Читать книгу Das ist meine Zeit - Howard Carpendale, Melody Clan - Страница 9

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Was kann man heutzutage noch mit dreißig Cent machen? Nicht viel, oder? Eine Kugel Eis bekommt man für diesen Preis schon lange nicht mehr. Ein Brötchen? Vielleicht. Wer an einer Autobahnraststätte auf die Toilette möchte, sollte auch mehr als dreißig Cent dabei haben.

Weswegen ich über dreißig Cent nachdenke? Weil mich diese dreißig Cent nach Deutschland gebracht haben. Als ich Mitte der Sechzigerjahre meine Heimat Südafrika in Richtung London verließ, war für mich überhaupt nicht klar, wohin meine berufliche Reise gehen würde. Sportler oder Sänger? Sänger oder Sportler? Oder etwas ganz anderes? Erfolgreich wollte ich schon werden. So erfolgreich, dass ich auch schon mal auf der Straße von den Menschen erkannt werde. In meinem Kopf wechselten sich etliche Gedankenspiele ab.

Eines Tages ging ich wie so oft mal wieder durch die Straßen Londons und kam an einem Kiosk vorbei. Dort stöberte ich eher aus Langeweile im Zeitschriftenregal und entdeckte den Melody Maker. Ich investierte umgerechnet dreißig Cent, um mir die legendäre Musikzeitschrift zu kaufen. Auf meiner Suche nach Jobs las ich vor allem den Kleinanzeigenteil – und stieß auf eine Annonce: „Popgruppe sucht Sänger.“ Kurze Zeit später rief ich die Telefonnummer an, die unter der Anzeige stand – und musste erst einmal feststellen, dass die fragliche Popgruppe bisher einzig und allein aus einer Frau bestand, die Gitarre spielen konnte. Egal. Die Frau war mir sympathisch.

Kathy und ich suchten gemeinsam nach weiteren Musikern – und fanden sie: zwei Gitarristen, einen Bassisten und einen Schlagzeuger. Diese Jungs wollten einfach nur Musik machen und ein bisschen Geld verdienen. Wir gründeten eine Band und nannten uns Greatful Dead. Der Name war wahrscheinlich wenig einfallsreich, zumal es schon eine bekannte Rockband namens Grateful Dead gab. Letztlich aber ziemlich wurscht. Musik war uns wichtig, der Name eher Beiwerk.

Die Geschichte vom berühmten Zufall? Was wäre aus dir geworden, wenn du dich nicht auf die Anzeige im Melody Maker gemeldet hättest?

Vielleicht hätten wir dann nie an diesem Buch gearbeitet. Wer weiß das schon? Vielleicht hätte ich aber auch ohne diese Anzeige meinen musikalischen Weg gemacht. Schwer zu sagen. Jedenfalls habe ich nach Gründung unserer Band erst mal meine sportlichen Ambitionen auf null heruntergefahren. Als ich nach London kam, war für mich ja vieles denkbar. Ich träumte durchaus auch von einer Profikarriere als Cricketspieler, obwohl ich eigentlich genau wusste, dass mein Talent nicht dazu reichte, um nach ganz oben zu kommen. Ich habe Schiffe beladen, irgendwelche Büros geputzt oder andere Jobs angenommen, um meine Miete bezahlen und leben zu können. Mein Vater schickte mir zu der Zeit monatlich zwar auch immer etwas Geld, mit dem ich mich über Wasser halten konnte. Ich wollte aber unabhängig sein und irgendwann nicht mehr meinem Dad auf der Tasche liegen. Und dann kam diese Anzeige im Melody Maker. Das fühlte sich für mich an wie ein Geschenk.

Und mit der neuen Band habt ihr alle Angebote angenommen, die reinkamen?

So ungefähr, wenn die Kohle für den jeweiligen Auftritt irgendwie passte. Vierzig Mark pro Nase und Abend war in der Anfangsphase so der Durchschnitt – mal gab es mehr, mal etwas weniger. Wir leisteten uns ja auch einen Agenten, der uns die Jobs besorgte. Das klingt jetzt etwas übertrieben, aber hört sich doch gut an, oder? Dieser Agent war von Anfang an Teil des Arrangements. Sein Name war Jim. Kathy hatte nicht nur die Anzeige im Melody Maker aufgegeben, sondern hatte auch diesen Freund mit im Gepäck. Ein junger Farbiger, der etwas von Musik verstand und gute Kontakte hatte. Das war schon klasse, wie Jim die Gigs heranschleppte.

