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H. P. Lovecraft: DAS PEABODY-ERBE

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Ich habe meinen Urgroßvater Asaph Peabody nie gekannt, obgleich ich schon fünf Jahre alt war, als er auf seinem großen alten Besitz nordwestlich der Kleinstadt Wilbraham in Massachusetts starb. Es gibt noch die Kindheitserinnerung an einen dortigen Besuch, als der alte Mann krank im Bett lag; mein Vater und meine Mutter gingen in sein Schlafzimmer hinauf, aber ich blieb mit meinem Kindermädchen unten und sah ihn niemals. Man sagte von ihm, er sei reich, aber die Zeit nagt am Reichtum wie an allen anderen Dingen, denn selbst Stein ist sterblich, und allein das Geld konnte den verheerenden Wirkungen der immer höher werdenden Besteuerung gewiss nicht widerstehen und nahm mit jedem Tod ein bisschen mehr ab. Und es gab viele Tode in unserer Familie nach dem Dahingehen meines Urgroßvaters im Jahre 1907. Zwei meiner Onkel starben danach - einer fiel an der Westfront, und der andere ging mit der Lusitania unter. Da vor ihnen noch ein dritter Onkel gestorben war und keiner von ihnen je geheiratet hatte, fiel der Besitz nach dem Tod meines Großvaters im Jahre 1919 an meinen Vater.

Mein Vater war kein Mann der Provinz, obgleich die meisten seiner Vorfahren es gewesen waren. Er hatte kaum Neigung für das Landleben und unternahm keine Anstrengungen, sich um den geerbten Besitz zu kümmern. Er legte nur das Geld meines Urgroßvaters in Boston und New York an. Auch meine Mutter teilte mein Interesse für das ländliche Massachusetts nicht im geringsten. Doch sie hätten beide keinesfalls einem Verkauf zugestimmt, obgleich meine Mutter bei einer Gelegenheit, als ich gerade Ferien vom College hatte, vorschlug, den Besitz zu veräußern, aber mein Vater ließ das Thema fallen; ich erinnere mich noch, dass er plötzlich zu Eis wurde - es gibt keinen passenderen Ausdruck, um seine Reaktion zu beschreiben -, und an seine eigenartige Anspielung auf das Peabody-Erbe sowie an seine sorgfältig gewählten Worte: »Großvater sagte voraus, einer von seinem Blut würde das Erbe wiederbeleben.« Meine Mutter hatte spöttisch gefragt: »Welches Erbe? Hat dein Vater nicht fast alles ausgegeben?« worauf mein Vater nichts antwortete und den Fall auf diese Weise mit der eisigen Schlussfolgerung beschloss, es gäbe bestimmte gute Gründe dafür, dass der Besitz nicht verkauft werden könne, als sei er ein unveräußerliches Gut und entziehe sich jeder juristischen Prozedur. Doch er kam niemals auf den Besitz oder auch nur in dessen Nähe; die Steuern wurden regelmäßig von einem gewissen Ahab Hopkins, Anwalt in Wilbraham, gezahlt, der meinen Eltern über den Zustand des Besitzes berichtete, obgleich sie diese Berichte niemals lasen und jeden Vorschlag, das Haus instandzuhalten, mit den Worten ablehnten, damit werfe man nur gutes Geld hinter schlechtem her.

Der Besitz wurde absichtlich verlassen und aufgegeben; und verlassen blieb er auch. Der Anwalt hatte ein- oder zweimal halben Herzens versucht, ihn zu vermieten, doch selbst eine kurze Wirtschaftsblüte in Wilbraham hatte nicht mehr als ein paar vorübergehende Mieter in das alte Haus gebracht, und der Peabody- Besitz war der Zeit und dem Wetter ohne Erbarmen ausgeliefert. Er war also in einem traurigen Zustand des Verfalls, als er nach dem plötzlichen Tod meiner Eltern bei einem Verkehrsunfall im Herbst 1929 an mich fiel. Trotz der sinkenden Immobilienpreise nach Beginn der Weltwirtschaftskrise in jenem Jahr beschloss ich, mein Haus in Boston zu verkaufen und das Haus bei Wilbraham für mich zu renovieren. Meine Eltern hatten mir genug hinterlassen, so dass ich es mir leisten konnte, meinen Beruf als Rechtsanwalt, der von mir immer mehr Genauigkeit und Aufmerksamkeit gefordert hatte, als ich ihm widmen wollte, an den Nagel zu hängen.

Ein solcher Plan konnte allerdings erst ausgeführt werden, wenn zumindest ein Teil des alten Hauses wieder soweit instandgesetzt war, dass man es bewohnen konnte. Das Haus selbst war das Produkt vieler Generationen. Erbaut im Jahre 1787, war es ein einfaches Haus im Kolonialstil mit strengen Linien, einem unvollendeten zweiten Stockwerk und vier eindrucksvollen Säulen an der Vorderseite. Doch mit der Zeit wurde das zum Hauptteil des Hauses, genauer gesagt zum Herzen. Spätere Generationen hatten es umgebaut und Anbauten vornehmen lassen - zuerst eine freischwebende Treppe und ein zweites Stockwerk; dann verschiedene Flügel, so dass es zu dem Zeitpunkt, als ich es für meinen Einzug vorbereitete, ein großes, unregelmäßiges Bauwerk war, das mit dem Rasen und den Gärten, die ebenso vernachlässigt waren wie das Haus, mehr als einen Morgen einnahm.

Die strengen Linien des Kolonialstils waren durch das Alter und weniger rücksichtsvolle Bauherren verwässert worden, und die Architektur war nicht mehr rein, denn Giebeldächer wechselten mit Mansarden, kleine Fensterscheiben mit großen, figurative und sorgfältig gemeißelte Simse mit schmucklosen, Dachluken mit durchgehenden Dachflächen. Alles in allem war der Eindruck, den das alte Haus machte, nicht unangenehm, doch architektonischen Puristen musste es wie ein trauriges und misslungenes Konglomerat architektonischer Stile und Verzierungen Vorkommen. Jeder derartige Eindruck musste jedoch einfach durch die gewaltigen Kronen der alten Ulmen und Eichen gemildert werden, die sich von allen Seiten außer dem Garten über das Haus wölbten. Der Garten selbst war zwischen den so lange nicht beschnittenen Rosen von jungen Pappeln und Birken erobert worden. Trotz der Teile, die von der Zeit und verschiedenen Geschmäckern hinzugefügt waren, machte das Haus insgesamt den Eindruck verblichener Pracht, und selbst seine ungetünchten Wände passten zu den großstämmigen Bäumen überall in seinem Umkreis.

Das Haus hatte nicht weniger als siebenundzwanzig Zimmer. Von diesen suchte ich zunächst drei im Südostflügel zur Renovierung aus, und den ganzen Herbst und Frühwinter fuhr ich von Boston nach Wilbraham, um den Fortgang des Abenteuers zu überwachen. Als das alte Holz gesäubert und gebohnert war, kam seine wundervolle Farbe wieder zum Vorschein, als die Elektrizität installiert war, verschwand das Dunkel aus den Räumen, und nur die Wasserleitungen konnten erst Ende des Winters gemacht werden ; aber am vierundzwanzigsten Februar konnte ich das Heim meiner Ahnen beziehen. Dann war ich einen Monat lang mit Plänen für das restliche Haus beschäftigt, und obgleich ich zunächst erwogen hatte, einige der Anbauten abreißen zu lassen und nur die ältesten Teile des Gebäudes zu erhalten, gab ich dieses Projekt bald zugunsten der Entscheidung auf, das Haus so zu lassen, wie es war, denn es besaß einen Zauber, dem man sich nicht entziehen konnte und der zweifellos nicht nur auf die vielen Generationen, die hier gewohnt hatten, sondern auch auf den Atem der Ereignisse zurückging, die in seinen Mauern stattgefunden hatten.

