Читать книгу Das ist meine Zeit - Howard Carpendale, Melody Clan - Страница 8

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„Hi, Mum.“

„Good morning, Howard“, erwiderte meine Mutter.

Mein Vater nickte nur. Ansonsten herrschte beklemmendes Schweigen am Frühstückstisch.

Es war einer dieser Tage in Südafrika, an denen ich schon am frühen Morgen Bauchschmerzen hatte. Was war los? War ich schuld? Fragen, die ich mir eigentlich gar nicht stellen musste, quälten mein Gewissen – und das schlug mir so auf den Magen, dass ich zum Frühstück kaum etwas essen konnte. Ein kleiner Happen ging dann irgendwie doch noch. Aber nur meiner Mum zuliebe. Damit sie vielleicht etwas glücklicher schauen konnte, ehe ich zur Schule ging.

Mein Vater und meine Mutter hatten sich wieder einmal gestritten. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht wussten es die beiden selber nicht so genau. Sie schwiegen sich an. Ihre Blicke waren leer. Bloß nicht den anderen ansehen.

In solch einer Phase lief am nächsten Morgen alles wie am Tag zuvor.

„Hi, Mum.“

„Good morning, Howard“, erwiderte meine Mutter.

Mein Vater nickte. Unerträgliche Stille. Wieder ließen mich beide mit meinen quälenden Gewissensbissen allein. Ich war froh, dass ich zur Schule gehen konnte, um dort wenigstens nicht länger in schweigende Gesichter schauen zu müssen. Manchmal musste ich noch drei, vier oder fünf weitere Tage mit meinen sprach­losen Eltern leben. Ich war froh, wenn ich abends endlich im Bett lag. Ich wollte dann nur noch schnell einschlafen, ohne lange zu grübeln.

Dann der befreiende Tag.

„Hi, Mum.“

„Good morning, Howard“, antwortete meine Mutter fröhlich.

„Hi, boy“, sagte mein Vater.

Wir redeten über die Schule, über das Wetter und über das, was Mum und Dad erledigen wollten. Die Mauer des Schweigens war durchbrochen. Mir schmeckte das Frühstück.

Howard, würdest du sagen, dass du eine glückliche Kindheit hattest?

Meine Eltern haben mir alles ermöglicht – und es gab nur wenige Momente, die ich am liebsten aus der Erinnerung streichen würde.

Welche Momente waren das?

Wir hatten manchmal mit größeren finanziellen Problemen zu kämpfen und mussten deswegen aus unserem schönen Haus in eine kleine Zweizimmerwohnung ziehen. Dort schlief ich dann als kleiner Junge mit meinen Eltern in einem Schlafzimmer. In dieser Zeit gab es häufiger Streit zwischen Mum und Dad – oft verbunden mit diesen Phasen eisernen Schweigens.

Dieses Schweigen war unerträglich für dich?

Ja. Diese Tage zu überstehen, das gehörte zu den schlimmsten Erfahrungen, die ich als Kind machen musste. Als ich etwas älter war, drohte mein Vater einmal damit, uns zu verlassen. Da habe ich ihm fast erleichtert gesagt: „Dann geh, hau ab.“ Ich wusste allerdings nicht, worum es in dem Streit ging. Am Ende war dann alles wieder gut. Mit Streitereien kann ich auch heute schlecht umgehen. Ich bin harmoniesüchtig.

Warum hatten deine Eltern mit finanziellen Problemen zu kämpfen?

Ich glaube, dass mein Vater der Typ war, der gerne mal Geld verlieh, das er eigentlich gar nicht hatte. Das führte zu großen Spannungen und finanziellen Engpässen. Ich kann mich noch sehr gut an einen Geburtstag erinnern, an dem ich einen roten Pullover bekommen habe. Ich war darüber so enttäuscht, dass ich nur geweint habe. Das war sehr hart für meine Eltern. Sie hatten gerade sehr wenig Geld und konnten sich eigentlich noch nicht mal diesen Pullover leisten. Einen solchen Geburtstag habe ich dann aber nie mehr erlebt. Meine Eltern haben meinen großen Tag ansonsten immer sehr liebevoll gestaltet. Oft verbunden mit kleinen Spielchen, komischen Verpackungen und Hinweiszetteln, die mich zu den Geschenken führten. Ein schönes Ritual, das ich für Wayne und Cass übernommen habe. Für sie habe ich mir zu den Geburtstagen und zu Weihnachten ebenso nette Spiele überlegt. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich einmal einen Kassettenrekorder im Kamin versteckt habe, mit einer Aufnahme, auf der ich mit verstellter Stimme den Weihnachtsmann gesprochen habe. So waren der Effekt und die Spannung perfekt. Die Jungs reden heute noch von meinen Überraschungen, und ich denke, diese Tradition wird sich bei den Carpendales weiter halten.

