Читать книгу Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3) - Ina Krabbe - Страница 5

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2. Kapitel

Der Plastikstuhl war popelgrün und unbequem. Malu rutschte ungeduldig hin und her. Sie war mit dem zweiten Ret­tungswagen ins Krankenhaus gebracht worden, aber zum Glück hatte sich herausgestellt, dass sie mit ein paar Schürfwunden und Prellungen davongekommen war. Jetzt saß sie neben Gesine vor dem OP-Bereich und wartete auf jemanden, der ihr sagen konnte, wie es ihrer Mutter ging. Rebecca war sofort in den Operationssaal gebracht worden und seitdem dokterte man an ihr herum. Malu machte sich furchtbare Sorgen.

Gesine legte ihr die Hand auf den Arm. »Das wird schon wieder, Malu. Rebecca wird ein bisschen herumhumpeln und in einem Monat ist das alles nur noch ein spannendes Abenteuer.«

Malu nickte wenig überzeugt. Wenn sie doch nur nicht so kopflos in die Kapelle gelaufen wäre, dann wäre ihre Mutter ihr nicht gefolgt und dann – ach, das brachte doch auch nichts! Sie sprang auf und lief unruhig den Gang entlang, dabei schob sie die Hände tief in die Hosentaschen. Ihre Finger schlossen sich um kühles Metall. Der goldene Fund aus dem Verlies, den hatte sie ganz vergessen. Vorsichtig zog sie ihn heraus. Es war eine Kette mit einem ovalen Anhänger. Das Metall war dunkel angelaufen. Malu polierte die Fläche mit ihrem Jackenärmel. Eine Eule mit ausgebreiteten Flügeln und gespreizten Krallen war darauf eingraviert.

»Zeig mal, was hast du da?« Gesine klopfte neben sich auf den Stuhl. »Komm, Malu. Setz dich. Du machst mich ganz nervös mit deiner Rumlauferei.«

Der Stuhl gab ein unwilliges Knarren von sich, als Malu sich darauf fallen ließ. Sie hielt ihrer Großtante die Kette hin.

Gesine griff danach und betrachtete den Anhänger. »Wo hast du den her?« Malu konnte das Staunen in ihrer Stimme hören.

»Der lag in dem Raum unter der Kapelle.« Von dem Gang, der dort in die Dunkelheit führte, sagte Malu nichts. Sie wusste selber nicht so genau, warum sie das verschwieg.

»Der hat meiner Schwester gehört. Esmeralda«, erklärte Gesine. Ihre ältere Schwester Sybill war letztes Jahr gestorben, von ihr hatte Edgar das Schloss geerbt und Malu Papilopulus. Esmeralda war vor Gesine geboren, aber schon als Kind an einer Lungenentzündung gestorben. Den Tod des Mädchens hatte ihr Vater, der alte Baron von Funkelfeld, nie verwunden und war darüber in eine tiefe Depression gefallen.

Gesine strich über die eingravierte Eule und schien ganz in Gedanken versunken. »Nach Esmeraldas Tod hat mein Vater ihr Medaillon getragen, ich kann mich nicht erinnern, ihn je ohne es gesehen zu haben.«

»Kann man es aufklappen?«, fragte Malu.

Gesine drehte den Anhänger und betrachtete ihn von allen Seiten, dann reichte sie ihn an Malu zurück. »Versuch du es mal, ich habe meine Brille nicht dabei.«

Malu hatte den Mechanismus schnell gefunden. Ein winziger Knopf an der Seite ließ sich herunterdrücken und schon sprang der goldene Deckel auf. Malu schnappte überrascht nach Luft. Das junge Mädchen, das ihnen breit entgegengrinste, kam ihr sehr bekannt vor! Zwar war das Schwarz-Weiß-Foto etwas vergilbt, aber die Ähnlichkeit war verblüffend. Esmeralda hätte ihre Zwillingsschwester sein können.