In diesem Monat verliebte ich mich immer mehr in das Haus, und was ursprünglich in erster Linie nur als vorübergehender Wohnsitz geplant war, wurde jetzt zu einem Lebensideal. Doch zu meinem Unglück nahm das Ideal solche Ausmaße an, dass es mich bald zu großen Schritten veranlasste, die allmählich meine Richtung änderten und mich auf einen Weg führten, den ich nie hatte einschlagen wollen. Ich fasste nämlich den Entschluss, die sterblichen Überreste meiner Eltern, die in einem Bostoner Grab ruhten, in die Familiengruft zu überfuhren, die in Sichtweite des Hauses, aber in einiger Entfernung von der kurz vor dem Besitz vorbeiführenden Straße in einen Hügel hineingebaut worden war. Außerdem beschloss ich auch, mich darum zu bemühen, die Gebeine meines Onkels, die irgendwo in Frankreich ruhten, wieder in die Vereinigten Staaten zu bringen und die Familie so auf dem Land der Ahnen bei Wilbraham wieder zu vereinen. Es war einer jener Pläne, wie sie einem Junggesellen Und menschenscheuen Einzelgänger einfallen, der ich in der kurzen Spanne eines Monats, umgeben von Architektenzeichnungen und dem Zauber des alten Hauses, geworden war, das nun in einer neuen Zeit, weit, weit entfernt von seinen einfachen Anfängen, einem neuen Leben entgegengehen sollte.

Um diesen Plan durchzuführen, machte ich mich an einem Tag im März mit den Schlüsseln, die der Anwalt für den Besitz mir übergeben hatte, zur Familiengruft auf. Die Gruft war unauffällig, außer der massiven Tür war praktisch nichts von ihr zu sehen, denn sie war in einen natürlichen Abhang hineingebaut worden und wurde fast versteckt von den Bäumen, die seit Jahrzehnten gewachsen waren, ohne dass man sie beschnitten hätte. Die Tür und auch die Gruft waren für Jahrhunderte gebaut; sie war fast so alt wie das Haus, und seit dem alten Jedediah, der das Haus als erster bewohnt hatte, waren seit vielen Generationen alle Familienangehörigen dort zur letzten Ruhe gebettet worden. Die Tür bot mir etwas Widerstand, da man sie seit Jahren nicht mehr geöffnet hatte, aber zuletzt gab sie meinen Bemühungen nach, und vor mir öffnete sich die Gruft.

Die Toten der Familie Peabody lagen in ihren Särgen - siebenunddreißig, einige in Nischen, andere freistehend. Einige der Nischen, in denen die ältesten Peabodys gelegen hatten, enthielten nur noch die Reste von Särgen, während die für Jedediah reservierte Nische völlig leer und noch nicht einmal mit dem Staub bedeckt war, der anzeigte, dass hier einst Sarg und sterbliche Überreste geruht hatten. Sonst schien aber alles in Ordnung mit Ausnahme des Sarges, der den Körper meines Urgroßvaters Asaph Peabody enthielt; er schien auf eigenartige Weise verrückt worden zu sein und stand nicht mehr in einer Reihe mit den anderen, den neueren, den von meinem Großvater und einem meiner Onkel, die keine eigenen Nischen hatten, sondern einfach auf einem steinernen Sims ruhten, das man von der Nischenwand in das Innere der Gruft gebaut hatte. Außerdem machte er den Eindruck, als habe jemand den Deckel geöffnet oder zu öffnen versucht, denn eines der Scharniere war gebrochen und das andere gelockert.

Mein Versuch, den Sarg meines Urgroßvaters wieder zurechtzurücken, war instinktiv, doch während ich es tat, verrutschte der Deckel noch mehr und glitt teilweise hinunter, meinem erschreckten Blick alles freigebend, was von Asaph Peabody übriggeblieben war. Ich sah, dass er aufgrund eines schrecklichen Irrtums mit dem Gesicht nach unten bestattet worden war - ich wollte einfach nicht daran denken, auch nicht nach so langer Zeit, dass man den alten Mann vielleicht im Starrkrampf beerdigt hatte und er deshalb in jenem engen, luftleeren Behältnis einen qualvollen Tod gestorben war. Nichts als Knochen war übrig, Knochen und Teile seiner Kleidung. Trotzdem fühlte ich mich gezwungen, das Resultat von Irrtum oder Unglücksfall, was immer es sein mochte, zu ändern, und drehte Schädel und Knochen so herum, dass das Skelett meines Urgroßvaters wieder in der richtigen Position lag. Dieser Vorgang, der unter anderen Umständen vielleicht schaurig gewesen wäre, schien nur natürlich, da die Gruft durch den Schein der Sonne und die auf ihrem Boden tanzenden Schatten belebt war, und zu dieser Stunde war sie kein düsterer Ort. Aber ich war schließlich hergekommen, um mich zu vergewissern, wieviel Platz es noch in der Gruft gab, und ich war erfreut festzustellen, dass genügend Raum für meine Eltern, meinen Onkel - wenn man seine Überbleibsel in Frankreich finden und von dort hierher bringen könnte - und dann noch für mich vorhanden war.

Ich bereitete mich also darauf vor, meine Pläne weiter auszuführen, schloss die Tür der Gruft sorgfältig hinter mir ab und kehrte ins Haus zurück, wobei ich über Mittel und Wege nachsann, die Überreste meines Onkels wieder ins Land seiner Väter zu bringen. Ohne Zeit zu verlieren, schrieb ich an die zuständigen Behörden in Boston wegen der Überführung meiner Eltern und an die des Bezirks, in dem ich jetzt wohnte, wegen der Erlaubnis, meine Eltern in der Familiengruft neu zu bestatten.

Die einzigartige Kette der Ereignisse, die sich auf das alte Peabody-Haus zu konzentrieren schienen, begann, soweit ich mich erinnern kann, genau in jener Nacht. Sicher, man hatte mich irgendwie dunkel gewarnt, mit dem alten Gebäude könne etwas nicht in Ordnung sein, denn der alte Hopkins hatte mich bei der Schlüsselübergabe und als ich gerade wieder Besitz vom Haus ergreifen wollte, eindringlich gefragt, ob ich sicher sei, dass ich diesen Schritt unternehmen wolle, und bei seinem Hinweis, das Haus sei irgendwie ein sehr einsamer Ort, die benachbarten Farmer seien den Peabodys niemals freundlich gesonnen gewesen und es sei immer irgendwie schwierig gewesen, die Mieter zu halten, war er ähnlich beharrlich gewesen. Es sei einer jener Plätze, sagte er und schreckte fast davor zurück, sich bestimmt auszudrücken, die niemand für ein Picknick aussucht. Dort werden Sie niemals Pappteller oder Servietten finden! - lauter vage Äußerungen, die der alte Mann auf keinen Fall auf Tatsachen reduzieren wollte, da es offensichtlich keine Tatsachen gab, außer dass den Farmern ein Besitz von solcher Größe, der andernfalls gutes Farmland abgegeben hätte, ein Dom im Auge war. Es stimmt, das Farmland erstreckte sich rund um meinen Besitz von knapp vierzig Morgen, das meiste davon Wald - eine Landschaft sauberer Felder, Steinwälle, Zäune, an denen Bäume wuchsen und Gesträuch den Vögeln Unterschlupf bot. Altmännergeschwätz, dachte ich, veranlasst durch seine Verwandtschaft mit den Farmern, die mein Land umgaben; solide, kräftige Yankees, keinen Deut anders als die Peabodys, nur dass sie schwerer und vielleicht länger arbeiteten.

