Читать книгу Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3) - Ina Krabbe - Страница 6
Оглавление3. Kapitel
Malu starrte immer noch auf das Blatt in ihrer Hand, als sie die wütende Stimme ihres Bruders aus dem Flur hörte. Schnell stopfte sie den Brief zurück in die Tasche und lief zur Haustür.
Ein älterer Mann stand vor Edgar und füllte fast den gesamten Türrahmen aus. Er war nicht nur besonders groß, sondern auch besonders dick. Ein sorgfältig gestutzter grauer Bart zierte sein rotwangiges Gesicht, das jetzt ziemlich sauer auf Edgar herabblickte. »Wo ist denn deine Mutter, Junge? Ich bespreche das wohl besser mit ihr.«
»Da gibt es nichts zu besprechen«, fauchte Edgar. Er versuchte die Tür zuzudrücken, aber der Mann hatte seinen Fuß, der in einem schweren Reitstiefel steckte, dazwischen gestellt. Malu fragte sich, welches arme Pferd den schweren Mann wohl tragen musste.
»Was ist denn los, Edgar?« Malu trat neben ihren Bruder und musterte den Fremden.
»Dieser Mann behauptet, das Schloss samt Land gehöre ihm. Er hätte einen Schuldschein, der das belegt. Ein Verrückter!«
»Edgar?« Der Mann musterte den schlaksigen Jungen vor sich. »Na sicher, ich hätte dich ja gleich erkennen müssen, du siehst aus wie eine jüngere Ausgabe deines Vaters. Erkennst mich wohl nicht mehr, was?«
Edgar schüttelte den Kopf, doch Malu konnte sehen, dass er blass um die Nase wurde.
»Winterscheid. Bernhard Winterscheid. Na, vielleicht erinnerst du dich auch nicht mehr, du warst ja noch so«, er hielt seine Hand auf Hüfthöhe. »War ja auch nicht ganz so schön unsere Begegnung. Aber du bist doch nicht nachtragend, oder?«
Edgars Augen glitzerten verräterisch, aber er holte nur tief Luft und sagte ruhig. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.« Aber Malu sah, dass er log. Ihr Bruder hasste diesen Mann und sie fragte sich unwillkürlich, was der ihm wohl angetan hatte. Edgar gab ihr doch immer wieder Rätsel auf, aber schließlich kannte sie ihn ja auch noch nicht mal ein Jahr.
Winterscheid zog die Augenbrauen hoch. »Ist ja auch egal. Du weißt ja, dass dein Vater gerne mal eine Runde gepokert hat, nur gewonnen hat er meistens nicht. Und dabei ... hat er das Schloss an mich verloren.« Der dicke Mann hob entschuldigend die Arme, aber seine Augen funkelten vergnügt.
»Das glaube ich nicht«, sagte Edgar leise. »Das hat er nicht gemacht. Das nicht auch noch!«
Malu stemmte die Arme in die Seite. »Warum kommen Sie denn erst jetzt damit um die Ecke? Der Schuldschein muss doch mindestens sechs Jahre alt sein.«
Winterscheid grinste. »Gute Frage, kleines Fräulein. Der ist sogar schon neun Jahre alt. Ich hab natürlich gedacht, der Harald, der veräppelt mich, aber das Spiel war so spannend, dass ich mich drauf eingelassen habe. Ein Schloss, so ein Quatsch, hab ich gedacht.« Er schlug sich mit der Hand auf den Bauch. »Woher sollte der Harald denn ein Schloss haben. Ich kannte ja die Bruchbude, in der er lebte ...«
»Das war keine Bruchbude«, zischte Edgar.
Der Mann redete einfach weiter. »Aber dann habe ich letzten Monat diesen Zeitungsartikel im Elbkurier gelesen, über deine wundersame Erbschaft.« Er lachte glucksend, dass sein dicker Bauch mächtig ins Wanken geriet. »Ich hab gedacht, ich spinne. Hatte der Harald doch tatsächlich ein Schloss. Und jetzt –«, er machte eine bedeutungsvolle Pause, »gehört es mir!«
»Damit kommen Sie nicht durch.« Edgar verschränkte die Arme vor der Brust. »Der Schein ist niemals gültig.«
Malu schluckte, sagte aber nichts. Sie musste diesen Mann loswerden und mit Edgar unter vier Augen reden. Und mit Gesine. Warum musste ihre Mutter auch gerade jetzt im Krankenhaus liegen?!