Gesine lächelte. »Hab ich dir ja immer gesagt, du erinnerst mich an sie. Nur ihre Haare waren heller. Du hast deine von Rebecca.«

»Darf ich es behalten?«, fragte Malu. Als Gesine nickte, warf sie noch einen letzten Blick auf das Mädchen, dann klappte sie den Deckel zu und hängte sich die Kette um den Hals. Und im selben Moment wurde ihr klar, dass etwas von dem, was Gesine gerade gesagt hatte, nicht zusammenpasste. »Wie ist die Kette denn unter die Kapelle gekommen, wenn dein Vater sie immer getragen hat?«

Gesines Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

»Wenn er die Kette immer dabei hatte, dann muss er sie doch umgehabt haben, als er gestorben ist. Warum ist er nicht damit beerdigt worden?«, setzte Malu nachdenklich hinzu.

»Tja, so genau weiß ich das natürlich nicht mehr. Ist ja schon lange her«, druckste ihre Großtante herum. Das Thema schien ihr irgendwie unangenehm zu sein. »Vielleicht hat ihm jemand das Medaillon abgenommen oder er hatte es verloren.« Sie schien aus mehreren Gründen erleichtert, dass sich die Tür zum OP-Bereich öffnete und ein Arzt auf sie zukam.

Eine Stunde später bog Gesines alter Geländewagen auf den Schlosshof und parkte neben den beiden weißen Lieferwagen der Baufirma. Malu stieg aus dem Auto. Sie fühlte sich, als wäre sie unter einen Traktor geraten. Jetzt, wo die Anspannung nachließ, schmerzten ihre Verletzungen viel stärker.

Ihre Mutter hatte noch mal Glück gehabt, der Bruch war zwar kompliziert, aber die Ärzte hatten das Bein wieder zusammenflicken können. Dazu hatte Rebecca eine saftige Gehirnerschütterung und mehrere Prellungen. Sie würde auf jeden Fall die nächste Zeit im Krankenhaus bleiben müssen. Es gab also viel zu tun für Malu und Edgar. Obwohl Malu doch eigentlich beschlossen hatte, sich auf ihren Verletzungen auszuruhen und ein bisschen von ihrem Bruder verwöhnen zu lassen.

Edgar war, kurz nachdem der Arzt aus dem OP gekommen war, ins Krankenhaus gestürmt. Lea hatte ihn übers Handy erreicht.

Jetzt lief Edgar mit Gesine vor, ihre Großtante wollte nur schnell ein paar Sachen für Rebecca packen, und sie ihr gleich ins Krankenhaus bringen. Malu ging herüber zur Pferdeweide, die an den Schlosshof grenzte, und lehnte sich an den Zaun. Versonnen betrachtete sie ihre kleine Pferdeherde, die sich langsam grasend über die Wiese bewegte. Ping und Pong, die beiden Isländerponys klebten wie siamesische Zwillinge aneinander.

Kurze Zeit später kam Edgar dazu und schwang sich auf den oberen Zaunbalken. Sie winkten Gesine, die mit Karacho durch das Tor brauste, dass der Kies unter ihren Reifen nur so wegspritzte.

»Die alte Dame fährt aber einen scharfen Zahn«, sagte Edgar.

Malu lachte. »Wo hast du denn den Ausdruck her?«

»Von Gesine«, grinste ihr Bruder. »So und jetzt will ich die ganze Story hören – von Anfang an. Die volle Wahrheit mit allen gruseligen Details.«

Bereitwillig erzählte Malu von der zugemauerten Ka­­pelle, der eingekrachten Falltür, dem Geheimgang und dem Medaillon, das sie dort unten gefunden hatte. Sie zog es unter ihrem Kapuzenpulli hervor und zeigte es ihrem Bruder. Bei dem Foto von Esmeralda pfiff er durch die Zähne. »Du siehst ja genauso aus wie Gesines Schwester.«

»Du siehst ja auch aus wie dein Opa und schließlich ist Esmeralda ja auch meine Großtante, genau wie Gesine.«

»Na, junge Dame, alles ok bei euch? Da habter mir aber ’nen janz schönen Schrecken eingejagt.« Der dicke Arbeiter kam zu ihnen herüber. »Det is da hinten nu alles abjesperrt. Nich daste auf die Idee kommst, da noch mal reinzukrabbeln, wa.«

Malu grinste. »Nee, keene Sorge.«

»Na, denn is ja jut. Ick bin mal weg für heute.« Er winkte ihnen zu und stieg in einen der weißen Lieferwagen. Paul Kowalski – Bauträume stand in oranger Schrift an der Seite.