Also ging die Band Greatful Dead auf Clubtour.

Genau. Wir haben gespielt, was das Zeug hielt. Wir haben Songs gecovert; meistens waren wir auf der rockigen Schiene unterwegs. Ich kann dir sagen, es waren manchmal schon harte Stunden in den Clubs. Unter der Woche spielten wir in der Regel von abends um neun bis nachts um drei. Am Wochenende fingen wir bereits um sechs Uhr an und spielten dann bis drei durch. Unsere Band war schon crazy drauf. Zwischendurch flogen die Fetzen, der eine oder andere hatte keinen Bock mehr. Wir fanden aber immer wieder Ersatz.

Euer Agent Jim ebnete euch auch den Weg nach Deutschland?

So ist es. Jim brachte uns nach Deutschland, zunächst einmal nach Düsseldorf. Dann kamen auch Auftritte in Norddeich und Oberhausen. Norddeich war große Klasse, unsere Gigs bei der Wirtin Meta Rogall. Meta war ein unglaublicher Feger. Ihr Musikschuppen in Ostfriesland war legendär. Meta hat für uns gesorgt, den Behördenkram erledigt, sie hat uns jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Eine tolle Frau. Per Zufall ist mir vor einigen Tagen noch ein toller Artikel über diesen Club und unsere Auftritte in die Hände gefallen. Das, was ich da las, versetzt mich komplett wieder zurück in diese schöne Zeit. Folgende Auszüge daraus muss man unbedingt gelesen haben:

„Ausgerechnet im beschaulichen Ostfriesland begann einst die Deutschland-Karriere des gebürtigen Südafrikaners. 1966 gastierte er über mehrere Wochen bei Meta in Norddeich im ,Haus Waterkant‘. Seinerzeit sorgte ,Howie‘ noch als Rock’n’Roller und Elvis-Imitator für Furore.

Es war Anfang August 1966, als ,Waterkant‘-Wirtin Meta Rogall ein Schreiben vom Arbeitsamt Hannover ins Haus flatterte. Darin wurde ihr eine ,englische Beat-Band‘ namens ,Great für Death‘ angepriesen. Tatsächlich nannte sich die – im Übrigen nicht mit dem amerikanischen Hippie-Kollektiv ,Grateful Dead‘ zu verwechselnde – Gruppe ,Greatful Dead‘. Deren Sänger Howard Carpendale hatte bereits in seiner südafrikanischen Heimat Schallplatten aufgenommen und galt zudem als exzellenter Sportler. Mitte der 1960er-Jahre soll er nach England gegangen sein, zunächst in der Absicht, dort als Profi-Cricketspieler Fuß zu fassen. Nachdem das nicht geklappt hatte, besann er sich wieder auf die Musik und machte in dem Zusammenhang auch einen Abstecher nach Deutschland. Nicht zuletzt das Beispiel der ,Beatles‘ hatte ja eindrucksvoll gezeigt, dass ein solcher Trip der Karriere durchaus förderlich sein konnte.

Metas Live-Club beherbergte in den 1960er- und 1970er-Jahren bekanntlich eine stattliche Reihe zum Teil recht namhafter Live-Bands aus dem In- und Ausland. Weil sie ständig Nachschub brauchte, beschloss sie, Carpendale und seine Gruppe für ein mehrwöchiges Gastspiel zu verpflichten. Völlig unkompliziert gestaltete sich das Engagement allerdings nicht. Für Nicht-EU-Ausländer – und seinerzeit war nicht einmal Großbritannien offizielles EU-Mitglied – galten strenge Auflagen, was auch einer der Gründe war, warum die Musiker über das Arbeitsamt vermittelt wurden. Unabdingbare Pflicht war eine Arbeitserlaubnis, die ebenfalls über das Arbeitsamt beantragt werden musste. Obwohl ,Greatful Dead‘ erst ab dem 15. August in Norddeich auftreten sollten, wandte sich Meta laut einem Aktenvermerk bereits am 8. August an die zuständige Behörde im Norden und datierte die mit ihrer Unterschrift gegengezeichnete Arbeitserlaubnis um einen Tag zurück. Dies lässt darauf schließen, dass Howard Carpendale, der laut einem weiteren Aktenvermerk zwischen dem 15. Juli und 4. August in Düsseldorf weilte, die Papiere dringend brauchte, was wiederum die Vermutung nahelegt, dass er bis dahin keine gültige Arbeitserlaubnis besaß. Faktisch hätte er sich damit illegal in Deutschland aufgehalten. So etwas passierte damals häufiger. Junge Musiker hatten andere Dinge im Kopf, als sich um bürokratische Banalitäten zu kümmern. Der Leichtsinn wider besseres Wissen konnte aber fatale Konsequenzen haben. Veranstalter, die gegen die Auflagen verstießen, bekamen von den deutschen Behörden Bußgelder von bis zu 1000 Mark aufgebrummt. Wenn die Musiker Pech hatten, wurden sie kurzerhand in ihr Heimatland abgeschoben.

