Читать книгу I'm a Man - Hubert Schönwetter - Страница 8
ОглавлениеDie Augen links
Den Einberufungsbescheid zum Wehrdienst hatte ich schon in der Tasche und ich sollte den Dienst gleich nach dem Ende der Schulzeit antreten. Viel lieber hätte ich sofort mit dem Studium begonnen, leider war der Wehrdienst bzw. Zivildienst verpflichtend. Untauglich waren meistens nur die Supersportler unserer Schule. Diese hatte Meniskus-, Achilles- oder andere muskuläre Problemchen. Die Muskeln im Kopf wurden leider nicht überprüft. Zivildienst war nichts für mich. Im Krankenhaus, Altenheim oder einer ähnlichen Einrichtung mich um kranke, schwache oder alte Menschen zu kümmern, das lag mir damals überhaupt nicht. Also Militär.
Am Tag nach dem denkwürdigen Tennismatch besuchte der männliche Teil unserer Abiturklasse die Bundeswehrkaserne in der Nähe. Es war so eine Art Tag der offenen Tür, anders ausgedrückt, eine Marketingveranstaltung. Jedenfalls war der Führer der Veranstaltung sehr bemüht, uns den Beruf des Soldaten einerseits als eine Art von spannendem Abenteuer im Stile der Pfadfinder, aber andererseits auch als verantwortlicher Beschützer des Vaterlandes zu vermitteln. Wir durften auch mit dem Kleinkalibergewehr auf eine Zielscheibe in 50 m Entfernung schießen. Ich hatte meine Brille nicht dabei – bei der Vorbereitung auf den Führerschein war festgestellt worden, dass ich leicht kurzsichtig bin – deshalb hatte ich eine kleine Hoffnung, einer meiner unliebsamen Klassenkameraden könnte mir unbeabsichtigt in die Schusslinie laufen. Dann hätte ich eine gute Entschuldigung für meinen Fehlschuss. Zur allgemeinen Verunsicherung, besonders aber zu meiner, war ich bei weitem der beste Schütze, alle fünf Schuss im absoluten 10er-Schwarz. Auch die Soldaten konnten das nicht glauben. Anscheinend war ich ein Naturtalent in dieser Beziehung. Ich bekam noch eine Urkunde und den Spitznamen Slow Hand, was zwar nicht so treffend war, aber in Anlehnung an Eric Clapton eine Ehre, auch wenn der bestimmt nichts mit Schießen am Hut hatte.
Dann kam der erste Tag bei der Bundeswehr. Einkleidung, Marschieren, Zimmer teilen mit acht anderen, Marschieren, Putzen, Marschieren, ...
Nach einem Monat wurde mir richtig bewusst, was die nächsten noch 17 Monate auf mich zu kommen würde. Da entschloss ich mich, mich nachträglich freiwillig auf zwei Jahre zu verpflichten. Dadurch würde ich zwar erst später mein Studium beginnen können, aber ich würde genug Geld bekommen, um mir ein Auto kaufen zu können, und ich würde mir soviel erspart haben, dass ich auch noch mein Studium, wenigstens zum Teil, finanzieren konnte. Außerdem würde ich später zum Leutnant befördert und dann den anderen Unteroffizieren, die mich jetzt piesackten, die Hölle heiß machen können, und mich auch sonst nicht so anstrengen müssen.
Mit meinem ersten Gehalt und elterlicher Unterstützung kaufte ich mir mein erstes Auto. Und was für eins! Ein rot-schwarzer Karmann Ghia mit 34 PS, 130 Spitze. Die Sitze konnte man auch als Liege-/Schlafsitze nutzen und es waren noch zwei Notsitze dahinter, Motor und Antrieb im Heck, ganz so wie in einem Porsche. Einer aus der anderen Kompanie fuhr einen gelben Opel GT mit 90 PS, das war natürlich eine ganz andere Liga. Aber ich liebte mein Auto über alles.
Gegen Abend marschierten wir wieder einmal quer durch die Kaserne. Ein Offizier beobachte uns dabei. Dann stoppte er unseren Marsch abrupt.
„Jäger, vortreten!“
Er stand neben mir. Ob er mich gemeint hatte, wusste ich nicht, ich sah einfach stur geradeaus und rührte mich nicht.
