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Das erneuerte Beichtsakrament

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Etwa zwanzig Jahre nachdem er die Nebenübungen zuerst beschrieben hatte, war Rudolf Steiner zum Inaugurator zahlreicher lebenspraktischer Bewegungen geworden, die den anthroposophischen Impuls in die Welt trugen und dabei aus den Erkenntnissen heraus wirkten, die in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in der Bewegung veranlagt worden waren. Spirituell offene Menschen suchten in seinem Umfeld individuelle Wege zu einer neuen Geisterkenntnis, die der Welt dabei helfen sollte, die Verhältnisse in der Nachkriegszeit zu heilen. Die Waldorfpädagogik, die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die anthroposophisch erweiterte Medizin, eine Heilpädagogik und Sozialtherapie auf der Grundlage eines Menschenbildes, das Geist, Seele und Leib umfassen sollte, sowie allerlei künstlerische Impulse begannen ihre Arbeit. Sie entwickelten sich in den folgenden Jahrzehnten zunächst in Mitteleuropa und wurden insbesondere in den letzten fünfzig Jahren in vielen Teilen der Welt fruchtbar.

In dieser Zeit entstand auch die als »Bewegung für religiöse Erneuerung« bekannte Christengemeinschaft als eine Art überkonfessionelle, von den bestehenden Kirchen unabhängige und den Sakramenten in neuer Form verpflichtete Gemeinschaft des religiösen Lebens. Im Zentrum stand und steht die erneuerte Messe, und um sie herum begannen die sechs anderen Sakramente als lebensbegleitende »Verwandlungstaten« in der Biografie der Menschen bei unterschiedlichen Anlässen zu wirken: Taufe, Konfirmation, Beichte, Letzte Ölung, Trauung und Priesterweihe.

Die Beichte – in ihrer katholischen Geschichte oft schwer belastet und daher mitunter als unzeitgemäß empfunden – nimmt dabei eine Sonderstellung ein. Anders als die anderen Sakramente ist sie in ihrer Übung nicht etwas mehr oder weniger Einmaliges, sondern kann ganz ausdrücklich lebensbegleitend sein in ähnlichem Sinne wie die Messe, die in der Christengemeinschaft die »Menschenweihehandlung« genannt wird. Zwar muss der religiös handelnde Mensch sie nicht in sein Leben integrieren und schon gar nicht regelmäßig empfangen. Die Verbindung mit diesem Sakrament ist von völliger Freiwilligkeit geprägt. Sie ist aber darauf angelegt, dass sie bei Bedarf immer wieder – gewissermaßen biografiebegleitend – geübt werden kann. Sie dient nicht einer konkreten »Sündenvergebung«, der Beichtende bekommt nicht etwa eine Absolution für sein bisheriges Tun. Deshalb muss er natürlich auch keine Sünden oder Verfehlungen bekennen. Diese werden schlicht als Grundtatsache des Menschseins vorausgesetzt, bis in den Text der Messe hinein, sind aber nicht der eigentliche Anlass dafür, ein Beichtgespräch zu suchen. Vielmehr geht es darum, den roten Faden des Lebens zu suchen, immer mal wieder, und dabei genauer anzuschauen, was mich gerade jetzt weiterbringen kann auf meinem individuellen Weg.

Der Vollzug ist denkbar einfach. Es wird ein Gesprächstermin vereinbart, meist in einem ruhigen Raum, immer vor einem Christusbild und einer Kerze. Das Gespräch führt der Zelebrierende meist zunächst in Zivil. Es kann aber auch das Ornat gewählt werden, denn manchmal erleichtert das eine gewisse Objektivität. In anderen Fällen stört es eher. Die Rolle des Priesters ist eine hörende. Gefragt ist kein Therapeut, kein Coach, kein Ratgeber, sondern die oder der Beichtende spricht sich vor dem Christus aus, der durch die Ohren des Zelebranten, der Zelebrantin zuhört.

Am Schluss werden die Gewänder angelegt und es wird ein Spruch, Gebet, Segen gesprochen, dessen Wortlaut wie alle Rituale der Christengemeinschaft durch Rudolf Steiner vermittelt wurde. Es sind sieben Zeilen, die mündlich aufgenommen werden sollen und deshalb hier nicht wortgetreu wiedergegeben werden. Man kann sie aber durch gutes Hinhören meist bald auswendig, wenn man das Beichtsakrament ein paar Mal erlebt hat. Das allerdings geht nur im eigenen Üben – niemand Drittes ist dabei, kein Ministrant, kein Zeuge – außer dem Zelebranten, der Zelebrantin. Am Ende geht der oder die Beichtende gestärkt durch den Zuspruch des Christus, der im Wortlaut des Sakramentes aufleuchtet, und durch die folgende Individualkommunion hoffentlich gesünder in sein Leben. Insofern ist das Beichtsakrament – wie auch die Nebenübungen – dem Gedanken der Salutogenese, der harmonischen Lebenshaltung, der geistig-seelischen Gesundheit verpflichtet.

Dass die Gedankenfolge im Wortlaut des Beichtsakramentes in eigentümlicher Weise mit den Übungen verwandt ist, die Rudolf Steiner seinen Geistesschülern viele Jahre vorher als Begleitung des meditativen Lebens empfahl, ist zunächst nicht offensichtlich. Die Nebenübungen kenne ich seit etwa vierzig Jahren und habe sie die meiste Zeit davon auch mehr oder weniger – wenn auch meist eher periodisch – intensiv geübt. Das Beichtsakrament pflege ich als Beichtende seit fast dreißig Jahren. Die letzten zwanzig Jahre habe ich als Priesterin auch zahlreiche Beichten hören und mit dem Spruch abschließen, das heißt zelebrieren dürfen. Aber erst in der Corona-Zeit, in der erneuten verstärkten Arbeit an den Nebenübungen, die mir jetzt geboten erschien, tauchte das Thema der Verwandtschaft zum Beichtspruch auf. Diese kleine Entdeckung, die ich bestimmt nicht als Erste machen durfte, die für mich aber so überraschend wie erhellend war, hat dazu geführt, dass meine Gemeinde-Briefe zu den Nebenübungen entsprechend um Betrachtungen zum Beichtsakrament erweitert wurden.

In etwas ausführlichere Form gebracht, können sie nun auf vielfachen Wunsch als kleines Vademecum für die Bewältigung verschiedenster Herausforderungen des Lebens herausgegeben werden.

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