»Hast du gewusst, dass es mal eine kleine Kirche im Schloss gegeben hat?«, fragte Edgar.

Malu schüttelte den Kopf. »Erst seit heute Morgen. Wir fragen Gesine, wenn sie nachher zurück ist. Die muss das doch wissen. Es sei denn, die Kapelle ist schon vor ihrer Geburt zugemauert worden.«

»Warum haben sie das wohl gemacht?«

»Mich interessiert viel mehr, wozu es den geheimen Weg durch den Schrank gab und wozu der Raum unter der Kapelle diente und wohin der Gang aus diesem Verlies führt und –«, Malu holte Luft, »wieso das Medaillon dort unten lag. Gesine hat nämlich gesagt, dass ihr Vater es nach Esmeraldas Tod immer umhängen hatte.«

Edgar grinste. »Ganz schön viele Fragen auf einmal. Aber mich interessiert zu allererst, wie wir die nächsten Wochen ohne Rebecca zurechtkommen sollen. Wir müssen die Arbeiten nachher mit Gesine besprechen und aufteilen – Ah!« Edgar schrie auf und fiel vorneweg vom Zaun. Papilopulus legte seinen großen Kopf genau dort über den Balken, wo Edgar gerade noch gesessen hatte.

»Er findet dich auch langweilig«, lachte Malu. »Arbeiten, arbeiten, arbeiten – wo es doch gerade spannend wird.« Sie wuschelte dem Wallach durch die Mähne. Der blähte die Nüstern und schob sein Maul in Richtung Jackentasche. »Papi, du alter Fresssack. Ich denke, du kommst aus Liebe zu mir, aber alles, was du willst, sind schnöde Leckerchen. Schäm dich.«

Edgar hatte sich wieder aufgerappelt und klopfte sich den Dreck von der Hose. »Was für ein hinterhältiger An­­schlag, Papilopulus. Überleg mal, wer dir morgens das Futter bringt. Diese Schlafmütze da bestimmt nicht.«

Malu streckte ihrem Bruder die Zunge raus. Dann betrachtete sie noch mal das Medaillon, bevor sie es zurück unter ihren Pullover steckte. »Ich glaube, der alte Baron hat sich dort unten herumgetrieben, vielleicht finden wir ja da ...«

Edgar drehte sich ruckartig zu seiner Schwester um. »Kein Wort mehr von diesem Schatz, Malu. Da will ich nichts mehr von hören! Diese verdammte Suche hätte uns beide fast umgebracht.«

Das Thema war inzwischen für Edgar ein rotes Tuch. Malu wusste das, aber trotzdem konnte sie den Gedanken an den Schatz nicht aus ihrem Kopf kriegen.

In ihrer Wohnung klingelte das Telefon und Edgar lief schnell über den Hof. Auf halber Strecke drehte er sich noch mal um. »Und komm ja nicht auf die Idee, in die Kapelle zu gehen. Du hast gehört, was Kalle gesagt hat. Es ist alles abgesperrt!«

Malu äffte lautlos das Geplapper ihres Bruders nach. Alter Wichtigtuer! Das würde jetzt wohl noch schlimmer werden, wo sie beide auf sich allein gestellt waren. Sie knuddelte Papi noch mal und folgte Edgar dann zum Haus.

Aus dem Schloss drangen furchterregende Geräusche, so als würden ganze Wände eingerissen – vermutlich war es nach der Renovierung nicht wiederzuerkennen. Malu war gespannt, was das Schloss noch so alles preisgeben würde. Nachher musste sie auf jeden Fall in der Bibliothek nach Plänen und alten Fotos vom Schloss suchen. Vielleicht konnte sie dort etwas über diese Kapelle in Erfahrung bringen.

Als Malu in die Küche kam, hielt Edgar das Telefon immer noch in der Hand.

»Was ist los? Warum guckst du so komisch?«, fragte sie. »Wer war dran?« Malu deutete auf den Hörer.

