Читать книгу Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3) - Ina Krabbe - Страница 8

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5. Kapitel

Völlig bedröppelt stiegen Edgar und Malu aus dem Ersatz-Lieferwagen. Nachdem Kalle seinen Kollegen Bescheid ge­sagt hatte, war Paul, der junge Chef höchstpersönlich, mit dem zweiten Wagen gekommen und hatte sie eingesammelt. Er war nicht gerade glücklich über den Alleingang seines Angestellten und die Autopanne. Aber Malu hatte Kalles Einsatz in den höchsten Tönen gelobt, sodass er bald besänftigt gewesen war.

Alibaba blieb verschwunden und sie hatten nicht den Hauch einer Idee, wo sie sein konnte und wie sie die Stute zurückholen sollten.

Lea und Jaron hatten auf dem Zaun gesessen und ungeduldig auf die Rückkehr ihrer Freunde gewartet. Jetzt rannten sie auf die beiden zu und bestürmten sie mit Fragen.

Die Geschwister bedankten sich noch mal bei Paul und Kalle und trotteten dann in ihre Wohnung, Lea und Jaron im Schlepptau.

Malu ließ sich auf die Küchenbank fallen. »Was ist hier nur los?«, fragte sie verzweifelt.

Lea setzte sich ihr gegenüber und nickte wissend. »Das ist der Fluch. Der grauenhafte Funkelsee-Fluch, der jeden trifft, der in dunkle Keller fällt und alte geheimnisvolle Me­daillons findet. Nie davon gehört?«

Malu verzog das Gesicht. »Das ist nicht witzig, Lea!«

»Nicht?« Ihre Freundin grinste. »Ich find es eigentlich ganz lustig.« Aber ein Blick auf Edgars düsteres Gesicht ließ auch Leas Lachen verstummen. Sie legte ihrem Freund die Hand auf den Arm. »Wir finden Alibaba, ganz klar.«

Edgar sah sie an und nickte. »Natürlich finden wir sie und das am besten noch, bevor das Fohlen kommt!«

Jaron räusperte sich und schob seine schwarze Brille hoch. »Jetzt lasst uns doch mal logisch denken. Wer sollte denn Alibaba klauen? Es muss doch jemand sein, der sie kennt und weiß –«

»Du bist ein Genie!«, unterbrach Malu ihn und fiel ihm um den Hals, was eine leichte Rotfärbung von Jarons Wan­­gen zur Folge hatte. »Es ist doch ganz klar, wer Alibaba gestohlen hat! Edgar, die Frau, die hier gestern zweimal angerufen hat, um sie zu kaufen. Sie hat eine megahohe Summe geboten und du hast es ausgeschlagen. Wahrscheinlich will sie Alibaba um jeden Preis haben – warum auch immer – und weil du sie ihr nicht verkaufen willst, hat sie sie eben einfach gestohlen!« Erschöpft von ihrer Beweisführung ließ Malu sich gegen die Rückenlehne sinken.

Ihr Bruder starrte sie an. »Frau Jansen? Oh Gott, wenn du recht hast ... Ich kenn sie doch schon so lange, ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen ... Aber wer sollte es sonst sein?!«

»Was ist denn an Alibaba auf einmal so besonders?«, fragte Lea verwirrt. Malu hatte ihr gar nichts davon erzählt, was nur an der Menge der Ereignisse lag, die seit gestern Morgen auf sie eingeprasselt war.

»Keine Ahnung.« Edgar zuckte mit den Schultern. »Hat sie nicht gesagt. Es kann ja eigentlich nur etwas mit dem Vater des Fohlens zu tun haben«, fügte er nachdenklich hinzu.

»Wahrscheinlich der wertvolle Hengst eines saudiarabi­schen Prinzen, so ein gut aussehender Typ, nett, sympathisch und mit einer eigenen Insel ...«

»Du kennst schon einen netten, sympathischen Typen mit einer eigenen Insel«, grinste Malu.

»Na ja, das ist ja eher ein Inselchen«, sagte Lea geziert und kassierte einen zarten Seitenhieb von Edgar.