Wie hast du deine Kindheit und Jugend sonst erlebt?

Ich kann nicht sagen, dass ich die ersten zehn Jahre meines Lebens genossen habe. Ich war ein sehr stilles und einsames Kind. In den Kindergarten haben mich meine Eltern nicht geschickt. In der Schule wurde ich oft gemobbt, vielleicht, weil ich ein bisschen mollig und im Sport zunächst auch keine Granate war. Wenn ich mittags aus der Schule kam, hatte ich niemanden, dem ich etwas erzählen oder mein Herz ausschütten konnte. Ich habe noch vor Augen, wie ich zu Hause alleine in unserem großen Garten unter einem großen Baum sitze und mit kleinen Autos im roten Sand spiele. Keiner war da.

Mutter war die Sekretärin meines Vaters. Sie hat unser Import/Export-Büro geschmissen, damit Dad sich voll und ganz seiner Politik widmen konnte. Nur abends beim Essen war es möglich, mit meinen Eltern zu reden. Diese Momente habe ich sehr genossen.

Ab dem elften Lebensjahr änderte sich mein Leben …

Mit elf Jahren? Wie genau soll ich das verstehen?

Körperlich habe ich in zwei Jahren einen Schuss von fünfundzwanzig Zentimetern gemacht. In dieser Zeit wechselte ich die Schule. Mit meiner „neuen Größe“ war ich bei den älteren Jungs akzeptiert. Gerade im Sport. Mit zwölf habe ich meinen Eltern gesagt, dass sie sich um mich keine Sorgen mehr machen müssten. Sie waren ja ohnehin den ganzen Tag mit ihrer Arbeit beschäftigt. Und ich? Ich lebte mein Leben.

Was bedeutete das?

Alles, was Südafrika zu bieten hatte: Wellenreiten, Rugby, Musik, Strand, Mädchen.

Das könnte ich mir für mein Kind in dem Alter überhaupt nicht vorstellen.

Du bist ja auch kein Südafrikaner. Als ich vierzehn Jahre alt war, habe ich mir über einen Freund eine kleine Wohnung gemietet. Natürlich wollte ich mich in dieser Wohnung in Ruhe mit meinen Mädels treffen. Zwischendurch war ich auch immer wieder mal zu Hause bei meinen Eltern. Sie konnten sich auf mich verlassen. Von ihnen habe ich wohl einen der wichtigsten Werte im Leben gelernt: Vertrauen zu haben.

Aus erzieherischer Sicht können wir wohl von zwei Welten sprechen, oder?

Stefan, es gab keine Erziehung. Es gab mit meinem Dad und meiner Mum zwei sehr tolle Menschen. Sie haben alles dafür getan, dass es uns an nichts fehlte. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir ein Team waren. Alle Entscheidungen für uns Kinder waren wohlüberlegt und genau richtig. Meine Mutter und ich, wir haben uns häufiger umarmt und gedrückt. Mein Vater war kein kalter Typ, aber es gab höchstens mal einen kleinen Schulterklopfer als Anerkennung. Wie ich bereits erwähnte, war es ihm als Politiker immer sehr wichtig, dass die Carpendale-Familie nach außen hin ein makelloses Ansehen hatte. Selbst meine Vornamen Howard und Victor stammen von Vaters Bruder, der im Krieg gefallen war. Mein Dad war früher ein sehr erfolgreicher Sportler. Vielleicht war er bis zu meinem zehnten Lebensjahr in sportlicher Hinsicht von mir enttäuscht. Als meine Erfolge kamen, war er unendlich stolz auf mich. Er stand immer am Spielfeldrand und schaute zu. Mit fünfzehn, sechzehn Jahren war ich sportlich ganz weit vorne und gehörte zu den erfolgreichen Cricketspielern. Und nicht nur das. Ich spielte auch in der ersten Rugby-Mannschaft. Mein Leben in Südafrika war Sport.

Gut, als Sportler warst du gesetzt. Und wie war es mit der Schule?

