Читать книгу FLUCHT AUS DER SOWJETUNION - Iga Wagnerowska - Страница 5

3. Kapitel

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Es war der Monat Februar im Jahr 1933. Ich stand damals kurz vor dem Abitur, als ich Bernard, einen Diplomanten des Kijowschen Instituts für Flugwesen, kennengelernt habe.

Meine um ein Jahr ältere Freundin Natascha war verheiratet mit Boris, einem Nachbarn und Freund von Bernard (noch aus dem Sandkasten), der eines Tages bei Natascha in einem Fotoalbum eine Fotografie von mir sah und mich sofort unbedingt kennenlernen wollte. Ich war mit ihr sehr gut befreundet und besuchte sie oft. Einmal traf ich dort Bernard, der mich so ähnlich, wie einst Kola, anschaute. Es machte auf mich gar keinen Eindruck. Wenige Tage danach hat er vier Karten für die Oper gekauft und lud unsere beiden Freunde und mich ein. Wie konnte ich so etwas abschlagen? In die Oper zu gehen? Ich war im siebten Himmel! Es wurde „Carmen“ gespielt. Ich saß in dem Sessel, versunken und wie verzaubert, und konnte meine Tränen nicht zurückhalten.

Erstens, die Rolle der Carmen gehörte zum Repertoire meiner Mutter und zweitens, wie gerne wäre ich doch auch eine Sängerin geworden! Ich hielt ein Taschentuch mal an die Augen, mal an die Nase, die auch fürchterlich lief. Als ob er mich trösten wollte, nahm Bernard meine Hand, dem ich jedoch keine Beachtung schenkte.

Als wir nach der Vorstellung aus dem Theater gingen, erblickte ich mich im Spiegel. Meine Nase war rot und leuchtete wie eine Glühbirne. Natascha weinte auch, aber erst bei der letzten Szene, in der Carmen stirbt, erstochen von Jose. Bernard bestand darauf, mich alleine nach Hause zu bringen. Unterwegs wollte er mich wahrscheinlich beeindrucken und quasselte lauter dummes Zeug. Bestimmt dachte er, einem jungen Mädchen den Kopf zu verdrehen, das wäre doch sehr einfach. In einem Moment hatte ich davon genug und sagte zu ihm:

- Denke nicht, dass ich, nur weil ich siebzehn bin, dumm sei. Deine Komplimente finde ich total blöd und bedaure, leider bin ich nicht interessiert.-

Ich habe das gesagt, weil er mir gar nicht gefallen hat. Er schien mir schrecklich alt zu sein. Er war doch schon ganze 25 Jahre!!!

Dazu noch, was wirklich ganz schlimm war, war er verheiratet!!! Ich wollte ihn nicht mehr treffen.

Boris hatte eine Schwester, die Vera hieß. Ab jetzt, jedes Mal, wenn ich bei Natascha war und „ wie geht es Vera?“ fragte, bekam ich immer dieselbe Antwort:

„ Vera ist mit Bernard ausgegangen“.-

-Hast du den keine Angst vor seiner Frau? – fragte ich Vera bei der ersten Gelegenheit.

-Nein, überhaupt nicht. Ich will und ich werde mich immer weiter mit ihm treffen. – antwortete sie mir mit einer großen Selbstsicherheit.

-Na, dann warte! Wenn du so eingebildet bist, werde ich dir einen Streich spielen. – dachte ich im Stillen.

Später sagte ich zu Natascha:

-Sage bitte Bernard, dass ich ihn morgen Abend um neunzehn Uhr vor dem Leninmuseum treffen möchte.-

Natascha wunderte sich sehr und machte große Augen, woher bei mir plötzlich solches Interesse an ihm kam. Sie versprach aber, es ihm zu sagen.

Ich hielt es für besser, ihr nicht meinen Beweggrund zu erläutern.

Es war am 9 März 1933. Ich war überhaupt nicht sicher, ob er kommen würde. Zuhause habe ich gelogen und gesagt, dass ich zur Apotheke gehen muss, um Watte zu kaufen.

Er war an dem von mir angegebenen Treffpunkt schon viel früher, und während er auf mich wartete, fror er ganz erbärmlich.

-Darf ich sie ins Kino einladen? – fragte er mich, bevor wir uns richtig begrüßt hatten.

Der Arme wollte so schnell wie möglich ins Warme.

Ich musste nur bei mir zu Hause anrufen und Bescheid sagen.

Im Kino hielt er meine Hand und bat mich, ihm das kleine Fingerchen zu schenken. Seine Stimme war so angenehm und mir wurde ganz komisch. Ich wusste gar nicht mehr, was auf der Leinwand passierte, aber ich war sicher, dass mit mir etwas geschah, was ich bis jetzt nicht kannte.

Seit diesem Tag trafen wir uns fast täglich.

Er schien mir jetzt nicht mehr so alt zu sein, wie am Anfang.

Ich war verliebt bis über beide Ohren!

Und ich wollte doch nur Vera einen Streich spielen!

Die Studenten der Fakultät, an der Bernard sein Studium bald beenden sollte, trugen Uniformen des zivilen Flugwesen.

In Russland trugen solche Uniformen auch die Offiziere der Handelsmarine, nur dass die Seeleute an den Mützen einen Anker hatten und die anderen einen Propeller.

