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Die schreienden Derwische.
ОглавлениеUm 2 Uhr betraten wir den Tempel, ein elendes Hölzernes Haus. An der Andachtsübung kann jeder Muselmann Theil nehmen, er darf sich nicht erst zur Würde eines Derwisches emporgeschwungen haben. Ja Kinder von acht bis zehn Jahren reihten sich schon außerhalb des Kreises der Männer an, um sich bei Zeiten zu diesen Übungen geschickt zu machen.
Der Anfang dieser Ceremonie ist eben so, wie bei den tanzenden Derwischen; sie haben Teppiche oder Thierfelle vor sich ausgebreitet und beginnen mit Bücklingen und Bodenküssen, dann stehen sie auf, und bilden mit den Laien gemischt, einen Kreis, worauf der Vorbether mit gellender Stimme die Gebete aus dem Koran vorschreit, und nach und nach die im Kreise Stehenden einfallen und mitschreien. In der ersten Stunde geht es noch etwas gelassen her, sie setzen öfters aus, um ihre Kraft nicht zu erschöpfen, die erst gegen das Ende im höchsten Anspruch genommen wird. Dann aber erscheint das Gräßlichste, was man nur sehen kann. Sie suchen einander im Schreien und Heulen zu übertreffen, und machen dabei alle nur denkbaren Bewegungen und Grimassen mit dem Körper, Kopf und Gesicht. Dieses Gebrüll, wie von wilden Thieren, diese gräßlichen Verzückungen und Verzerrungen machen diese Andachtsübung zu einem schaudererregenden Schauspiele.
Sie stoßen mit den Füßen in den Boden, werfen den Kopf mit Blitzesschnelle vor- und rückwärts, und geberden sich gewiß ärger, als einst die vom Teufel Besessenen. Während dieser Übung legen sie die Kopfbedeckung, so wie auch nach und nach alle Kleidungsstücke, bis auf das Beinkleid und Hemd ab. Die beiden Oberpriester, welche im Kreise stehen, empfangen ein Stück nach dem andern, küssen es, und legen Alles zusammen an einen Ort. Die Priester geben mit den Händen den Takt, der nach der Entkleidung in ein immer schnelleres Tempo übergeht. Allen läuft der Angstschweiß in schweren Tropfen vom Gesichte, Einigen kommt sogar Schaum aus dem Munde. Am Ende ist das Gebrüll und Geheul so fürchterlich, daß es Ohren und Sinne betäubt.
Einer dieser Wahnsinnigen stürzte leblos zu Boden. Die Oberpriester und einige aus dem Kreise eilten auf ihn zu, streckten seinen Körper aus, legten Füße und Hände kreuzweis über einander und bedeckten ihn mit einem Tuche.
Der Herr Doktor und ich erschracken sehr, weil wir dachten, er sei vom Schlage getroffen. Doch freudig wurden wir überrascht, als er nach sechs bis acht Minuten plötzlich das Tuch von sich warf, aufsprang, und sich neuerdings in den Kreis stellte, um mitzuwüthen.
Um 3 Uhr war alles geendet. Ich würde keinem nervenschwachen Menschen rathen, dieß Schauspiel anzusehen, er könnte es nicht aushalten. Ich dachte nicht unter vernünftigen Menschen, sondern unter lauter Rasenden und Besessenen zu seyn. Lange konnte ich nicht zu mir selber kommen und begreifen, daß der Wahnsinn des Menschen so weit gehen könne. Man sagt, daß sie vor dieser Übung Opium genössen, um sich recht zu exaltiren??! —