Meine Noten waren nicht schlecht, und ich kam ohne Probleme durch. Zusätzlich entwickelte sich eine weitere Leidenschaft, die mein Selbstbewusstsein enorm steigerte.

Nun kommen wir wohl zur Musik?

Ja, ich durfte mich schon auf der Schule als kleiner und geliebter Star fühlen, denn während mein Ansehen als Sportler wuchs, wurde ich auch der Sänger von The Strangers. Das war meine erste richtige Band, und wir wurden in Durban sehr schnell populär.

Na, jetzt klingt es wirklich wie in einem Film.

Für mich war es auch so. Und ich habe es in vollen Zügen gelebt.

Wenn deinem Vater das tadellose Ansehen der Carpendales so wichtig war – hat er dann nicht auch erwartet, dass du politisch oder unternehmerisch in seine Fußstapfen trittst?

Nein. In dieser Hinsicht hat er mich völlig in Ruhe gelassen. Er wünschte mir nur eine sehr erfolgreiche Karriere – in welcher Branche auch immer. Der Name war ihm stets wichtig. Irgendwann, als ich musikalisch langsam ins Profilager aufstieg, habe ich ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich den Künstlernamen Brett Dale tragen wolle. Da war er unendlich enttäuscht – und hat mir klar zu verstehen gegeben, dass ich dann nicht mehr nach Hause zu kommen bräuchte. Meine Idee mit dem Künstlernamen war damit nach einer Woche erledigt.

Wie war eigentlich dein Verhältnis zu deinen Schwestern?

Beide waren älter als ich – Anne vier Jahre, Jean acht Jahre. Anne und ich hatten nie ein herzliches Verhältnis. Wir haben uns oft gestritten. Jean und ich waren uns wesentlich näher.

Und Jean hat sich dann mehr um ihren kleinen Bruder gekümmert?

Sie war auch oft weg, aber unterm Strich war sie zumindest die­jenige, die am meisten zu Hause war. Als „kümmern“ konnte man das aber sicher nicht bezeichnen.

Hast du noch Kontakt zu den beiden?

Leider sind beide viel zu früh gestorben, sodass viele Fragen, die wir vielleicht aneinander gehabt hätten, nicht mehr gestellt werden konnten. Ich habe auf meine ganz persönliche Art meinen Frieden mit der Erinnerung geschlossen und vermisse nichts.

Gibt es denn noch Familie in Südafrika?

Ja, Jeans Töchter leben noch dort, und wir schreiben uns oft E-Mails. So bekomme ich immer aus erster Hand mit, was gerade in Südafrika passiert, wie die Atmosphäre im Land ist.

Deine Söhne Wayne und Cass sind nicht zusammen aufgewachsen. Wie gestaltete sich ihre Erziehung?

Wayne hatte drei Menschen an seiner Seite, die ihn unterschiedlich geprägt haben: Claudia, Donnice und mich. Also zwei Mütter, ein Vater. Claudia kann perfekt und einfühlsam mit Kindern umgehen. Als Lehrerin musste sie jeden Tag kritische Momente bewältigen und zwangsläufig teilweise auch die Erziehung anderer Kinder übernehmen. Übrigens ein Talent, das ich an ihr sehr bewundere. Donnice war von Anfang an die Freundin, die Wayne immer zur Seite stand.

Bei Waynes Erziehung gab es zwei entscheidende Situationen für mich. Er war zwölf Jahre alt, als wir intensiv über das Thema Drogen gesprochen haben. Ich bat ihn damals: Falls er mit Drogen in Berührung kommen würde, dann sollte er sie das erste Mal gemeinsam mit mir ausprobieren. Das hat ihn sehr geprägt. Jedenfalls haben wir bis heute nie gemeinsam einen Joint geraucht – und er wohl bis heute auch nicht allein. Die zweite Situation war bei einem Tennismatch in Spanien. Ich saß auf der Tribüne. Bei einem Ballwechsel verletzte sich Waynes Gegner und lag am Boden. ­Waynes erste Frage in meine Richtung lautete: „Dad, wer hat jetzt den Punkt gemacht?“ Wenn man, besonders ein Sportler, unfair ist, geht bei mir die rote Lampe an. Nach dem Match habe ich Wayne zu mir gerufen. Er stand vor mir. Zum ersten und letzten Mal habe ich ihm eine geknallt. Mein Bauchgefühl löste diese Reaktion aus. Für Wayne war das eine Lehre fürs Leben. Er hat mir das auch nie übel genommen. Fairness bedeutet ihm heute sehr viel.