»Also, was machen wir jetzt?«, fragte Jaron. »Wo wohnt denn diese Frau Jansen?«

»Wir machen jetzt erst mal ein paar Nudeln«, sagte Edgar und sprang auf. »Ich habe einen Megahunger.« Er holte einen Topf aus dem Schrank und ließ ihn voll Wasser laufen. »Der Birkenhof von Frau Jansen und ihrem Mann ist in Marschdorf. Das liegt im Norden, fast direkt am Meer. Da habe ich früher gewohnt und Rocco und Alibaba hatten wir auf dem Birkenhof untergestellt.«

Als der Topf auf dem Herd stand, setzte Edgar sich wieder zu den anderen an den Küchentisch. »Und da fahren wir morgen hin. Wenn Frau Jansen Alibaba gestohlen hat, dann finden wir sie!«

Malu blickte ihren Bruder skeptisch an. Sie wusste, was ihre Mutter davon halten würde, wenn sie und Edgar ein paar hundert Kilometer weit wegfuhren, um nach einem verschwundenen Pferd zu suchen. Gut – Rebecca konnte gerade gar nichts dazu sagen, was in dem Fall echt praktisch war. Es galt aber immer noch Gesine zu überreden, doch bei ihr hatten sie bestimmt eine Chance. Aber wo sollten sie schlafen?

»Ich weiß auch schon, wo wir unterkommen können«, sagte Edgar, als ob er ihre Gedanken gelesen hatte (echt unheimlich!).

Die Landschaft, die am Fenster vorbeizog, war ausgesprochen platt. Kein Berg, nicht mal ein kleiner Hügel waren zu sehen. Das Meer rückte immer näher. Fast hätte es ein bisschen wie auf einer Fahrt in den Urlaub sein können. Zwei dicke Reisetaschen quetschten sich über Malu und Edgar in die Gepäcknetze. Sie hatten noch zwei Plätze in einem voll besetzten Sechser-Abteil erwischt. Den ersten Teil der Fahrt hatte eine Gruppe Studenten sich über irgendwelche Musikfestivals unterhalten, die Malu nicht kannte, und dazu Unmengen Bier getrunken. Als die dann endlich ausgestiegen waren, hatte eine Mutter mit drei kleinen Kindern ihre Plätze eingenommen. Nach ein wenig Gezanke und Geschrei hatten sich endlich alle auf Kniffel geeinigt und am Ende hatten auch Edgar und Malu mitgespielt. So war die dreistündige Fahrt ziemlich schnell vergangen. Inzwischen hatten die Geschwister das ganze Abteil für sich allein. Noch zwei Stationen bis Marschdorf.

Malu war ziemlich aufgeregt, auch wenn sie es vor Edgar nicht zeigen wollte. Sie war noch nie ohne ihre Mutter so weit weggefahren. Und schon gar nicht, um dort ein paar Tage zu bleiben und ein Verbrechen aufzuklären. Edgar tat so, als ob er das jede Woche mehrmals machte – aber das nahm sie ihm nicht ganz ab.

Gesine war natürlich alles andere als begeistert gewesen, als sie ihr noch am Abend ihren Plan unterbreitet hatten. Aber natürlich verstand sie, dass die beiden alles tun mussten, um Alibaba zurückzuholen. Und als sie versprachen, den ganzen Samstag noch die anstehenden Arbeiten auf dem Hof zu erledigen und Lea und Jaron angeboten hatten, Gesine bei der Versorgung der Pferde zu helfen, hatte sie schließlich zugestimmt. Rebecca würden sie allerdings von diesem Ausflug nichts verraten. Sie würde sich nur aufregen und das war in ihrem schwachen Zustand bestimmt nicht gut.

Endlich verkündete eine blecherne Stimme Marschdorf aus dem Lautsprecher. Sie waren da! Die Geschwister zerrten die beiden Taschen aus dem Gepäcknetz und wankten dann schwer beladen Richtung Ausgang. Edgar hatte seinen alten Schulfreund Bjarne angerufen, der sie abholen würde und bei dem sie auch übernachten konnten.

Das war der andere Grund, warum Malu so aufgeregt war. Sie würde die Vergangenheit ihres Bruders kennenlernen. Edgar war wirklich kein redseliger Typ und von einem Bjarne hatte er noch nie etwas erzählt. Und nun plötzlich zauberte er seinen guten Schulfreund aus dem Hut. Undenkbar für Malu. Wenn sie hätte von zuhause wegziehen müssen, dann hätte sie doch trotzdem noch ununterbrochen mit Lea Nachrichten und Bilder hin- und hergeschickt. Aber vielleicht waren Jungs da eben anders. Jaron war auch keiner, der ihr ständig Botschaften schickte.

Die Tür öffnete sich mit einem lauten Stöhnen und sie wuchteten die Taschen auf den Bahnsteig.

»Ey, Alter«, schallte da schon eine Stimme hinter ihnen. Ein pummeliger Junge mit dunkelbrauner Haut und rundem, freundlichem Gesicht lief auf sie zu, umarmte Edgar und klopfte ihm wild auf den Rücken. »Mann, schön dich zu sehn, Alter!«

Edgar griente und befreite sich von seinem Freund. »Ich freu mich auch, Bjarne«, sagte er.