Er machte noch einen Schritt weiter auf mich zu und brüllte mich an: „Jäger, vortreten!“
Ich sah ihn an und es wurde sehr deutlich, dass er mich gemeint hatte. Ich trat auf ihn zu und grüßte ihn militärisch, so gut es ging.
„Wann waren Sie zum letzten Mal beim Friseur, Jäger?“
Ich dachte kurz nach, kam aber gar nicht zu einer Antwort, da er gleich weiter schrie:
„So etwas dulde ich nicht bei meinen Soldaten, in meiner Kaserne! Sie gehen sofort zum Friseur und melden sich morgen persönlich bei mir mit einem anständigen Haarschnitt, haben Sie mich verstanden?!“
„Jawohl.“
„Jawohl. Herr Oberstleutnant.“
„Jawohl. Herr Oberstleutnant.“
„Eintreten und weitermachen.“
Ich überlegte kurz, ob ich gleich zum Friseur gehen sollte, es war ja schon spät, oder ob ich wieder mitmarschieren sollte. Das kurze Zögern brachte ihn noch mehr auf die Palme. Also, Palme war keine in der Nähe, höchstens ein Fahnenmast. Wenn er den raufklettern könnte, dann würde er von ganz oben herunterjuchzen.
„Mann, was haben Sie da für Trantüten, Herr Stabsunteroffizier, da haben Sie noch viel Arbeit zu erledigen!“
Wir drehten noch eine Runde, dann schickte mich der Stufz gleich zum Friseur. Dieser wusste ganz genau, wie kurz die Haare sein mussten. Nämlich so kurz, wie ich sie in meinem ganzen Leben niemals hatte. Meine Meldung am nächsten Tag bei unserem Kommandeur (der war es nämlich gewesen, der mich so zur Rede gestellt hatte. Natürlich hatte ich dabei keine Rede gehalten, nur er) verlief dann wieder entspannt. Er konnte sich kaum noch an gestern erinnern.
Die Grundausbildung dauerte drei Monate. An den meisten Wochenenden mussten wir in der Kaserne bleiben. Wegen meinen kurzen Haaren war ich darüber eigentlich ganz froh. Mein Talent beim Schießen bestätigte sich auch für andere Waffen, nicht nur mit dem Gewehr. Ob 9 mm Pistole, der Maschinenpistole Uzi oder 90 mm Panzerpatrone. Ich war der beste Schütze im Bataillon.
An einem anderen Tag, besser gesagt, in einer anderen Nacht, starteten wir einen Orientierungsmarsch im Wald. Als Junge bin ich oft im Wald gewesen, habe dort Spuren von Wild gesucht, habe vermieden, selbst Spuren zu hinterlassen und auf Zweige zu treten wie die Indianer, Pilze und Beeren gesammelt. Ich kannte mich aus im Wald, er war mein Freund. Beim Orientierungsmarsch waren wir in einer kleinen Gruppe zu viert. Wir hatten Ziele vorgegeben bekommen, die wir finden und dort Aufgaben erfüllen sollten, wie z.B. mit einem Schlauchboot einen reißenden Fluß überqueren. Mein Orientierungssinn war eigentlich immer ganz gut. Trotzdem der Vollmond den Wald etwas heller als normal beschien und wir mit Kompass und Karte ausgestattet waren, gelang es uns nicht, das vorletzte Ziel zu finden. Nachher hörte ich, dass wir die Einzigen gewesen waren, die es nicht gefunden hatten. Andererseits waren wir aber die Einzigen gewesen, die das Ziel Nummer fünf gefunden hatten, sonst niemand. Jedenfalls irrten wir die halbe Nacht durch den Wald. Immer wieder kamen wir an Stellen, an denen wir schon vorher vorbei gelaufen waren. Mir ging der Song Can‘t find my way home von Steve Winwood und Eric Clapton nicht mehr aus dem Kopf. Erst gegen Morgen fanden wir zurück in unser Lager. Man wollte uns schon suchen lassen.