Doch in dieser Nacht, als die Märzwinde in den Bäumen um das Gebäude heulten und sangen, wurde ich irgendwie von der Vorstellung gepackt, ich sei nicht allein im Haus. Es erklang ein Geräusch nicht so sehr von Fußschritten wie von einer Bewegung irgendwo oben, die sich nicht beschreiben ließ, nur dass sie an jemanden erinnerte, der in einem kleinen Raum umhergeht, hin und her, hin und her. Ich weiß noch, dass ich hinausschritt in den großen dunklen Raum, in den die freischwebende Treppe hinabführte, und in die Dunkelheit oben lauschte; das Geräusch schien nämlich über den Stufen zu schweben, manchmal deutlich, manchmal nur ein Huschen; während ich dort stand und lauschte, lauschte, lauschte und versuchte, seine Quelle zu identifizieren, versuchte, mir eine vernünftige Erklärung dafür zurechtzulegen, da ich es vorher nie gehört hatte, kam ich endlich zu dem Schluss, ein Baumzweig müsse so vom Wind gegen das Haus gedrückt werden, dass er es immer wieder streife, hin und her. Damit zufrieden, kehrte ich in meine Zimmer zurück und wurde nicht mehr dadurch gestört - nicht, dass es aufgehört hätte, denn das tat es nicht, aber ich hatte eine vernünftige Erklärung für seine Existenz gefunden.

Für die Träume, die ich in jener Nacht hatte, eine vernünftige Erklärung zu finden, war weit schwieriger. Obgleich gewöhnlich nicht von Träumen verfolgt, war ich buchstäblich besessen von den phantastischsten Trugbildern des Schlafes, in denen ich eine passive Rolle spielte und allen möglichen Verzerrungen der Zeit und des Raumes, Sinnestäuschungen und dem wiederholten furchterregenden Anblick einer schattenhaften Gestalt mit spitzem schwarzen Hut und einer gleichfalls schattenhaften Kreatur an ihrer Seite ausgesetzt war. Diese erblickte ich dunkel, wie durch ein Glas, und die dämmrige Landschaft wie durch ein Prisma. Ich litt übrigens nicht so sehr unter Träumen, als unter Traumbruchstücken, die alle weder Anfang noch Ende hatten, sondern mich in eine unendlich bizarre und fremdartige Welt einluden, wie durch eine andere Dimension, die mir in der irdischen Welt jenseits des Schlafes nicht bewusst war. Aber ich überstand diese ruhelose Nacht, wenn auch etwas mitgenommen.

Bereits am folgenden Tage erfuhr ich eine außerordentlich interessante Tatsache von dem Architekten, der herkam, um mit mir meine Pläne zur weiteren Renovierung zu besprechen, einem jungen Mann, der nichts auf die absonderlichen Ansichten über alte Häuser gab, die in abgelegenen ländlichen Gegenden so verbreitet sind. »Werdas Haus so betrachtet, würde nie auf die Idee kommen«, sagte er, »dass es ein Geheimzimmer hat - sehr gut versteckt - oder?«, erklärte er, seine Zeichnungen vor mir ausbreitend.

»Und hat es das?«, fragte ich.

»Vielleicht ein Priesterloch«, vermutete er. »Oder für entlaufene Sklaven.«

»Ich habe es nicht gesehen.«

»Ich auch nicht. Aber sehen Sie...« Und er zeigte mir an den Plänen, die er nach den Fundamenten und den Zimmern, wie wir sie kannten, rekonstruiert hatte, dass es oben an der Nordmauer, im ältesten Teil des Hauses, einen geheimen Raum geben musste. Bestimmt kein Priesterloch; unter den Peabodys gab es keine Papisten. Aber entlaufene Sklaven - vielleicht. Doch wenn das der Fall war, wieso war es so früh entstanden, bevor es genug Sklaven gab, die nach Kanada flüchteten, um die Existenz des Raumes zu rechtfertigen? Nein, das war es auch nicht.

»Glauben Sie, dass Sie es finden?«, fragte ich.

»Es muss dort sein.«

Und so war es in der Tat. Geschickt versteckt, obwohl das Fehlen eines Fensters in der Nordwand des Schlafzimmers schon früher zu einer Untersuchung hätte geführt haben müssen. Die Tür zu ihm war in dem feinen Schnitzwerk verborgen, das die gesamte betreffende Wand schmückte, die aus rotem Zedernholz bestand; hätte man nicht gewusst, dass der Raum dahinter sein musste, würde man die Tür nicht gefunden haben, die keinen Griff besaß und nur durch Druck auf eine der Schnitzereien zu betätigen war, die der Architekt fand, nicht ich, denn ich hatte nie ein Talent für derartige Dinge gehabt. Es gehörte jedoch mehr zur Domäne eines Architekten als zu meiner, und ich blieb lange genug stehen, um den rostigen Mechanismus der Tür studieren zu können, bevor ich den Raum betrat.

Es war ein enges Kabinett. Es war aber nicht so klein wie ein Priesterloch; ein Mann konnte aufrecht drei Meter oder so darin gehen, obgleich die Neigung des Daches es unmöglich machte, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen. In Längsrichtung, ja; quer zum Dach, nein. Was mehr war, der Raum machte alle Anzeichen, in vergangener Zeit bewohnt gewesen zu sein, denn er war unberührt, es lagen noch Bücher und Dokumente herum, und es gab auch Stühle, die an einem kleinen Schreibtisch an einer Wand benutzt worden waren.

Der Raum machte einen sehr absonderlichen Eindruck. Er war zwar klein, doch seine Ecken schienen verdreht, als wäre der Erbauer entschlossen gewesen, den Besitzer schlau hinters Licht zu fuhren. Außerdem waren auf dem Fußboden absonderliche Zeichnungen, von denen manche, ungefähr kreisförmig, in einer rohen und barbarischen Art in die Planken geschnitzt waren und an den inneren und äußeren Rändern alle möglichen, eigenartig abstoßenden Figuren zeigten. Der Schreibtisch war ähnlich abstoßend, denn er war nicht braun, sondern schwarz und machte überraschenderweise den Eindruck, als sei er angebrannt; er wirkte in der Tat, als habe er nicht nur als Schreibtisch gedient. Überdies lag auf ihm ein Stapel, der auf den ersten Blick aus sehr alten Büchern zu bestehen schien, die in irgendein Leder gebunden waren, sowie ein ähnlich gebundenes Gebilde, das wie ein Manuskript aussah.

Es blieb jedoch kaum Zeit für eine genauere Untersuchung, denn der Architekt war bei mir, und hatte es, nachdem er alles gesehen hatte, was er wollte und was gerade ausreichte, um die von ihm vermutete Existenz des Raumes zu bestätigen, eilig, wieder hinauszukommen.

»Sollen wir Vorbereitungen treffen, ihn einzureißen und ein Fenster einzubauen?«, fragte er. »Sie wollen ihn natürlich nicht behalten.«

»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Ich bin nicht sicher. Es hängt davon ab, wie alt er ist.«

Wenn der Raum so alt war, wie er wirkte, würde ich natürlich zögern, ihn zu zerstören. Ich brauchte eine Gelegenheit, ein bisschen umherstöbern zu können, die alten Bücher zu untersuchen. Außerdem bestand kein Anlass zur Eile; diese Entscheidung brauchte nicht sofort getroffen zu werden; es gab andere Dinge, die der Architekt tun konnte, ehe einer von uns sich über den Geheimraum oben Gedanken zu machen brauchte. Dabei blieb die Sache vorerst.

Ich hatte die feste Absicht, den Raum am nächsten Tag wieder aufzusuchen, doch es kam Verschiedenes dazwischen. Zunächst verbrachte ich noch eine sehr unruhige Nacht, Opfer immer wiederkehrender Träume außerordentlich beängstigender Art, für die ich keinerlei Erklärung hatte, denn außer als Begleiterscheinungen von Krankheiten hatte ich niemals einen Hang zum Träumen gehabt. Diese Träume drehten sich, vielleicht ganz natürlich, um meine Vorfahren, besonders um einen langbärtigen alten Burschen mit einem spitzen, schwarzen, seltsam geformten Hut, dessen Gesicht ich im Traum nicht erkannte, das aber in Wirklichkeit meinem Urgroßvater Asaph gehörte, wie eine Reihe von Familienporträts im unteren Flur mir am nächsten Morgen bestätigte. Dieser Vorfahre schien bei einer außergewöhnlich seltsamen Prozession durch die Luft begriffen, ganz als ob er flöge.