Insgeheim durfte Howard Carpendale Meta deswegen dankbar sein, dass sie ihm und seinen Bandmitgliedern den lästigen Formalkram abgenommen hatte. Den Vorgang selber zu regeln, wäre für ihn wohl schwierig geworden. ,Der sprach ja kein Deutsch‘, weiß Metas Sohn Sven, der zu dem Zeitpunkt knapp acht Jahre alt war. Probleme bereiteten Carpendale darüber hinaus das raue Nordseeklima und gewisse regionale kulinarische Gepflogenheiten. Grundsätzlich war es ihm in ,Ostfreezeland‘ viel zu kalt. Und als Svens Oma gerade ein paar fangfrische Krabben auspulte, erschrak der Südafrikaner, weil er dachte, das wären Würmer.

Passend dazu präsentierte sich der semmelblonde Schönling gerne in schickem Anzug und mit ordentlich gebundener Krawatte. Das ebenso kritische wie verwöhnte Norddeicher Publikum begegnete dem vermeintlichen Softie anfangs noch skeptisch, legte seine Zurückhaltung jedoch schnell ab, als klar wurde, dass der Mann sein Handwerk offensichtlich verstand. Zwar besaß Carpendale bereits zu Beginn seiner Karriere ein Faible für Balladen und hing sehr am traditionellen Rock’n’Roll. Aber den brachte er nach übereinstimmenden Aussagen diverser Zeitzeugen richtig gut rüber. ,Howard ist ein exzellenter Sänger – insbesondere seine Elvis-Imitationen waren früher klasse und sind es bis heute‘, meint Burkhard Eilts, der in den 1960er-Jahren bei den Norder ,Merrybeats‘ musizierte und zwecks Anschauungsunterricht regelmäßig zum ,Haus Waterkant‘ pilgerte. Eilts erinnert sich auch an eine nette Anekdote, in der Carpendale seine Kollegialität als Musiker unter Beweis stellte. ,Uns ereilte ein Hilferuf eines befreundeten Gitarristen, der bei einem Gig in Wiesbaden sein Instrument verpfändet hatte‘, erzählt Eilts. ,Howard ließ sich daraufhin 400 Mark von seiner Gage auszahlen und ist hingefahren, um das Ding bar auszulösen.‘

Weniger erfreulich verlief unterdessen das ostfriesische Gastspiel der ,Greatful Dead‘ für Meta Rogall. Zum einen reagierte sie maßlos verärgert, dass die Bassistin Patricia Hill wegen ihres ultrakurzen Minirocks die Blicke der jungen Männer im Publikum auf sich zog. Bis dahin war eigentlich der Rocksaum der Hausherrin das absolute Maß der Dinge gewesen. Zum anderen kam es irgendwann innerhalb der Band zu einer Schlägerei, bei der eine Scheibe zu Bruch ging. Dieser Vorfall ist ebenfalls fein säuberlich dokumentiert. Meta ließ sich einen Schuldschein ausstellen, in dem sich einer der Musiker handschriftlich verpflichtete, ihr binnen vier Tagen einen Betrag in Höhe von 136 DM zwecks Wiedergutmachung des Schadens zu überweisen.

Und Howard Carpendale? Ohne gültige Papiere hätte er unter den damaligen Umständen selbst in England bald Schwierigkeiten bekommen. Für arbeitslose ausländische Musiker herrschte dort zeitweilig Einreisestopp. Im ungünstigsten Fall hätte es für ihn ,Hello again South Africa‘ geheißen, sprich: Ihm hätte die Abschiebung in seine Heimat gedroht. Zu seinem Glück fand der Sänger rechtzeitig eine neue Plattenfirma. Im November 1966 erschien seine erste deutschsprachige Single ,Lebenslänglich‘, die sich auf Anhieb 60 000 mal verkaufte. Für einen Newcomer war das ein respektabler Achtungserfolg. Carpendales Vertrag wurde verlängert. Eine Arbeitserlaubnis war damit nunmehr eine reine Formsache, zumal die deutschen Behörden ihr restriktives Verhalten gegenüber ausländischen Musikern inzwischen ohnehin erheblich gelockert hatten.“

[aus: Ein Südafrikaner in Ost„freeze“land, Mein Sonntagsblatt, 2.3.2014]

Howard, wenn ich das so lese: Bei Meta war ja richtig was los.

