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2. Selbstmitleid

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Mann auf Sofa. Ermattet. Unrasiert. Der Anfang des Alleinseins prosaisch, musikalisch untermalt von Tom Waits’ Invitation to the Blues. Schmutziges Geschirr in der Spüle. Pizzakartons, möglichst schimmelnd, auf dem Fußboden. Leere Flaschen auf dem Tisch. Die Requisite eines resigniert blinkenden Anrufbeantworters, wenn Taft noch einen besessen hätte, aber kein Mensch besaß noch lexikongroße Anrufbeantworter mit Kassetten, die ihr Band verschlangen und, später wenigstens, zwei Tonspuren übereinanderlegten. Lexika hatte im Übrigen auch niemand mehr. Zwei Tage lang wollte er sich vormachen, es handele sich um Veronikas extreme Reaktion auf einen ersten Ehestreit. Doch er wusste es – eigentlich – von Anfang an besser. Sie hatten ja nicht mal gestritten. Ans Telefon ging sie nicht. Sie war nicht mehr erreichbar. Am dritten Tag brach Taft zusammen. Er konnte nicht sprechen, aß überhaupt nur etwas, weil ihm schlecht vor Hunger war. Er konnte sich kaum rühren, nichts denken, wollte nur Whisky trinken, bis seine Sinne verglühten. In diesen zwei Wochen, seinen Urlaubswochen immerhin, nichts als unerträglicher Schmerz. Zwei Tage und Nächte lag er auf ihrer Seite des Bettes und hielt ihr Kopfkissen, weinte es nass, schluchzte, bis sein Kopf, sein ganzer Körper tyrannisch schmerzte. Er setzte sich vor ihren Kleiderschrank und suchte nach einer Spur, einer Nachricht, nach irgendwas. Er starrte auf die Handtücher im Badezimmer, stundenlang, als würden sie ihm letztlich sagen, welches Veronika zuletzt benutzt hatte. Seine Welt maßlos. Kein Gefühl mehr für Raum und Zeit, kein Halt mehr, nur das wabernde Nichts ihrer Abwesenheit. Taft sah sich in diesen ersten Wochen selbst zu, und was er sah, war ein Mann aus dem Vorabendprogramm, für den jeder wohlmeinende Freund einer zu viel war auf dem weiten Feld des Selbstmitleids. Das half immerhin ein wenig: sich selbstmitleidig zu nennen, die Verzweiflung herabzusetzen statt die objektive Grausamkeit seiner Situation anzuerkennen. Dieses Gefühl, ausgebootet worden zu sein. Die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit wie selbstgebrannter Schnaps, der die Magenwände verätzt. Seine Sorge um Veronika gründlich. Die Schlaflosigkeit erschöpfend. Verzweiflung, Trotz und Zorn, kurzum: Kummer von einer Größenordnung, die das Denken eindimensioniert und schließlich lähmt. Selbstmitleid. Der Begriff suggerierte zumindest sein Dazutun, während er doch ohnmächtig war. ‚Hingebungstoll‘. Später, in Deutschland, notierte Taft das Wort. Und schmiss die Karte sogleich in den Mülleimer. Was er nicht erwartet hatte, war Veronikas Allgegenwart, seine Unfähigkeit, auch nur den kleinsten Raum für andere Themen in sich zu finden. Bisweilen versetzte er sich wider besseres Wissen, geradezu mutwillig in Panik: Niemand hatte Kenntnis über ihren Verbleib. Sie konnte in Not sein. Gefangen. Tot. Keiner hatte eine Idee, wo sie sich aufhielt. Auch ihre Eltern nicht, die Schirmers, die – als er sie nach zwei Wochen informierte, ja informieren musste – nur die Nerven behielten, weil Veronika gepackt und sogar unwichtige Dinge mitgenommen hatte. Der Polizist bestätigte schließlich ihre und Tafts Schlussfolgerung mit sachtem Blick: dass auch Fotos, Medikamente und Bücher fehlten, deute auf eine sorgfältig vorbereitete Flucht hin. Nichts spräche für eine Entführung oder sonstige Straftat. Auch ein Kidnapping mit Hilfe von Drogen sähe in aller Regel anders aus. Ob es Eheprobleme gegeben habe? Vielleicht könne ein Privatdetektiv die Sache aufklären?

Der tadellose Herr Taft

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