Ich sah ihn durch Wände gehen, auf der Luft spazieren, Schatten zwischen Baumkronen werfen. Und wohin er auch ging, wurde er von einer großen schwarzen Katze begleitet, die die gleiche Fähigkeit besaß, die Lichtungen der Zeit und des Raums zu überschreiten. Auch zeigten meine Träume keinerlei Fortgang, bildeten noch nicht einmal jeder für sich irgendeine Einheit; sie waren eine zusammengewürfelte Folge von Szenen, an denen mein Urgroßvater, seine Katze, sein Haus und sein Besitz wie an unzusammenhängenden Bildern teilhatten. Sie waren eindeutig mit meinen Träumen der vorangegangenen Nacht verwandt und wieder von all jenen außerordentlichen extradimensionalen Trugschlüssen jener ersten nächtlichen Erlebnisse begleitet, von denen sie sich nur dadurch unterschieden, dass sie größere Klarheit besaßen. Diese Träume störten mich beharrlich während der ganzen Nacht.

Ich war also gar nicht in der richtigen Stimmung, um von dem Architekten zu erfahren, dass die Wiederaufnahme der Arbeiten am Peabody-Haus sich noch weiter verzögern würde. Er schien unwillig oder widerstrebend, die Sache zu erklären, doch ich drängte ihn, es zu tun, bis er endlich zugab, dass ihm die Arbeiter, die er eingestellt hatte, ausnahmslos früh am Morgen mitgeteilt hätten, niemand von ihnen wolle an diesem Arbeitsplatz arbeiten. Trotzdem, so versicherte er mir, werde es ihm nicht weiter schwer fallen, einige billige polnische oder italienische Arbeiter aus Boston zu holen, wenn ich ein wenig Geduld haben würde. Ich hatte keine Wahl, war in Wirklichkeit aber nicht so verärgert, wie ich vorgab, denn ich begann irgendwie daran zu zweifeln, ob es klug war, all die von mir beabsichtigten Veränderungen durchzufuhren. Schließlich musste ein Teil des alten Hauses unbedingt so bleiben, wie er war, und lediglich renoviert werden, weil der Zauber des Gebäudes großenteils auf seinem Alter beruhte; ich beschwor ihn also, sich Zeit zu lassen, und verließ das Haus, um die Einkäufe zu erledigen, die ich schon hatte machen wollen, als ich nach Wilbraham gekommen war.

Ich hatte kaum damit begonnen, als ich mir einer äußerst unfreundlichen Haltung von Seiten der Bewohner bewusst wurde. Während sie mich bisher entweder überhaupt nicht beachtet hatten, da viele von ihnen mich nicht kannten, oder mich nur mechanisch gegrüßt hatten, wenn sie bereits meine Bekanntschaft gemacht hatten, fand ich sie jenen Morgen alle gleich abweisend - niemand schien mit mir sprechen zu wollen oder dabei gesehen werden zu wollen, wie er mit mir sprach. Sogar die Ladenbesitzer waren unnötig kurz, wenn nicht eindeutig unfreundlich, und aus ihrem Verhalten ging klar hervor, dass sie es vorziehen würden, wenn ich meine Geschäfte woanders abwickelte. Es war möglich, überlegte ich, dass sie von meinen Plänen, das alte Peabody-Haus zu renovieren, erfahren hatten und vielleicht aus zweierlei Gründen dagegen waren - entweder würde die Renovierung dazu beitragen, seinen Zauber zu zerstören, oder aber sie würde einem großen Stück Land, das die umliegenden Farmer viel lieber bebaut hätten, wenn Haus und Wald erst einmal fort gewesen wären, eine neue Lebensfrist verschaffen.

Meine ersten Gedanken machten jedoch bald ausgesprochener Entrüstung Platz. Ich war kein Paria und verdiente nicht, wie ein solcher gemieden zu werden, und als ich schließlich die Kanzlei von Ahab Hopkins betrat, machte ich mir ihm gegenüber stürmischer Luft, als es meine Gewohnheit war, obgleich ihm das, wie ich sehen konnte, Unbehagen bereitete.

»Ah, gut, Mr. Peabody«, sagte er, meine Aufregung zu beschwichtigen suchend, »ich würde das nicht allzu ernst nehmen. Schließlich haben die Leute einen furchtbaren Schock erlebt und sind im Augenblick böse und misstrauisch. Außerdem ist es sowieso ein abergläubischer Haufen. Ich bin ein alter Mann, und meines Wissens waren sie niemals anders.«

Hopkins Ernst Heß mich zögern. »Ein Schock, sagen Sie? Sie müssen verzeihen - ich habe davon nichts gehört.«

Er schenkte mir einen außerordentlich seltsamen Blick, der mich einigermaßen verwirrte. »Mr. Peabody, an der Straße, wo Ihr Haus liegt, wohnt zwei Meilen weiter eine Familie Taylor. Ich kenne George gut. Sie haben zehn Kinder. Vielleicht hätte ich besser gesagt, sie hatten. Letzte Nacht wurde das jüngste, das etwas über zwei Jahre alt ist, aus dem Bett geraubt und entführt, ohne dass die geringste Spur zurückgeblieben wäre.«

»Es tut mir leid, das zu hören. Aber was hat es mit mir zu tun?«

»Sicher nichts, Mr. Peabody. Aber Sie sind hier vergleichsweise fremd, und, gut... Sie müssen es früher oder später doch erfahren... der Name Peabody hat hier keinen guten Klang - ich kann sogar sagen, er wird gehasst... von vielen Leuten in der Gemeinde.«

Ich war verblüfft und versuchte nicht, es zu verbergen. »Aber warum?«

»Weil es viele Leute gibt, die allen möglichen Klatsch und Tratsch glauben, ganz gleich, wie lächerlich er ist«, antwortete Hopkins. »Sie sind alt genug, um zu begreifen, dass es so ist, auch wenn Ihnen unsere ländliche Welt nicht vertraut ist, Mr. Peabody. Man erzählte sich alle möglichen Geschichten über Ihren Urgroßvater, als ich noch klein war, und in den Jahren, als er das große Haus bewohnte, gab es einige hässliche Kindesentführungen, und von den Kindern wurde niemals eine Spur gefunden, und möglicherweise neigt man nun dazu, diese beiden Ereignisse zu verbinden - ein neuer Peabody im Haus und wieder eines dieser Ereignisse, das man mit einem anderen Peabody in Verbindung brachte.«

»Ungeheuerlich!«, rief ich.

»Zweifellos«, gab Hopkins mit beinahe perverser Liebenswürdigkeit zu, »aber so ist es nun einmal. Außerdem haben wir jetzt April. In einem knappen Monat ist Walpurgisnacht.«

Ich fürchte, mein Gesicht muss so verwirrt gewesen sein, dass es ihn etwas außer Fassung brachte.

»Oh, kommen Sie, Mr. Peabody«, sagte Hopkins mit falscher Jovialität, »Sie wissen doch bestimmt, dass man Ihren Urgroßvater für einen Hexenmeister hielt!«

Außerordentlich beunruhigt verabschiedete ich mich von ihm. Trotz meines Schocks und meines Zorns, trotz meiner Entrüstung über die Art, wie die Einheimischen mir ihre Verachtung und... ja, Furcht zeigten, brachte mich der nagende Verdacht, zwischen den Ereignissen der vergangenen Nacht und denen von heute könnte es irgendeinen Zusammenhang geben, noch mehr außer Fassung. Ich hatte wirklich auf absonderliche Weise von meinem Urgroßvater geträumt, und nun hörte ich, dass man ihn viel eindeutiger schilderte. Ich wusste genug, um zu wissen, dass die Einheimischen meinen Urgroßvater abergläubisch für das männliche Gegenstück einer Hexe gehalten hatten - für einen Hexenmeister oder Zauberer; aber wie immer sie ihn auch bezeichnet hatten, sie harten ihn jedenfalls dafür gehalten. Ich unternahm keinen weiteren Versuch, auch nur höflich zu den Einheimischen zu sein, die den Kopf abwandten, wenn ich in ihre Nähe kam, sondern stieg in mein Auto und fuhr zum Haus. Dort wurde meine Geduld auf eine noch stärkere Probe gestellt, denn an die Haustür fand ich eine rüde Warnung genagelt - ein Stück Papier, auf das irgendein ungehobelter, übelwollender Nachbar mit Bleistift geschrieben hatte: »Weg hier, oder es passiert was.«

