuhen auf dem Straßenpflaster – das noch lautere Klacken der Pferdehufe ging mir ab, aber die Fiaker dürfen am Silvesterabend ab 16 Uhr ja nicht mehr fahren. Gott sei Dank, dachte ich mir, sind die armen Tiere nicht mehr da.

Ute Bock. Artwork von Petra Marjam Allahyari

Ich erreichte die Rotenturmstraße, wo sich genauso wie in der Kärntner Straße ein Geschäft, ein Lokal an das andere reiht. Auf der Brücke über den Donaukanal wurde es extrem unwirtlich, der kalte Wind blies mir um die Ohren. Ich zog meine Mütze noch tiefer ins Gesicht und den Kunstpelzkragen meiner Jacke noch enger um meinen Hals zusammen. Sobald ich die Brücke hinter mir hatte, hörte der Wind wieder auf. Nach einigen Minuten in der Taborstraße bog ich in die Große Sperlgasse ein, wo Ute Bock ihr Büro hatte, nicht weit entfernt vom Karmelitermarkt. Eine Gegend, die sehr multikulturell geprägt ist, in der sich Kirchen, Synagogen und auch Moscheen befinden.

Auf der Straße sah man stets viele Frauen, Männer, Kinder verschiedener Religionen und Hautfarben, und gerade hier stand das erste Flüchtlingsheim von Ute Bock mit Quartieren für Asylsuchende, eine Anlaufstelle für Obdachlose, Hilfsbedürftige oder einfach nur arme, hungrige Mäuler, die sich ein bisschen aufwärmen wollten. Außerdem gab es neben Utes Refugium auch ein Büro, in dem juristische Beraterinnen ehrenamtlich Rechtsauskünfte erteilten. Das Haus war einstöckig, im Erdgeschoß waren statt der Fenster große Auslagenscheiben, wahrscheinlich war es einmal ein Geschäft gewesen, wo Waren in der Auslage lagen. Wenn man am Gehsteig vorbeiging, konnte man in die Räumlichkeiten sehen. In der ersten Auslage befand sich Utes Büro, in der zweiten saßen normalerweise Mitarbeiter ihres Vereins.

Schon von Weitem sah ich, dass es im Haus dunkel war, nur in der ersten Auslage war Licht, hinter einem zugezogenen Vorhang war es deutlich heller. Ich läutete an der Tür, niemand meldete sich. Dann ging ich zu der Auslage, wo das Licht war und klopfte ein paar Mal. Mir fiel ein, dass Ute oft an ihrem Schreibtisch einnickte. Die Uhr zeigte kurz vor 21 Uhr, vielleicht war sie einfach müde und wollte ihre Ruhe haben. Aber es war ja Silvester, Festzeit, wo üblicherweise die Leute in Feierlaune kamen. Ich klopfte ganz stark gegen die Auslage, und damit hatte ich sie offenbar aufgeweckt. Der Vorhang bewegte sich zur Seite, ich sah ihr Gesicht. Sie erkannte mich und bedeutete mir, dass sie mir die Tür öffnen würde.

Als ich drinnen war, fragte ich sie: »Was ist los, Ute? Feierst du heute nicht mit deinen Flüchtlingen?«

Ihre Antwort war wie immer knapp und nüchtern: »Nein, das haben wir hinter uns. Für heute Abend bin ich allein.«

Ich begleitete sie in ihr Büro. Auf dem Schreibtisch und im Kasten dahinter lagen viele Stöße Unterlagen, Protokolle, Akte. Arbeit, wo man hinsah, nichts als Arbeit. Abgesehen von den Flüchtlingen, die sie betreute, waren an ihrer Hausadresse 1400 Obdachlose gemeldet, Post- und Zustellservice für Menschen, die keine eigene Anschrift vorzuweisen hatten. Das alles musste abgearbeitet werden, für Ute gab es keine Pause an Silvester und Neujahr. Sie war, wenn sie nicht bei den Menschen war, die ihre Hilfe direkt und persönlich benötigten, in ihrem Büro, um sich in Aktenberge hineinzugraben.

Ebenfalls zwischen den Aktenstapeln stand ein Radio, das aufgedreht war. Musik war zu hören, dazwischen immer wieder die Zeitansage, wie lange es noch bis zum Jahreswechsel dauern würde. Und dann lag noch Utes Katze auf dem Tisch herum, faul und mit geschlossenen Augen. Ute nahm sie vom Tisch und wollte, dass sie auf ihrem Schoß liegen blieb. Doch die Katze wollte unbedingt auf dem Schreibtisch sein. Offenbar fühlte sie sich dort wohler, zwischen Akten, Schriftverkehr und Hunderten Notizzetteln aller Art. Sie sprang von Utes Schoß auf den Schreibtisch zurück, machte es sich bequem und schnurrte. Ute machte einen neuerlichen Versuch, aber das Tier wollte nicht auf ihrem Schoß bleiben.

