Читать книгу Ein Date mit der Seele - Ilka Plassmeier - Страница 17
Eigenverantwortlichkeit - wie innen, so außen
ОглавлениеEs verlangt Mut, sich dieser Sichtweise anzunehmen, denn sie erfordert, sich mit den eigenen Schattenseiten auseinanderzusetzen. Aber nur die Bereitschaft, sich den eigenen dunklen Seiten zu stellen, ermöglicht diese zu wandeln und erstrahlen zu lassen.
Warum sind wir überhaupt bereit zu leiden?
Vielen Menschen macht Veränderung im Leben Angst. In der aktuellen, wenn auch problematischen Situation kennen wir uns aus. Wir wissen, woran wir sind. Wenn nun etwas verändert wird, ist nicht mehr sicher, was kommen wird. Wir befürchten, dass es sogar noch schlimmer werden könnte. Der Mensch neigt dazu, vom Schlimmsten auszugehen, anstatt das Beste zu hoffen. Oftmals kann es doch gar nicht schlimmer werden, als es gerade ist. Warum also nicht doch nach der Taube auf dem Dach greifen und den Spatz loslassen? Nur müssen wir dafür erst einmal den Spatz fliegen lassen und für kurze Zeit ohne etwas in der Hand dastehen. Denn wir brauchen beide Hände, um auf das Dach zu klettern. Der auf Sicherheit bedachte Mensch schüttelt jetzt vehement den Kopf: „Nein, das kommt gar nicht in Frage. Wenn ich die Taube dann nicht bekomme, stehe ich mit leeren Händen da!" Aber wenn wir auf dem Sofa sitzen bleiben, werden wir nicht belohnt. Nichts wird passieren. Kommen wir dagegen ins Handeln, werden wir mit Erfahrungen und Fülle beschenkt.
Manche Klienten haben auch Angst vor Fehlern. Eine unbegründete Angst, denn auf seelischer Ebene gibt es gar keine Fehler. Alles was wir tun, und die Konsequenz daraus, bringt uns ein Mehr an Erfahrung. Natürlich werten wir diese, nennen sie gute oder schlechte Erfahrungen. Aber eine schlechte Erfahrung dient ausschließlich dazu, es beim nächsten Mal besser zu wissen. Verfügen wir über diese Erfahrungen nicht, haben wir auch nichts gelernt (der Klassiker: „Beim nächsten Mann wird alles anders!" und doch ist der nächste wieder „der Gleiche in Grün").
"Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünscht für diese Welt"
(Mahatma Gandhi)
Menschen, die in der Opferhaltung stecken und nicht eigenverantwortlich sind, erkennen wir daran, dass sie jammern und die Schuld nur bei den anderen suchen, während sie selbst vermeintlich nichts zu der Situation beigetragen haben. Sie erwarten von anderen sich zu ändern, sind aber selbst nicht bereit es zu tun. Aus dieser Haltung wird lange Zeit ein sekundärer Gewinn gezogen, weil aus dem Umfeld Aufmerksamkeit und Verständnis kommt - wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad, aber immerhin. Natürlich dürfen wir uns dann und wann Selbstmitleid zugestehen, wir dürfen zetern, maulen und jammern. Das ist ganz normal und gehört zum Leben. Aber mehr als ein oder zwei Tage sollte dieser Zustand nicht andauern.
Zitataus dem Buch„Ein Kurs in Wundern" von Marianne Williamson: „Unsere tiefste Angst ist es, dass wir über alle Maßen kraftvoll sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, das wir am meisten fürchten." (Rückkehr zur Liebe: Harmonie, Lebenssinn und Glück durch 'Ein Kurs in Wundern', Goldmann Verlag, 24. September 2004). Das bedeutet für mich: Die größte Angst des Menschen ist die Freiheit. Eigenverantwortung bedeutet, auf eigenen Füßen zu stehen, die Konsequenzen für sein Handeln zu übernehmen, sich nicht mehr zu rechtfertigen, nicht mehr zu verdrängen und nicht mehr im Selbstmitleid zu zerfließen. Vielmehr bedeutet es, mutig und selbstbewusst zu handeln, zu lernen, sich seinen Schattenseiten zu stellen, Veränderung und Persönlichkeitsentwicklung anzustreben. Niemand anders übernimmt die Verantwortung als ich für mich selbst. Wir neigen gern dazu, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben zu wollen. Das ist bequem und zusätzlich wird ein Machtspiel daraus. Oftmals finden hier regelrechte Kämpfe mit unbewussten und emotionalen Erpressungen statt, auf andere Personen wird Druck ausgeübt.
Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich heiße unethische und unmoralische Handlungen keinesfalls gut. Es gibt keine Rechtfertigung für rücksichtsloses oder gar gewaltsames Verhalten. Der Täter muss immer die Konsequenzen für seine Taten tragen. Mir geht es darum, das Wort „Schuld" zu entkräften, das im normalen Alltag viel zu schwer wiegt. Es ist ein menschengemachtes Wort, um zu be- und verurteilen. Auf seelischer Ebene gibt es keine Schuld und auch keine Unschuld. Auf seelischer Ebene gibt es nur die Handlung und die Konsequenz daraus. Das gilt sowohl für aktive wie auch für passive Handlungen, denn auch das Unterlassen kann eine Handlung sein (siehe unterlassene Hilfeleistung).
"Seine eigenen Erfahrungen bedauern, heißt seine eigene Entwicklung aufzuhalten"
(Oscar Wilde)
Wir tragen die Verantwortung und die Konsequenzen für unser Handeln und unser Sein. Wir müssen uns also immer unseren Teil des Schuld-Machtspiels anschauen. Wenn uns etwas geschieht, wofür wir einem anderen die Schuld geben, hatten wir innerlich aber eine Disposition (Entsprechung) zu diesem Geschehen. Warum haben wir es also geschehen lassen? Was ist unser Vorteil an der Situation? Von Krankheiten ist der Begriff „Sekundärer Krankheitsvorteil" bekannt - also ein Gewinn aus dem Leiden. Was gibt es dabei zu lernen?
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Schuldgefühle, die uns bewegen. Selbstvorwürfe, die uns lähmen. Mit diesen Gefühlen können wir wunderbar im Selbstmitleid zerfließen und gleichzeitig darin erstarren. Geben wir Schuldgefühlen Raum, machen wir uns zum Opfer und abhängig von der Vergebung anderer. Doch andere können uns nicht vergeben. Das können nur wir selbst tun und diese Aufgabe ist schwerer, als auf das Vergeben durch andere zu warten. Schuld ist immer ein Gefühl - keine Tatsache. So hat der, der einem anderen die Schuld zuschiebt. Macht, und der andere, der im Schuldgefühl verharrt, die Ohnmacht. Schuldgedanken, egal auf welcher Seite wir uns befinden, kosten Kraft und behindern unsere persönliche Entwicklung. Stell Dir bildlich die Schuld als einen Luftballon vor, den Du komplett unter Wasser drückst. Anfangs geht das noch leicht, aber mit der Zeit aber wird der Energieaufwand immer größer, so dass kaum noch Kraft für etwas anderes verbleibt. Das läuft bei uns Menschen unbewusst ab und kann zu Depressionen oder Burnout führen.
Eigenverantwortung bedeutet, aus diesem Spiel auszusteigen. Entschuldung ist ganz wichtig. Wir müssen lernen, dem anderen zu sagen, dass wir bedauern, was wir gesagt oder getan haben und damit gleichzeitig auch uns selbst vergeben. Warten wir darauf, dass der andere die Entschuldigung annimmt, beginnen wir ein Machtspiel und begeben uns erneut in Abhängigkeit. Dabei ist es zu diesem Zeitpunkt bereits gar nicht mehr unsere Angelegenheit. Ob der andere die Entschuldigung annimmt oder auch nicht, ist seine Angelegenheit. Es ist nicht unsere Aufgabe, einen anderen zur Vergebung zu bewegen. Möchte er weiterhin im Urteilen verbleiben, ist es seine Entscheidung. Vergebung ist eine freie und ganz persönliche Entscheidung eines jeden Einzelnen.