»Das war Frau Jansen. Vom Birkenhof, wo Rocco und Alibaba gestanden haben, bevor ich hierhergezogen bin«, fügte er hinzu. »Du glaubst nicht, was die wollte!«

»So, wie du guckst ... Hast du noch ein Schloss geerbt? Oder ihren Hof? Will sie dich heiraten?«

Edgar schüttelte unwillig den Kopf, ihm war nicht nach Scherzen zumute. »Sie will Alibaba kaufen ...«, er zögerte kurz, »mitsamt dem Fohlen.«

»Was?!« Malu starrte ihren Bruder entsetzt an. »Wie kommt die denn darauf? Warum?«

Edgar drehte sich um und stellte den Hörer zurück in die Aufladestation. »Hat sie nicht gesagt. Eigentlich wollte sie auch gar nicht mit mir, sondern mit Rebecca sprechen.«

Edgar sagte immer noch Rebecca zu ihrer Mutter, obwohl sie ihn letztes Jahr ganz offiziell adoptiert hatte. Aber an ein Mama konnte er sich mit seinen fünfzehn Jahren einfach nicht mehr gewöhnen.

Hilflos baumelten die Arme an Edgars schlaksigem Körper herunter, als wüsste er nicht so recht, wohin mit den langen Dingern. Dann vergrub er die Hände tief in den Hosentaschen. »Ich habe das Gefühl, sie hatte schon mit ihr darüber gesprochen, kannst du dir das vorstellen?« Misstrauen glitzerte in seinen Augen. Er war schon zu oft enttäuscht worden.

Aber Malu schüttelte den Kopf. »Niemals. Das würde meine Mutter nie machen! Die würde doch Alibaba nicht verkaufen, ohne dich zu fragen. Es ist doch dein Pferd! Und schon gar nicht mit dem Fohlen!«

Edgar nickte. »Ich habe letzten Monat auf dem Birkenhof angerufen, weil es mir doch keine Ruhe gelassen hat, wer der Vater von Alibabas Fohlen ist. Hätte mich einfach mal interessiert. Es muss ja passiert sein, als Alibaba noch auf dem Birkenhof stand.« Er blickte Malu ratlos an. »Aber Frau Jansen wusste von nichts – hat sie jedenfalls gesagt.«

Malu hörte nur halb zu. Edgars Worte über ihre Mutter geisterten durch ihren Kopf. Ich muss dringend mit dir und Edgar reden, hatte sie heute Morgen noch gesagt. Und sie hatte dabei gar nicht glücklich ausgesehen. Konnte es doch sein, dass sie mit Frau Jansen gesprochen hatte? Wollte sie Edgars trächtiges Lieblingspferd etwa verkaufen? Malu schüttelte den Kopf, das konnte und wollte sie sich einfach nicht vorstellen! Warum sollte sie das tun?

Plötzlich durchzuckte es Malu siedend heiß. Die Tasche! Die letzten Worte ihrer Mutter im Krankenwagen! Malu musste sofort in der Handtasche ihrer Mutter nachsehen. Sie sprang auf und rannte in den Flur. Dort baumelte das geblümte Stoffteil am Haken. Hoffentlich fand sie darin keinen Kaufvertrag von Alibaba oder etwas ähnlich Schlimmes. Mit der Tasche unterm Arm kam sie zurück in die Küche.

»Malu, was machst du da?« Edgar blickte ihr über die Schulter, während sie in der Handtasche wühlte. »Was suchst du denn?«

Aber sie kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Es klingelte und Edgar ging in den Flur, um die Tür zu öffnen.

Ein weißer Umschlag aus dickem, rauem Papier fiel Malu in die Hand. Ihr Herz klopfte wie wild. Bitte Mama, bitte, du kannst das nicht gemacht haben!, dachte sie, während sie das Kuvert mit zitternden Fingern öffnete.

Im ersten Moment war sie erleichtert. Es war kein Kaufvertrag! Aber je weiter sie las, desto kälter wurde ihr. Sie wollte einfach nicht glauben, was da stand. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Das war ja noch weitaus schlimmer als ein Kaufvertrag!

Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3)

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