-Wie interessant er ist, wie schön gebaut, was für eine männliche Figur, und in der Uniform sieht er fantastisch aus! – seufzte ich immer, wenn ich ihn anschaute. Ich war so jung und so verliebt!

Wenn er die weiße Mütze schräg aufsetzte, bekam ich ganz weiche Knie. Und wie er küsste! Für mich waren es die ersten Küsse, aber er hatte den Ruf eines Frauenverführers und war seit sechs Jahren verheiratet.

Der Bruder von Bernards Vater wohnte in einer anderen Stadt und hatte eine Tochter, in die sich der neunzehnjährige Bernard verliebt hatte. Sie war damals auch 19 Jahre. Er hatte von seiner Mutter verlangt, das Mädchen nach Kiew zu bringen.

-Ich werde nicht mehr dein Sohn sein, wenn du mir den Wunsch nicht erfüllst.-

Die Mutter machte immer was ihr einziger Sohn wollte, ohne darauf zu achten, ob es klug oder dumm war. Sie brachte ihm das Fräulein, und bald haben sie geheiratet. Sie begann zu studieren.

Die jugendliche Liebe war schnell vergangen, und jeder von ihnen ging eigene Wege.

Äußerlich war sie extrem anders als ich. Ich war zierlich, schlank, brünett mit dunklen Augen und einem dunkleren Teint. Außerdem war ich acht Jahre jünger als sie. Sie war sehr groß, stark gebaut, vollschlank, blond, blauäugig und mit einer sehr blassen Haut. Ein sogenanntes Grenadierweib mit einer Nase, die an eine große Kartoffel erinnerte.

Als mein Vater erfahren hat, dass Bernard verheiratet ist, verbat er mir, mich mit ihm zu treffen. Der junge Verliebte ging sofort zum Standesamt, und schon innerhalb einer halben Stunde war er geschieden. Die andere Seite wurde gar nicht nach der Zustimmung gefragt. Sie hatten keine Kinder, also gab es auch kein Problem.

Zu der damaligen Zeit erledigte solche Angelegenheiten das Amt allein, ohne das Gericht.

Bernard zeigte seinem zukünftigen Schwiegervater das Papier, das seine Freiheit bestätigte. Aber die Welt ist wirklich klein. Es hat sich herausgestellt, dass der Bruder von unserer Nachbarin Bernard gut kannte, hatte mit ihm zusammen das Abitur gemacht und wusste von seinen Liebesabenteuern.

-Das Mädchen ist erst Siebzehn und für ihn viel zu schade. Er hatte so viele Liebschaften, wer weiß, ob er sich nicht eine Geschlechtskrankheit eingefangen hat? – sagte er zu seiner Schwester.

Die Nachbarin erzählte das meinem Vater, der danach mit mir darüber redete und sehr besorgt war. Er bat mich, gut zu überlegen, ob ich Bernard wirklich liebte, und ob ich ihn nicht besser vergessen sollte.

Ich weinte ohne Ende und beteuerte, dass ich ohne ihn nicht leben möchte. Schließlich rief mein Vater wieder Bernard zu sich und verlangte von ihm ein ärztliches Attest über seine Gesundheit.

Bernard ertrug alle Schikanen sehr tapfer, ließ verschiedene Untersuchungen über sich ergehen, die eine ideale Gesundheit ergaben. Jetzt stand unserer Liebe gar nichts mehr im Wege.

Nach ein paar Wochen hat er mich um meine Hand gebeten.

Er war immer sehr charmant, zu jedem Treffen brachte er mir Blumen. Erst, nach dem wir geheiratet hatten, kam heraus, woher er damals das Geld für sie hatte. Zu meinem achtzehnten Geburtstag schenkte er mir einen riesig großen Korb mit Blumen, der von zwei Männern gebracht wurde. Der Bräutigam verkaufte dafür seinen Wintermantel und den Zivilanzug. Waren das keine enormen Liebesbeweise?

Am dritten Tag des Novembers 1933 haben wir geheiratet.

Man konnte es nicht eine Hochzeitszeremonie nennen.

Wir gingen ganz normal angezogen zum Standesamt, füllten dort die Formulare aus, unterschrieben sie, und das war alles. Dort war kein Platz für Romantik.

Es war ein kalter, düsterer Novembertag, um uns herum herrschte Hunger, Armut, Not und Elend, aber wir waren jung, gesund, verliebt und in unseren Herzen war Mai!!!

Erst nach der Heirat erzählte mir Bernard davon, dass er ein Deutscher war. Seine beiden Eltern waren deutsch, aber lebten so lange in Russland, dass niemand mehr darüber gesprochen hat. Wir beide dachten, unser Deutschsein vor einander verheimlichen zu müssen.

Jetzt erzählte ich ihm von meiner Mutter, und wir beide waren erleichtert, keine Geheimnisse mehr vor einander zu haben.

Selbstverständlich haben wir dabei geweint, aber es waren die Glückstränen. Wir freuten uns jetzt, deutsch miteinander sprechen zu können.

Gut, dass mein Vater nichts davon wusste. Bestimmt hätte er darin auch ein Problem gesehen, denn von seiner deutschen Frau wurde er sehr enttäuscht. Ich bin aber davon überzeugt, dass nicht die Nationalität eines Menschen Einfluss auf seinen Charakter hat.

FLUCHT AUS DER SOWJETUNION

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