»Mit uns dürfen Sie so was gar nicht besprechen, wir sind minderjährig«, erklärte Malu. »Gehen Sie jetzt bitte.« Auf dem Schlossplatz sah sie Kalle, der auf den Lieferwagen zusteuerte. Wenn Winterscheid nicht freiwillig ging, dann eben so. »Jetzt nehmen Sie Ihren verdammten Fuß aus der Tür«, brüllte sie. Der dicke Arbeiter drehte sich um, stutzte kurz und lief dann schnurstracks auf sie zu.
»Jibts Ärger?«, fragte er drohend.
Winterscheid musterte Kalle, das dreckige Unterhemd und die behaarten, muskulösen Arme und zog dann seinen Fuß zurück. »Aber nein«, sagte er lächelnd. »Was denken Sie denn. Wir haben uns nur nett unterhalten.«
Malu lächelte zurück. »Genau. Danke«, fügte sie hinzu bevor sie die Tür schloss und das war nicht an Winterscheid gerichtet.
Edgar und Malu standen stumm im Flur und sahen sich an. Endlich ging Malu zur Handtasche ihrer Mutter und zog den Brief hervor. »Hier«, sie reichte Edgar den Umschlag. »Der ist vom Anwalt. Ich fürchte, es sieht nicht gut aus.«
Ihr Bruder zog das Schreiben hervor und faltete es umständlich auseinander. Er musste sich drei Mal räuspern, während er es las. Dann ließ er das Papier sinken. »Der Schuldschein ist höchstwahrscheinlich gültig. Es gehört also wirklich ihm?« Seine Stimme war ganz schwach.
»Vielleicht«, beeilte Malu sich zu sagen. »Es ist ja nicht ganz sicher, wie das Gericht entscheiden wird.«
Edgar starrte ins Leere. Malu wusste genau, wie ihm zumute war. Jetzt hatte er gerade ein neues Zuhause gefunden und sollte es schon wieder verlieren. Ihr selber ging es ja nicht anders. Bis vor ein paar Stunden war ihr Leben noch perfekt gewesen und plötzlich bröckelte es auseinander, ein kompletter Albtraum!
»Wer ist dieser Typ überhaupt«, fragte sie wütend. »Woher kennst du ihn?«
»Winterscheid gehört ein Gestüt in Norddeutschland, wo ich früher gewohnt habe. Er ist steinreich, kann aber den Hals nicht voll kriegen. Ein Spieler – wie mein Vater«, fügte er leise hinzu.
»Unser Vater«, erinnerte Malu ihn. »Und was meinte er mit der nicht ganz so schönen Begegnung?«
Edgar sah sie wütend an und wischte mit der Hand durch die Luft, als könnte er damit seine Erinnerung auslöschen. »Ach, jetzt lass mal gut sein, Malu, wir haben echt andere Sorgen ...«
Ein erneutes Klingeln an der Tür verhinderte einen handfesten Geschwisterstreit. Malu riss die Tür auf. Arno von Funkelfeld stand auf der Schwelle und kratzte sich am Bart. Einen Schritt hinter ihm wartete seine Tochter Lenka. Was wollte die denn hier? Seit einiger Zeit herrschte so etwas wie Waffenstillstand zwischen ihr und Lenka. Herrliche zwei Monate war das blonde Mädchen bei seiner Mutter in Spanien gewesen. Und seit Lenka zurück war, war sie anders, nicht mehr so zickig und irgendwie ernster. Doch Malu traute dem Frieden nicht. Zu oft schon hatte sie sich mit Lenka in den Haaren gelegen.
Aber auch die beiden würden ihr Zuhause verlieren, sollte Winterscheid das Schloss tatsächlich bekommen. Warum hatte ihre Mutter nicht früher etwas gesagt? Obwohl das natürlich auch nichts geändert hätte. Wahrscheinlich hatte sie einfach das Schreiben von dem Anwalt abwarten wollen. Ob Gesine von dem Schuldschein wusste?
