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Als die Lufthansabedienstete in Tegel ihn in der freundlich-bestimmten Art des Bodenpersonals aufforderte, den Laptop als Gepäck aufzugeben, wäre er am liebsten zurückgesprungen, um mit dem Privatwagen nach Bonn zu fahren. Aber die dienstlichen Komplikationen und die privaten Turbulenzen, die er damit heraufbeschwören würde, waren ihm sofort gegenwärtig. So verharrte er resigniert am Schalter und legte seinen Laptop behutsam auf das Förderband. Dabei kam ihm der missglückte Kalauer eines früheren Treuhand-Kollegen in den Sinn: ‘Geh'n wir hier alle ex und hop, der Dietmar bleibt mit Lap ganz top.‘ Diese ironische Prognose hatte sich als falsch und richtig zugleich erwiesen. Als die Treuhandanstalt in Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben umbenannt und das Personal drastisch reduziert wurde, hatte es zwar auch ihn getroffen. Er war jedoch weich aufgefangen worden. Das Bundesvermögensamt übernahm ihn nahtlos. Allem Anschein nach war sein Ruf als Experte für besonders knifflige Datenverarbeitungsprobleme seiner auf Verdacht losgeschickten Bewerbung vorausgeeilt. In seinem Bewerbungsschreiben hatte er seine erfolgreiche Tätigkeit in der Sonderermittlungsgruppe gegen Vereinigungskriminalität wohlweislich nicht besonders hervorgehoben. Nach der überraschenden Auflösung der Gruppe war nicht abzusehen gewesen, wie die dem Bundesfinanzministerium nachgeordneten Behörden und Anstalten diese heikle Tätigkeit einschätzten. Später hatte er dann zufällig erfahren, dass sein Treuhand-Abteilungsleiter ihm das Feld beim Bundesvermögensamt bestens vorbereitet hatte. Eine weitere positive Überraschung hatte der ehemalige NVA-Offizier erlebt, als sein neuer Dienststellenleiter ihm die Übernahme in das Beamtenverhältnis anbot. Die Auskunft bei der Gauck-Behörde hatte nichts ergeben, was nicht bereits bekannt war. Man hatte sich anscheinend nicht dafür interessiert, welche Einstellung zur DDR er vor der Wende gehabt hatte. Und seine jetzige Einstellung hatte er offenbar so glaubwürdig vermitteln können, dass keine Zweifel an seiner Verfassungstreue verblieben waren. So durfte er sich seit einem knappen Jahr Regierungsoberinspektor nennen.

Das Flugzeug war nur spärlich besetzt. Er wunderte sich nicht, dass an einem Dienstagnachmittag keine nennenswerte Beamtenbewegung in diese Richtung stattfand. Es war nicht sein erster Flug nach Bonn. Im Frühjahr 1995 hatte er ein sechswöchiges Ausbildungsprogramm im Finanzministerium absolviert. An diese Zeit dachte er einerseits noch mit leichtem Unbehagen zurück, andererseits war ihm bewusst, dass es seine Feuertaufe in fachlicher und in gesellschaftlicher Hinsicht gewesen war. Niemand würde ihn jetzt noch auf den ersten Blick oder nach kurzem Gespräch als einen Ex-DDRler identifizieren. Das gab ihm Sicherheit. Er selbst hatte sich vor zwei Jahren zugetraut, bei jedem Passagier die Unterscheidung in Westler und Ostler mit Leichtigkeit zu treffen. Jetzt fielen ihm nur noch selten an einem Passagier typische DDRler-Merkmale oder Verhaltensweisen auf.

