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Vorspiel in Ostpreußen

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s war der 24.August, als wir auf Weisung der Reichssendeleitung nach Ostpreußen fuhren — mein Kamerad Rolf Wernicke und ich.

Wir ahnten nicht, dass es eine Fahrt in den Krieg werden sollte.

Zwar verdüsterten schwere Gewitterwolken den politischen Horizont, und die Herausforderungen der Polen wurden von Tag zu Tag schamloser — aber wer wollte es glauben, dass dieses Volk so blind, so wahnwitzig, so skrupellos sein würde, die Dinge zum Äußersten kommen zu lassen! Würden sie nicht doch, wenn der Führer erst einmal Ernst machte, Vernunft annehmen und damit sich und zugleich die Mächte, die bedenkenlos genug waren, sich hinter sie zu stellen, vor einer Katastrophe bewahren?

Wir glaubten wie das ganze deutsche Volk an die Vernunft — aber es siegte der Unsinn, das Verbrechen.

Was uns beide betraf, so waren unsere Aufgaben für die kommenden Tage friedlicher Art. Wir hatten am 27. August über die feierliche Kundgebung zum 25jährigen Gedächtnis der Schlacht bei Tannenberg vom Reichsehrenmal zu berichten. Danach sollte es sofort nach Berlin zurück und anschließend weiter nach Nürnberg gehen, wo wir für die Berichterstattung vom „Reichsparteitag des Friedens“ und für das „Nürnberg-Echo“ angesetzt waren. Ich wollte zu dem Zweck am 29. August von Berlin nach Nürnberg fliegen.

Meinen vorher bestellten Flugschein hatte ich bereits in der Tasche.

Es kam anders.

*

Im festlich geschmückten Hohenstein, der Stadt des Reichsehrenmales, hatten sich Tausende von alten Soldaten des Weltkrieges versammelt und weitere Tausende trafen stündlich ein. Tag und Nacht feierten sie die Kameradschaft von einst und erfüllten die Stadt und ihr Lager draußen am achttürmigen Ehrenmal mit dem fröhlichen Soldatenlärm ihrer Wiedersehensfreude. Neu hergerichtete Straßen, abgegrenzte Plätze für den Staatsakt, mit Tribünenbauten und Fahnenmasten, der Reichsautozug — alles kündete die große nationale Feier an, die bevorstand.

In SchlagsmühIe, mitten im Gebiet der Russenkämpfe, wo sich in der Seenenge zwischen dem Großen Plaußiger See und dem Staw-See am 29. August 1914 Zehntausend hatten ergeben müssen, saßen wir mit den Künstlern zusammen, die das Reichsehrenmal geschaffen haben und an seinem Ausbau und Schmuck nach den Weisungen des Führers weiterarbeiten: der Architekt Johannes Krüger (zusammen mit seinem Bruder Walter der Erbauer des Denkmals), der Maler Harold Bengen, der den Tannenbergkrug ausgemalt hat, Hans Uhl, von dem die Glasfenster im Gruftturm und die Mosaiken für den Soldatenturm stammen, und andere. Voller Stolz und Freude sahen sie dem Augenblick entgegen, wo sie dem Führer selbst ihr Werk vorzeigen, ihre Vorschläge unterbreiten und von ihm Auftrag und neue Weisung erhalten würden.

Hier in Schlagsmühle hatte Intendant Boese das Hauptquartier des Rundfunks aufgeschlagen. Auch Brigadeführer Fink vom Reichspropagandaministerium trafen wir hier, der den Propagandaeinsatzstab für die Feier zu leiten hatte und uns, als es andere kam, für die späteren Ereignisse unter seine Fittiche nahm.

Wir besuchten die Stätten des Kampfes, die Ehrenfriedhöfe der gefallenen Helden von 1914, standen im ruhmreichen Kampfgelände der Goltz’schen Landwehr — am Stadtwald — vor den Totenmälern und Kreuzen derer, die damals vor 25 Jahren mit Hingabe ihres Lebens die bedrohte Heimat geschützt und gerettet hatten.

Wieder war ostpreußischer Boden bedroht. Eine größenwahnsinnige Abenteurerpolitik wagte es, Deutschland in seinem friedlichen Aufbauwerk zu stören. Sollten sich die Kämpfe wiederholen, neue Opfer gebracht werden müssen?!

Wenn ja, dann gewiss nicht auf deutschem Boden und nicht zu Lasten des deutschen Volkes! Dafür würde der Führer sorgen. Diesmal würde der Schuldige für die Schuld bezahlen müssen.

Aber noch glaubten wir nicht an das Ungeheuerliche. Der Führer wollte keinen Krieg. Trafen nicht immer noch weitere Transporte alter Soldaten zur Teilnahme an der Feier ein? Wurden nicht alle Vorbereitungen unbeirrt fortgesetzt? Der Paradeplatz abgesteckt? Die Tribünenkarten ausgegeben? Auch General Reinhard, der Reichskriegerführer, war in Hohenstein eingetroffen. Es mochte also alles gut gehen.

Währendem aber wird der politische Horizont immer dräuender und dunkler. Der Rundfunk meldet fast täglich neue Gewalttaten gegen unsere volksdeutschen Brüder durch die Polen.