»Hallo, Malu?« Arno winkte mit beiden Händen vor ihrem Gesicht, bis Malu aus ihren Gedanken auftauchte und ihn anblickte. »Ich habe von Rebeccas Unfall gehört. Können wir euch irgendwie helfen?«
»Danke, das ist nett«, sagte Malu automatisch und beschloss im gleichen Moment Arno von Funkelfeld und seiner Tochter nichts zu erzählen. Sie hatte kein Vertrauen zu diesem Mann, auch wenn er mit ihr entfernt verwandt war (zu seiner Tochter sowieso nicht!). Zweimal schon hatte er versucht, sie reinzulegen.
In der Küche klingelte wieder das Telefon. Malu ließ Arno und Lenka stehen und lief durch den Flur. Vielleicht war es das Krankenhaus? Aber Edgar hatte schon den Hörer abgenommen. Seine Hand umkrampfte das Gerät so sehr, dass der Knöchel weiß hervortrat.
»Ich habe doch schon gesagt ...« Er verstummte. Eine ganze Zeit lauschte er nur der Stimme am anderen Ende, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, niemals!« Damit knallte er den Hörer in die Station. Wild starrte er Malu an. »Schon wieder wegen Alibaba. Die wollen Hunderttausend für sie bezahlen. Hunderttausend! Das ist doch irre!«
»Du hast Nein gesagt«, stellte Malu fest.
Ihr Bruder ließ sich aufs Sofa plumpsen. Plötzlich schien alle Kraft aus ihm gewichen zu sein.
»Was ich noch vergessen habe ...« Die Stimme ließ Malu herumfahren. Winterscheid! Was machte der schon wieder hier. Hatte der sich doch einfach hinter Arno und Lenka durch die Tür gedrängelt!
»Sagt eurer Mutter, das Angebot steht noch. Wenn sie möchte, verkauf ich das Ding und wir müssen nicht vor Gericht. Sie kennt den Preis.« Er drehte sich auf dem Absatz um und hob grüßend die Hand. »Edgar weiß, wo ihr mich findet.« Dann war er verschwunden.
Kurze Zeit später heulte der Motor eines Sportwagens auf.
Arno von Funkelfeld stand im Flur und machte ein verwirrtes Gesicht. »Wer war das?«
»Der wollte Rebecca was für die Renovierung verkaufen«, sagte Edgar geistesgegenwärtig und bugsierte seine Verwandten zur Tür. »Wir sagen euch Bescheid, wenn wir Hilfe brauchen. Danke für das Angebot.«
Als die Tür hinter Arno und Lenka ins Schloss gefallen war, sanken die Geschwister völlig erschöpft auf die Küchenbank. In was für eine ausweglose Situation waren sie da nur geraten?!
Malu musterte Edgar mit gerunzelter Stirn. »Warum zahlt jemand so viel Geld für ein trächtiges Pferd, Edgar? Was ist denn so Besonderes an Alibaba? Oder ist es das Fohlen?«
Ihr Bruder zuckte mit den Schultern. »Ich hab keine Ahnung. Hunderttausend ist wirklich verdammt viel Geld!«
Sie schwiegen und Malu war sich sicher, dass ihr Bruder das Gleiche dachte wie sie.
»Vielleicht könnten wir damit den Schuldschein zurückkaufen«, sagte sie leise.
»Niemals.« Edgar haute mit voller Kraft seine Faust auf den Tisch. »Niemals gebe ich mehr ein Pferd von mir weg! Dann wohne ich lieber wieder in einer Bruchbude!«
Er sprang auf und lief die Treppe hoch. Aber Malu hatte trotzdem die Tränen gesehen, die ihm über die Wangen liefen. Und jetzt konnte sie sie auch nicht mehr zurückhalten. Sie kam sich so verloren und alleine vor. Was hätte sie in diesem Moment darum gegeben, noch mal klein zu sein, Rebecca wäre da und hätte sie in den Arm genommen und dann alles in Ordnung gebracht. Sie seufzte tief und wischte sich die Tränen ab. Es half nichts, sie musste sich selber etwas einfallen lassen.