Und wie war das mit Cass?

Da waren wir alle in einer anderen Lage. Hier hatte Donnice den größten Part zu erfüllen. Ich war sehr oft in Deutschland und habe meine Karriere gelebt, während sie auf allen Ebenen für Cass da sein musste. Aber immer, wenn ich zu Hause war, lebten wir wie eine ganz normale Familie.

Hat dich dein Vater jemals geohrfeigt?

Wie sagt man auf Deutsch so schön: Er hat mir den Hintern versohlt, weil ich zu meiner Mutter „Shut up!“, also „Halt den Mund!“, gesagt hatte. In der Schule war es schlimmer, und die Schläge waren härter.

Ich dachte, in Südafrika war alles locker und entspannter.

Aber nicht in der Schule, ganz im Gegenteil. Dazu muss ich vielleicht zum besseren Verständnis ein wenig die Struktur erklären. Im letzten Schuljahr wurde ich von den Lehrern zum Prefect gewählt. In Südafrika gilt das als eine der höchsten Auszeichnungen, die du als Schüler erhalten kannst. Von allen Schülern wurden zehn Ausgewählte ernannt, die für die anderen die Verantwortung übernahmen.

Sozusagen als Aufpasser? Worauf?

Ein Prefect hat die Aufgabe, darauf zu achten, dass alle Schüler die Schulordnung einhalten. Am Wochenende war es zum Beispiel Pflicht, die Schuluniform zu tragen, wenn man durch die Stadt lief. Wenn ich also am Wochenende jemanden ohne Uniform sah, musste ich das am Montag dem obersten Prefect melden. Der bestrafte die Betreffenden dann mit jeweils mindestens zwei Stockhieben auf den Hintern. Ich bin stolz darauf, dass ich nach wenigen Monaten meinen Prefect-Posten abgab, weil ich den Job einfach unwürdig fand. Ich wollte meine Kameraden nicht mehr verpfeifen.

Und daraus entstand für dich kein persönlicher Nachteil?

Nein, es wurde akzeptiert. Wobei – es wäre mir auch egal gewesen. Es fühlte sich für mich nicht gut an. Es gab genügend andere, die die Aufgabe sehr gewissenhaft erfüllt haben. Als ich vor ein paar Jahren den Film Das Experiment mit Moritz Bleibtreu sah, erinnerte ich mich sehr an die damalige Zeit und daran, was Macht an der falschen Position auslösen kann.

Wenn wir schon beim Thema Schule sind: Wie fällt deine Bilanz für Wayne und Cass aus?

Mit meinen beiden Söhnen habe ich so ein Schweineglück gehabt. Wayne wollte als Fünfzehnjähriger auf eigenen Wunsch ein Internat in England besuchen. Das fand ich sehr mutig. Die dann folgenden drei Jahre dort haben den Jungen total verändert. Er ist ein sehr guter Schüler und Sportler geworden, er ist zu einem Mann gereift. Er pflegt heute noch Freundschaften von damals. Cass war und ist ein Computerfreak, heute entwickelt er Computerspiele. In der Schule ist er seinen Weg gegangen, und er hat die Uni in Orlando mit summa cum laude abgeschlossen. In vier Jahren hat er nicht einen Tag gefehlt, und er war der Beste in acht Fächern. Cass hat eine ganz besondere Mentalität.

Fazit für beide?

Best boys ever.

Hast du heute ein schlechtes Gewissen, weil du früher als Vater beiden nicht so viel Zeit schenken konntest?

Ja, ein bisschen vielleicht. Die Zeiten, in denen ich unterwegs war, taten manchmal schon weh. Insbesondere Cass gegenüber würde ich mich nicht als tollen Vater bezeichnen. Ich bin heute allerdings sehr stolz darauf, mit dem Gefühl leben zu dürfen, dass mich beide Jungs wirklich, wirklich lieben.

Im Falle, dass du demnächst Großvater werden solltest, würdest du …

Stopp. Ich weiß, was jetzt kommt. Nein, ich würde genauso weitermachen und mein Leben leben. Wenn es dann meinen Rat braucht, bin ich immer da. Aber eines sage ich dir: Meine Enkelkinder wären die Einzigen, die mich „Howie“ nennen dürften.



Das ist meine Zeit

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