Wohl wegen dieser unseligen Vorfälle wurde mein Schlaf in der folgenden Nacht noch weit mehr durch Träume gestört als in den vorigen Nächten. Mit einem größeren Unterschied - die Szenen, die ich sah, während ich mich in ruhelosem Schlaf hin und her wälzte, waren zusammenhängender. Wieder war es mein Urgroßvater, Asaph Peabody, um den sie sich drehten, doch er sah jetzt so unheilverkündend aus, dass er bedrohlich wurde, und seine Katze war bei ihm mit gesträubten Haaren im Genick, nach vorn gespitzten Ohren und aufgerichtetem Schwanz - eine monströse Kreatur, die neben oder hinter ihm dahinglitt oder schwebte. Er trug etwas - etwas Weißes oder Fleischfarbenes, doch das Dunkel meines Traumes erlaubte mir nicht, es zu erkennen. Er ging durch Wälder, über das Land, zwischen Bäumen; er bewegte sich in schmalen Gängen, und einmal, ich war ganz sicher, befand er sich in einem Grab oder einer Gruft. Ich erkannte auch bestimmte Teile des Hauses. Aber er war nicht allein in seinen Träumen - im Hintergrund befand sich immer ein schattenhafter, aber riesiger Schwarzer Mann - kein Neger, sondern ein Mann von solch lebhafter Schwärze, dass er buchstäblich dunkler als die Nacht war, aber mit flammenden Augen, die aus lebendem Feuer zu sein schienen. Bei dem alten Mann befanden sich alle möglichen kleineren Geschöpfe - Fledermäuse, Ratten, abscheuliche kleine Wesen, die halb Mensch und halb Ratte waren. Außerdem hatte ich gleichzeitig akustische Halluzinationen, denn dann und wann war mir, ich hörte ein ersticktes Schreien, als litte ein Kind Schmerzen, und im selben Augenblick ein hässliches kicherndes Lachen und eine singende Stimme: »Asaph wird wieder sein. Asaph wird wieder wachsen.«

Ich hätte wirklich schwören können, dass in meinen Ohren noch das Schreien eines Kindes klang, das genau aus den Wänden zu kommen schien, als ich endlich aus diesem fortgesetzten Alptraum erwachte und das Licht der Morgendämmerung das Zimmer gerade schwach erleuchtete. Ich schlief nicht wieder ein, sondern lag mit weit geöffneten Augen, fragte mich, was die nächste Nacht wohl bringen würde, und die nächste, und die darauffolgende.

Die Ankunft der polnischen Arbeiter aus Boston ließ mich die Träume vorübergehend vergessen. Es waren schwerfällige, ruhige Leute. Ihr Vormann, ein untersetzter Mann namens Jon Cieciorka, ging mit seinen Untergebenen barsch und gebieterisch um; er war ein muskulöser Bursche von ungefähr fünfzig Jahren, und die drei Männer, die er kommandierte, folgten seinen Befehlen hastig, als fürchteten sie seinen Zorn. Sie hatten dem Architekten erzählt, sie könnten in dieser Woche noch nicht kommen, aber ein anderer Auftrag war aufgeschoben worden, erklärte der Vormann, und jetzt seien sie da; sie waren von Boston hergefahren, nachdem sie dem Architekten ein Telegramm geschickt hatten. Aber sie hatten seine Zeichnungen und wussten, was zu tun war.

Die erste Arbeit bestand darin, von der Nordwand des Zimmers unmittelbar unter dem Geheimraum den Verputz zu entfernen. Sie mussten sorgfältig vorgehen, weil die tragende Wand, auf dem das zweite Stockwerk ruhte, nicht erschüttert werden durfte, aber das war auch nicht nötig. Verputz und Fachwerk, die, wie ich sah, als sie anfingen, von der altmodischen handgemachten Art waren, mussten abgenommen und ersetzt werden; der Verputz hatte schon seit Jahren begonnen, sich zu verfärben und abzublättern, so dass der Raum kaum bewohnbar war. So war es auch bei dem Flügel des Hauses gewesen, den ich jetzt bewohnte, doch da ich dort größere Veränderungen hatte vornehmen lassen, hatte es länger gedauert.

Ich schaute den Männern eine Weile bei der Arbeit zu und hatte mich gerade an das Geräusch ihres Hämmerns gewöhnt, als sie plötzlich aufhörten. Ich wartete einen Augenblick, und ging dann hinauf und betrat die Halle. Ich war gerade noch rechtzeitig da, um zu sehen, dass sich alle vier an der Wand zusammendrängten, sich abergläubisch bekreuzigten und dann davonstürzten und aus dem Haus liefen. Als Cieciorka an mir vorbeikam, schleuderte er mir in Entsetzen und Wut einen Beinamen entgegen, den ich nicht verstand. Dann hatten sie das Haus verlassen, und während ich wie angewurzelt stehenblieb, hörte ich ihr Auto starten und von meinem Besitz holpern.

Völlig verwirrt wandte ich mich zu der Stelle, wo sie gearbeitet hatten. Sie hatten einen beträchtlichen Teil des Verputzes und Fachwerks entfernt; es lagen sogar noch einige von ihren Werkzeugen herum. Bei ihrer Arbeit hatten sie jenen Teil der Wand freigelegt, der hinter dem Balken des Fundaments lag, und mit ihm all den Gesteinsschutt, der sich dort im Lauf der Jahre abgelagert hatte. Erst als ich der Wand ganz nahe war, sah ich, was sie gesehen haben mussten, und verstand, was die abergläubischen Gesellen ängstlich und fluchend aus dem Haus getrieben hatte. Denn unten an der Mauer, hinter dem Balken, lagen zwischen seit langem vergilbten Papieren, die von den Mäusen halb zernagt waren, aber immer noch die unverkennbar kabbalistischen Zeichen irgendeiner dunklen Vergangenheit trugen, zwischen frevelhaften Instrumenten des Todes und der Zerstörung - kurze, dolchähnliche Messer, dunkelgefärbt von einer Flüssigkeit, die bestimmt einmal Blut gewesen sein musste - die kleinen Schädel und Knochen von mindestens drei Kindern!

Ich starrte ungläubig hin, denn nun nahm der abergläubische Unsinn, den ich erst einen Tag zuvor von Ahab Hopkins gehört hatte, eine unheilvollere Wendung. Soviel begriff ich augenblicklich. Kinder waren unter der Ägide meines Urgroßvaters verschwunden; er war der Zauberei oder der Hexerei verdächtigt worden, der Teilnahme an Zeremonien, bei denen die Opferung kleiner Kinder eine wesentliche Rolle spielte; und jetzt, hier, innerhalb der Wände seines Hauses, waren Überbleibsel, die dem Verdacht der Einheimischen über seine ruchlosen Betätigungen Gewicht verliehen!

Als mein erstes Entsetzen gewichen war, wusste ich, dass ich unverzüglich handeln musste. Würde diese Entdeckung bekannt, dann wäre mein hiesiger Aufenthalt in der Tat bitter unglücklich, dafür würden die gottesfürchtigen Einheimischen aus der Nachbarschaft sorgen. Ohne weiter zu zögern, holte ich einen Pappkarton, kehrte mit ihm wieder zur Wand zurück, sammelte alle Knochenreste ein, die ich finden konnte, und trug diese grauenvolle Last zur Familiengruft, wo ich die Knochen in die Nische ausleerte, die einst die, jetzt längst zu Staub zerfallenen Überreste von Jedediah Peabody enthalten hatte. Zum Glück zerfielen die kleinen Schädel, so dass jemand, der dort suchen würde, nur die Reste eines längst gestorbenen Wesens entdecken würde, und nur ein Fachmann imstande wäre, den Ursprung der Knochen zu bestimmen, die genügend unbeschädigt waren, um einen Hinweis zu liefern. Wenn die Berichte der Polen den Architekten erreichten, könnte ich sie bestreiten, doch auf diese Berichte sollte ich vergebens warten, denn die angstbesessenen Polen gaben dem Architekten niemals ein Wort über ihren wirklichen Grund zur Flucht vor diesem Auftrag preis.