Obschon ich die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, ging ich am nächsten Abend aus. Zunächst alleine in eine Stripbar der nächst größeren Stadt. Da hätte ich meine Brille gut gebrauchen können, die ich aber vergessen hatte. Aber ich hatte noch meine Sonnenbrille, die auch geschliffene Gläser in meiner Stärke hatte. Ich saß ganz vorne an der Bühne der schummerigen Bar mit dunkler Sonnenbrille. Das sah unheimlich cool aus. Man hätte meinen können, dass ich zum Milieu gehörte und kein Gast war. Aber einige Soldaten aus meiner Kaserne waren auch in die Bar gekommen und erkannten mich. Na ja, was solls! Die Show der zwei Mädchen auf der Bühne war ganz nett, eine warf mir zum Ende noch ihren Slip zu. Soll das eine Aufforderung gewesen sein? Ich glaubte nicht. Jedenfalls kam sie dann splitterfasernackt (was für ein schönes Wort!) zu mir, bedankte sich für das Aufbewahren und nahm ihn wieder mit. Danach ging ich mit den anderen Kollegen mit in ein Wirtshaus in der Nähe der Kaserne. Der große Gastraum war brechend voll, ausnahmslos Soldaten, die meisten in Uniform. Das Bier floss in Strömen. Hier lernte ich die Grundlagen des Pokerns kennen. Wir spielten nur um Pfennig-Beträge, es ging ja nur um den Spaß. Bald wurde ich sehr müde, dem Bier und der letzten Nacht geschuldet. Ich versuchte, die Augen offen zu halten, aber es wurde immer schwieriger. Ich führte Selbstgespräche, die für die anderen wie ein Brabbeln gewirkt haben mussten – wobei sie mir sicher nicht zugehört haben.
Irgendwann wachte ich auf. Der Gastraum sah aus wie ein Schlachtfeld. Es muss eine große Schlägerei stattgefunden haben, überall lagen Glasscherben und Teile von Stühlen herum. Der einzige Tisch, der noch einigermaßen in Ordnung aussah, war der meine. Ich hatte die ganze Rauferei verschlafen! Die Kollegen aus meiner Kompanie waren noch fähig, selbständig zu gehen, so dass wir uns nun auf den Rückweg zur Kaserne machten. Die Zeit zum Morgenapell wurde knapp und der Weg über den Hintereingang der Kaserne hätte viel Zeit erspart. Der Hintereingang war ein verschlossenes Tor, genauso hoch wie der normale Zaun, oben mit Stacheldrahtrollen gesichert. Die anderen kletterten alle da rüber, erstaunlicherweise ohne größere Probleme. Das musst du dann auch machen, sagte ich mir. Als ich ganz oben war, verlor ich das Gleichgewicht. Ich schwankte, und wenn ich normal über den Stacheldraht gesprungen wäre, wäre ich bestimmt darin hängen geblieben und mich hätte es böse erwischt. Es gab keine andere Möglichkeit. Also fasste ich mit beiden Händen in den Stacheldraht, stützte mich darin etwas ab und schwang mich seitlich über die Stacheldrahtrolle. Dabei riss ich sogar den Stacheldraht mit ab. Erstaunt standen die anderen um mich herum. Ich saß auf dem Boden und schaute meine beiden Hände an. Überall waren sie aufgerissen und das Blut floss. Jemand hatte ein Erste-Hilfe-Set dabei und ich wurde notdürftig verbunden. Weiter ging es zum Appell, wo die anderen Soldaten sich gerade bereit machten. Der Hauptfeldwebel, der selber mit im Wirtshaus gewesen war, hielt eine Anprache, die viel länger und launiger war als sonst, dabei schwankte er wie ein Stehaufmännchen. Seine Füße bewegten sich nicht vom Fleck, der Rest des Körpers rollte kreisförmig darum herum. Und er fiel nicht um. Hauptfeldwebel sind für solche Anlässe ungeheuer gut trainiert. Ich verabschiedete mich alsbald in den Sanibereich, wo ich gut versorgt wurde. Es wundert mich heute noch, dass ich keine wirklich schlimmen Verletzungen erlitten habe.
Für die Wehrpflichtigen war die Zeit des Abschieds gekommen. Es wurde ein großes Besäufnis. Ich war die Z-Sau, die noch bleiben musste. Es erfasste mich große Wehmut, endlich wieder in der freien Welt leben zu dürfen und ich beneidete die anderen sehr.