»Blödes Viech«, sagte Ute laut, »was gefällt dir zwischen staubigen Akten so gut?«

Plötzlich explodierte ein Knallkörper draußen auf der Straße, die Katze zuckte zusammen, sprang erschrocken auf, kannte sich nicht aus, lief hin und her. Als weitere Explosionen folgten, sprang sie auf Utes Schoß. Sofort streichelte Ute die Katze und redete auf sie ein, um ihr die Angst zu nehmen: »Ich weiß, das verstehst du nicht, was die Menschen da aufführen.«

Die Knallkörperexplosionen in der Stadt wurden häufiger, und Ute redete weiter mit der Katze: »Weißt du was, wir sind die Normalen, die hier drinnen sitzen. Die Blöden sind die da draußen, die so viel Krach machen. Als wenn es nicht schon genug Krach auf der Welt gäbe.« Sie wiederholte ihre Worte, streichelte die Katze und konnte sie beruhigen. Wenigstens bis zum nächsten Knall. »Pssst, ganz ruhig, das ist nur Krach. Ich erzähle dir etwas: Der kleine bosnische Bub spielte mit einem Kriegsspielzeug und machte ›Bumm! Bumm!‹ Er zielte auf mich und rief: ›Du bist tot. Ich hab dich erschossen.‹ Ich hab mit ihm geschimpft. Da hat sein Vater zu mir gesagt: ›Aber das war doch nur ein Spaß.‹ Darauf hab ich gesagt: ›Dann fahren Sie zurück in Ihr Heimatland, dort ist gerade Krieg, wenn Ihnen das Spaß macht.‹« Während sie die Katze zwischen den Ohren kratzte, sprach sie so beruhigend, als würde sie mit einem Kind reden.

Auch ich schlief fast ein. Ich schüttelte mich und fragte Ute, ob sie ihre Arbeit nicht unterbrechen könne, um mit mir irgendwo in der Nähe essen zu gehen. Ich hatte nämlich mittlerweile mächtigen Hunger bekommen. Sie war einverstanden, und wir machten uns auf den Weg, um ein Restaurant zu finden, in dem noch nicht alles für den Abend ausreserviert war. Wir mussten ziemlich lange rumlaufen, hatten aber schließlich Glück in einem Hotelrestaurant in der Taborstraße, wo wir eine Kleinigkeit aßen. Es gab leider nur Frankfurter Würstchen, aber wir waren zufrieden. Ute hatte ab und zu auch ein paar Gläschen Bier ganz gern. Das war ihre Freude nach getaner Arbeit, so auch an diesem Silvesterabend. Ich trank keinen Alkohol. Nicht aus religiösen Gründen, sondern weil mir Alkohol einfach nicht guttut, und zwar kein einziger Tropfen.

Es wurde ein wunderbarer Abend. Über familiäre Dinge konnte man mit Ute nicht wirklich reden, weil ihre Familie die Flüchtlinge, die Obdachlosen, die Menschen in ihrem Heim waren. Sie erkundigte sich aber bei mir über meine Familie, wie es uns gehe, was meine Kinder machten, ob alle gesund seien. Meistens sprachen wir über die Organisation ihres Projektes, wie es mit ihrem Verein weiterging, ob es neue Pläne gab. Und hin und wieder, wenn in unserer Umgebung ein Kind auftauchte, ein Kind lachte oder weinte, straffte sich ihr Körper und sie lauschte in die Richtung dieses Kindes. Sie setzte sofort eine Art prüfenden Blick auf, um zu erkennen, ob es dem Kind auch gut gehe.

Eine Minute später war sie mit ihrer Aufmerksamkeit wieder ganz bei mir und erzählte von leichten Geldschwierigkeiten ihres Vereins. Die Spenden flossen nicht immer gleich gut, und den Betrieb in der Großen Sperlgasse aufrechtzuerhalten, kostete einiges, obwohl viele Menschen ehrenamtlich mitarbeiteten.

Also Geldsorgen. In Wirklichkeit keine kleinen, sondern große Geldsorgen. Und das am letzten Abend des Jahres. Sie biss die Lippen aufeinander und schnaufte laut aus.

Ute Bock hat ihr ganzes privates Geld in ihren Flüchtlingsprojektverein gesteckt, auch ihre laufende Pension. Als sie starb, hinterließ sie nichts als ein paar Blusen, ein paar Röcke und Westen, zwei Mäntel – und die Katze.

Diese Katze wurde von meiner Tochter, Utes Nichte Petra Marjam, »adoptiert«. Sie ist eine große Tierliebhaberin und erzählt mir öfter, dass durch das Zusammenleben mit der Katze immer wieder schöne Erinnerungen an ihre Tante Ute auftauchen. Der Katze geht es gut, sie spielt mit Petras Hund, die beiden sind wie Geschwister.

Ute Bock Superstar

Подняться наверх