Ich wartete nicht, um das von dem Architekten zu erfahren, der letzten Endes doch jemanden finden musste, der die von mir gewünschten Änderungen vornehmen würde, sondern ging, geführt von einem Instinkt, von dessen Existenz ich bisher nichts wusste, zu dem Geheimraum, wobei ich, entschlossen, ihn der peinlichst genauen Untersuchung zu unterziehen, eine starke Taschenlampe mitnahm. Doch fast unmittelbar, nachdem ich ihn betreten hatte, machte ich eine Entdeckung, die mich bis ins Mark erschauern ließ; obgleich die Fußtritte, die der Architekt und ich bei unserem kurzen Aufenthalt in dem Raum hinterlassen hatten, noch zu erkennen waren, gab es außerdem andere, frischere Spuren, die darauf hinwiesen, dass irgendjemand - oder irgendetwas - in diesem Zimmer gewesen war, nachdem ich es verlassen hatte. Die Spuren waren deutlich zu sehen - sie stammten von einem barfüßigen Mann und, ebenso unverkennbar, von den Pfoten einer Katze. Doch das waren noch nicht die schrecklichsten Indizien für irgendeine unheilvolle Beschäftigung - sie begannen in der Nordostecke des eigenartig gewinkelten Raums, an einem Punkt, wo ein Mann unmöglich stehen konnte und wo selbst für eine Katze kaum genug Platz war; und doch hatten sie sich hier materialisiert, und von diesem Punkt waren sie vorangeschritten, auf den schwarzen Schreibtisch zu - wo sich etwas weit Schlimmeres befand, das ich allerdings erst bemerkte, als ich, den Spuren folgend, fast über dem Schreibtisch stand.

Der Schreibtisch hatte ganz frische Flecken. Eine kleine zähflüssige Lache befand sich auf ihm, als sei sie aus dem Holz gekocht - kaum mehr als drei Zoll Durchmesser, neben einem Abdruck im Staub, als ob dort die Katze oder eine Puppe oder irgendein Bündel gelegen hätte. Ich starrte darauf, versuchte im Licht meiner Taschenlampe herauszufinden, was es wohl sein mochte, richtete den Lichtstrahl an die Decke, um möglicherweise eine Öffnung zu entdecken, durch die vielleicht Regen gedrungen war, bis mir einfiel, dass es seit meinem ersten und einzigen Besuch in diesem seltsamen Geheimzimmer keinen Regen gegeben hatte. Dann tauchte ich meinen Zeigefinger in die Lache und hielt ihn ins Licht. Die Farbe war rot - die Farbe von Blut -, und ohne dass man es mir gesagt hätte, wusste ich im selben Augenblick, dass es sich um dieses handelte. Wie es dorthin gekommen war, wagte ich mir nicht auszumalen.

Inzwischen schossen mir die grausigsten Schlussfolgerungen durch den Kopf, doch ohne logischen Zusammenhang. Ich entfernte mich vom Schreibtisch, wo ich nur so lange verweilt hatte, um einige der dort hegenden ledergebundenen Bücher und das Manuskript zu ergreifen; und diese in den Händen verließ ich das Zimmer und gelangte wieder in die wirklichkeitsnähere Umgebung der Zimmer, die nicht aus scheinbar unmöglichen Winkeln erbaut schienen und wo nichts auf Dimensionen schließen Heß, die in der irdischen Welt unbekannt waren. Beinahe schuldbewusst eilte ich wieder in meine Räume nach unten, die Bücher vorsichtig an meine Brust drückend.

Sobald ich die Bücher aufgeschlagen hatte, hatte ich eigenartigerweise die unheimliche Überzeugung, ihren Inhalt bereits zu kennen. Doch ich hatte sie nie zuvor gesehen und war, soweit ich wusste, auch niemals Titeln wie Malleus Malficarum und der Daemonialitas von Sinistrari begegnet. Sie handelten von Hexenkraft und Zauberei, von allen möglichen Zaubersprüchen und Sagen, von der Vernichtung von Hexen und Hexenmeistern durch Feuer, von ihren Reisemethoden - »Zu ihren Hauptbeschäftigungen gehört es, sich körperlich von Ort zu Ort zu bewegen... und, verfuhrt von den Vortäuschungen und Trugbildern von Teufeln, tatsächlich nächtens auf gewissen Tieren zu reiten, wie sie glauben und gestehen... oder einfach aus Öffnungen, die nur für sie und für niemand anders gebaut wurden, die Luft zu betreten und darauf zu spazieren. Satan persönlich trübt die Sinne seiner Gefangenen durch Träume und führt sie irrige Wege... Sie nehmen die Salbe, die sie nach Anweisung des Teufels aus den Gliedmaßen von Kindern, besonders derer, die sie selbst getötet, hergestellt, und bestreichen einen Sessel oder Besenstiel damit; worauf sie unverzüglich in die Luft getragen werden, entweder bei Tag oder bei Nacht, sichtbar oder unsichtbar, wenn sie es wünschen...« Aber ich las nicht mehr davon, sondern wandte mich zu Sinistrari.

Fast augenblicklich fielen meine Augen auf den folgenden beunruhigenden Abschnitt: »Promittunt Diabolo statis temporibus sacri- ficia, et oblationes; singulis quindecim diebus, vel singulo mense saltern, necem alicujus infantis, aut mortale veneficium, et singulis hebdomadis alia mala in damnum humani generis, ut grandines, tempestates, incendia, mortem animalium...« Hier wurde ausgeführt, wie Zauberer und Hexen in bestimmten Abständen den Mord eines Kindes oder eine andere hexerische Mordtat vollbringen, und allein die Lektüre erfüllte mich mit unbeschreiblichem Entsetzen, weshalb ich auf die anderen Bücher, die ich mit heruntergebracht hatte, nur noch einen kurzen Blick warf: Vitae sophistrarum von Eunapius, Ananias De Natura Daemonum, Stampas Fuga Satanae, Bougets Discours des Sorciers und ein unbetiteltes Werk von Olaus Magnus, das in weiches schwarzes Leder gebunden war - Menschenhaut, wie ich erst später erkannte.

Allein der Besitz dieser Bücher bedeutete ein mehr als gewöhnliches Interesse an der Lehre der Hexerei und Zauberei; er war in der Tat eine so eindeutige Erklärung für die abergläubischen Meinungen über meinen Urgroßvater, die in und um Wilbraham kursierten, dass ich sofort begriff, weshalb sie sich so lange gehalten hatten. Doch es musste noch etwas anderes gegeben haben, denn nur sehr wenige Leute konnten etwas von diesen Büchern gewusst haben. Was sonst noch? Die Knochen hinter der Mauer unter dem Geheimraum sprachen erdrückend für irgendeine schreckliche Verbindung zwischen dem Peabody-Haus und den unaufgeklärten Verbrechen früherer Zeiten. Doch das Haus war ganz gewiss nicht öffentlich. Im Leben meines Urgroßvaters musste es etwas Sichtbares gegeben haben, das in ihren Köpfen die Verbindung herstellte - außer seiner Zurückgezogenheit und seinem angeblichen Geiz, von denen ich wusste. Unter diesen Dingen aus dem Geheimraum gab es wahrscheinlich keinen Schlüssel für das Rätsel, doch in den Jahrgängen der Gazette von Wilbraham, die in der öffentlichen Bibliothek einzusehen waren, konnte es durchaus irgendeinen Hinweis geben.