Malu musste grinsen. Edgar meinte es tatsächlich so, auch wenn man es ihm nicht anmerkte, er hatte es eben nicht so mit emotionalen Bekundungen. So gut kannte sie ihren Bruder inzwischen. Aber Bjarne schien ihn auch zu kennen, denn er nahm ihm seine Schroffheit nicht übel.

»So, du Stoffel, jetzt stell mich mal deiner Schwester vor.«

»Malu, das ist Bjarne. Bjarne, das ist Malu, meine Schwester.«

»Brav«, grinste der Junge und hielt Malu die Hand hin. »Hi, ich bin ein alter Freund von deinem Bruder. Bestimmt hat er dir schon rasend viel von mir erzählt.«

»Ein bisschen«, übertrieb Malu schamlos. Tatsächlich hatte Edgar ihn nicht ein einziges Mal erwähnt.

»Na los, kommt«, sagte Bjarne, schnappte sich Malus Tasche und lief vor.

»Ein echter Gentleman, dein Freund«, sagte Malu. Edgar schnaufte neben ihr, während er seine vollbepackte Reise­tasche zum Ausgang schleppte.

Marschdorf schien nicht gerade ein beliebtes Reiseziel zu sein. Nur der Bahnhofsvorsteher grüßte Bjarne, als sie durch die leere Halle liefen.

»Fahr nich’ wieder so schnell, min Jung«, rief er Bjarne nach. »Sonst gibt’s wieder ein Knöllchen.«

»Das ist mein Onkel«, raunte der Junge Malu zu, als sie sich durch die große Glastür schoben. »Und das mit dem Knöllchen ist natürlich Quatsch.«

Malu hatte sich schon gefragt, ob hier im Norden die Jugendlichen schon mit 15 Auto fahren durften, denn älter war Bjarne sicher auch nicht.

»Meine Ponys sind zwar schnell, aber ein Knöllchen habe ich noch nicht mit ihnen bekommen.« Bjarne lachte und machte eine einladende Handbewegung in Richtung einer kleinen hellblauen Kutsche, vor die zwei Ponys ge­­spannt waren. Eines war braun-weiß gescheckt – fast wie Alibaba – das andere schokoladenfarben. Geduldig warteten die Tiere auf einem Parkplatz vor dem Bahnhofsgebäude auf ihre Passagiere.

Während Bjarne und Malu es sich auf dem Kutschbock bequem machten, wuchtete Edgar die beiden Reisetaschen hinten auf eine Ablage. Dann quetschte er sich neben seine Schwester. Der Platz reichte gerade so für drei.

»Darf ich vorstellen: Der gescheckte Herr ist Mister Fleck. Sehr originell, was? Den Namen hat meine kleine Schwester ausgesucht.« Bjarne verdrehte die Augen.

Malu kicherte und warf ihrem Bruder einen vielsagenden Blick zu. »Ich sag nur Ping und Pong.«

Edgar tat so, als wüsste er nicht, wovon Malu redete.

Bjarne schnalzte, ließ die Zügel leicht auf die Pferde­rücken schlagen und schon setzte die Kutsche sich in Be­­wegung. »Die braune Schönheit ist Taka-Tuka.« Er grins­­­te. »Der ist von mir.«

Edgar prustete los. »Taka-Tuka, nicht dein Ernst, Bjarne. Dagegen ist PingPong ja ein echt bodenständiger Name.«

»Ich find’s süß.« Der dunkelhaarige Junge lächelte und trieb die Ponys zum Trab. »Ihr könnt in der Scheune schlafen, ich hab euch Strohballen hingestellt und Decken rübergebracht.« Als er Malus überraschten Blick sah, fügte er schnell hinzu. »Wenn es euch nichts ausmacht, aber da habt ihr wenigstens eure Ruhe, bei uns im Haus ist es nämlich ziemlich voll.«

»Bjarne hat noch sechs Geschwister«, erklärte Edgar, »und Hunde – wie viele sind es genau?«

»Nur drei.« Der Junge verzog das Gesicht. »Marvin ist vor zwei Monaten gestorben. Ein paar Katzen haben wir auch noch. Und natürlich die Ponys.«

Vielleicht war es doch ganz gut, dass sie in der Scheune schlafen konnten, dachte Malu.

Die Ponys wurden etwas langsamer und Bjarne lenkte das Gespann auf einen holprigen Feldweg. Obwohl sie fast im Schritttempo fuhren, wurden die Geschwister ordentlich durchgerüttelt.