Das Äußere der Taxifahrerin in Wahn erinnerte ihn auf angenehme Weise an eine andere Frau. Die lebenslustige Schwiegermutter, mit der er sich blendend verstand? Eine Teilnehmerin des Einführungskurses vor mehr als zwei Jahren, die den Eifer und die Verbissenheit der männlichen Teilnehmer durch einen Hauch unverbindlicher Erotik aufgelockert hatte? Ein Mädchen aus einer Parallelklasse, das er als Vierzehnjähriger von Ferne angehimmelt hatte? Er registrierte: sportliche Figur in hellgrauen Jeans und roter Bluse, höchstens 1,65 m groß, Haarfarbe wohl mittelblond, naturkraus oder gut nachgemacht, Mitte der Dreißiger, offenes, freundliches Gesicht mit dekorativen Falten. Er nannte als Ziel die Bonngasse, ohne den Namen seines Hotels anzugeben. Die leichte Unruhe wegen der Ungenauigkeit seiner Erinnerung vermengte sich mit einem angenehmen Gefühl in der Bauchgegend, das irgendetwas mit dieser diffusen Erinnerung zu tun haben musste. Er sah kurz zu ihr hinüber und betrachtete ihr Profil. Stupsnase, Himmelfahrtsnase, Hakennase, Buckelnase? - Er kam zu keinem Ergebnis und sah wieder geradeaus. Dann ein zweiter vorsichtiger Blick. Kühn, kess, frech, herausfordernd? - Auch hier keine klare Entscheidung. Jetzt schien sie seinen forschenden Blick bemerkt zu haben und sah ihn kurz an. Rehfarbene Augen? Er gab seine Benennungsversuche endgültig auf.

Sie fuhr zügig und schien nicht an einer Unterhaltung interessiert zu sein. Das Taxi hatte keine Klimaanlage. Bei einer Außentemperatur von über dreißig Grad brachte der Fahrtwind kaum Erleichterung. Als er einen seiner ihm wohlbekannten Niesanfälle herannahen spürte, nahm er vorsorglich sein Taschentuch heraus und dämpfte so die ersten drei rasch aufeinander folgenden Nieser. Die nächsten fünf folgten nach kurzer Pause im gleichen Abstand.

Jedes Mal sagte sie belustigt: "hatschi!" Und dann legte sie selbst los. Er glaubte zunächst sie äffe ihn nach, sah aber, wie ihre Augen tränten. Sie hatte das Tempo so stark reduziert, daß sie von einer ganzen Fahrzeugkolonne überholt wurden. Einige der Fahrer sahen besorgt herüber. Sie winkte ihnen beruhigend zu. Als sie schließlich nach unzähligen Niesern aufgehört hatte, schnaufte sie erleichtert und gab wieder mehr Gas. Ihre Stimme klang noch deutlich belegt: "Ja, wir Sommersensibelchen können uns leidtun, nicht wahr? Warum muß ich auch ausgerechnet um diese Zeit taxifahren! Bademeisterin sollte man jetzt sein."

"Bei uns hieß der Wunschberuf im Winter Bademeister und im Sommer Hausschlachter".

"Da gab es wohl noch keine Hallenbäder und keine Gefrierschränke. Aber so alt sind Sie doch noch gar nicht."

"Stimmt, den Spruch kenne ich von meinem Großvater. Der wollte wohl sein Leben lang ein Lebenskünstler sein und hat es nie geschafft."

"Ja, wer will das nicht und schafft es schon!"

"Ein Lebenskünstler bin ich zwar vermutlich nicht; aber ich bin momentan ganz zufrieden."

"Und wie machen Sie das?"

"Das ist ein Thema für ein Glas Bier." Die Redensart rutschte ihm ohne Hintersinn heraus, bevor ihm bewusst wurde, dass sie dies als einen wenig eleganten Annäherungsversuch missverstehen könnte. Er versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war. "Eine blöde Redensart von mir. Ich meine damit, das lässt sich nicht in einem Satz sagen."

"Dann haben Sie meinetwegen zwei, drei oder noch mehr Sätze frei. Redensart hin, Redensart her - wo trinken wir das Bier? Um sieben ist Schichtwechsel, um acht bin ich wieder frisch und fröhlich. Liesel Schmitz aus Bonn freut sich auf ein, zwei Bier und ist gespannt auf ein, zwei, drei Sätze über die Kunst zufrieden zu sein von ..."

Sie schaute fragend und auffordernd zu ihm herüber und er wusste, dass es aus dieser Falle kein Entrinnen gab, wenn er nicht als Miesepeter dastehen wollte. "Dietmar Schultz aus Berlin wird um 20,00 Uhr pünktlich zur Stelle sein. Treffpunkt Beethovendenkmal und weitere Planung an Ort und Stelle, wenn's recht ist."

"Dietmar Schultz und Liesel Schmitz - das ist ja reine Poesie. Bonn und Berlin - da juckt die Phantasie!"

Verrückt in Bonn

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