Also stand ich eine halbe Stunde später zwischen den Regalen jenes Instituts und durchsuchte die früheren Ausgaben der Gazette. Es war eine zeitraubende Mühe, da ich jede Nummer, die in den späteren Lebensjahren meines Urgroßvaters erschienen war, Stück für Stück durchsuchen musste, und sie hatte keine Aussicht auf sicheren Erfolg, obwohl die Zeitungen seiner Zeit weniger durch gesetzliche Beschränkungen behindert und eingeschränkt wurden als in meinen Tagen. Ich suchte über eine Stunde, ohne Asaph Peabody auch nur ein einziges Mal erwähnt zu finden, obgleich ich einhielt, um die Berichte über die schändlichen Vergehen zu lesen, die man an den Leuten - hauptsächlich Kindern - auf dem Land in der Nähe des Peabody-Hauses verübt hatte, und diese Berichte waren unweigerlich von redaktionellen Fragen nach der »Bestie« begleitet, die »wie man sagt, ein großes schwarzes Wesen unbestimmter Art ist, dessen Größe man unterschiedlich angegeben hat - manchmal so klein wie eine Katze und manchmal so groß wie ein Löwe« - zweifellos ein Umstand, der einzig und allein auf die Phantasie der berichtenden Zeugen zurückging, bei denen es sich in erster Linie um Kinder unter zehn handelte, die gekratzt oder gebissen worden waren und entkommen konnten, in dieser Hinsicht zum Glück mehr vom Geschick begünstigt als jüngere Kinder, die in dem Jahr, über das ich gerade las - 1905 - in bestimmten Abständen spurlos verschwunden waren. Aber hier war nirgends von meinem Urgroßvater die Rede; er wurde in der Tat erst in seinem Todesjahr erwähnt.

Da, und erst da, druckte der Herausgeber der Gazette, was die allgemeine Ansicht über Asaph Peabody gewesen sein musste. »Asaph Peabody ist von uns gegangen. Man wird sich noch lange an ihn erinnern. Manche von uns haben ihm Kräfte zugeschrieben, die eher zu einer längst vergangenen Ara als zu unserer Gegenwart gehören. Unter den in Salem Angeklagten befand sich auch ein Peabody, und in der Tat war Jedediah Peabody aus Salem gekommen, als er sein Haus bei Wilbraham erbaute. Die Äußerungen des Aberglaubens folgen keiner Vernunft. Vielleicht ist es bloß Zufall, dass Asaph Peabodys schwarze Katze seit seinem Tod nicht mehr gesehen wurde, und es ist zweifellos nur ein hässliches Gerücht, dass der Peabody-Sarg vor der Bestattung nicht mehr geöffnet wurde, weil in den Körpergeweben oder dem Beisetzungsritual irgendeine Veränderung stattgefunden hatte, die eine solche Öffnung unklug gemacht hätte. Damit würde man wieder Altweibererzählungen Glauben schenken - ein Hexenmeister muss mit dem Gesicht nach unten beerdigt werden, und man darf ihn danach nie wieder stören, es sei denn durch Feuer...«

Das war eine eigenartige, dunkle Art zu schreiben. Es sagte mir aber viel, vielleicht beunruhigend mehr, als ich erwartet hatte. Man hatte die Katze meines Urgroßvaters als seine Vertraute betrachtet - denn jede Hexe oder jeder Zauberer hat seinen persönlichen Teufel in der Form, die dieser annehmen will. Was war natürlicher, als die Katze meines Urgroßvaters für seine Vertraute zu halten, da sie ihm in seinem Leben offenbar ein ebenso dauernder Begleiter gewesen war wie mir in meinen Träumen von dem alten Mann? Die störendste Anspielung des redaktionellen Nachrufs war der Hinweis auf die Bestattung, wusste ich doch, was der Herausgeber nicht gewusst haben konnte - dass Asaph Peabody in der Tat mit dem Gesicht nach unten beigesetzt worden war. Ich wusste mehr - dass er gestört worden war, was nicht hätte geschehen dürfen. Und ich vermutete noch mehr - dass außer mir noch jemand im alten Haus der Peabodys umherging, dass er in meinen Träumen umherging und über das Land und in der Luft ging!

Diese Nacht kamen die Träume abermals, begleitet von dem gleichen übertriebenen Gefühl, etwas zu hören, das so klang, als sei ich auf die misstönenden Geräusche einer anderen Dimension gestimmt. Abermals verrichtete mein Urgroßvater sein schreckliches Geschäft, doch dieses Mal schien es, als bliebe seine Vertraute, die Katze, wiederholt stehen und drehte sich um, um mich mit einem triumphierenden Lächeln auf dem bösen Gesicht unverwandt anzustarren. Ich sah den alten Mann mit einem spitzen schwarzen Hut und einem langen schwarzen Umhang aus dem Wald geradeswegs durch die Mauer eines Hauses treten, in einen dunklen Raum fast ohne Möbel kommen, dann vor einem schwarzen Altar erscheinen, wo der Schwarze Mann stand und auf das Opfer wartete, das zu fürchterlich war, um zuzusehen, aber ich hatte keine Wahl, denn die Kraft meiner Träume war derart, dass ich Zeuge dieser Höllentat werden musste. Und ich sah ihn und seine Katze und den Schwarzen Mann abermals, dieses Mal mitten in einem dichten Wald, weit von Wilbraham entfernt, zusammen mit vielen anderen, vor einem großen Altar im Freien, um die Schwarze Messe und die darauf folgenden Orgien zu zelebrieren. Aber sie waren nicht immer so deutlich; manchmal waren die Träume nur pfeilschnelle Abstürze durch endlose Klüfte aus seltsam gefärbtem Zwielicht und unsteten misstönenden Geräuschen, wo die Schwerkraft bedeutungslos war, Klüfte, die nichts Irdisches mehr hatten, in denen ich jedoch, immer einzigartig aufnahmebereit, auf einer übersinnlichen Fläche schwebte und Dinge hören und sehen konnte, derer ich mir in wachem Zustand niemals bewusst geworden wäre. So hörte ich die geisterhaften Gesänge der Schwarzen Messe, die Schreie eines sterbenden Kindes, die dissonante Musik von Flöten, die frevelhaften Gebete der Andacht, die orgiastischen Rufe der Zelebrierenden, obgleich ich sie nicht immer sehen konnte. Und bei einer Gelegenheit ließen meine Träume mich auch Teile der Unterhaltung, Wortfetzen vernehmen, die an sich ohne Sinn schienen, doch eine düstere und beunruhigende Bedeutung zu übermitteln schienen.

»Soll er erwählt werden?«

»Von Belial, von Beelzebub, von Satan...«

»Vom Blute des Jedediah, vom Blute des Asaph, begleitet von Balor.«

»Bring ihn zum Buch!«

Dann kamen jene eigenartigen Traumphantasien, in denen ich selbst teilzunehmen schien, besonders eine, bei der ich abwechselnd von meinem Urgroßvater und von der Katze zu einem großen, schwarzgebundenen Buch geführt wurde, in dem mit glühenden Feuerbuchstaben Namen standen, gegengezeichnet mit Blut, und das ich auf Anweisung unterschrieb, wobei mein Urgroßvater mir die Hand führte, während die Katze, die ich Asaph Peabody mit dem Namen Balor rufen hörte und die sich in mein Handgelenk gekrallt hatte, um das Blut strömen zu lassen, in das ich meine Feder tauchen sollte, umhersprang und tanzte. An diesem Traum war etwas, das eine beunruhigendere Beziehung zur Wirklichkeit besaß. Im Verlauf des Weges durch den Wald zum Treffpunkt der Hexen Versammlung führte der Pfad an einem Morast vorbei, wo wir im schwarzen Schlamm des Schilfs neben einer wabernden Lache an einen Platz kamen, der nach verwesendem Fleisch stank; an dieser Stelle versank ich wiederholt im Schlamm, obgleich weder die Katze noch Urgroßvater auch nur seine Oberfläche zu berühren schienen.