In der problembelasteten Sofaecke wird es für den Menschen kompliziert, wenn der Leidensdruck steigt. Was tun? Wie schon so oft den Freunden das Herz ausschütten? Den Arzt fragen, der doch nur erwidern wird, alles sei psychosomatisch, er könne nicht helfen und das Leben müsse man selbst ändern. Jeden Morgen mit Bauchschmerzen und Widerwillen ins Büro? Spätestens jetzt ist die Zeit des Umdenkens gekommen. Nun sucht der Mensch wirklich(e) Hilfe. Jetzt wird er aufgefordert, bei sich selbst zu schauen und echte Veränderung von innen heraus zu bewirken. Die Seele will, dass wir unser seelisches und unbewusstes Potenzial entdecken und freisetzen, die Kraft zur Veränderung spüren und den Weg gehen, der sich jetzt öffnet.
Das Aufstellungsbild zeigt die seelischen Hintergründe der jetzigen Situation. Hier steht alles, was die aktuell problematische Situation ausmacht. Das Problem, das wir im Außen sehen, zeigt sich hier im Innen. Diese Selbsterkenntnis ist oft nicht leicht zu ertragen, denn es bedeutet, dass das Jammern nun ein Ende hat. Das ist der Punkt an dem wir erlernen, beobachtete oder übernommene Muster, wie beispielsweise eine Opferhaltung oder falsche Anpassung, zu durchbrechen und zu wandeln. Uns werden sanft die Augen über diese Muster und Blockaden geöffnet, die wir uns über viele Jahre hinweg angeeignet haben, sei es durch Erziehung, zum eigenen Schutz oder durch Erlebnisse. Sind die Augen nun geöffnet, sind wir in der Lage zu sehen, was wir getan haben und wie wir es ändern können. Das ist der Punkt, an dem unsere Veränderung beginnt und der Lösungsweg bzw. die Transformation einsetzt.
Viele Blockaden sind durchaus auch anerzogen oder übernommen. Als Kind lernen wir schon, wie wir uns zu verhalten haben und wie nicht, was wir zu tun haben und was nicht. Doch wenn diese Regeln und Normen völlig konträr zu unseren Fähigkeiten stehen, werden sie zur Belastung. Sind wir kreative Menschen mit künstlerischen Fähigkeiten, werden aber von klein auf gelehrt, dass wir im Leben nur mit einer Ausbildung zum Kaufmann bestehen können, dann werden wir irgendwann unsere Fähigkeiten unterdrücken, was zwangsweise zu Problemen führt. Doch diesen anerzogenen und übernommenen Glaubenssatz aufzulösen und zu wandeln, ist für manchen Menschen unvorstellbar. Die erlernten Verhaltensweisen können uns jedoch unglaublich behindern. Und doch haben wir eine Entsprechung dazu, zu diesen Verhaltensweisen überhaupt Ja zu sagen und uns diesen zunächst einmal nicht zu widersetzen (auch hier wieder ein sekundärer Gewinn).
Wie schwierig manchmal die Wandlung sein kann, zeigt ein einfaches Beispiel. In Indien werden Elefanten schon als kleine Jungtiere an eine schwere Eisenkette gelegt. Die Erfahrung des Tieres ist: Wenn ich weiter gehe, als diese Kette reicht, dann zieht sie sich zu und verursacht Schmerzen. Nach vielen Versuchen, sich zu lösen, gibt der kleine Elefant dann schließlich auf. Später als ausgewachsenes Tier ist diese Erfahrung noch immer in seinem Unterbewusstsein verankert. So können die Halter den Elefanten mit einem dünnen Seil an einem leichten Holzpflock anbinden, ohne dass das Tier versuchen würde, sich zu befreien. Der Elefant erwartet noch immer die sich schmerzhaftzuziehende Eisenkette, aus der es kein Entrinnen gibt.
Auch wir Menschen leben nach diesen Erfahrungswerten. Irgendetwas hat in der Kindheit (oder auch in früheren Leben) sehr wehgetan, also erwarten wir den Schmerz, die Strafe oder die Konsequenz auch heute noch, selbst wenn dies völlig paradox ist. Wir nehmen eine Schonhaltung an, wie wir sie beispielsweise von Rückenschmerzen kennen, und richten uns mit dem Problem ein. Der Schmerz kann durch eine verdrehte Haltung zwar zeitweilig verdrängt werden, ist jedoch nicht weg. Irgendwann wird schließlich auch die Schonhaltung schmerzhaft.