Oh ja. Unsere Band hat dort die Sau rausgelassen. Ja, es war wirklich Sex, Drugs and Rock’n’Roll pur. Unsere Bassistin Patricia Hill trug manchmal tatsächlich einen Minirock, der schon gar nicht mehr den Namen Minirock verdiente. Das Ding war so kurz – da hätte sie sich gleich nackig auf die Bühne stellen können. Die Männer im Publikum hatten alles andere als ihren Bass im Visier.

Warum gab es diese Prügelei innerhalb der Band?

Ich weiß es nicht mehr. Wir waren alle etwas bekloppt, da konnte manchmal schon ein falsches Wort das Fass zum Überlaufen bringen. Auf jeden Fall haben wir den Schaden mit der kaputten Scheibe bezahlt und uns brav bei Meta entschuldigt. Bei dieser Schlägerei war ich übrigens gar nicht mit dabei. Dafür hatte ich mal eine andere handfeste Auseinandersetzung mit unserem Gitarristen, besser gesagt, Ex-Gitarristen.

Und die Story dazu?

Dieser Typ hatte sich über Nacht aus dem Staub gemacht. Das alleine wäre ja gar nicht schlimm gewesen. Der Sack hatte aber auch meine Tonanlage mitgehen lassen. Diese Anlage hatte ich mir von meinem hart erarbeiteten Geld gekauft. So etwas lasse ich mit mir nicht machen. Ich bekam raus, wo er sich aufhielt – in Ostfriesland, ganz bei Meta in der Nähe. Als er mir die Tür öffnete, verpasste ich ihm eine harte Rechte. Als Boxer war ich ja noch nie zu unterschätzen. Aber: Der Typ hatte gute Nehmerqualitäten, er ging nicht zu Boden, sondern verpasste mir einen ebenso satten Schlag. Es folgte eine wilde Prügelei, einige Möbel überstanden den Kampf nicht. Meine Blessuren waren halb so schlimm, er hatte ein paar Kratzer mehr. Am Ende hatte ich ihn im Schwitzkasten, bis er mir endlich ein Blatt Papier unterschrieb, auf dem stand, dass man mir die Tonanlage aushändigen dürfe. Meine Tonanlage, die er im Hauptbahnhof Duisburg aufbewahren ließ. Weiß der Geier, warum er sie nach Duisburg gebracht hatte. Ich bekam jedenfalls meine Anlage wieder zurück.

Und wie lief die Geschichte mit deiner Arbeitserlaubnis?

Das war schon so, wie es in der Story über Meta und unsere Band zu lesen ist. Meta hat sich darum gekümmert. Glücklicherweise. Mit diesem ganzen Papierkram wollte ich nichts zu tun haben. Ich hatte auch überhaupt keinen Plan. Später war das sowieso kein Problem mehr, als ich meine ersten Hits landete und erfolgreicher wurde.

In Deutschland bist du einfach mal zu einer Plattenfirma marschiert, um dich vorzustellen?

Na ja, ich hatte von der Plattenfirma EMI aus England eine Art Empfehlungsschreiben bekommen, mit dem ich mich bei der Firma Electrola in Köln vorstellen sollte. Das habe ich gemacht – und bin so zu Dieter Weidenfeld vorgedrungen, der mich später ja auch gemanagt hat. Bei unserem ersten Treffen war er mir gegenüber ziemlich reserviert. Möglicherweise, weil er zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass er nicht mehr lange bei dieser Plattenfirma sein würde. Ein paar Tage später war er jedenfalls nicht mehr da. Aber er hatte dafür gesorgt, dass sein Nachfolger mit mir arbeiten wollte. Kurze Zeit darauf durfte ich bei dem großartigen Paul Kuhn vorsingen und dann sogar das Lied „Lebenslänglich“ aufnehmen. Mit dem Song landete ich meinen ersten Hit, die Single wurde etwa sechzigtausend Mal verkauft. Geil! Aber es war noch viel besser: Ich stieg auch in die Charts von RTL Luxemburg ein – zwischen den Beatles und den Rolling Stones.



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