Es wetterleuchtet gefährlich.

Wir selbst hatten auf der Fahrt durch den Korridor die kriegerischen Vorbereitungen der Polen feststellen können. Die Bahnhöfe, die wir passierten, waren durch militärische Posten gesichert. Allerorts rückten die Reservisten ein. An taktisch wichtigen Punkten, wie zum Beispiel an der Brahe hinter Konitz, wurden Schützengräben und Drahtverhaue angelegt. Das war dem Auge eines alten Soldaten nicht entgangen. An Kriegsbereitschaft drüben fehlte es wahrlich nicht.

Da trifft wie ein Blitz aus dem gewitterschwangeren Himmel am Sonnabend früh die Meldung ein: Die Feier ist abgesagt!

Ein Sturmzeichen!

Jedenfalls wirkte es so in der Hochspannung jener Tage.

In wenigen Stunden leert sich die kleine Stadt von ihren Tausenden von Festbesuchern.

Dafür rücken Soldaten ein: die Männer Ostpreußens eilen zu den Waffen. Die Heimat ist in Gefahr!

Der Wirt, der uns vor wenigen Minuten noch das Frühstück gebracht, steht plötzlich in Soldatenuniform vor uns. Der Friseur schließt seinen Laden, denn auch er ist einberufen. Aus allen Häusern kommen die Männer, begleitet von ihren Frauen, sammeln sich in kleinen Trupps und marschieren oder fahren zu ihren Sammelorten.

Also doch Krieg?

Da hält es auch uns nicht mehr. Intendant Boese, der unseren Einsatz leitet, fliegt nach Berlin, um neue Weisung zu holen. Wir anderen nehmen Richtung auf Danzig. Denn wenn es losgeht, dann muss Danzig — das ist uns klar — zunächst im Mittelpunkt der geschichtlichen Ereignisse stehen. Dort wird es Arbeit für den Rundfunk geben und Aufgaben für uns.

Über die Landstraßen Ostpreußens — vorbei an den Kolonnen, in denen die Landwehr marschiert, wieder marschiert wie einst — fahren wir nach Königsberg. In den Ortschaften, die wir durchqueren, stehen die Frauen vor den Häusern und grüßen, ernst und gefasst. Schon haben sie, als könnte es gar nicht anders sein, die harte Bürde der Männerarbeit auf ihre Schultern genommen. Vom Acker herüber winkt manch eine den marschierenden Soldaten zu, die Hand am Pflug, den der Mann mit der Waffe vertauscht hat.

Die Heimat ist in Gefahr!

In Königsberg auf dem Flughafen erwarten wir Intendant Boese. Der zivile Flugverkehr ist aus Gründen der Sicherheit eingestellt. Die Hallen sind geschlossen, das Rollfeld leer. Bei Dunkelwerden erscheint eine Maschine von der See her. Es ist das Flugzeug von Gauleiter Koch, mit dem Boese aus Berlin zurückkommt.

Wir bestürmen ihn: „Was gibt es Neues?“ Er zuckt die Achseln: „Wir müssen abwarten.“

Am späten Abend noch sind wir in Elbing und gehen hier gewissermaßen in „Lauerstellung“.

*

Ein stiller, sommerheißer Sonntag vergeht. Wir machen einen Ausflug ans Haff. Es ist alles plötzlich wieder wie im tiefsten Frieden. Spaziergänger lustwandeln am Strand, kleine Schiffchen fahren zu den Seebädern auf der Nehrung. Wir sitzen oben im Haffschlösschen von Succase, mürbe von der Spannung des unbestimmten Wartens, erschlafft von der Hitze. Unbewegt liegt der Spiegel des weiten Wattenwassers.

Kein erfrischender Hauch von See. Die Luft ist schwül und wird immer schwüler.

Die Fenster der Häuser sind weit geöffnet. Der Lautsprecher verkündet die Einführung von Bezugsscheinen für Lebensmittel und Kleidung.

Am Horizont zieht es sich zusammen. Droht ein Gewitter? Kommt endlich die Entspannung? Man sehnt sich geradezu danach, dass es einmal losbricht.

Als die Sonne sinkt, ist der Himmel wieder wolkenlos wie nun seit Wochen, und dem schwülen Tage folgt eine laue Nacht.

Wir ziehen uns in die Kühle der alten Kramerzunftstuben zurück, sitzen bei Kerzenlicht und gutem Wein und lauschen den Nachrichten. Polnische Flak hat die Verkehrsflugzeuge der Lufthansa über der Danziger Bucht beschossen! Sind wir im Tollhaus?

Jemand erzählt, dass die Nogarbrücke bei Marienburg in die Luft gegangen sei. Das ist natürlich barer Unsinn. Sie verbindet Danzig mit reichsdeutschem Gebiet.

Wir beschließen, uns gegen alle Latrinenparolen — wie der Soldat die falschen Gerüchte nennt — fest zu machen. Denn wer, wie wir Rundfunkberichterstatter, das dramatische Geschehen der Zeit zu schildern hat, muss ein heißes Herz, aber einen kühlen Kopf haben. Und im Kriege erst recht.

Kampf um Danzig

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