Und am Morgen, als ich endlich erwachte, nachdem ich beträchtlich verschlafen hatte, fand ich auf meinen Schuhen, die sauber gewesen waren, als ich ins Bett ging, einen trocknenden schwarzen Schlamm, der genau die Substanz aus meinem Traum war. Ich sprang bei ihrem Anblick aus dem Bett und folgte den Spuren, die sie deutlich genug hinterlassen hatten, folgte ihnen in den hinteren Teil des Hauses, die Treppe hinauf, in das Geheimzimmer im zweiten Stock - und, einmal dort, führten sie unerbittlich in dieselbe verhexte, absonderlich gewinkelte Ecke, aus der die Spuren im Staub in den Raum geführt hatten! Ich starrte ungläubig, doch meine Augen trogen mich nicht. Es war Wahnwitz, aber es ließ sich nicht leugnen. Auch die Schramme auf meinem Handgelenk ließ sich nicht hinwegwünschen.

Ich schwankte buchstäblich aus dem Geheimzimmer, begann endlich vage zu begreifen, weshalb meine Eltern nicht willens gewesen waren, das Haus der Peabodys zu verkaufen; etwas von seinem Zauber war von meinem Großvater auf sie gekommen, denn er musste es gewesen sein, der Urgroßvater mit dem Gesicht nach unten in der Familienkrypta hatte beisetzen lassen. Und wie sehr sie auch den abergläubischen Zauber verspottet, den sie geerbt hatten, wollten sie ihn doch nicht auf die Probe stellen. Ich begriff auch, warum die Mieter immer wieder nach kurzer Zeit ausgezogen waren, denn das Haus selbst war irgendeine Art von Brennpunkt für Kräfte, die sich dem Begriffsvermögen und der Kontrolle eines Menschen, wohl aller menschlichen Wesen entzogen; und ich wusste, dass ich bereits mit der Aura des Wohnsitzes infiziert war, dass ich in der Tat in gewissem Sinne Gefangener des Hauses und seiner bösen Geschichte war.

Ich schlug nun den einzigen Weg ein, auf dem ich mich noch weiter informieren konnte. Das Manuskript des Tagebuches, das mein Urgroßvater geführt hatte. Ich eilte unverzüglich hin, ohne eine Pause für das Frühstück einzulegen, und stellte fest, dass es aus einer Folge von Notizen bestand, hingeworfen in seiner gewandten Schrift, zusammen mit Ausschnitten aus Briefen, Zeitungen, Zeitschriften und sogar Büchern, die ihm von Bedeutung erschienen waren, obgleich sie eigenartig zusammenhanglos waren, sich allerdings alle um unerklärliche Ereignisse drehten - in Urgroßvaters Augen zweifellos einen gemeinsamen Ursprung in der Hexerei besaßen. Seine eigenen Notizen waren sparsam, aber aufschlussreich.

»Tat heute, was getan werden musste. J. kommt wieder zu Fleische, unglaublich. Aber das gehört zum Zauber. Einmal umgedreht, fängt alles von neuem an. Die Vertraute kehrt zurück, und der Staub gewinnt mit jedem Opfer etwas mehr an Form. Ihn wieder zurückzudrehen, wäre jetzt vergebens. Bleibt nur noch das Feuer.«

Und dann wieder:

»Etwas im Haus. Eine Katze? Ich sehe sie, kann sie aber nicht fangen.«

»Bestimmt eine schwarze Katze. Wo sie herkam, weiß ich nicht. Beunruhigende Träume. Zweimal bei der Schwarzen Messe.«

»Im Traum führte mich die Katze zum Schwarzen Buch. Unterschrieben.«

»Im Traum ein Kobold namens Balor. Hübscher Bursche. Erklärte die Bande zwischen uns.«

Und kurz darauf:

»Heute kam Balor zu mir. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt. Als Katze ist er genauso hübsch wie als junger Kobold. Ich fragte ihn, ob es dieselbe Form sei, in der er auch Jedediah gedient hätte. Er bejahte. Führte mich zu der Ecke mit dem seltsamen und außerdimensionalen Winkel, die die Tür nach draußen ist. Zeigte mir, wie man hindurch geht...«

Ich konnte nicht ertragen, weiterzulesen. Ich hatte bereits viel zu viel gelesen.

Jetzt wusste ich, was mit den Überbleibseln von Jedediah Peabody geschehen war. Und ich wusste, was ich tun musste. Trotz meiner Furcht vor dem, was kommen würde, ging ich ohne Zeit zu verlieren zur Peabody-Krypta, betrat sie und zwang mich, zum Sarg meines Urgroßvaters zu gehen. Dort bemerkte ich zum ersten Mal die kleine Bronzeplatte, die unter dem Namen Asaph Peabody befestigt war, und die eingravierte Inschrift: »Weh dem, der seine Ruhe stört!«

Dann hob ich den Deckel.

Obgleich ich allen Grund hatte, das zu erwarten, was ich sah, war ich nicht weniger entsetzt. Denn die Knochen, die ich zuletzt gesehen hatte, waren fürchterlich verändert. Was nur Knochen und Bruchstücke, Staub und Bekleidungsfetzen gewesen war, hatte eine grauenerregende Verwandlung angetreten. Fleisch hatte begonnen, wieder auf den Überbleibseln meines Urgroßvaters Asaph Peabody zu wachsen - Fleisch, das sich aus dem Bösen nährte, von dem er wieder zum Leben erweckt wurde, als ich seine sterblichen Überreste so töricht umgedreht hatte - und aus dem anderen Ding in seinem Sarg - dem bejammernswerten, zusammenschrumpfenden Körper jenes Kindes, das zwar erst vor weniger als zehn Tagen aus dem Haus von George Taylor verschwunden war, aber trotzdem schon ledern und pergamentartig aussah, als sei es jeder Substanz beraubt und teilweise mumifiziert!

Ich floh aus der Gruft, besinnungslos vor Schrecken, aber nur, um den Scheiterhaufen zu bauen, den ich, wie ich wusste, zu schichten hatte. Ich arbeitete fieberhaft, hastig, damit mich niemand überraschte, obgleich ich wusste, dass die Leute den Wohnsitz der Peabodys seit Jahrzehnten gemieden hatten. Und dann, als es vollbracht war, mühte ich mich allein ab, Asaph Peabodys Sarg und seinen höllischen Inhalt zum Scheiterhaufen zu ziehen, genau wie es Asaph selbst Vorjahrzehnten mit dem Sarg von Jedediah Peabody und seinem Inhalt gemacht hatte! Dann stand ich daneben, während das Brandopfer Sarg und Inhalt verschlang, so dass nur ich das hohe, schrille Wutgeheul hörte, das wie der Geist eines Schreis aus den Flammen emporstieg.

Die ganze Nacht fuhr die Asche des Scheiterhaufens fort zu glühen. Ich sah es von den Fenstern des Hauses aus.

Und drinnen sah ich etwas anderes.

Eine schwarze Katze, die durch die Tür zu meinen Räumen kam und mich verrucht anblinzelte.

Und ich erinnerte mich an den Pfad durch den Sumpf, den ich gegangen war, an die Spuren im Schlamm, an den Schlamm an meinen Schuhen. Ich erinnerte mich an die Schramme an meinem Handgelenk und an das Schwarze Buch, in das ich meinen Namen geschrieben hatte. Genau wie Asaph Peabody den seinen hineingeschrieben hatte.

Ich wandte mich zu der Stelle, wo die Katze im Schatten lauerte, und rief sie sanft: »Balor!«

Sie kam und setzte sich mitten in der Tür auf die Hinterbeine.

Ich nahm meinen Revolver aus der Schublade meines Schreibtisches, zielte und schoss auf sie.

Sie fuhr fort, mich anzuschauen. Nicht einmal ein Schnauzhaar zuckte.

Balor. Einer der kleineren Teufel.

Das war also das Peabody-Erbe. Das Haus, das Land, die Wälder - sie waren nur die oberflächlichen materiellen Erscheinungsformen der außerdimensionalen Winkel des Geheimzimmers, des Pfades durch den Sumpf zum Versammlungsort der Hexen, der Unterschriften im Schwarzen Buch...

Wer, so frage ich mich, wird mich nach meinem Tode umdrehen, wenn ich so beigesetzt werde wie die anderen?

SPUK

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