»Was macht denn Hauke?«, fragte Edgar über den Kopf seiner Schwester hinweg.

»Der ist vor einem halben Jahr ausgezogen.« Bjarne schüttelte den Kopf. »Er wollte eigentlich eine Ausbildung als Pferdewirt machen, aber er hat die Lehrstelle nicht bekommen. Jetzt macht er mal dies, mal das und hilft auf den Höfen in der Umgebung aus. Meine Eltern sind darüber nicht gerade happy, kannst du dir ja vorstellen.«

»Hauke ist sein Bruder«, klärte Edgar Malu auf. »Der war zwei Klassen über uns und hatte immer den besten Blödsinn auf Lager. Unser aller großes Vorbild«, grinste er.

Malu verdrehte die Augen. Ein typischer Fall von Jungs-Gequatsche. Wenn dieses Geruckel vorbei war, musste sie als Erstes mit Lea schreiben.

Eine Ansammlung von riesigen Eichen erhob sich vor ihnen. Als sie näherkamen, erkannte Malu einen kleinen Vier­­­kanthof, der sich unter die Bäume duckte. Auf dem Innen­­hof lagen Fahrräder, Roller und Bälle wie durchei­nander gewürfelt.

»Willkommen auf dem Schwalbenhof.« Bjarne brachte die Ponys zum Stehen und sprang vom Kutschbock. Eine Horde Kinder rannte auf sie zu und sprang um den Wagen herum. Alle schrien durcheinander.

»Was gibt’s zu essen, Bjarne?« – »Kann ich Mister Fleck ab­­­schnallen?« – »Nein, ich will Mister Fleck nehmen!« – »Wer sind die beiden?«

Malu zählte drei Mädchen und zwei Jungs (vielleicht – so genau konnte sie das gar nicht erkennen, denn alle hatten halblange strohblonde Haare), ungefähr im Alter von vier bis zehn.

Bjarne stöhnte und befreite sich von seinen Geschwis­tern. Kurzerhand bestimmte er zwei, die sich um die Ponys kümmern sollten, dann drehte er sich zu Malu und Edgar. »Kommt, ich zeig euch, wo ihr schlafen könnt und dann machen wir uns was zu essen. Meine Eltern kommen erst morgen wieder, die sind auf einer Messe.«

Die Scheune war wundervoll! Einen schöneren Platz zum Schlafen hätte Malu sich gar nicht vorstellen können. Bjarne hatte nicht zu viel versprochen und anscheinend alle Decken, die er im Haus gefunden hatte, über die Stroh­­­­ballen geworfen. Dazu noch jede Menge Kissen. Die Nach­mittagssonne schien träge durch die Dachluke und brachte die staubige Luft zum glitzern.

Malu ließ sich rückwärts auf ihr Strohbett fallen. »Das ist echt toll! Danke, Bjarne.«

Unschlüssig stand Bjarne zwischen den Strohballen und vergrub die Hände in den Hosentaschen. »Tja, gerne. Bad und Klo müsst ihr drinnen benutzen, die Tür ist aber immer offen.«

»Sag mal, warst du in letzter Zeit mal auf dem Birken­hof?«, fragte Edgar unvermittelt.

Sein Freund sah ihn verwundert an. »Nein, nicht ein einziges Mal, seit deine Pferde da weg sind, wieso?«

Edgar hatte natürlich erzählt, dass sie in Marschdorf waren, um nach Alibaba zu suchen, aber die näheren Um­­stände und auch, dass sie Frau Jansen in Verdacht hatten, die Stute gestohlen zu haben, das hatte er für sich behalten. Jetzt winkte er Bjarne näher und erzählte ihm im Flüster­ton von den Angeboten am Telefon und ihrer Vermutung.

Bjarne ließ sich zwischen die Geschwister auf die Stroh­ballen fallen. Er kratzte sich ausgiebig am Kopf, als müsse er das Gehörte erst einmal verarbeiten. »Ich kann mir das gar nicht vorstellen«, sagte er schließlich. »Hauke arbeitet manchmal auf dem Birkenhof und nach dem, was er erzählt, sieht es da gar nicht gut aus. Die stehen kurz vor der Pleite.« Er warf Edgar einen skeptischen Blick zu. »Woher sollen die dann hunderttausend Euro nehmen, um ein Pferd zu kaufen? Und vor allem, warum?«

Das fragten Edgar und Malu sich allerdings auch, und dieser Frage mussten sie morgen unbedingt nachgehen! Vielleicht würden sie dann auch eine Spur von Alibaba finden.

Funkelsee – Das goldene Fohlen (Band 3)

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