Читать книгу 40 Tage durch die Wüste - Homeschooling in Zeiten von Corona - Ilka Wasserzier - Страница 6
ОглавлениеTag 1
Liebes Corona-Tagebuch,
normalerweise gehört der Vormittag mir. Mir und meinem Zuhause. Da kann ich machen, was ich will. Hier redet mir keiner rein. Ab heute ist das anders. Meine Oase der Ruhe und Stille ist plötzlich laut und voll. Nicht nur das Kind muss ab heute nicht mehr in die Schule, auch der Mann hat sich bei seinem Arbeitgeber ins Homeoffice verabschiedet und sich mit diversen Rechnern und Equipement zunächst im Wohnzimmer breitgemacht. So ist er näher an uns dran, sagt er. Er will ja helfen, wenn er schon mal zu Hause ist, sagt er. Wir schaffen das schon alles zusammen, sagt er. Hm, sage ich. Wie realistisch dieses ehrenhafte Vorhaben ist, werden die nächsten Wochen zeigen.
Meine eigene Arbeit verschiebe ich im Geiste schon mal auf den Abend. Schließlich heißt es jetzt Homeschooling und das ist voll Muddis Ding. Hey, ich bin Lehrer-Tochter, da werde ich doch wohl einem Erstklässler ein bisschen Bildung in den Kopf hämmern können!
Ich bin guten Mutes. Schließlich ist das Kind eigentlich pflegeleicht und eigentlich ja auch recht kooperativ. Bei den Hausaufgaben klappt es eigentlich doch auch. Eigentlich …
Da es bisher lediglich eine E-Mail von der Schule gibt, die einen Plan für den Nachmittag ankündigt, möchte ich es ruhig angehen lassen und lege dem Kind ein paar leichtere Matheaufgaben vor, die unerledigt vom letzten Wochenplan übrig geblieben sind. Das Kind verschränkt die Arme, zieht die Mundwinkel maximal weit herunter und motzt. „Mach’ ich nicht. Es sind Corona-Ferien.“ Na, das verspricht ja lustig zu werden. Während in meinem Kopf eine Stimme schreit: „Und ob du das jetzt machst!!!“, lächle ich betont entspannt und stelle richtig: „Nein, das stimmt jetzt so nicht. Ferien sind erst in drei Wochen. Vorher übernimmt Mama den Unterricht.“
Das Kind schaut mich mit einer merkwürdigen Mischung aus nackter Panik, Belustigung und einer großen Portion Trotz an. Ich kann seine Gedanken förmlich hören: „Mist, das meint die echt ernst. Wie komme ich denn aus der Nummer wieder raus?“ Ich halte dem Blick stand. Jetzt bloß nicht wegschauen, dann habe ich verloren. Im Kopf vom Kind rasen die Gedanken, sein Blick verdüstert sich auf dramatische Art und Weise. Schreien, heulen, Türenknallen – alles Optionen, die er vermutlich gerade abwägt.
Am Ende entscheidet er sich für Krokodilstränen und ein Klagelied auf die Schule, die Welt im Allgemeinen und seine sadistische Mutter im Besonderen. Ich mache, was jede gute Mutter macht: Ich sitze einfach nur da und warte, dass der Anfall vorüber ist.
Dabei schweift mein Blick über unsere recht ansehnliche Hausbar. Die Aussicht auf mindestens drei Wochen Homeschooling lässt dennoch nur einen Schluss zu.
Fazit nach Homeschooling-Tag Nr. 1:
Unser Haushalt verfügt über zu wenig Alkohol.